Walter Simons

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Walter Simons, September 1931

Walter Simons (* 24. September 1861 in Elberfeld (heute Stadtteil von Wuppertal); † 14. Juli 1937 in Nowawes bei Potsdam) war ein deutscher Jurist und parteiloser Politiker. Nachdem er als Außenminister Mitglied der Reichsregierung gewesen war, diente er von 1922 bis 1929 als Präsident des Reichsgerichts. Im Jahr 1925 führte er nach dem Tode Friedrich Eberts als Stellvertreter die Geschäfte des Reichspräsidenten.

Leben

Walter Simons wurde als Sohn des Fabrikbesitzers Louis Simons (1831–1905) und seiner Frau Helene geb. Kyllmann (* 1842) in Elberfeld (Rheinprovinz) geboren. Mütterlicherseits war er Enkel des Kaufmanns und Politikers Gottlieb Kyllmann und Neffe des Architekten Walter Kyllmann. Väterlicherseits war er Enkel des Unternehmers Friedrich Wilhelm Simons-Köhler und Großneffe des preußischen Justizministers Ludwig Simons. Er war ein Schüler des Juristen Rudolph Sohm, vom Humanismus gebildet und vom Pietismus geprägt.

Nach dem Studium von Geschichte, Philosophie, Recht und Nationalökonomie in Straßburg, Leipzig und Bonn begann er seine juristische Karriere 1882 als Rechtsreferendar und wurde 1893 erster Amtsrichter in Velbert. Nach Positionen am Reichsjustizamt 1905 und am Auswärtigen Amt 1911 wurde Simons im Oktober 1918 Chef der Reichskanzlei. Als solcher nahm er an den Verhandlungen zum Frieden von Bukarest mit Rumänien und zum Frieden von Brest-Litowsk mit Sowjetrussland teil. Am 4. Oktober 1918 holte Reichskanzler Max von Baden Simons als seinen persönlichen Vertrauten im Amt eines Ministerialdirektors in die Reichskanzlei. Von hier aus verkündete Simons am 9. November 1918, Kaiser Wilhelm II. habe auf den Thron verzichtet. Simons wollte mit dieser wahrheitswidrigen Verlautbarung der Ausrufung der Republik in Deutschland zuvorkommen und die Monarchie retten, was misslang.[1]

Simons wechselte im Dezember 1918 in die Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes. In dieser Funktion war er Generalsekretär der deutschen Friedensdelegation in Versailles und trat zurück, weil er den Vertrag von Versailles ablehnte. 1919/1920 war Simons leitender Geschäftsführer im Reichsverband der Deutschen Industrie.[2]

Vom 25. Juni 1920 bis zum 4. Mai 1921 war Walter Simons Außenminister der Weimarer Republik im Kabinett Fehrenbach, einer Regierungskoalition aus Zentrum, DDP und DVP. Der Historiker Hans Mommsen sah in der Berufung des parteilosen Karrierejuristen Simons den Versuch, die Außenpolitik bei den anstehenden schwierigen Reparationsverhandlungen mit den Siegermächten von innenpolitischen Rücksichten auf den Reichstag freizuhalten.[3] Dies gelang nur teilweise. Simons vertrat Deutschland bei der Konferenz von Spa im Juli 1920. Dabei gelang es den Deutschen zwar nicht, die Reparationsforderungen der Siegermächte zu senken, aber immerhin wurde ihnen zugestanden, zu den sich anschließenden Expertenberatungen eigene Vertreter zu entsenden. Die Zeit der einseitigen Diktate schien damit vorbei. Zu diesem Teilerfolg trug Simons mit seiner verbindlichen Art bei: er konnte den „üblen Eindruck“ (Peter Krüger) abmildern, den der deutsche Experte Hugo Stinnes mit einer auftrumpfenden Rede bei den Siegermächten hinterlassen hatte.[4]

