Tschuwaschische Sprache

Tschuwaschisch (Чӑваш чӗлхи)

Gesprochen in

Russland, Kasachstan
Sprecher1,8 Millionen
Linguistische
Klassifikation
Offizieller Status
Amtssprache inTschuwaschien Tschuwaschien
Sprachcodes
ISO 639-1

cv

ISO 639-2

chv

Die tschuwaschische Sprache (tschuwaschisch чӑваш чӗлхиčǎvaš čĕlchi, чӑвашлаčǎvašla) ist eine bolgartürkische Sprache aus dem Zweig der oghurischen Sprachen innerhalb der Turksprachen. Sie wird heute dem Westzweig der Turksprachen zugerechnet und nimmt innerhalb dieser eine Sonderstellung ein. Sie ist neben Russisch Amtssprache in der autonomen russischen Republik Tschuwaschien.

Hauptverbreitungsgebiet

Tschuwaschisch wird heute vor allem in Tschuwaschien, Tatarstan und Baschkortostan gesprochen. Daneben gibt es noch kleinere Sprachinseln entlang der Wolga bis Saratow. Ferner leben tschuwaschische Minderheiten in Kasachstan, der Ukraine, den baltischen Staaten und Usbekistan, wo sie zu Zeiten der Sowjetunion angesiedelt wurden beziehungsweise sich niederließen. Bei der russischen Volkszählung von 1999 gaben 1,64 Millionen oder 82 Prozent der Tschuwaschen Tschuwaschisch als Muttersprache an. Insgesamt sprechen 1,8 Millionen Menschen Tschuwaschisch.

Klassifizierungsmöglichkeiten

Tschuwaschisch wird verschieden klassifiziert. So listet das Fischer Lexikon Sprachen (1987)[1] das Tschuwaschische wie folgt auf:

  • Turksprachen
    • Westlicher Zweig
      • Bulgarische Gruppe
        • Tschuwaschisch

Dagegen führt das Metzler Lexikon Sprache (1993)[2] an:

  • Turksprachen
    • Südwesttürkisch (Oghusisch)
    • Osttürkisch (Karlukisch)
    • Westtürkisch (Kiptschakisch)
    • Nordtürkisch
    • Nordosttürkisch
    • Bolgartürkisch
      • Tschuwaschisch

Die aktuelle Klassifikation kann im Artikel Turksprachen eingesehen werden. Einige Wissenschaftler glauben, dass Tschuwaschisch keine turksprachige Sprache ist. Sie schlagen vor, dass Hunnisch starke Verbindungen zu Bulgarisch und dem modernen Tschuwaschisch hatte und bezeichnen diese erweiterte oghurische Gruppierung als separate Hunno-Bulgarische Sprachen oder Hunnische Sprachen.[3][4][5]

Dialekte und Alphabete

Im Tschuwaschischen werden heute zwei große Dialektgruppen unterschieden:

  • Anatri (Nieder-Tschuwaschisch) und
  • Viryal (Ober-Tschuwaschisch)

Die tschuwaschische Sprache wird heute vielfach als sprachliches Erbe der alten Wolgabulgaren angesehen. Die Wolgabulgaren drangen bis Ende des 10. Jahrhunderts ins Wolga-Kama-Gebiet vor und gründeten dort ein eigenständiges Herrschaftsgebiet. Zu diesem Herrschaftsgebiet gehörten zahlreiche Ethnien, die später teilweise assimiliert wurden, wodurch sich das heutige Tschuwaschische von den übrigen Turksprachen abhob. Vor allem wurde das Tschuwaschische von den Finnougrischen Sprachen beeinflusst.

Im 13. Jahrhundert gehörten die Tschuwaschen zum mongolisch-geprägten Khanat der Goldenen Horde und nach dessen Zerschlagung im Jahr 1502 zum tatarischen Khanat Kasan.

1551 unterstellten sich die Tschuwaschen freiwillig der Oberherrschaft des russischen Zaren.

Die Tschuwaschen schrieben in unterschiedlichen Alphabeten. Als sie um das Jahr 1000 ins Wolgagebiet kamen, benutzten sie eine Variante des türkischen Orchon-Alphabetes. Nach der Übernahme des Islam wurde bei ihnen das arabische Alphabet eingeführt. Im 18. Jahrhundert traten die Tschuwaschen zum christlich-orthodoxen Glauben über und nahmen Ende des 19. Jahrhunderts das Kyrillische Alphabet an. Mit der Schaffung einer eigenständigen Schriftsprache, die 1878 von russischen Missionaren entwickelt wurde, wurde auch ein modifiziertes Kyrill-Alphabet geschaffen. Die tschuwaschische Schriftsprache wurde mehrfach reformiert.

