Theokritos

Theokritos (griechisch Θεόκριτος, deutsch Theokrit; um 270 v. Chr.) war ein antiker griechischer Dichter. Er war der Schöpfer und Hauptvertreter der bukolischen Poesie der Griechen.

Leben

Theokrit stammte höchstwahrscheinlich aus Syrakus. Er scheint einen Teil seines Lebens in der östlichen Ägäis verbracht zu haben; erkennbar ist ein besonderer Bezug zu Kos. Sein Gönner war der ägyptische König Ptolemaios II.

Werke

Gedichte Theokrits mit Scholien von Manuel Moschopulos. Handschrift Ferrara, Biblioteca Comunale Ariostea, Codex II,155, fol. 14r (1336/1337 geschrieben)

Unter Theokrits Namen sind außer einer Anzahl von Epigrammen 32 größere Gedichte überliefert, sogenannte Idylle (Eidyllia). Sie haben meist eine dramatische Form und sind teils künstlerische Nachahmungen des Wechselgesangs der sizilischen Hirten, teils stellen sie Szenen des Alltagslebens dar, während andere mythologische Erzählungen enthalten, noch andere rein lyrischer Natur sind. Bei der Schöpfung der Ersteren stand Theokrit vor allem unter Einfluss des Mimus. Mimen sind kleine Possenspiele bzw. deren literarische Umsetzung, in welchen das Alltagsleben parodiert wird. Hauptvertreter dieser Gattung war Sophron (5. Jahrhundert v. Chr.), der ebenfalls aus Syrakus stammte.

Die dichterische Umsetzung bei Theokrit besteht in einer distanzierten, teils destruktiven Imitation klassischer Genres, deren Funktionalität aufgrund der soziopolitischen Umgebung nicht mehr zeitgemäß sein konnte (die autarke Polis des 8.–5. Jahrhunderts v. Chr. gegenüber den hegemonialen monarchischen Flächenstaaten des 3. Jahrhunderts v. Chr.). Daher ist ganz im Gegenteil zur oft „idyllisierenden“ Hirtendichtung späterer Prägung in den thematisch verwandten Kurzgedichten Theokrits vor allem das, oft charmante, manchmal böse, Amusement des exzellent gebildeten Stadtbürgers über die ungeschickt-kunstlosen Unterhaltungen der Landbevölkerung zu konstatieren.

Etwa ein Drittel der im Corpus Theocriteum überlieferten sogenannten Eidyllia gilt heute als erwiesenermaßen unecht. Schon in der Antike standen die Werke Theokrits wegen seiner anspruchsvollen Reflexion älterer Dichtung sowie seiner minutiös ausgearbeiteten, gleichwohl lebendigen Darstellung in hohem Ansehen und waren Muster und Beispiel für spätere Dichter, zum einen (in der poetischen Auffassung) der Neoteriker, zum anderen (thematisch auf das Landleben bezogen) von Vergils Eklogen und dessen Epigonen Calpurnius Siculus. Auch hinsichtlich der Form und Sprache unterscheiden sich die Gedichte. Während diejenigen, in welchen hauptsächlich heroisch-epische Themen behandelt werden, auch die entsprechenden Formen annehmen und die Sprache ebenfalls hauptsächlich episch ist, herrscht in den mimetischen Gedichten eine dorische Kunstsprache vor. Der im Hellenismus allgemein bevorzugte Hexameter ist das Versmaß der Eidyllia 1–27.

