Verbalnomen

Als Verbalnomen wird in der Sprachwissenschaft im allgemeinen Sinne ein Nomen bezeichnet, das mittels Derivation von einem Verb gebildet wird.

Im engeren Sinne handelt es sich hierbei in der Regel um ein Verbalsubstantiv. Der Terminus findet vor allem dort Verwendung, wo es deverbale Nomina gibt, die über das Gebiet der Wortbildung hinaus eine syntaktische Funktion haben.[1] Martin Haspelmath verwendet für Verbalnomina mit syntaktischen Funktionen den arabischen Begriff Masdar.[2]

In der Literatur der einzelsprachlichen Philologien wird der Begriff verschieden verwendet. In der Grammatik des Deutschen findet eine Differenzierung zwischen dem Begriff Verbalnomen und dem häufigeren Terminus Verbalsubstantiv im Allgemeinen nicht statt.

Im weiteren Sinne fallen aber auch Gerundien, Verbaladjektive (wie z. B. Partizipien) Verbaladverbien und substantivierte Infinitive (z. B. das Supinum) unter den Oberbegriff Verbalnomen.

„Verbalnomen“ und „Verbalsubstantiv“ im Deutschen

In der deutschsprachigen Grammatikliteratur ist die Terminologie in diesem Bereich uneinheitlich. Es wird entweder der Begriff „Verbalnomen“ oder „Verbalsubstantiv“ gebraucht und kein Bedeutungsunterschied definiert.

Manchmal werden die Bezeichnungen Verbalnomen und Verbalsubstantiv explizit als austauschbar behandelt.[3] In einer ganzen Reihe deutschsprachiger Nachschlagewerke und Handbücher existiert nur „Verbalsubstantiv“ und ein „Verbalnomen“ wird daneben gar nicht verzeichnet.[4][5][6][7] In anderen ist es umgekehrt.[8] Mithin können in der deutschen Grammatik beide Bezeichnungen dazu dienen, jeweils die gesamte Bandbreite verschiedener substantivischer Formen abzudecken, die auf Verben zurückgehen.

Sofern separate Wortprägungen „Verbalnomen“ zu finden sind, für die eine Gleichsetzung mit Verbalsubstantiv nicht üblich ist, ist dies Sache einzelner Traditionen der Grammatikschreibung, die dann eher andere Sprachen als das Deutsche betreffen. Im Zusammenhang mit Grammatiktraditionen mit anderen Arbeitssprachen als Deutsch ist zu beachten, dass in der Übersetzung die Termini „Substantiv“ und „Nomen“ als falsche Freunde gerne miteinander verwechselt werden (Englisch: noun = Substantiv, nominal = Nomen; Französisch: präzise nom substantif in der Regel heutzutage aber verkürzt zu nom oder substantif).[9]

Verbalnomen in der keltischen Philologie

Eine prominente Rolle spielt der Begriff Verbalnomen (engl. verbal noun) in der Philologie der keltischen Sprachen. Beispielsweise hat das moderne Irisch keine Verbform, die als Infinitiv bezeichnet wird, besitzt aber nominal wirkende Formen und Konstruktionen. Beispiel:[10]

Tá  sé do  mo    bhualadh.
ist er zu meinem Schlagen
"Er schlägt mich."

Die Form bualadh ist hier das Verbalnomen; formal ist es eine nominale Ableitung des Verbstamms buail „schlagen“. Diese Form erscheint hier in einer Konstruktion mit äußerlich substantivischen Eigenschaften: 1. Die Form wird von einer Präposition eingebettet (do „zu“) und 2. das Objekt des Schlagens erscheint in der Form eines Possessivpronomens (mit dessen regulären grammatischen Eigenschaften, nämlich dass der Anlaut des folgenden Substantivs von b zu bh geschwächt (leniert) wird). Obwohl die Form für „schlagen“ äußerlich wie ein Substantiv konstruiert wird, ist die Funktion verbal: Die Konstruktion mit Präposition hat die Bedeutung einer verbalen Verlaufsform und das Possessivpronomen ist funktionsgleich mit einem pronominalen direkten Objekt. Das einleitende Verb („sein“) bildet also im Endeffekt eine Hilfsverbkonstruktion, wie es in anderen Sprachen mit infiniten Verbformen geschieht.

Auch im Walisischen gibt es ein sog. verbal noun (wal. berfenw), dem die Keltische Philologie verbale und nominale Eigenschaften zuschreibt, was jedoch aus modernerer linguistischer Perspektive kritisch gesehen wird.[11]

Verbalnomen in der Turkologie

In der Turkologie[12] bezeichnet man als Verbalnomen im Sinne eines Oberbegriffs die Infinitive, Partizipien, sowie das Verbalnomen im engeren Sinne (z. B. im Türkeitürkischen auf -Iş., in türkischer Terminologie kılış adı).

Mit dem Verbalnomen im engeren Sinne[13] wird im Türkischen ein begrenztes, aus einer Phase bestehendes Ereignis bezeichnet:

 Alışveriş yapmam lazım
 Einkaufen mein-Tun ist-notwendig
 "Ich muss einkaufen"
 Serginin açılışı saat yirmide
 Der-Ausstellung ihre-Eröffnung Stunde in-der-Zwanzig
 "Die Eröffnung der Ausstellung ist um 20 Uhr."

