Zwerchhaus

Eifeler Wohnhaus von 1919 mit Zwerchhaus

Das Zwerchhaus (Zwerghaus, Lukarne, Luchte) ist in der Architektur im Bereich des Dachs ein über einer Fassade aufsteigender und im Unterschied zur Gaube nicht zurückgesetzter Dachaufbau mit einem Zwerchdach.[1]

Begriff

Die Bezeichnung „Zwerchhaus“ rührt vom mittelhochdeutschen zwerch für „quer“[2] her, denn der First des Zwerchhauses liegt quer zum First des Hauptdaches.

Beschreibung und Abgrenzung

Lukarnen im Innenhof des Fürstbischöflichen Palais in Lüttich

Zwerchhäuser stehen direkt auf der Fassadenmauer oder dem Traufgesims bzw. in einer Flucht mit der Fassadenmauer. Dadurch unterscheiden sie sich von Gauben, die unabhängig von den Außenwänden und mit durchgehender Traufe zurückgesetzt auf dem Dach sitzen.

Zwerchhäuser und Lukarnen sind steinerne oder aus Fachwerk (seltener Holz) bestehende Dachaufbauten mit Fenstern, die oft in die Gliederung der darunterliegenden Fassade mit einbezogen sind, indem sie als einzelnes, akzentuierendes Bauteil eine bestimmte Partie des Gebäudes (meist dessen Mitte) betonen oder die Fensterachsen der tiefer liegenden Geschosse nach oben fortführen.[3] Sie verlängern die Fassade des Gebäudes und sind mit ihrem Giebelfeld Teil derselben. Dabei muss nicht jede Fensterachse auf diese Weise nach oben erweitert werden, manchmal finden sich diese Aufbauten auch nur in jeder zweiten Achse. Sie lockern den schweren Eindruck großer, gleichförmiger Dachflächen auf und vermitteln zwischen der langen Horizontalen des Dachs und vertikalen Formen.[4] Reich dekorierte Lukarnen und große Zwerchhäuser zielten früher darüber hinaus auch als repräsentatives Zeichen auf Fernwirkung ab.[5]

Das Dach ist bei Zwerchhäusern häufig als Satteldach ausgebildet, kann aber auch ein Walmdach, Zeltdach oder Mansarddach sein. Bei Lukarnen ist es immer ein Satteldach.[6] Der First von Lukarnen und Zwerchhäusern ist in der Regel nicht bis zum First des Hauptdaches hochgezogen; dadurch unterscheidet sich das Zwerchdach vom Kreuzdach.[7]

Die Breite von steinernen Lukarnen aus der Zeit des Barocks ist um ein Fünftel oder ein Sechstel geringer als die der unter ihnen in derselben Achse liegenden Fassadenfenster. Hölzerne Lukarnen waren schmaler und besaßen eine um 25 Prozent geringere Breite als die Fassadenfenster. Als Richtlinie für die Lukarnenhöhe galt im Barock die Maßgabe von 150 Prozent der Breite.[8]

Lukarnen und Zwerchhäuser weisen oft eine reich dekorierte Fenster- und Giebelrahmung in Form von Fialen, Kreuzblumen, Strebebögen, Säulenstellungen, Lisenen und Voluten auf.[9] Bei mehrgeschossigen Zwerchhäusern besitzen diese oft eigene Gesimse. Der Giebel von barocken Lukarnen hat meist die Form eines Segmentbogens oder eines Rundbogens.[10]

Zwerchgiebel

Der Giebel eines Zwerchhauses, Zwerchgiebel[11] oder Zwerchhausgiebel genannt, nimmt, ebenso wie der Giebel einer Lukarne, Fenster zur Beleuchtung des dahinterliegenden Dachinnenraums auf und steht in der Flucht der Gebäudeaußenwand.[12] Dies ist das grundlegende Kriterium zur Unterscheidung von einer Dachgaube, die gegenüber der Traufmauer zurückgesetzt ist. Die Anzahl der Fenster und die Größe des Dachaufbaus sind Kriterien zur Unterscheidung einer Lukarne von einem Zwerchhaus. Die kleineren Lukarnen haben den Charakter eines Dach- bzw. Fenstererkers[13] und weisen meist nur ein Fenster auf,[14] während Zwerchhäuser überwiegend mehrere Fenster besitzen und im Gegensatz zur Lukarne auch mehrgeschossig sein können. Der Übergang von Lukarne zum Zwerchhaus ist jedoch fließend, und in der Literatur werden die beiden Begriffe häufig synonym verwendet.[15] Zwerchgiebel können auch als selbständiges Architekturelement ohne Geschossaufbau auftreten. Sie unterscheiden sich vom Frontispiz aber durch ihre Lage, denn im Gegensatz zu einem Frontispiz ist ihre Position nicht auf den Mittelteil eines Gebäudes reduziert.

Entwicklung

Aneinanderreihung von Zwerchhäusern an der Ostfassade des Celler Schlosses

Zwerchhäuser entwickelten sich aus kleinen Dacherkern mit meist nur einem senkrecht stehenden Fenster,[16] auch Kappfenster[17] genannt.