Die Titel der einzelnen Gedichte

Nr.TitelEidylliatranskribiert
IThyrsis oder GesangΘύρσις ἢ ᾨδήThyrsis e ode
IIDie HexeΦαρμακεύτριαPharmakeutria
IIIDer FestzugΚῶμοςKomos
IVDie HirtenΝομεῖςNomeis
VGeißhirt und SchafhirtΑἰπολικὸν καὶ ΠοιμενικόνAipolikon kai Poimenikon
VIDie RinderhirtenΒουκολιασταίBukoliastai
VIIDas ErntefestΘαλύσιαThalysia
VIIIDaphnis, Menalkas und AipolosΒουκολιασταί (Δάφνις, Μενάλκας καὶ Αιπόλος)[unecht]
IXDaphnis und MenalkasΒουκολιασταί (Δάφνις καὶ Μενάλκας)[unecht]
XDie Schnitter oder:
Die (Feld)Arbeiter
Θερισταί,
Ἐργατίναι, Μίλων καὶ Βουκαίος
Theristai,
Ergatinai
XIDer KyklopΚύκλωψKyklops
XIIDer LieblingἈΐτηςAites
XIIIHylasὝλαςHylas
XIVVerlangen nach Kyniska
oder: Aischines und Thyonichos
Κυνίσκας Ἔρως,
Αἰσχίνης και Θυώνιχος
Kyniskas Eros,
Aischines kai Thyonichos
XVDie Syrakuserinnen
oder: Die Adoniazusen
Συρακούσιαι,
Ἀδωνιάζουσαι
Syrakusiai,
Adoniazusai
XVIDie Chariten
oder: Hieron
Χάριτες,
Ἱέρων
Charites,
Hieron
XVIILobgedicht auf PtolemaiosἘγκώμιον εἰς ΠτολεμαῖονEnkomion eis Ptolemaion
XVIIIBrautlied der HelenaἙλένης ἐπιθαλάμιοςHelenes Epithalamios
XIXDer HonigdiebΚηριοκλέπτηςKeriokleptes
XXDer RinderhirtΒουκολίσκοςBukoliskos
XXIDie FischerἉλιείςHalieis
XXIIDie DioskurenΔίοσκουροιDioskuroi
XXIIIDer Verliebte oder:
Der verzweifelt Liebende
Ἐραστής,
Δύσερως
Erastes,
Dyseros
XXIVDer kleine HeraklesἩρακλίσκοςHerakliskos
XXVHerakles der LöwentöterἩρακλῆς λεοντοφόνοςHerakles Leontophonos
XXVILenai oder:
Die Bacchantinnen
Λῆναι,
Βάκχαι
Lenai,
Bacchai
XXVIILiebesgeflüsterὈαριστύςOaristys
XXVIIIDie SpinnrockenἨλακάτηElakate
XXIXLiebeslied an einen KnabenΠαιδικάPaidika
XXXAuf den toten AdonisΕἰς νεκρὸν ἈδῶνινEis nekron Adonin

Inhalt einzelner Gedichte

VI. Die Rinderhirten

Die beiden Rinderhirten Daphnis und Damötas improvisieren einen Gesang, der die Geschichte des in die Nymphe Galateia verliebten Zyklopen Polyphem persifliert. In Daphnis’ Exposition versucht Galateia vergeblich, Polyphems Aufmerksamkeit zu erregen, indem sie seinen Hund mit Äpfeln bewirft. Damötas antwortet mit einem Monolog des Polyphem, der beschlossen hat, Galateia noch ein bisschen warten zu lassen; im Übrigen stehe ihm sein eines Auge doch recht gut.

In seiner Einleitung bezeichnet Theokrit den Wechselgesang als „Wette“. Allerdings fehlt der Schiedsrichter, und das Gedicht endet ohne Sieger:

„Hiermit endigend küßte Damötas den Daphnis; die Pfeife
Schenkt’ ihm dieser, und er ihm die künstliche Flöte dagegen. […]
Sieger jedoch war keiner, denn fehllos sangen sie beide.“

nach Mörikes zweiter Übersetzung

VIII. Daphnis, Menalkas und Aipolos

Das VIII. Idyll (das als unecht gilt) ist in gewisser Weise ein Gegenstück zum VI. Es behandelt ebenfalls einen Sängerwettbewerb zwischen zwei Hirten (auch hier heißt einer der beiden Daphnis, der andere Menalkas). Allerdings beginnt dieser Wettstreit mit gegenseitigen Herausforderungen; am Schluss entscheidet ein Schiedsrichter. Die Hirten improvisieren in abwechselnden Strophen, die keine fest umrissene Geschichte ausführen. Sieger wird Daphnis:

„Das erfreute den siegenden Knaben, er klatscht’ in die Hände,
Wie zu der Mutter hüpfet das Reh, so hüpfte der Knabe.
Jenem aber verzehrte der quälende Harm die Seele,
Ach, er traurte! So trauert die Braut, die Neuvermählte!
Nun war Daphnis unter den Hirten der erste geworden,
Und als Jüngling vermählt’ er sich schon mit Nais, der Nymphe.“

übersetzt von Christian zu Stolberg

Übersetzungen

Deutsche Übersetzungen gibt es von Ernst Christoph Bindemann (1793), Johann Heinrich Voß (2. Aufl., Tübingen 1815), Friedrich Rückert (Leipzig 1867), Harry C. Schnur (Reutlingen, 1975), Hermann Beckby (Meisenheim am Glan, 1975), Dietrich Ebener (Frankfurt a. M. 1983), Bernd Effe (Düsseldorf 1999) und Regina Höschele (Stuttgart 2016).