In vielen Fällen wird bei der Verwendung des Verbalnomens die Art und Weise der Handlung mitgedacht, z. B.

 Suzan'ın bakışı anlamlıydi.
 Suzans ihr-Blicken war-bedeutungsvoll
 Wie Suzan blickte war bedeutungsvoll.
 Onun oturuşuna bak!
 Sein/Ihr zu-seinem-Sitzen schau!
 "Guck mal, wie der/die sitzt"

Das türkische Verbalnomen kann mit allen Kasussuffixen, sowie mit dem Attributivsuffix -(y)le und mit dem Attributivsuffix -ki verwendet werden.

Masdar im Arabischen

In der arabischen Grammatik wird das Verbalsubstantiv als Masdar (arabisch مصدر) bezeichnet. Beispiel: كتابة kitābatun „das Schreiben“. Verbalsubstantive können z. B. nach einem Modalverb anstelle eines konjugierten Verbs im Satz verwendet werden und kommen häufiger im geschriebenen als gesprochenen Arabisch vor. Die Bedeutung des Satzes bleibt dabei gleich:

Bsp.:

  • أريد الكتابة urīdu l-kitāba(ta) "Ich möchte schreiben" (wtl. "Ich möchte das-Schreiben") (für verbales أريد أن أكتب urīdu ʾan aktuba wtl. "Ich möchte, dass ich schreibe")

Die Bildung der Verbalsubstantive erfolgt bis auf den Grundstamm nach einem festen Schema, d. h. für die Stämme II - X existieren bestimmte Muster, nach denen sich das jeweilige Verbalsubstantiv (bis auf wenige Ausnahmen) ableiten lässt:

  • II. Stamm tafʿīl تفعيل
  • III. Stamm mufāʿala/ fiʿāl فعال / مفاعلة
  • IV. Stamm ifʿāl إفعال
  • V. Stamm tafaʿʿul تفعل
  • VI. Stamm tafāʿul تفاعل
  • VII. Stamm infiʿāl انفعال
  • VIII. Stamm iftiʿal افتعال
  • IX. Stamm ifʿilāl افعلال
  • X. Stamm istifʿāl استفعال

Einzelnachweise

  1. "Unter dem Terminus Verbalnomen werden i. d. R. abstrakte Substantive zusammengefaßt, die gemeinsam mit ihren Dependenzen anstelle eines Satzes stehen können und als nominalisiertes Prädikat die sprachliche Parallelform zum Verbum darstellen." (aus: Sabine Wittig: Das Verbalnomen im Arabischen. In: Sprachtypologie und Universalienforschung (STUF), 31, (1978), S. 250–263. doi:10.1524/stuf.1978.31.jg.250)
  2. Martin Haspelmath: "Word-Class Changing Inflection and Morphological Theory", in: Geert Booij and Jaap van Marie (eds.), Yearbook of Morphology 1995 Kluwer, 1996, S. 43–66. [1], hier insb. S. 44
  3. Ohne Definition, aber mit gleichlautendem Verweis auf „Gerundium / Nomen actionis“ in Helmut Glück (Hrsg.): Metzler Lexikon Sprache. 4. aktualisierte u. überarbeitete Auflage. Verlag J. B. Metzler, Stuttgart u. Weimar 2010, ISBN 978-3-476-02335-3. Lemmata: Verbalnomen, S. 748 und Verbalsubstantiv S. 749.
  4. Stefan Schierholz, Pál Uzonyi (Hrsg.): Grammatik: Formenlehre. (= Wörterbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft (WSK), 1.1). Walter de Gruyter, Berlin 2022.
  5. Wolfgang Fleischer, Irmhild Barz: Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache. 4. Auflage. Walter de Gruyter, Berlin 2012.
  6. Gisela Zifonun, Ludger Hoffmann, Bruno Strecker: Grammatik der deutschen Sprache. Walter de Gruyter, Berlin/New York 1997, ISBN 3-11-014752-1.
  7. Duden. Die Grammatik. 8. Auflage. Dudenverlag, Mannheim 2009
  8. Wolfgang Motsch: Deutsche Wortbildung in Grundzügen. 2. Auflage. Walter de Gruyter, Berlin 2004.
  9. Englisch nur verbal noun für Französisch nom verbal oder substantif verbal, laut Glossaire français-anglais de terminologie linguistique.
  10. Aus Mícheál Ó Siadhail: Lehrbuch der irischen Sprache. Buske, Hamburg 1985. – S. 77
  11. Welsh verbs have only one non-finite form, which we will generally refer to as a non-finite verb or an infinitive (...). In Welsh traditional grammar, the non-finite form is known as a 'verb-nonun' (berfenw), reflecting the traditional view that the form has the properties of both a verb and a noun (...) We will show that this is a misleading characterization. (aus: Robert D. Borsley, The Syntax of Welsh, Cambridge University Press, 2012 (= Cambridge Syntax Guides), ISBN 978-1107407619), Kapitel 3 Non-finite verbs and infinitival clauses
  12. Margarete I. Ersen-Rasch, Türkische Grammatik,, München (Hueber), 1994, ISBN 3-19-005185-2, S. 198–227
  13. Margarete I. Ersen-Rasch, Türkische Grammatik,, München (Hueber), 1994, ISBN 3-19-005185-2, S. 204 f.