Wiener Genesis

Die Wiener Genesis (Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Theol. gr. 31) ist eine spätantike illuminierte Handschrift, die im 6. Jahrhundert wahrscheinlich in Syrien gefertigt wurde. Sie gehört zu den ältesten gut erhaltenen illustrierten biblischen Kodizes.
Der Text ist ein Fragment des Buchs Genesis in der griechischen Septuaginta-Übersetzung. Der Text wird wiederholt abgekürzt. 24 Blätter im Seitenformat von 28 × 34 cm mit insgesamt 48 Vollminiaturen, die jeweils unter dem Text (zum Teil zweireihig) stehen, sind erhalten. Es wird vermutet, dass es ursprünglich ungefähr 96 Blätter mit 192 Illustrationen waren. Der Kodex ist mit Silbertinte in Unzialschrift auf mit Purpur gefärbtem Kalbspergament geschrieben. Nomina sacra sind in Goldtinte geschrieben. Purpurfarbstoff diente auch zum Färben der kaiserlichen Gewänder.
Wahrscheinlich wurde das kostbare Werk von Angehörigen der oströmischen Oberschicht (vielleicht sogar des Kaiserhauses) bei einer Werkstatt mit mehreren begabten Künstlern im syrisch-palästinensischen Raum in Auftrag gegeben. Die Illustrationen sind in einem naturalistischen Stil gehalten, der typisch für die spätantik-frühbyzantinische Malerei dieser Zeit ist. Das Format der Illustrationen ist ein Übergang zwischen den kleinen, ungerahmten Einzelbildern, wie sie in Schriftrollen üblich waren, und den späteren Bildern der Kodizes. Es gibt sowohl gerahmte wie auch ungerahmte Illustrationen. Die Illustrationen enthalten Vorfälle und Personen, die nicht im biblischen Text vorkommen. Diese stammen vermutlich aus volkstümlichen Ausschmückungen der Geschichte oder aus jüdischen Umschreibungen des Texts und sind nicht Illustrationen des Textes, sondern werden vielmehr von diesem kommentiert. Insgesamt haben 3 Skriptoren und etwa 8 Illuminatoren – in der Forschung zusammengefasst unter der Bezeichnung Meister der Wiener Genesis – an der Handschrift mitgearbeitet.
Die Wiener Genesis könnte in derselben Periode und am selben Ort wie der Codex Sinopensis und der Codex Rossanensis gefertigt worden sein. Sie wurde vermutlich 1204 von Kreuzrittern nach Europa gebracht und ist seit 1664 im Besitz der Hofbibliothek, der heutigen Österreichischen Nationalbibliothek in Wien.
Literatur
- Die Wiener Genesis, hrsg. von Wilhelm von Hartel und Franz Wickhoff. In: Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses. Band 15/16, 1895; Neudr. Graz 1970.
- Karl Clausberg: Die Wiener Genesis. Eine kunstwissenschaftliche Bilderbuchgeschichte. Fischer, Frankfurt/Main 1984.
- Rachel Dipper: Genreszenen, jüdische Legenden, klassische Antike? Eine komplizierte Deutungsgeschichte von fol. 16r der Wiener Genesis mit Josef und Potifars Frau. In: Das Münster (Regensburg), Bd. 55 (2002), S. 98–107.
- Barbara Zimmermann: Die Wiener Genesis im Rahmen der antiken Buchmalerei. Ikonographie, Darstellung, Illustrationsverfahren und Aussageintention (= Spätantike – Frühes Christentum – Byzanz. Reihe B, Band 13). Reichert, Wiesbaden 2003, ISBN 3-89500-319-0.
- Christian Gastgeber, Christa Hofmann, Barbara Zimmermann: Die Wiener Genesis. Cod. theol. gr. 31, Österreichische Nationalbibliothek Wien. Kommentar zur Faksimile-Edition. Luzern: Quaternio Verlag Luzern 2019. ISBN 978-3-905924-67-1.
- Christa Hofmann: The Vienna Genesis. Material analysis and conservation of a Late Antique illuminated manuscript on purple parchment. Böhlau Verlag, Wien 2020, ISBN 978-3-205-21058-0 (digital zugänglich)
Weblinks
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Image of page from the Vienna Genesis, a 1500 year old book.