Auf der Konferenz von London im Frühjahr 1921 erlebte die deutsche Delegation eine Niederlage, auch weil sie zerstritten war: Simons wollte Großbritannien, Frankreich, Italien, Belgien und Japan in der Reparationsfrage entgegenkommen und hoffte als Gegenleistung auf eine internationale Anleihe für Deutschland, doch die Interessenvertreter der Wirtschaft widersetzten sich. Der Plan, den Simons unter starkem innenpolitischem Druck am 1. März 1921 vorlegte, verband ein Zahlungsangebot in Höhe von 50 Milliarden Goldmark mit der Forderung nach Zugeständnissen der Siegermächte in der Kriegsschuldfrage. Als diese jedoch ultimativ eine Unterschrift unter ihren Zahlungsplan verlangten, weigerten sich Kanzler Constantin Fehrenbach und Simons: Sie reisten unter Protest ab, was in Deutschland zunächst als Geste der Festigkeit allgemein bejubelt wurde. Das Ergebnis war am 8. März 1921 die Besetzung von Düsseldorf, Duisburg und Ruhrort durch britische, französische und belgische Truppen. Simons’ Vermittlungsbitte an die Vereinigten Staaten verhallte ungehört. Am 4. Mai legten die Reparationsgläubiger den Londoner Zahlungsplan vor, der eine deutsche Reparationsschuld von 132 Milliarden Goldmark vorsah, die noch verzinst werden sollte. Dies glaubte Simons nicht verantworten zu können und trat mit dem ganzen Kabinett am selben Tag zurück.[5] Das nachfolgende Kabinett Wirth I nahm das Londoner Ultimatum am 10. Mai 1921 an.

Der britische Premierminister David Lloyd George hatte Simons während der Verhandlungen in einem Interview mit dem Petit Parisien als „sehr intelligent und sehr ehrlich, aber nicht stark genug“ bezeichnet; Deutschlands Problem sei es, dass es nach dem verlorenen Krieg noch keinen „starken Mann“ wie Léon Gambetta oder Adolphe Thiers gefunden habe. Diese Passage wurde 1926 von Adolf Hitler in Mein Kampf als Beleg für die angebliche Schwächlichkeit bürgerlicher Regierungen zitiert, die nicht entschieden den Marxismus bekämpften. Allerdings unterliefen Hitler dabei zwei Fehler, denn er schrieb von dem „ehemaligen Reichskanzler Simon [sic!]“.[6]

Schreiben Dr. Simons als stellvertretender Reichspräsident mit Briefkopf „Der Reichspräsident“.

Simons war von 1922 bis 1929 Präsident des Reichsgerichts in Leipzig, ernannt vom sozialdemokratischen Reichspräsidenten Friedrich Ebert. Ebert starb am 28. Februar 1925; als Präsident des Reichsgerichts nahm Simons gemäß Art. 51 der Weimarer Verfassung i. V. m. § 1 Gesetz über die Stellvertretung des Reichspräsidenten v. 10. März 1925[7] stellvertretend die Aufgaben des Reichspräsidenten wahr. Am 12. Mai 1925 wurde Paul von Hindenburg als neuer Reichspräsident vereidigt. Im Vorfeld der Reichspräsidentenwahl 1925 war Simons mehrfach als Kandidat im Gespräch; die Überlegungen unterschiedlicher Parteienkonstellationen kamen aber zu keinem konkreten Ergebnis.

Im November 1926 hielt Simons einen vielbeachteten Vortrag über die „Vertrauenskrise der deutschen Justiz“. Darin drehte er die Vorwürfe von SPD und DDP gegen einseitig rechtsgerichtete Urteile der Weimarer Justiz um und sprach über eine „Krise des Vertrauens der Justiz zum deutschen Staat“, ausgelöst durch eine Demokraten bevorzugende Personalpolitik. Er griff speziell den von Hugo Sinzheimer, Robert Kempner, Fritz Bauer und Ernst Fraenkel gegründeten Republikanischen Richterbund an: Sozialdemokraten könnten, so Simons, aufgrund „innerer Hemmnisse“ niemals Richter sein, da sie weniger dem Recht als dem Klassenkampf verpflichtet seien. Justizminister Gustav Radbruch (SPD) entgegnete ihm in der sich anschließenden Kontroverse, der Klassenkampf von oben sei schädlicher als der sozialdemokratische Klassenkampf von unten, weil er unbewusst verlaufe und damit der Selbstkontrolle und Selbstkritik entzogen sei.[8]

Sein Amt am Reichsgericht legte er 1929 aus Protest gegen eine seiner Ansicht nach verfassungswidrige Einmischung der Reichsregierung in ein schwebendes Verfahren nieder. Ab 1929 war Simons Professor für Völkerrecht in Leipzig.