Anfang 1926 nahmen auch die Vertreter der Tschuwaschen am Turkologen-Kongress in Baku teil. Bei diesem Kongress wurde beraten, für alle Türken und Turko-Tataren eine gemeinsame Schrift zu schaffen: das Einheitliche türkische Alphabet. Doch dieses fand bei den Sprechern des Tschuwaschischen nie Anklang. Die Tschuwaschen verzichteten auf die Übernahme des vorgeschlagenen Lateinalphabetes und schrieben weiterhin kyrillisch.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde auch für das Tschuwaschische ein modernes Lateinalphabet entwickelt.[6] Doch in der Praxis wird dieses Lateinalphabet nicht angewendet.

Gegenüberstellung des tschuwaschischen Kyrill- und Lateinalphabetes

  • kyrillisch (amtlich verwendet): Аа Ӑӑ Бб Вв Гг Дд Ее Ёё Ӗӗ Жж Зз Ии Йй Кк Лл Мм Нн Оо Пп Рр Сс Ҫҫ Тт Уу Ӳӳ Фф Х х Цц Чч Шш Щщ Ъъ Ыы Ьь Ээ Юю Яя
  • lateinisch (nicht verwendet): Aa Ăă Bb Cc Dd Ee Ĕĕ Ff Gg Hh Ii Jj Kk Ll Mm Nn Oo Pp Rr Ss Şş/Çç Tt Uu Üü/Ÿÿ Vv Yy Zz ja ju sh/š zh/ž

Bekannte Tschuwaschen

Literatur

  • Ármin Vámbéry (Hrsg.): Das Türkenvolk in seinen Ethnologischen und Ethnographischen Beziehungen. F. A. Brockhaus, Leipzig 1885.
  • Heinz Friedrich Wendt (Hrsg.): Fischer Lexikon Sprachen (= Fischer Taschenbuch. Band 4561). Fischer, Frankfurt am Main 1961, ISBN 3-596-24561-3 (Neuausgabe 1987).
  • Helmut Glück (Hrsg.): Metzler Lexikon Sprache. 1. Auflage. J. B. Metzler, Stuttgart/Weimar 1993, ISBN 3-476-00937-8.
  • Johannes Benzing. 1988. Bolgarisch-tschuwaschische Studien. Wiesbaden: Harrassowitz.
  • Ekrem Čaušević: Tschuwaschisch. In: Miloš Okuka, Gerald Krenn (Hrsg.): Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens (= Wieser-Enzyklopädie des europäischen Ostens. Band 10). Wieser Verlag, Klagenfurt/Celovec 2002, ISBN 3-85129-510-2, S. 811–815 (aau.at [PDF; 204 kB]).
  • Johannes Benzing. 1943. Deutsch-tschuwaschisches Wörterverzeichnis nebst kurzem tschuwaschischem Sprachführer. Berlin: Verlagsanstalt Otto Stollberg.
  • Johannes Benzing. 1959. „Das Tschuwaschische“, In: Deny, Jean & Grønbech, Kaare & Scheel, Helmuth & Togan, Zeki Velidi (Hrsg.). Philologiae Turcica Fundamenta, 1, 695–751. Aquis Mattiacis: Steiner.
  • Angelika Landmann. 2014. Tschuwaschisch. Kurzgrammatik. Wiesbaden: Harrassowitz.
  • Johannes Benzing. 1943. Kleine Einführung in die Tschuwaschische Sprache. Berlin: Verlagsanstalt Otto Stollberg.

Weblinks

Commons: Tschuwaschische Sprache – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Heinz F. Wendt: Fischer Lexikon Sprache. S. 328.
  2. Helmut Glück: Metzler Lexikon Sprache. S. 657.
  3. Alexis Manaster Ramer: Proto-Bulgarian/Danube Bulgar/Hunno-Bulgar Bekven. Abgerufen am 14. Oktober 2023 (englisch): „Granberg’s suggestion that we should revive the term Hunno-Bulgar may well became that replacement – once it is clear that Hunnic and Bulgar were closely related and perhaps even the same language“
  4. Omeljan Pritsak: The Hunnic Language of the Attila Clan. In: Harvard Ukrainian Studies. IV. Jahrgang, Nr. 4. Harvard Ukrainian Research Institute, 1982, ISSN 0363-5570, S. 470, JSTOR:41036005 (englisch): “The language had strong ties to Bulgar language and to modern Chuvash.”
  5. Omeljan Pritsak: The Hunnic Language of the Attila Clan. In: Harvard Ukrainian Studies. 6. Jahrgang, Nr. 4, 1982, ISSN 0363-5570, S. 430, JSTOR:41036005 (englisch, academia.edu): “I was able to establish a Danube-Bulgarian nominative – suffix /A/ from the consonant stems. Recalling that Danube-Bulgarian was a Hunnic language.”
  6. omniglot.com

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