Soft Law
Soft Law (engl. weiches Recht) ist eine völkerrechtliche Bezeichnung für unverbindliche Übereinkünfte, Absichtserklärungen oder Leitlinien, die Staaten untereinander vereinbaren. Im Gegensatz zum Hard Law, das inhaltlich bestimmt, verbindlich und durchsetzbar ist, stellt das Soft Law eine weniger strenge Selbstbindung dar. Es ist jedoch ebenfalls von einem gemeinsamen politischen Willen getragen und impliziert deshalb nicht zwangsläufig Wirkungslosigkeit.[1]
Die Bezeichnung als Soft Law wird von rechtspositivistischer Seite kritisiert,[2] da es sich nur bei den zwingenden Normbefehlen des Hard Law um die Kategorie Law (Recht) handele.[3] Die Begriffe sind jedoch zur Typisierung der unterschiedlichen Handlungsformen internationaler Organisationen anerkannt.[4][5]
Der Begriff hat auch Eingang in die Grundsätze der Unternehmensführung gefunden.
Völkerrecht
Begriffliche Abgrenzung
Das Soft Law wird im Unterschied zum Gewohnheitsrecht gerade nicht als verbindlich anerkannt. Als gänzlich unverbindlich gilt die als Courtoisie bezeichnete zwischenstaatliche Höflichkeit, vor allem im diplomatischen Umgang.[6]
Gentlemen's Agreements wirken nur zwischen den erklärenden Personen, ohne die von ihnen repräsentierten Staaten zu betreffen.[6]
Leges imperfecta wiederum stellen trotz ihrer Unvollständigkeit verbindliche Rechtsnormen dar.[6]
Bedeutung
Im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker gibt es auf globaler Ebene kein zentrales Rechtssetzungsorgan mit formeller Rechtssetzungskompetenz.[7] Begriff und Einordnung des Soft Law sind deshalb umstritten einschließlich der Frage, ob es überhaupt rechtliche oder nur faktische Wirkung erzeugt.[8] Einigkeit besteht nur insoweit, als es nicht den klassischen Rechtsquellen des Völkerrechts unterfällt und seine Verletzung nicht mit den für Rechtsquellen geltenden Mechanismen sanktionierbar ist.[8][9]
Bedeutsam ist das Soft Law vor allem dann, wenn der Abschluss und die Durchführung eines völkerrechtlichen Vertrages nicht schnell oder effektiv genug erscheint. Ein rechtlicher Vorteil gegenüber dem Hard Law rührt daher, dass das Ratifikationserfordernis entfällt. Sein politischer Vorteil besteht darin, dass es wegen seiner fehlenden Rechtsverbindlichkeit als weniger bedrohlich wahrgenommen wird, so dass sich ein Konsens und präzise Inhalte einfacher erreichen lassen.[10]
Trotz der fehlenden formalen Bindungswirkung z. B. der Resolutionen der UN-Generalversammlung, aber auch von Erklärungen anlässlich internationaler Konferenzen oder von Beschlüssen anderer Organisationen, können diese als gleichgerichtete Willensbekundungen einer Vielzahl von Staaten zur Entstehung von Gewohnheitsrecht beitragen, das im Unterschied zum Soft Law als verbindlich anerkannt wird. Entsprechend entstand vor allem in den späten 1960er Jahren die Forderung, dass den Resolutionen der Generalversammlung eine weiter gehende Bindungswirkung eingeräumt werden sollte.
