Fortpflanzung

Der folgende Artikel ist ein Satire-Artikel. Es kann sein, dass er nicht ganz ernst gemeinte Aussagen enthält. Es kann aber auch sein, dass der Artikel irgendeine tiefgründige Botschaft vermitteln möchte.

Fortpflanzung ist eine neurotische Störung, genauer gesagt eine ganze Familie von Zwangshandlungen. Die Betroffenen müssen fortgesetzt - sehr oft gegen ihren Willen - Gartenarbeiten erledigen.

Wie erkennt man Fortpflanzung?

Vorsicht! Oft streitet der ertappte Nach-
bar alles ab und verhält sich feindselig.

Fortpflanzung als Störung früh - oder zumindest sicher - zu erkennen, gelingt meist nur ausgebildeten Fachleuten. Genau genommen handelt es sich ja auch eher um einen Spleen - oder eine landläufige Spinnerei, die meist hinter einer auffälligen Blütenpracht verborgen wird. Das Getriebene in der dauernden Gartenarbeit bemerken allerhöchstens die nächsten Nachbarn und die ratlos-verstrickte Familie, wenn der abnorme Fortpflanzungstrieb überhaupt als solcher erkannt wird. Die Grenzen zwischen beschaulicher Gartenidylle und den Folgen eines unkontrollierten Bepflanzungswahns sind halt fließend, und überhaupt - muss man ja erst noch vorm eigenen Gartentürchen jäten.

Unter solchen Umständen werden Laien das Verhalten von Fortpflanzern dann meist auch nur als irgendwie krank, aber „noch nicht asozial“ interpretieren. Solange der Rasen nicht so hoch wuchert, dass man zur Notzucht die Kinder aus der Siedlung, dahinter verstecken könnte, gilt Fortpflanzung meist nicht als Perversion. Allerdings nur wenn es der Betroffene noch schafft die Gartenarbeit so unauffällig wie möglich in seinen Alltag zu integrieren, dass nicht andere Alltagstätigkeiten vernachlässigt werden.

Ursachen

Bei beengten Siedlungsverhältnissen, wie hier in einem Slum in Kalkutta, kann sich Fortpflanzung zur Massenneurose ausweiten?

So gut wie jeder hält sich lieber in einem schön gepflegten, abwechslungsreich bewachsenen Umfeld auf, anstatt in einer verlassenen Steppe, in der man außer ein Paar verdorrten Halmen in der Regel nicht viel erwarten darf. Was aber veranlasst Menschen in den gemäßigten Zonen, einen Großteil an Ressourcen, Zeit und Denktätigkeit in die Verschönerung ihrer Außenanlagen zu verschwenden? Besonders, wenn man dann doch meist drinnen hockt?

Man kann hier Klischees der Jungschen Denkschule anbringen - nach denen dem zivilisierten Mensch der archaische Blut und Preiselbeer - Geschmack auf den Lippen des Jägers/Sammlers, nur allzu entfernt ist - er sich aber unbewusst nach dem rohen Schmausen und Brausen aus Mutter Gaja's mächtigem Bauch, mächtig sehnt. Bekannter und beliebter ist das heimelige Märchen von der Entspannung im eigenen Garten. Recht bizarr, da die Erkrankten gar nicht dazu kommen. Die Meisten legen nach einem zehn Stunden Tag oft noch ein Hochbeet an, bevor sie pünktlich zur Tagesschau einnicken. Dieses „...sich geradezu vernichten“ - (F.J. Degenhart), wird im modernen Gartenbau inzwischen als ein Versuch des Aufbrechens der eigenen, sozialen Inkompetenz nach draußen verstanden. Eine scheinbar positive Tendenz.