Eduard Mörike übersetzte nur einzelne Gedichte. Innerhalb der „Classischen Blumenlese“ (Stuttgart 1840, einer großangelegten Sammlung von Übersetzungen griechischer und lateinischer Gedichte) erschienen die Nummern II, VI, XI, XIII bis XVI, XVIII, XXI, XXIV, XXVIII bis XXX (in veränderter Reihenfolge und Nummerierung). 1855 erschien „Theokritos, Bion und Moschos. Deutsch im Versmaße der Urschrift von Dr. E. Mörike und F. Notter“. Darin sind die Nummern I bis VI, XI, XIV bis XVIII und XXVIII enthalten. Die Fassungen dieser zweiten Ausgabe sind, soweit sie auf die erste zurückgehen, gründlich überarbeitet und teilweise völlig neugefasst.

Ausgaben und Übersetzungen

  • Hermann Beckby: Die griechischen Bukoliker: Theokrit – Moschos – Bion. Beiträge zur klassischen Philologie 49. Meisenheim am Glan 1975.
  • Dietrich Ebener: Theokrit. Sämtliche Dichtungen. Insel-Verlag, Frankfurt a. M. 1989, ISBN 3-458-32858-0
  • Bernd Effe: Theokrit. Gedichte. Griechisch / deutsch. Artemis und Winkler, Düsseldorf & Zürich 1999, ISBN 3-7608-1714-9.
  • Andrew Sydenham Farrar Gow: Bucolici Graeci. Griechisch und englisch. Clarendon Press, Oxford 1952. Maßgebliche Ausgabe.
  • Harry C. Schnur: Theokrit. Knödler, Reutlingen 1975, ISBN 978-3-87421-054-6.
  • Carlo Gallavotti: Theocritus quique feruntur Bucolici Graeci. 3. Ausgabe. Publica Officina Polygraphica, Rom 1993.
  • Regina Höschele: Theokrit. Gedichte. Griechisch und deutsch. Reclam, Stuttgart 2016, ISBN 978-3150194195.

Scholia

Literatur

Übersichtsdarstellungen

  • Doris Meyer: Theokrit. Die Pseudo-Theokritea. In: Bernhard Zimmermann, Antonios Rengakos (Hrsg.): Handbuch der griechischen Literatur der Antike. Band 2: Die Literatur der klassischen und hellenistischen Zeit. C. H. Beck, München 2014, ISBN 978-3-406-61818-5, S. 215–230.
  • Albin Lesky: Geschichte der griechischen Literatur. 3., neu bearbeitete Auflage, Saur, München 1999, ISBN 3-598-11423-0, S. 807–818.

Untersuchungen

  • Ulrich Ott: Die Kunst des Gegensatzes in Theokrits Hirtengedichten (= Spudasmata. Band 22). Olms, Hildesheim 1969.
  • Thomas Reinhardt: Die Darstellung der Bereiche Stadt und Land bei Theokrit. Habelt, Bonn 1988, ISBN 3-7749-2306-X.
  • Bernd Effe (Hrsg.): Theokrit und die griechische Bukolik (= Wege der Forschung. Band 580). Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1986, ISBN 3-534-08344-X (teilweise deutsch und teilweise englisch)
  • Adolf Köhnken: Apollonios Rhodios und Theokrit. Die Hylas- und die Amykosgeschichten beider Dichter und die Frage der Priorität (= Hypomnemata. Untersuchungen zur Antike und zu ihrem Nachleben. Heft 12). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1965, DNB 981631738 (Dissertation, Universität Hamburg [1965]).
  • Robert Kirstein: Junge Hirten und alte Fischer: die Gedichte 27, 20 und 21 des Corpus Theocriteum. Walter de Gruyter, Berlin/New York, NY 2007, ISBN 978-3-11-019224-7 (Habilitationsschrift, Universität Münster 2006).

Lexikon

  • Johannes Rumpel: Lexicon Theocriteum. Teubner, Leipzig 1879 (Digitalisat).

Weblinks

Wikisource: Theokrit – Quellen und Volltexte

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Theokritos, Gedichte, mit Scholien von Manuel Moschopulos, in der Handschrift Ferrara, Biblioteca Comunale Ariostea, Codex II,155, fol. 14r.