Simons engagierte sich im Deutsch-Französischen Studienkomitee, das eine Verständigung zwischen zumeist konservativen Wirtschaftsführern und Politikern anzubahnen versuchte.[9] Außerdem war er Mitglied des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses und von 1925 bis 1935 Präsident des Evangelisch-Sozialen Kongresses. Simons vertrat die lutherische Konfession auch international öffentlich auf der Stockholmer Konferenz 1925. Im Januar 1932 engagierte sich Simons mit mehreren Adligen, Industriellen und Vertretern der politischen Rechten wie Detlof von Winterfeldt, Adolf Tortilowicz von Batocki-Friebe, Carl Duisberg, Kuno Graf Westarp und Georg Escherich für eine erneute Kandidatur Hindenburgs zum Amt des Reichspräsidenten.[10]

Simons bildete gemeinsam mit Hans von Seeckt und Wilhelm Solf den Vorstand des SeSiSo-Clubs, der im Berliner Hotel Kaiserhof kulturelle Veranstaltungen für das liberale Bildungsbürgertum veranstaltete, häufig gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft 1914, deren Vorsitzender Wilhelm Solf war. So ein Treffen fand auch zum Zeitpunkt der Machtübergabe an Hitler statt, als Harry Graf Kessler im Hotel Kaiserhof den Clubmitgliedern einen Vortrag hielt. Die ehemaligen Angehörigen des SeSiSo-Clubs bildeten später zu weiten Teilen die Widerstandsgruppe Solf-Kreis.[11] In seinen Veröffentlichungen zu Themen des Völkerrechts unterstützte Simons in der Zeit des Nationalsozialismus Hitlers Außenpolitik sowie die Positionen des faschistischen Italiens im Abessinienkrieg 1935 und der Falangisten im spanischen Bürgerkrieg.[12]

Walter Simons war der Vater des Juristen Hans Simons und der Rechtsanwältin Tula Huber-Simons, Schwiegervater des Staatsrechtlers Ernst Rudolf Huber und Großvater des Theologen Wolfgang Huber. Sein Grab befindet sich auf dem Wilmersdorfer Waldfriedhof Stahnsdorf.

Auszeichnungen und Ehrungen

Simons ist der einzige Deutsche, den Nathan Söderblom in seiner Nobelpreisrede von 1930 als Förderer des Friedens in seiner Generation erwähnt[13].

Schriften

  • Christentum und Verbrechen, Leipzig 1925.
  • Religion und Recht (Vorlesungen gehalten an der Universität Uppsala), Berlin-Tempelhof 1936.
  • Kirchenvolk und Staatsvolk, Leipzig 1937 (= Leipziger rechtswissenschaftliche Studien, Band 100).

Literatur

  • Horst Gründer: Walter Simons als Staatsmann, Jurist und Kirchenpolitiker. Schmidt, Neustadt an der Aisch 1975 (= Bergische Forschungen, Band 13).
  • Ernst Rudolf Huber: Walter Simons 1861–1937. In: Wuppertaler Biographien. 9. Folge, Wuppertal 1970 (= Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde des Wuppertals, Band 17), S. 61–79.
  • Hellmuth Auerbach: Simons, Walter, Richter. In: Wolfgang Benz, Hermann Graml (Hrsg.): Biographisches Lexikon zur Weimarer Republik. C.H. Beck Verlag, München 1988, S. 314 f.
  • Martin Otto: Simons, Walter. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 24, Duncker & Humblot, Berlin 2010, ISBN 978-3-428-11205-0, S. 441–443 (Digitalisat).