In der Spätromanik und Gotik entstanden immer steiler werdende Dachformen, die oft mehrere Geschosse hoch waren. Um den damit gewonnenen Raum als Speicher nutzbar zu machen, wurden ab dem 14. Jahrhundert in den Städten des späten Mittelalters Zwerchhäuser mit Ladeluken gebaut, über die das Speichergut mittels Seilaufzug in den Dachboden und vor dort wieder herunter gehoben werden konnte.[3] Mehrgeschossige Zwerchhäuser, wie sie zum Beispiel an der Mauthalle in Nürnberg vorkamen, besaßen entsprechend mehrere Ladeöffnungen übereinander.[18]

Lukarnen entwickelten sich zuerst in der französischen Profanarchitektur. Dort traten sie erstmals im ausgehenden 14. Jahrhundert auf, um im Dachgeschoss von Schlössern und Palais zusätzlichen Wohnraum zu schaffen.[19][1] Bei hohen Dachwerken ermöglichten tragende Binder das Einfügen der Quergiebel und damit eine bessere Belichtung des Dachraums.[20] Erst nur vereinzelt anzutreffen, entwickelten sich Lukarnen zu einem wesentlichen Element der französischen Schlossbaukunst in der Spätgotik und Renaissance, das in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in einer Aneinanderreihung vieler nebeneinanderstehender Lukarnen gipfelte.[13][19] Erste Beispiele für Lukarnen im Stil des Flamboyants finden sich zum Beispiel am Palais Jacques-Cœur in Bourges und dem Logis Royal des Schlosses Loches. Von Frankreich aus fand die Lukarne Verbreitung in der europäischen Architektur und entwickelte sich zu den größeren Zwerchhäusern mit Fenstern,[5] die ein charakteristisches Architekturelement der deutschen und niederländischen Renaissance und des Barocks waren. Früheste Beispiele für Lukarnen in Deutschland finden sich an der Albrechtsburg in Meißen, an der die französischen Vorbilder noch deutlich erkennbar sind, auch wenn die lotrechte Anordnung über den darunter liegenden Fenstern nicht ganz eingehalten wird. Bei späteren Bauten wie zum Beispiel dem Celler Schloss und Schloss Hartenfels in Torgau hat sich die schlanke Lukarne schon zu einem breiten Zwerchhaus verändert. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurden die Zwerchhäuser schließlich von der Mansarde abgelöst,[21] sind aber bis heute auch noch an Gebäuden jüngeren Datums zu finden.

Denkmalpflege

Dachaufbauten mit Zwerchhäusern verändern eine Dachlandschaft wesentlich stärker als einfache Gauben oder Dachflächenfenster. Ein nachträglicher Dachaufbau kann daher bei Baubewilligungsbehörden oder der Denkmalpflege auf Einwände stoßen.

Literatur

  • Barbara Schock-Werner: Zwerchgiebel, -haus. In: Horst Wolfgang Böhme, Reinhard Friedrich, Barbara Schock-Werner (Hrsg.): Wörterbuch der Burgen, Schlösser und Festungen. Reclam, Stuttgart 2004, ISBN 3-15-010547-1, S. 237, doi:10.11588/arthistoricum.535.
  • Hans Koepf, Günther Binding: Bildwörterbuch der Architektur. Mit englischem, französischem, italienischem und spanischem Fachglossar (= Kröners Taschenausgabe. Bd. 194). 4., überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2005, ISBN 3-520-19404-X (Digitalisat auf moodle.unifr.ch, abgerufen am 30. März 2024), S. 314: Lukarne; S. 521: Zwerchhaus.
  • Seemanns Lexikon der Architektur. Tosa, Wien 2004, ISBN 3-85492-895-5, S. 158, 262.
  • Kleines Wörterbuch der Architektur. Mit 113 Abbildungen. 10. Auflage. Reclam, Stuttgart 2005, ISBN 3-15-009360-0, S. 80, 144.
  • Sabine Lietz: Das Fenster des Barock. Fenster und Fensterzubehör in der fürstlichen Profanarchitektur zwischen 1680 und 1780. Deutscher Kunstverlag, München 1982, ISBN 3-422-00739-3, S. 30–32.