Meist muten die Gartenfrüchte jedoch recht exhibitionistisch an, und dem sensiblen Betrachter erschließt sich mancher Bepflanzungsplan als das Werk eines unheilbaren „Attention Junkies“. Dies geht meist mit starken Aversionen in Form von „Morbus Portikus“ einher: Einer Angst-Störung - die es den Betroffenen unmöglich macht die Nachbarn ins Haus zu lassen, um einfach mal ne Runde abzuhängen. Um jedoch in der Nachbarschaft nicht in den Ruf von Eigenbrötlern zu geraten, setzen sie die, ohnehin äußerst kostspielige, Ausschmückung ihres Eigenheims, ins Freie fort. Quasi ein Beweis, dass man zu Wohnen und sich einzurichten versteht, bzw. den nötigen Schotter hat.

Fortpflanzungsvariationen

Gemeinschaftliche Fortpflanzung in der Ehe

Fortpflanzung in Lebensgemeinschaften ist eine besonders schwere Verlaufsform. Die Partner bestätigen sich jeweils gegenseitig in ihrer Gartenarbeit, und anfänglich scheint das Verhalten der Betroffenen sogar sinnvoll: Der Krankheitsverlauf beginnt meist damit, dass man, nach Jahren, endlich mal auf der kahlen Stelle neben der Garage einen neuen Rasen ansät.

Besonders Männer weisen oft großflächige Fortpflanzungen auf, kommt doch der nun folgende Kampf mit allerlei attackierendem Geflügel, ihrem rohen Naturell entgegen. Sie versuchen eher konsequent in Normgrößen gehaltene Rabatten durchzusetzen, um eine leichtgängige Verwendung der diversen Gartengeräte und Maschinen zu ermöglichen. Der Bewuchs tritt hier natürlich in den Hintergrund, Hauptsache man kann im Herbst die elektrische Astsäge zum Einsatz bringen. Frauen hingegen, werden in der Regel zu eher farb- und formschönen Pflanzungen tendieren, die sich nicht so sehr mit dem Anstrich des Hauses beißen.

Beim Gärtnern muss man schrittweise vorgehen. Ansonsten verdorrt das zarte Pflänzchen, oder man bescheidet sich mit furchtbarem Betonboden und unguten Szenen.

Ist der Rasen endlich angegangen, wirkt die Hecke daneben plötzlich mehr als herunter gekommen. Also geht es wieder in den Baumarkt, von dem man mit zwölf Liguster oder Hainbuche zurück kehrt. Die Frau meckert plötzlich was von Kirsch-Lorbeer, und schon beginnt der Teufelskreis. Nach ein paar Jahren des Leidens heißt es dann meist nur noch: „Außen Hui - Innen pfui“. Keiner will sich jetzt noch die Hände schmutzig machen. Bei der Gestaltung von Großflächen scheiden sich dann endgültig die Geister: Dem Mann reicht es in der Regel einmal im Jahr nach zu sähen, die eine oder andere Düngergabe zu verabreichen und ansonsten leichte Vertikutierarbeiten zu leisten. Er hält die Grünflächen so groß wie möglich, um die Existenz seines neuen Toro-Minitraktors zu rechtfertigen. Die Frau möchte aber lieber eine Wildwiese hinterm Haus um sich im Sommer den Wind um die Mutterbrust wehen zu lassen. Am Ende weicht sie meist verstimmt auf den schmalen Grünstreifen vor dem Haus aus, oder pflegt vornehmlich ihre Blumenampeln, um immer Grund zum Fortpflanzen zu haben.

In dieser Phase wollen sich die Erkrankten manisch, immer wieder in das - nie zu übertreffende - erste Aussähen zurück finden. Vergrämt erinnert man sich an das schweißtreibende gemeinsame Zusammenfinden in der Krume. Mit abnehmender Pflanzfläche (bei gleichzeitiger Häufung des Komposts), stellt sich die gesuchte Befriedigung, leider immer seltener ein.

