Staatsanwaltschaft Hannover

Vorplatz der Staatsanwaltschaft Hannover mit wartenden Reportern

Die Staatsanwaltschaft Hannover ist eine Strafverfolgungs- und Vollstreckungsbehörde des Bundeslands Niedersachsen. Die Staatsanwaltschaft hat ihren Sitz in Hannover im Volgersweg 67 und in einer Nebenstelle in der Vahrenwalder Straße 6–8. Sie ist mit etwa 350 Mitarbeitern die größte in Niedersachsen (siehe auch die Liste deutscher Staatsanwaltschaften). Leitende Oberstaatsanwältin ist Katrin Ballnus.

Organisation und Zuständigkeit

Die Staatsanwaltschaft Hannover ist für die Ermittlung und Vollstreckung in Strafsachen im Landgerichtsbezirk Hannover zuständig. Dieser umfasst die Amtsgerichte in Hannover, Burgwedel, Hameln, Neustadt am Rübenberge, Springe und Wennigsen.[1]

Neben der Zuständigkeit für allgemeine Straftaten und solche aus dem Wirtschafts- und Umweltstrafrecht hat die Staatsanwaltschaft Hannover eine Sonderzuständigkeit für die

  • Bekämpfung gewaltdarstellender, pornographischer oder sonst jugendgefährdender Schriften,
  • Korruptionsstrafsachen,
  • Bekämpfung des politisch und religiös motivierten Terrorismus.[1]

Zudem hat die Behörde für das Land Niedersachsen die Sonderzuständigkeit für die Verfolgung von NS-Gewaltverbrechen, die zuletzt im August 2014 zu einer Anklage geführt hat (siehe NS-Prozesse).[2][3] Dabei arbeitete die Staatsanwaltschaft eng mit der jüdischen Gemeinde Hannover zusammen, die selbstständig Fälle und Zeugen ermittelte.[4] Im Hauptstaatsarchiv Hannover gibt es ein Findbuch zu den NS-Ermittlungsakten dieser Staatsanwaltschaft.[5]

Übergeordnete Behörde ist die Generalstaatsanwaltschaft Celle.

Personal und Verfahren

Die Staatsanwaltschaft Hannover hat 354 Mitarbeiter (Stand 31. Dezember 2014),[6] darunter

Sie arbeiten in fünf Bereichen („Zentrale Aufgaben“ und vier Hauptabteilungen) und 18 Abteilungen, denen jeweils ein Oberstaatsanwalt vorsteht. Sie bearbeiten Strafsachen in Dezernaten gemeinsam mit Staatsanwälten sowie Ober- und Amtsanwälten. Die Akten führen Mitarbeiter in mehreren Serviceeinheiten.[7]

Die Behörde wird von einem Leitenden Oberstaatsanwalt geführt:

  • mindestens 1949–1963: Wilhelm Landwehr[8]
  • mindestens 1976 bis 1993: Hans-Georg Hinkelmann[9]
  • 1998–2013: Manfred Wendt
  • 2013–2016: Jörg Fröhlich[10]
  • 2016–2020: Henning Meier[11]
  • seit 2020: Katrin Ballnus[12]

2015 wurden bei der Behörde über 103.000 Verfahren gegen bekannte Täter und über 57.000 Verfahren gegen unbekannte Täter durchgeführt.[13] Nach Abschluss eines Verfahrens leiten die Rechtspfleger der Staatsanwaltschaft die Strafvollstreckung ein,[14] über 17.000-mal 2015.[13]

Öffentliche Kritik

Auf dem Vorplatz der Staatsanwaltschaft Hannover äußert sich der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff nach seinem Freispruch

