VI. Zivilsenat des Reichsgerichts

Der VI. Zivilsenat des Reichsgerichts war ein Spruchkörper des Reichsgerichts. Es handelte sich um einen von insgesamt fünf bis neun Senaten, die sich mit Zivilsachen befassten. Der VI. Zivilsenat wurde errichtet am 1. Mai 1886[1] und aufgelöst 1. Dezember 1923. Der bisherige 7. Zivilsenat wurde am 1. Januar 1924 der VI. Zivilsenat. Wiedererrichtet wurde der Senat am 15. Juni 1927 und existierte bis 1945.

Geschäftsverteilung 1900

Dem VI. Zivilsenat sind zugewiesen:

1. Sofern es sich um Anwendung der vom Jahre 1900 ab geltenden neuen Gesetze handelt, aus dem ganzen Reiche die Rechtsstreitigkeiten über:
a) Darlehen (BGB §§ 607 ff.) und Bürgschaften (BGB §§ 765 ff.), sowie abstrakte Schuldverhältnisse (BGB §§ 780–808, ZPO § 1003), soweit nicht I Ziff. 2 zutrifft,
b) Auftragsverhältnisse (BGB §§ 662 ff.), Geschäftsführung (BGB §§ 667 ff.) und Bereicherung (BGB §§ 812 ff.),
c) Schadensersatz wegen unerlaubter Handlungen (BGB §§ 823 ff.), mit Ausnahme von Wildschaden (BGB § 835), einschließlich von Ansprüchen gegen Beamte und Militärpersonen sowie auch gegen den Staat oder andere Körperschaften als hierfür haftend (BGB§§ 31, 89, EinfG Art. 77), soweit nicht V Ziff. I e zutrifft,
d) Verletzungen des Nachbarrechts bei Grundstücken (BGB §§ 903–910, GewO § 26),
e) Ersatzansprüche auf Grund sonstiger besonderer Gesetzesvorschriften, soweit dieselben nicht einem anderen Senate besonders zugewiesen sind.
2. Aus dem ganzen Reiche die Haftpflichtsachen (Reichsgesetz vom 7. Juni 1871 nebst § 120a GewO), jedoch, soweit es sich um Ansprüche aus der Zelt vor dem Jahre 1900 handelt, mit Ausnahme der unter II Ziff. 3. bezeichneten Bezirke. Sofern es sich nicht um Anwendung des vorn Jahre 1900 ab gehenden Rechts handelt, aus den unter IV Ziff. 2 bezeichneten Bezirken:
a) die oben unter Ziff. 1 b (mit Ausnahme der Bereicherungen), c und d bezeichneten Sachen, soweit nicht IV Ziff. 2 c zutrifft
b) die Rechtsstreitigkeiten über Pacht- und Mietverträge, Dienstmiete, Geschäftsvermittlung, Werk- und Bauverdingungen, Verträge mit Bauhandwerkern über Bauarbeiten und sonstige Verträge über Mobilien (außer Kauf und Tausch) oder Handlungen sowie auch die Rechtsstreitigkeiten über nützliche Verwendungen,
4. Aus dem Oberlandesgerichtsbezirken Augsburg, Bamberg, München, Nürnberg, Dresden und Hamburg (mit Ausnahme des Fürstentums Lübeck) die nicht einem anderen Senate besonders zugewiesenen Sachen.
5. Aus dem ganzen Reiche mit Ausnahme des Oberlandesgerichtsbezirks Colmar die Vorentscheidung in Zivilsachen nach § 11 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetze.

Bekannte Entscheidungen

  • „Linoleumrollen-Fall“ (RGZ 78, 239; Entscheidung vom 7. Dezember 1911 zur Wiederentdeckung der c.i.c)[2]
  • „Rubel-Fall“ (RGZ 105, 406; Urteil vom 30. November 1922 zum offenen Kalkulationsirrtum)[3]

Besetzung 1886 bis 1923

Farblegende:

  • Ruhestand vor dem 1. Juli 1919
  • Ruhestand vor dem 1. Oktober 1934
  • Ruhestand nach dem 1. Oktober 1934
  • Richter nach 1946 (soweit bekannt)

Senatspräsidenten

Nr.NameErnennungSenatsaustrittEhrungen
1Karl Hocheder (1825–1913)1. Mai 18861. Januar 1891Ruhestand
2George Rudolf Peterßen (1826–1903)1. Januar 1891 bzw. 1. März 19021. Oktober 1891 bzw. 1. Juli 1902Übertritt zum 3. Zivilsenat bzw. Ruhestand
3Friedrich von Hahn (1823–1897)1. Oktober 18911. Januar 1893Ruhestand
4Heinrich Dähnhardt (1836–1902)1. Januar 189321. Januar 1902Verstorben
5Adolf August Hermann von Buchwald (1845–1913)1. Februar 19021. März (nicht Mai) 1902Ernennung zum Präsidenten des 3. Zivilsenats
6Heinrich Winchenbach (1837–1929)1. Juli 19021. Februar 1910Ruhestand
7Stephan Hoffmann (1845–1924)1. Februar 19101. April 1914Ruhestand
8Karl von Hassell (1841–1925)1. April 19141. Juli 1919Ruhestand
9Heinrich Koenige (1852–1935)1. Juli 19194. November 1923Ruhestand