Fortpflanzung bei den Naturvölkern
Es hat den Anschein, dass es sich bei der Fortpflanzung um ein modernes Zivilisationsgebrechen handelt, dies ist völlig falsch. Bei den meisten Naturvölkern und anderen - ähnlich unterentwickelten - Gemeinschaften tritt Fortpflanzung genauso häufig auf.
Exotisch aber irgendwie vertraut diese Kleingartenszene aus dem ostfriesischen Ouagadougou: Während der Mann seinen neuen Versteppo 3000 ausprobiert, baut die Frau für ihre zahlreichen Blumentopferde einen Zaun gegen den leidigen Heidschnuckenfras. Im Hintergrund, ein schnödes Beet mit langweiliger Gerste.

Bei Naturvölkern gilt die Fortpflanzung interessanterweise nicht als Krankheit, sondern ist fest in das Alltagsleben eingebunden. (Als große Ausnahme gelten die arabo-semitischen Stämme, bei denen Fortpflanzung ja bekanntlich Ḥarām ist. Wahrscheinlich ist dies auch der Grund, aus dem sie sich in unfruchtbaren Wüsten am allerwohlsten fühlen.) Hedonistisch verbrämte Fortpflanzungsrituale sucht man hier vergebens. Man findet einfach nur kulturelle Unterschiede: Während der westliche Mensch mittels seiner verfeinerten Sinne in der Lage ist, sich selbst als Individuum zu expressieren - schafft es der durchschnittliche Yanomami, Tutsi oder Buschmann höchstens eine staubige Steppe zu hinterlassen. Kann man ja Überall sehen.

Sieht man sich die langweiligen Gartengestaltungen z.B. in Burundi an, trifft man meist auf riesige Landflächen voller lustlos hin geklatschter Yams-Wurzel - auf die auch noch die Hunde urinieren. Da allerdings alles was die Pflanzfläche her gibt, mit Stumpf und Stiel weg geputzt wird, verhindert man die nächstjährige - durch verrottete Stauden begünstigte - Moosbildung. Damit erübrigen sich auch teure Pflanz-Paraphernalia, und man kann sich dem wesentlichen widmen. Durch mangelnde Einsichtsfähigkeit der Betroffenen und fehlende Bildung hat sich Fortpflanzung in vielen Teilen der Welt zu einem Massephänomen entwickelt, dass eine verbrannte Erde hinterlässt.

Aber was solls? Andererseits verbraucht der westliche Mensch ja auch Unmengen an Platz und Wasser, um völlig nutzlos fortzupflanzen, nur um sich wichtig zu machen. Da beschwert sich ja schließlich auch Niemand.

Asozial-pervers übersteigerte Fortpflanzung
Der Stadtrand von Berlin-Neukölln: Gut sichtbar, wurde wertvoller Wohnraum dem Wahnsinn preisgegeben. Die Einheimischen hatten mit ihren Klappmessern keinerlei Chance gegen elektrische Heckenscheren und Motorhacken. Natürlich bebauter Wohnraum wird am Ende umgegraben, das Sozialleben untergemulcht.

Bleibt Fortpflanzung bei den oben beschriebenen Verlaufsformen im Privaten verhaftet, setzt sich Fortpflanzung, im urbanen Siedlungsraum, immer mehr in die traditionellen Kieze fort. Inzwischen gibt es ganze Bezirke mit nachhaltig geschädigtem Milieus, in denen Fortpflanzung den sozialen Status Quo darstellt. Mit besonderer Sorge wir der zunehmende Verlust von gutem, verdichtetem Baugrund betrachtet. Sicherlich eine weniger gute Folge gestiegener, gesellschaftlicher Akzeptanz gegenüber den Betroffenen. Man muss hierbei besonders beachten, dass sich die Erkrankten heute völlig schamlos - in aller Öffentlichkeit - ihrem Leiden hingeben.