Besonders in den Entwicklungsländern wurde dabei von einem rechtserzeugenden internationalen Konsens gesprochen, der zur spontanen oder sofortigen Schaffung von Gewohnheitsrecht oder so genanntem Soft Law, d. h. zumindest im Entstehen begriffenen Rechts mit Wirkung für alle Staaten (Erga-omnes-Wirkung) führe. Obwohl diese These nie von allen Staaten anerkannt worden ist, haben einzelne Resolutionen der Generalversammlung sicherlich wesentlichen Anteil an der verhältnismäßig raschen Entstehung von Gewohnheitsrecht – eine These, die auch vom Internationalen Gerichtshof bestätigt wird.[11] Darüber hinaus werden solche Resolutionen auch immer wieder zur Auslegung des zwingenden Völkerrechts (ius cogens) herangezogen.[12]
Ein weiteres Beispiel für anerkanntes Soft Law sind die Empfehlungen der Financial Action Task Force on Money Laundering (FATF) zur internationalen Bekämpfung der Geldwäsche. Umstritten ist, welche Wirkungen der politisch diskutierte Migrationspakt hat. Angesichts der fehlenden Bindungswirkung der Staaten wird auch dieser als soft law bezeichnet.[13]
Nach der Völkerrechtsklausel in Art. 25 des deutschen Grundgesetzes kann das Soft Law über das Gebot der völkerrechtsfreundlichen Auslegung im innerstaatlichen Bereich Berücksichtigung finden, insbesondere bei der Konkretisierung von unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln sowie bei der Ausübung und Kontrolle von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen. Im Falle mehrerer Auslegungsmöglichkeiten ist einer Norm diejenige Bedeutung beizumessen, die mit den völkerrechtlichen Vorgaben in Einklang steht.[10]
Bei der gesetzlichen Ausgestaltung eines wirksamen Resozialisierungskonzepts im Strafvollzug ist der Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gehalten, auch völkerrechtliche Vorgaben oder internationale Standards mit Menschenrechtsbezug, wie sie in den im Rahmen der Vereinten Nationen oder von Organen des Europarates beschlossenen einschlägigen Richtlinien und Empfehlungen enthalten sind, zu beachten.[14]
Europäische Union
Die Debatte um Deregulierung und Bürokratieabbau insbesondere in den 1990er Jahren führte zu einer Diskussion über „bessere Gesetzgebung“. Beabsichtigt war eine effizientere Gestaltung von Politik und Rechtsvorschriften, damit politische Entscheidungen die geforderten Ergebnisse zeitigen.[15] Dazu zählte auch die Reduzierung förmlicher staatlicher Regulierung in Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder Erlassen.[16] Die aus dem Völkerrecht stammende Kategorie des Soft Law fand damit als „new mode of governance“ (alternative Regelsetzung) Eingang in das Recht der Europäischen Union.[8]
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte begreift das Soft Law in seiner Eigenschaft als nicht zwingendes Recht vor allem als politisches Instrument.[17]
Art. 288 AEUV unterscheidet einerseits zwischen Verordnungen, Richtlinien und Beschlüssen als verbindlich und andererseits Empfehlungen und Stellungnahmen als nicht verbindlich. Die beiden Letztgenannten zählen zusammen mit der Offenen Methode der Koordinierung (OMK) zur Handlungsform Soft Law. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs gehören trotz ihres Zustandekommens im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren auch die rechtlich unverbindlichen Leitlinien gem. Art. 172 AEUV dazu.[18][19] Das Europäische Parlament nennt außerdem die rechtsvorbereitenden Grün- und Weißbücher, die Schlussfolgerungen des Rates, Gemeinsame Erklärungen, Entschließungen, Verhaltenskodizes und Mitteilungen. Eine abschließende Aufzählung ist wegen der Vielfalt der politischen Handlungsmöglichkeiten nicht möglich. Gemeinsames Charakteristikum des Soft Law ist jedoch der darin zum Ausdruck kommende Wille, auf dem betreffenden Gebiet gemeinsam handeln zu wollen.[8] Matthias Knauff unterscheidet funktional die Kategorien des rechtsvorbereitenden, rechtsbegleitenden und rechtsersetzenden Soft Laws.[20]
Literatur
- Otto Kimminich, Stephan Hobe: Einführung in das Völkerrecht, 7. Aufl., Tübingen, 2000, S. 166 ff.