Die Staatsanwaltschaft Hannover sieht sich besonderer öffentlicher Kritik ausgesetzt. Mehrere aufsehenerregende Fällen ließen einige Medien daran zweifeln, dass die Behörde objektiv arbeite. Der Oberstaatsanwalt Uwe Görlich unterhielt in den 2000er Jahren Verbindungen ins hannoversche Rotlichtmilieu am Steintor; ihm warf Christine Kröger vor, illegale Prostitution zu decken.[15] Im Justizirrtum um Ralf Witte wurde kritisch über die Ermittlungen der Behörde berichtet, die zum fünfjährigen ungerechtfertigten Freiheitsentzug führten; gegen die verantwortlichen Staatsanwälte wurde ein Verfahren wegen Rechtsbeugung eingeleitet.[16] Der niedersächsische Justizminister Bernd Busemann bat 2009 wegen des Vorgehens der Staatsanwaltschaft Hannover bei Witte um Entschuldigung.[17]

Seit 2012 steht die Staatsanwaltschaft Hannover wegen zweier Ermittlungsverfahren gegen prominente Politiker unter stärkerer öffentlicher Beobachtung, ohne auf diese Sonderrolle vorbereitet zu sein.[18] Bei den Ermittlungen gegen die Politiker Christian Wulff 2012 und Sebastian Edathy 2014 wurde der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, Informationen aus den laufenden Verfahren an die Öffentlichkeit weitergegeben zu haben und im Umgang mit diesen prominenten Beschuldigten weder Maß gehalten noch ausreichende Erfahrung mit dem erhöhten Medieninteresse gehabt zu haben.[19] In dieser Sache ermittelte die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Göttingen 2015 auch gegen den vorgesetzten Generalstaatsanwalt am Oberlandesgericht Celle Frank Lüttig wegen des Verdachts auf Geheimnisverrat, stellte das Verfahren jedoch ein.

Baugeschichte

Das Hauptgebäude am Volgersweg in der Nähe des Raschplatzes errichtete Otto Hodler von 1951 bis 1952 in den Formen der Nachkriegsmoderne.[20][Anm. 1]

Weblinks

Anmerkungen

  1. Davon abweichend wird die Bauzeit 1952–1956 genannt für das „Landgericht“, dessen ursprünglicher Haupteingang zur Hamburger Allee ausgerichtet war. Das Gebäude wurde in den Jahren 1983–1985 in Teilen ersetzt durch höhere Neubauten der Architekten Storch & Ehlers für Landgericht und Staatsanwaltschaft; vergleiche Helmut Knocke, Hugo Thielen: Volgersweg 1. In: dies.: Hannover. Kunst- und Kultur-Lexikon. Neuausgabe, 4., aktualisierte und erweiterte Ausgabe. Zu Klampen, Springe 2007, ISBN 978-3-934920-53-8, S. 210.