Immer mehr Lebensraum fällt so der Fortpflanzung zum Opfer. Haben sich die Erkrankten erst einmal zusammen gerottet, geht es im, von ihnen annektierten, Raum, zu wie in Sodom und Gomorra. In den sognannten Kleingartenanlagen, einer Art Swingerclub, schotten sie sich von der Außenwelt ab, um sich ihrem - höchst wahrscheinlich perversem - Tun hin zu geben. Was dort aber wirklich vor sich geht, bleibt der Allgemeinheit bislang verborgen. Es gilt als unmöglich Zugang zu den hermetisch abgeschlossenen Lust-Dioramen zu erhalten, wenn einem der Fortpflanzungswahn nicht gut sichtbar aus allen Poren quillt.

Therapie

Selbst im Elendsquartier angekommen, können die Betroffenen nicht von ihrer selbstzerstörerischen Fixierung ablassen.

Gegen Fortpflanzung kann man eigentlich wenig tun, die Krankheit gilt als unheilbar. Im Gegensatz zu beliebten Behandlungsformen bei z.B. stoffwechselbedingten, neurotischen Störungen, ist die Langzeitmedikation kontraindiziert. Manche Mediziner halten es jedoch für möglich die Betroffenen auf diese Weise vollständig zu veröden, und den Fortpflanzungsdrang damit wenigstens zu stoppen. Solche Therapien sind heute allerdings noch Zukunftsmusik. Mit heutigen Mittel kann man den Fortpflanzungstrieb höchstens verlagern oder durch Alibihandlungen ersetzen. Manchmal hilft auch meditative Tätigkeit oder man muss einfach mal das Interessengebiet wechseln. Suchen die Betroffenen selbstständig Hilfe, sollte man vor allem nicht ablehnend erscheinen, sondern vorsorglich eine drastische Verkleinerung der Pflanzfläche einleiten.

Wohnmobil

Die „Caravan-Therapie“ ist eine Heilungschance, für Leute mit viel Zeit, und umsomehr Geld. Sie funktioniert teilweise über die oft beschworene „Soziale Kontrolle“. Hat man sich erst das nötige Wohnmobil angeschafft, muss man dieses nur noch eine Zeit lang auf dem Gehweg parken. Irgendwann sind die Nachbarn über diese öffentliche Protzigkeit so erboßt, dass sie anfangen enormen Druck auf den Erkrankten auszuüben. Dieser wird in der Regel große Teile seines Gartens zur Stellfläche umbetonieren. Meist bekommt man Fortpflanzung mit dieser Ad hoc-Maßnahme recht gut in den Griff, besonders da man eh dauernd unterwegs ist.

Zen

Die Anlage eines Zen-Gartens ist eine beliebte und sehr wirksame Art gegen den eigenen Fortpflanzungstrieb vorzugehen. Es bedarf allerdings einer langen Vorbereitungszeit, in der die meisten Betroffenen doch wieder rückfällig werden. Zuerst muss man den ganzen Garten mit undurchlässiger Teichfolie abdecken, nach zwei Pflanzperioden sollte damit auch das letzte Grünzeug abgestorben sein. Nun lässt man sich fünf Lkw-Ladungen handverlesenen, weißen Kiesel in die ehemalige Wohlfühlparzelle kippen.

Flankiert wird das ganze danach höchstens von anspruchslosen Moosen und ein - zwei Bäumchen, die nicht allzuviel Arbeit machen. Als nächster Schritt steht die Verbringung der einstmals so geliebten Garden-Toys, Richtung Sperrmüll an. Alles was der Erkrankte nun noch braucht ist ein Rechen und zur Not eine Unkrautharke. Ziel der Therapie ist innere Einsicht und die erhält der Erkrankte nun durch die - nach wie vor willkürlich spriesende, Schadflora. Die Meisten bemerken nun zum ersten Mal, wie nervig Pflanzen doch sein können und vor Allem, dass es gar nicht nötig ist immer so manisch fortzupflanzen. Die Natur regelt schon alles von alleine.