Sigmund-Freud-Institut

Das Sigmund-Freud-Institut (SFI) ist ein Forschungsinstitut für Psychoanalyse und ihre Anwendungen in Frankfurt am Main. Es wurde 1960 als Institut und Ausbildungszentrum für Psychoanalyse und Psychosomatik gegründet und trägt seit 1964 den Namen des Begründers der Psychoanalyse Sigmund Freud. Es dient seit 1995 als Forschungseinrichtung und betreibt eine Ambulanz zur Versorgung von Patienten mit Beziehungskonflikten oder psychischen und psychosomatischen Leiden.

Ziele

Ziele des Sigmund-Freud-Instituts sind sowohl Forschung in den Bereichen Sozialpsychologie / Soziologie, Psychologie und Medizin / Psychosomatik als auch Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Die Forschung konzentriert sich auf die psychischen Auswirkungen des gesellschaftlichen Wandels, die Grundlagen der Psychoanalyse, Präventions- und Psychotherapieforschung sowie psychoanalytische und sozialpsychologische Analysen aktueller Entwicklungen.[1] Im Sigmund-Freud-Institut werden dazu zahlreiche psychoanalytische, klinisch oder sozialpsychologisch ausgerichtete, sowie transdisziplinäre Forschungsprojekte durchgeführt.[2]

Geschichte

Gedenktafel für Karl Landauer an der Fassade des Sigmund-Freud-Instituts

Von 1929 bis 1933 gab es bereits einmal eine psychoanalytische Forschungsgruppe in der Stadt, aus der das Frankfurter Psychoanalytische Institut[3] hervorging. Zu seinen Gründern und Mitarbeitern zählten Psychoanalytiker wie Karl Landauer,[4] Heinrich Meng,[5] Frieda Fromm-Reichmann, Erich Fromm und Siegmund Fuchs (der sich später S.H. Foulkes nannte). Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten wurde das Psychoanalytische Institut 1933 geschlossen,[6] alle fünf in ihm tätigen Analytiker emigrierten. Karl Landauer, der in die Niederlande geflohen war, wurde dort nach der deutschen Besetzung verhaftet. Er starb im Januar 1945 im KZ Bergen-Belsen an den Folgen der Lagerhaft.

Am 27. April 1960 wurde das Institut und Ausbildungszentrum für Psychoanalyse und Psychosomatik offiziell gegründet, unterstützt von den Sozialwissenschaftern Max Horkheimer und Theodor W. Adorno sowie dem hessischen Ministerpräsidenten Georg-August Zinn.[7] Anna Freud schrieb anlässlich der Eröffnung von einer „new psychoanalytic era in Germany“. Erster Direktor war Alexander Mitscherlich, der in einer neuartigen Weise die Untersuchung des Unbewussten mit der sozialpsychologischen Analyse von Gesellschaft verband. 1964 wurde das Institut in Sigmund-Freud-Institut umbenannt. Neben Forschung und psychotherapeutischer Versorgung war es Aufgabe dieser Einrichtung, Ärzte und Psychologen nach den Richtlinien der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung und der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung zu Psychoanalytikern auszubilden. Am 14. Oktober 1964 zog das Institut in die Myliusstraße 20 im Westend.

Nach Mitscherlichs Ausscheiden (1976) leiteten Clemens de Boor, Dieter Ohlmeier und Horst-Eberhard Richter, Marianne Leuzinger-Bohleber und Rolf Haubl das Institut. Im SFI forschten und lehrten u. a. Tobias Brocher, Hermann Argelander,[8] Alfred Lorenzer, Klaus Horn und Helmut Dahmer. Derzeitige geschäftsführende Direktoren sind Vera King und Patrick Meurs, Leiter der Ambulanz ist Heinz Weiß.

Forschungsinstitut seit 1995

Von 1959 bis 1994 bestand das Institut in der Rechtsform einer Landesbehörde, die dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst nachgeordnet war.[9] Seit 1995 ist das Sigmund-Freud-Institut in eine Stiftung öffentlichen Rechts umgewandelt, um sich in enger Zusammenarbeit mit der Frankfurter Goethe-Universität und der Universität Kassel ausschließlich der Forschung zu widmen. Mittelgeber der das SFI tragenden Stiftung ist das Land Hessen, Ziele des Instituts sind Forschung in den Bereichen Sozialpsychologie/Soziologie, Psychologie und Medizin/Psychosomatik sowie die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Die psychoanalytische Ausbildung erfolgt seitdem im Rahmen der eigenständigen Frankfurter psychoanalytischen (Ausbildungs-)Institute. Nach dem Neubezug der Myliusstraße 20 in Frankfurter Westend wurde überdies ein Psychoanalytisches Zentrum gegründet, das neben dem SFI rechtlich selbständige psychoanalytische Einrichtungen unter einem Dach vereint: das Frankfurter Psychoanalytischen Institut, das Institut für Analytische Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie in Hessen, den Frankfurter Arbeitskreis für Psychoanalytische Pädagogik und das Jüdische Psychotherapeutische Beratungszentrum Frankfurt am Main für Kinder, Jugendliche und Erwachsene.