Einzelnachweise

  1. a b Staatsanwaltschaften und Generalstaatsanwaltschaften in Niedersachsen. Organisation und Zuständigkeit. In: staatsanwaltschaften.niedersachsen.de. Abgerufen am 30. März 2018.
  2. Staatsanwaltschaften und Generalstaatsanwaltschaften in Niedersachsen: Anklage wegen NS-Verbrechen. In: staatsanwaltschaften.niedersachsen.de. 15. September 2014, abgerufen am 30. März 2018.
  3. Antje Niewisch-Lennartz: Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/2596 -. (PDF; 145 kB) In: www.landtag-niedersachsen.de. Abgerufen am 30. März 2018.
  4. Anke Quast: Nach der Befreiung. Jüdische Gemeinden in Niedersachsen seit 1945 – das Beispiel Hannover. In: Veröffentlichungen des Arbeitskreises Geschichte des Landes Niedersachsen (nach 1945). Band 17. Wallstein, Göttingen 2001, ISBN 3-89244-447-1, S. 324.
  5. Andreas Eichmüller: Die Datenbank des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin zu allen westdeutschen Strafverfahren wegen NS-Verbrechen. In: Jürgen Finger, Sven Keller, Andreas Wirsching (Hrsg.): Vom Recht zur Geschichte. Akten aus NS-Prozessen als Quellen der Zeitgeschichte. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2009, ISBN 978-3-525-35500-8, S. 231–237, hier S. 232.
  6. Personal (PDF). In: Staatsanwaltschaft Hannover (online).
  7. Organisation und Zuständigkeit. In: Staatsanwaltschaft Hannover. (Website).
  8. Rudolf Augstein: Lieber Spiegelleser. In: Der Spiegel. 16. Februar 1950; ders. als Moritz Pfeil: Eine gewisse Presse, eine gewisse Justiz. Der Lehrfall Dohrn. In: Der Spiegel. 20. November 1963. Landwehr wurde am 1. Juli 1903 geboren und diente dem NS-Regime als Oberkriegsgerichtsrat, siehe Helmut Kramer: Richter vor Gericht. Die juristische Aufarbeitung der Sondergerichtsbarkeit. In: Nationalsozialistische Sondergerichtsbarkeit. (= Juristische Zeitgeschichte Nordrhein-Westfalen. Band 15). Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, Nordhausen 2007, S. 121–172, hier S. 132 (PDF).
  9. Die Bundesrepublik Deutschland. Teilausgabe Land Niedersachsen. Heymann, Köln 1976, S. 215 (Auszug); Die Bundesrepublik Deutschland. Staatshandbuch. Landesausgabe Land Niedersachsen. Heymann, Köln 1993, S. 167 (Auszug). Siehe auch Affären: Kompletter Idiot. In: Der Spiegel. 6. August 1990.
  10. Alexander Wiemerslage: Neue Behördenleitung bei der Staatsanwaltschaft Hannover. Pressemitteilung des niedersächsischen Justizministeriums, 28. Oktober 2013.
  11. Marika Tödt: Neuer Behördenleiter bei der Staatsanwaltschaft Hannover. Pressemitteilung des niedersächsischen Justizministeriums, 24. August 2016.
  12. Neustädterin wird neue Chefin der Staatsanwaltschaft Hannover. In: HAZ. 27. Mai 2020, abgerufen am 24. August 2021.
  13. a b Verfahren. PDF. In: Staatsanwaltschaft Hannover. (Website).
  14. Organisation und Zuständigkeit. In: Staatsanwaltschaft Hannover. (online).
  15. Christine Kröger: Im Zweifel für den Staatsanwalt. In: Weser-Kurier. 13. Mai 2010; Unter die Robe gekehrt. In: ebda., 15. Mai 2010.
  16. Landeszeitung Lüneburg: „Die Kontrollinstanzen haben versagt“ – Anwalt Schwenn will Hannoveraner Justiz für Fehlurteil im Missbrauchsprozess zur Verantwortung ziehen. In: Presseportal, 16. September 2010.
  17. Fünf Jahre hinter Gittern – Staatsanwaltschaft verschwieg entlastendes Material. In: Panorama. Nr. 713, NDR, 25. Juni 2009, Ausschnitt der Sendung auf YouTube (Länge 7:27 Min.), Skript zur Sendung (PDF).
  18. Klaus Wallbaum: Staatsanwaltschaft in der Kritik. Von Fall zu Fall. In: Hannoversche Allgemeine Zeitung. 16. Februar 2014.
  19. Zacharias Zacharakis: Staatsanwalt in Bedrängnis. In: Die Zeit. 19. Februar 2014.
  20. Friedrich Lindau: Hannover. Wiederaufbau und Zerstörung. Die Stadt im Umgang mit ihrer bauhistorischen Identität. 2., überarbeitete Auflage. Schlüter, Hannover 2001, ISBN 3-87706-607-0, besonders S. 326 (Digitalisat bei Google-Bücher).

Auf dieser Seite verwendete Medien

2014-02-27 Freispruch für Christian Wulff, (234) der Ex-Bundespräsident und seine Verteidiger Bernd Müssig (re.) und Michael Nagel vor den Mikrofonen (und Fernseh-Kameras).JPG
Autor/Urheber: Foto: Bernd Schwabe in Hannover, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Nach seinem Freispruch durch das Landgericht Hannover trat Ex-Bundespräsident Christian Wulff, hier mit seinen beiden Verteidigern Rechtsanwalt Bernd Müssig (links) und Michael Nagel, vor die laufenden Kameras und gab sich erleichtert,

„[...] dass sich [...] das Recht durchgesetzt hat.“