Weblinks
- Gunnar Theißen: Auch das gibt’s im Völkerrecht: "Softies und Zwanghafte" FU Berlin, 2000
- Rechtsakte und Soft Law - Soft Law Deutscher Naturschutzring, EU-Koordination, Brüsseler 1x1, abgerufen am 11. August 2016
- Jürgen Schwarze: Soft Law im Recht der Europäischen Union. In: EuR 2011, S. 3–18.
- Lawrence Solum: Legal Theory Lexicon: Soft Law. In: Legal Theory Blog. 3. Februar 2019.
Einzelnachweise
- ↑ Julia Richter: Soft Law als Brückenbauer zwischen Wirtschaft und dem Schutz der Gesundheit? Archiv des Völkerrechts, Band 52, Heft 4 (Dezember 2014), S. 545–565.
- ↑ Tilmann Altwicker: Völkerrecht und Rechtspositivismus: Eine Annäherung mit Kelsen und Hart. Zeitschrift für Rechtsphilosophie 2012, S. 46–61, S. 56 ff.
- ↑ Walther Burckhardt: Die Unvollkommenheit des Völkerrechts, 1923
- ↑ Kenneth W. Abbott, Duncan Snidal: Hard and Soft Law in International Governance. International Organization 2000, S. 421–456 (englisch).
- ↑ Gregory Shaffer, Mark A. Pollack: Hard vs. Soft Law: Alternatives, Complements and Antagonists in International Governance. Minnesota Law Review 2010, S. 706–799, S. 714 f. (englisch). Link zum Download.
- ↑ a b c Emanuel Grießer: „Soft Law“ in der Europäischen Union und Österreich. Univ.-Diss. Innsbruck 2016, S. 12 ff.
- ↑ Peters/Pagotto: Soft Law as a New Mode of Governance: A Legal Perspective, Februar 2006, S. 5.
- ↑ a b c d Matthias Rossi: Soft Law im Europarecht. Auswirkungen auf die vertikale und horizontale Kompetenzverteilung. ZG 2020, S. 1–21.
- ↑ Vgl. Rechtsfragen zu völkerrechtlichen Sanktionen. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Sachstand vom 8. Juli 2019.
- ↑ a b Katharina Reiling: Die Anwendung des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit auf rechtsunverbindliche internationale Standards. ZaöRV 2018, S. 311, 318.
- ↑ Barcelona Traction Fall, 5. Feb. 1970, ICJ Reports, S. 32
- ↑ Andreas R. Ziegler: Einführung in das Völkerrecht. Stämpfli Verlag AG, Bern 2006, S. 69
- ↑ Stefan Talmon: Und was haben sie vom Migrationspakt, Interview. In: Die Zeit (Hrsg.): Die Zeit. 6. Dezember 2018, S. 7.
- ↑ BVerfGE 116, 69 Rz. 63.
- ↑ Das Weißbuch „Europäisches Regieren“. Europäische Kommission, 2001.
- ↑ Eberhard Bohne: Kriterien und institutionelle Voraussetzungen des Bürokratieabbaus. Deutsches Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung, Speyer 2005, S. 6.
- ↑ EGMR, Urteil vom 26. Juni 2012 - Rs. 9300/07 Hermann ./. Deutschland Fn. 16.
- ↑ EuGH, Urteil vom 28. Juni 2005, Rs. C -189/02 P, C-202/02 P u. a., Dansk Rorindustri u.a./Kommission, Sig. 2005 1-5425, Rn. 211.
- ↑ EuGH, Urteil vom 6. April 2000, Rs. C-443/97, Spanien/Kommission, Sig. 20001-2415, Rn. 34.
- ↑ Matthias Knauff: Der Regelungsverbund: Recht und Soft Law im Mehrebenensystem. Mohr Siebeck, 2010, S. 378 ff.