Strafklageverbrauch

Der Strafklageverbrauch ist eine der wesentlichen (negativen) Prozessvoraussetzungen im Strafprozess. Sinngemäß bedeutet er, dass niemand wegen einer Tat mehrmals abgeurteilt werden darf. Dies gilt sowohl für die Verurteilung als auch im Wesentlichen für den Freispruch. Weitere Begrifflichkeiten für den Strafklageverbrauch sind: materielle Rechtskraft, Doppelbestrafungsverbot und ne bis in idem.[1]

Nach dem lateinischen Rechtsgrundsatz ne bis in idem gilt nämlich im deutschen Strafrecht ein Verbot der Doppelbestrafung wegen derselben prozessualen Tat, was sich unmittelbar aus dem verfassungsmäßigen "Prozeßgrundrecht" des Art. 103 Abs. 3 GG ergibt.[2]

Bedeutung

Wesentliche Bedeutung hat der Strafklageverbrauch bei der Bestimmung des Umfangs der Rechtskraft eines Urteils. Die Rechtskraft des Urteils bezieht sich dabei auf die prozessuale Tat als Prozessgegenstand, über den geurteilt wurde. Ist ein Urteil rechtskräftig geworden, steht einer erneuten Anklage des Täters wegen derselben Tat der Strafklageverbrauch als wesentliches Prozesshindernis entgegen.

Durchbrochen wird dieser Grundsatz allerdings durch die Möglichkeit einer Wiederaufnahme (§ 362 StPO), welche neben den seit jeher enumerativ katalogisierend aufgezählten Voraussetzungen nach einer Novelle 2021 für ausgewählte Verbrechenstatbestände außerdem – allzumal im Falle eines Freispruches – ein Vorbringen neuer tatsächlicher Erkenntnisse genügen lässt (s. § 362 Nr. 5 StPO).[3]

Strafklageverbrauch tritt auch durch Urteile von Gerichten innerhalb der europäischen Union ein, wie etwa im Fall von Klaus Bourquain, der 1961 durch ein französisches Gericht in Abwesenheit zum Tode verurteilt wurde, was ihm mehr als 40 Jahre später eine Verurteilung wegen Mordes durch ein deutsches Gericht ersparte.

Beispiele

Wird nach Anklageerhebung durch Gericht oder Staatsanwaltschaft gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellt, liegt ein beschränkter Strafklageverbrauch vor. Damit darf die Tat nicht mehr als Vergehen (weniger als ein Jahr Mindeststrafe) verfolgt werden, kann jedoch als Verbrechen (Mindeststrafe ein Jahr) geahndet werden, sofern sich im Nachhinein Anhaltspunkte dafür ergeben sollten.[4]

Der rechtskräftige Strafbefehl hat die gleiche strafklageverbrauchende Wirkung wie ein rechtskräftiges Urteil.[4]

Negativbeispiel (höchstrichterl. Rechtsprechung)

Findet die Polizei bei einer Verkehrskontrolle Betäubungsmittel im Fahrzeug und ist ein Drogentest beim Fahrer positiv, liegt sowohl ein Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz als auch gegen § 316 StGB oder das Straßenverkehrsgesetz (§ 24a) vor. Teilt die Staatsanwaltschaft die beiden Verfahren auf und der Täter wird wegen eines Verstoßes verurteilt, tritt für den anderen Verstoß kein Strafklageverbrauch ein.[5]

Positivbeispiel (nach herrschender Meinung)

A wird dabei beobachtet, wie er im Wald mehrere Schüsse abgibt. Als er gestellt wird, erklärt er, er habe auf ein Reh gezielt, es aber nicht getroffen. Er wird vom Amtsgericht wegen Jagdwilderei (§ 292 StGB) zu einer mäßig hohen Geldstrafe verurteilt. Nach Rechtskraft des Urteils wird die halbverweste Leiche des in Wirklichkeit von A erschossenen Ehemannes seiner Geliebten gefunden. Hier wäre nach thematisierter Sichtweise der Strafklageverbrauch eingetreten, A könnte der beschriebenen mehrheitlichen Auffassung folgend somit wegen des Tötungsdeliktes nicht mehr belangt werden.[6] Diesem Umstand stünde indes nunmehr der aktuelle Gesetzeswortlaut entgegen, sofern keine Verurteilung wegen der Tötungshandlung oder aber ein Freispruch vorliegen (§ 362 Nr. 5 Var. 1 StPO), da der Gesetzgeber wohl eindeutig die Möglichkeit einer späteren Bestrafung wegen erheblicher Taten dem Vertrauensschutz des einem Strafverfahren unterworfenen Individuums vorzieht.

Einzelnachweise

  1. Volk/Engländer: Grundkurs StPO. Hrsg.: C.H.BECK. S. 294.
  2. BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2003 - 2 BvR 1784/03 Rn. 9.
  3. Fassung § 362 StPO a.F. bis 30.12.2021 (geändert durch Artikel 1 G. v. 21.12.2021 BGBl. I S. 5252). Abgerufen am 9. Januar 2022.
  4. a b Duden Recht A-Z. Fachlexikon für Studium, Ausbildung und Beruf. 3. Aufl. Berlin: Bibliographisches Institut 2015.[1]
  5. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 16. März 2006 - 2 BvR 111/06 -, Rn. 1-18, ECLI:DE:BVerfG:2006:rk20060316.2bvr011106
  6. Roxin, Strafprozessrecht, S. 450 m.w.N., zitiert nach Thomas Grotzeck, Prozessualer Tatbegriff und Strafklageverbrauch (Memento vom 4. März 2016 im Internet Archive)