Weblinks

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Einzelnachweise

  1. Hellmuth Auerbach: Simons, Walter, Richter. In: Wolfgang Benz und Hermann Graml (Hrsg.): Biographisches Lexikon zur Weimarer Republik. C.H. Beck Verlag, München 1988, S. 314 f.
  2. Hellmuth Auerbach: Simons, Walter, Richter. In: Wolfgang Benz und Hermann Graml (Hrsg.): Biographisches Lexikon zur Weimarer Republik. C.H. Beck Verlag, München 1988, S. 315 f.
  3. Hans Mommsen: Aufstieg und Untergang der Republik von Weimar 1918–1933. Ullstein, Berlin 1998, S. 119 f.
  4. Peter Krüger: Die Außenpolitik der Republik von Weimar. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1985, S. 111.
  5. Hagen Schulze: Weimar. Deutschland 1917–1933. Siedler, Berlin 1994, S. 227 ff.; Peter Krüger: Die Außenpolitik der Republik von Weimar. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1985, S. 122–132.
  6. Christian Hartmann, Thomas Vordermayer, Othmar Plöckinger, Roman Töppel (Hrsg.): Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition. Institut für Zeitgeschichte München–Berlin, München 2016, Bd. 2, S. 1716 f.
  7. RGBl. 1925 I, S. 17.
  8. Daniel Siemens: Die „Vertrauenskrise der Justiz“ in der Weimarer Republik. In: Moritz Föllmer, Rüdiger Graf (Hrsg.): Die „Krise“ der Weimarer Republik, Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2005, S. 154.
  9. Gerhard Schulz: Von Brüning zu Hitler. Der Wandel des politischen Systems in Deutschland 1930–1933 (= Zwischen Demokratie und Diktatur. Verfassungspolitik und Reichsreform in der Weimarer Republik. Bd. 3). Walter de Gruyter, Berlin, New York 1992, S. 907.
  10. Gerhard Schulz: Von Brüning zu Hitler. Der Wandel des politischen Systems in Deutschland 1930–1933 (= Zwischen Demokratie und Diktatur. Verfassungspolitik und Reichsreform in der Weimarer Republik. Bd. 3). Walter de Gruyter, Berlin, New York 1992, S. 725 f.
  11. Eberhard von Vietsch: Wilhelm Solf – Botschafter zwischen den Zeiten. Wunderlich Verlag, Tübingen 1961.
  12. Martin Otto: Simons, Walter. In: Neue Deutsche Biographie 24 (2010), abgerufen am 12. Juli 2017.
  13. Webseite des Nobelpreiskomitees.
VorgängerAmtNachfolger
Julius SmendPräsident der Neuen Bachgesellschaft
1930–1936
Erwin Bumke

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Wappen des Deutschen Reiches in der Frühzeit der Weimarer Republik. Eingeführt mit der

Bekanntmachung betreffend das Reichswappen und den Reichsadler vom 11. November 1919.

»Auf Grund eines Beschlusses der Reichsregierung gebe ich hiermit bekannt, daß das Reichswappen auf goldgelben Grunde den einköpfigen schwarzen Adler zeigt, den Kopf nach rechts gewendet, die Flügel offen, aber mit geschlossenem Gefieder, Schnabel, Zunge und Fänge von roter Farbe.

Wird der Reichsadler ohne Umrahmung dargestellt, so sind das gleiche Bild und die gleichen Farben, wie beim Adler im Reichswappen, zu verwenden, doch sind die Spitzen des Gefieders nach außen gerichtet.

Die im Reichsministerium des Innern verwahrten Muster sind für die heraldische Gestaltung des Reichswappens maßgebend. Die künstlerische Ausgestaltung bleibt für jeden besonderen Zweck vorbehalten.


Berlin, den 11. November 1919.

Der Reichspräsident
Ebert

Der Reichsminister des Innern
Koch«

Quelle: http://www.documentarchiv.de/wr/rwappen.html


1928 wurde dieses Wappen durch das neue Reichswappen von Tobias Schwab abgelöst, das Theodor Heuss im Februar 1950 auch als Bundeswappen verkündete: Reichs- bzw. Bundeswappen
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