Weblinks

Commons: Zwerchhaus – Sammlung von Bildern
Wiktionary: Zwerchhaus – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wiktionary: Lukarne – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. a b Hans Koepf, Günther Binding: Bildwörterbuch der Architektur. Mit englischem, französischem, italienischem und spanischem Fachglossar (= Kröners Taschenausgabe. Bd. 194). 4., überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2005, ISBN 3-520-19404-X (Digitalisat auf moodle.unifr.ch, abgerufen am 30. März 2024), S. 314: Lukarne; S. 521: Zwerchhaus.
  2. zwerch. In: dwds.de (DWDS – Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache). Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, abgerufen am 30. März 2024.
  3. a b Adolf Göller: Die Entstehung der architektonischen Stilformen. Eine Geschichte der Baukunst nach dem Werden und Wandern der Formgedanken. Konrad Wittwer, Stuttgart 1886, S. 339 (Digitalisat).
  4. Wilfried Koch: Baustilkunde. Orbis, München 1994, ISBN 3-572-00689-9, S. 494.
  5. a b Matthias Müller; Turm. In: Handbuch Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Bilder und Begriffe. (= Residenzenforschung. Band 15.II). Thorbecke, Ostfildern 2005, ISBN 3-7995-4519-0, S. 398 (online).
  6. Arne Franke (Hrsg.): Kleine Kulturgeschichte der schlesischen Schlösser. Band 1: Niederschlesien. Bergstadtverlag Wilhelm Gottlieb Korn, Görlitz 2015, ISBN 978-3-87057-336-2, S. 340.
  7. "Zwerchdach" im Baulexikon (Memento vom 27. Dezember 2016 im Internet Archive)
  8. Sabine Lietz: Das Fenster des Barock. Fenster und Fensterzubehör in der fürstlichen Profanarchitektur zwischen 1680 und 1780. 1982, S. 31.
  9. Kleines Wörterbuch der Architektur. Mit 113 Abbildungen. 10. Auflage. Reclam, Stuttgart 2005, ISBN 3-15-009360-0, S. 80.
  10. Sabine Lietz: Das Fenster des Barock. Fenster und Fensterzubehör in der fürstlichen Profanarchitektur zwischen 1680 und 1780. 1982, S. 32.
  11. Barbara Schock-Werner: Zwerchgiebel, -haus. In: Horst Wolfgang Böhme, Reinhard Friedrich, Barbara Schock-Werner (Hrsg.): Wörterbuch der Burgen, Schlösser und Festungen. 2004, S. 237.
  12. Kleines Wörterbuch der Architektur. Mit 113 Abbildungen. 10. Auflage. Reclam, Stuttgart 2005, ISBN 3-15-009360-0, S. 144.
  13. a b Wilfried Koch: Baustilkunde. Orbis, München 1994, ISBN 3-572-00689-9, S. 466.
  14. Adolf Göller: Die Entstehung der architektonischen Stilformen. Eine Geschichte der Baukunst nach dem Werden und Wandern der Formgedanken. Konrad Wittwer, Stuttgart 1886, S. 340 (Digitalisat).
  15. Vergleiche zum Beispiel das Bildwörterbuch der Architektur von Hans Koepf und Günther Binding oder das von Klaus-Jürgen Schneider und Rüdiger Wormuth herausgegebene Baulexikon, siehe Klaus-Jürgen Schneider, Rüdiger Wormuth (Hrsg.): Baulexikon. Erläuterung wichtiger Begriffe des Bauwesens. 3. Auflage. Beuth, Berlin 2016, ISBN 978-3-410-24655-8.
  16. Sabine Lietz: Das Fenster des Barock. Fenster und Fensterzubehör in der fürstlichen Profanarchitektur zwischen 1680 und 1780. 1982, S. 30.
  17. Johann Georg Krünitz: Ökonomisch-technologische Encyklopädie, Lemma „Fenster”, hier S. 574: Dachfenster, Kappfenster.
  18. Hans Vogts: Dach. In: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte. Band 3. Metzler, Stuttgart 1953, Sp. 911–968 (online).
  19. a b Cordula Nolte (Hrsg.): Principes: Dynastien und Höfe im späten Mittelalter. Thorbecke, Stuttgart 2002, ISBN 3-7995-4514-X, S. 109.
  20. Werner Müller, Gunther Vogel: dtv-Atlas zur Baukunst. Band 2: Baugeschichte von der Romanik bis zur Gegenwart. Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 1981, ISBN 3-423-03021-6, S. 367.
  21. Hans Koepf, Günther Binding: Bildwörterbuch der Archiektur. 2005, S. 314.

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Zweigeschossiges Zwerchhaus an der Herrenkellergasse 11 in Ulm
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30.09.2004 99885 Ohrdruf, Schloßplatz 2: Schloß Ehrenstein (GMP: 50.829537,10.736158). Um 700 Bau eines Fliehturmes (Wohnturm). 777 Gründung des Petristifts durch Lullus. 1463 werden die Grafen von Gleichen Eigentümer der Stiftsgebäude. 1550-1590 Bau des Renaissanceschlosses nach Plänen von G. und Kirchhof. 1631 erben die Grafen von Hohenlohe das Schloß. 1760 werden Teile des Schlosses in den Barockstil umgebaut. 1870 Verkauf des Schlosses an den Gothaer Staat. Das Schloß wird Realgymnasium. 1924 übernimmt der Rat der Stadt das Schloß zur gemeinnützigen Verwendung (Schule). Ab 1971 Ausbau zum kulturellen Zentrum, seit 1997 ist es Eigentum der Stadt. Zwerchgiebel am Südflügel mit erotischem Relief. [DSCN5469.JPG]20040930720DR.JPG(c)Blobelt
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