Reichsgerichtsräte

Nr.NameSenatseintrittSenatsaustritt
1Ferdinand von Gmelin (1824–1896)1. Mai 18861. Dezember 1891Ruhestand
2Rudolf Schlesinger (1831–1912)1. Mai 18861. Februar 1912Ruhestand
3Konrad Robert Rüger (1829–1899)1. Mai 18861. Oktober 1895Ruhestand
4George Meyer (1828–1889)1. Mai 188613. Juli 1889Verstorben
5Hermann Wittmaack (1833–1928)1. Mai 18861. Februar 1897Ruhestand
6Gustav von Bezold (1828–1892)1. Mai 188613. März 1892Verstorben
7Otto Löwenstein (1833–1909)1. Mai 18861. Mai 1896Ernennung zum Senatspräsidenten des 2. Strafsenat
8Ernst von Bomhard1. Januar 18901. Januar 1892Ernennung zum Senatspräsidenten des 1. Strafsenat
9Karl von Ege (1837–1899)1. Dezember 189126. Juni 1899Verstorben
10Hermann Boethke (1833–1912)1. Januar 18921. Juni 1900Ruhestand
11Karl Lippmann (1839–1915)1. Juli 18921. April 1906Ruhestand
12Stephan Hoffmann (1845–1924)1. Oktober 18951. Februar 1910Ernennung zum Senatspräsidenten
13Paul Hugo Wolff (1841–1902)1. Mai 18964. September 1902Verstorben
14Hermann von Bülow (1842–1906)1. Februar 18971. Mai 1899Übertritt zum 7. Zivilsenat
15Johannes von Schwarze (1849–1919)1. Mai 189919. April 1919Verstorben
16Rudolf von Pelargus (1853–1923)24. Oktober 18991. Januar 1900Übertritt zum 1. Strafsenat
17Karl Emil Goldmann (1848–1917)1. Januar 19001. April 1914Ruhestand
18Wulf Tagg (1839–1914)1. Juni 19001. März 1910Ruhestand
19Bernhard Schaffeld (1851–1924)1. November 19021. Dezember 1923Ruhestand
20Theodor Meyer (1853–1936)1. April 19061. Dezember 1923Ruhestand
21Rudolf Bewer (1855–1930)1. Februar 1910 bzw. 1. Oktober 19101. Januar 1916 bzw. 1. Januar 1922Übertritt zum 4. Zivilsenat bzw. 7. Zivilsenat
22Paul Josef Hankel (1856-)1. März 19101. Dezember 1923Übertritt zum 2. Zivilsenat
23Ernst Rosenberg (1862–??)17. Oktober 1912 (Hilfsrichter 16. September 1910)1. November 1912Übertritt zum 4. Strafsenat
24Friedrich Flad (1869–1947)5. April 1914 (Hilfsrichter 16. September 1910)1. Dezember 1923Übertritt zum 5. Zivilsenat
25Ernst Neukamp (1852–1919)1. Februar 19126. Februar 1919Verstorben
26Franz Arndts (1864-)1. Januar 1914 (Hilfsrichter 16. September 1912)21. Januar 1914Übertritt zum 4. Zivilsenat
27Erich Brodmann (1855–1940)1. Oktober 1915 (seit 19. Oktober 1918 zugleich 2. Zivilsenat)1. Januar 1919Übertritt zum 2. Zivilsenat
28Conrad von Kienitz (1865–1949)1. Juli 191715. September 1917Übertritt zum 5. Strafsenat
29Karl Picot (1863–1939)7. Januar 1919 (zugleich 1. Strafsenat)1. Oktober 1919Übertritt zum 2. Zivilsenat
30Dieprand von Richthofen (1875–1946)1. Mai 19191. Dezember 1923Übertritt zum 7. Zivilsenat
31Peter Clasen (1866-)1. Oktober 1919 (auch 1. Zivilsenat)1. Januar 1920Übertritt zum 5. Zivilsenat
32Karl Linz (1869-)16. November 19191. Dezember 1923Übertritt zum 3. Zivilsenat
33Albrecht Heldrich (1862–1928)1. April 19201. Dezember 1923Übertritt zum 4. Zivilsenat
34Edmund Huyke (1864–1923)1. April 19201. Januar 1921Übertritt zum 7. Zivilsenat

Besetzung 1924 bis 1927

siehe 7. Zivilsenat

Literatur

  • Adolf Lobe: Fünfzig Jahre Reichsgericht am 1. Oktober 1929. Berlin 1929.

Einzelnachweise

  1. Verfügung des Reichsjustizamtes vom 28. April 1886, Bundesarchiv R 3002/81 Blatt 74, zit. nach: Kristina Möller: Die Rechtsprechung des Reichsgerichts in Zivilsachen. Eine Untersuchung der Zuständigkeit und Organisation des Reichsgerichts sowie seiner Rechtsprechung im 19. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung der Konkursanfechtung (= Rechts- und staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft N. F. 93). Paderborn 2001, S. 35.
  2. RGZ 78, 239@1@2Vorlage:Toter Link/www.lrz.de (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Mai 2019. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
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Leipzig, Reichsgerichtsgebäude Zentralbild Sturm 23.1.1956 Leipzig: Das Georgi-Dimitroff-Museum (ehemaliges Reichsgericht)