Seit 2016 wird das Sigmund-Freud-Institut geleitet von Vera King[10] (Direktorin des Sigmund-Freud-Instituts im Rahmen einer Kooperationsprofessur für Soziologie und psychoanalytische Sozialpsychologie an der Goethe-Universität Frankfurt),[11] Patrick Meurs[12] (Direktor des Sigmund-Freud-Instituts im Rahmen einer Kooperationsprofessur für Psychoanalyse an der Universität Kassel) sowie Heinz Weiß[13] (Chefarzt am Robert-Bosch-Krankenhaus Stuttgart) als Leiter des medizinischen Schwerpunkts und der Ambulanz des Sigmund-Freud-Instituts.

Im Sigmund-Freud-Institut wurden und werden zahlreiche psychoanalytisch, klinisch oder sozialpsychologisch ausgerichtete sowie transdisziplinäre Forschungsprojekte initiiert und realisiert:zu psychischen Folgen gesellschaftlichen Wandels, aber auch zu Grundlagen der Psychoanalyse oder Präventions- und Psychotherapieforschung – zu psychoanalytischen und sozialpsychologischen Analysen der Gegenwart.

Forschung

Die Forschungsaktivitäten des Instituts können in fünf Forschungsgegenstände unterteilt werden. In allen laufenden Projekten versucht das SFI, die spezifische Tradition dieser Institution aufzugreifen und in die Arbeit eines zeitgenössischen psychoanalytischen Forschungsinstituts zu integrieren.

  • Sozialpsychologische Analyse der psychischen Auswirkungen des kulturellen Wandels (z. B. Digitalisierung)[14]
  • Psychische und psychosoziale Auswirkungen von Flucht und Migration[15]
  • Grundlagenforschung und Verbesserung der klinischen und theoretischen und allgemeinen konzeptuellen Forschung in der Psychoanalyse
  • Forschung zu Psychotherapie, Prävention, Beratung, Angebot und Bewertung
  • Generationenforschung, insbesondere Forschung über transgenerationale Traditionsprozesse von Traumata, die Auswirkungen des Nationalsozialismus, Gewalt und Extremismus

Literatur

  • Tomas Plänkers, Michael Laier, Hans-Heinrich Otto, Hans-Joachim Rothe, Helmut Siefert (Hrsg.): Psychoanalyse in Frankfurt am Main. Zerstörte Anfänge, Wiederannäherung, Entwicklungen. Edition diskord, Tübingen 1996, ISBN 3-89295-602-2.
  • Gunzelin Schmid Noerr, Psychoanalyse im Dienst des gesellschaftlichen Neubeginns. Wie Max Horkheimer und Theodor W. Adorno die Re-Institutionalisierung der Psychoanalyse im Nachkriegsdeutschland förderten, Luzifer & Amor, Heft 58 (29. Jg. 2016): Amerikanische Impulse für die westdeutsche Nachkriegspsychoanalyse [3]
  • Michael Laier: Das Frankfurter Psychoanalytische Institut. 1929–1933. Anfänge der Psychoanalyse in Frankfurt am Main. 2. Auflage. LIT-Verlag, Münster 1994, ISBN 3-89473-915-0. (Materialien aus dem Sigmund-Freud-Institut 9), (Zugleich: Frankfurt (Main), Univ., Diss., 1989).
  • Herbert Bareuther (Hrsg.): Forschen und Heilen. Auf dem Weg zu einer psychoanalytischen Hochschule. Beiträge aus Anlass des 25jährigen Bestehens des Sigmund-Freud-Instituts. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1989, ISBN 3-518-28298-0. (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 698).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Das SFI auf der offiziellen Website der Stadt Frankfurt Archivierte Kopie (Memento desOriginals vom 19. Dezember 2018 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.frankfurt.de
  2. The Measured Life – Productive and Counterproductive Consequences of Quantification in the Digitally Optimising Society Archivierte Kopie (Memento desOriginals vom 17. Dezember 2018 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.ipu-berlin.de
  3. Die Eröffnung des Frankfurter Psychoanalytischen Instituts 1929 (PDF) [1]
  4. Gedenktafel für Landauer in Frankfurt Archivierte Kopie (Memento desOriginals vom 27. September 2007 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.stadtgeschichte-ffm.de
  5. Heinrich Meng zum Gedächtnis [2]
  6. Geschichte des FPI [3]
  7. Psychoanalysis International, V1: A Guide to Psychoanalysis [4]
  8. Argelander am SFI, Frankfurt [5]
  9. Intellektuelle in der Bundesrepublik Deutschland: Verschiebungen im politischen Feld der 1960er und 1970er Jahre [6]
  10. Vera King’s Forschung auf Google Scholar [7]
  11. über schonungslose Selbstoffenbarung, Träume und destruktive Momente im Werk des österreichischen Künstlers Richard Gerstl [8]
  12. Interview zum Thema Integration: „Nicht allen Kindern tut das Sprachbad gut“ [9]
  13. Heinz Weiss Sigmund-Freud-Institut · Department of Psychosomatic Medicine, Robert-Bosch-Krankenhaus, Stuttgart [10]
  14. Vergessen - Warum wir nicht alles erinnern [11]
  15. Jung sein in Zeiten von Krieg und Vertreibung [12]

Auf dieser Seite verwendete Medien

FFM Karl-Landauer-Gedenktafel.jpg
(c) Frank Behnsen in der Wikipedia auf Deutsch, CC BY-SA 3.0
Gedenktafel für Karl Landauer (1887–1945, Psychoanalytiker) am Sigmund-Freud-Institut im Stadtteil Westend-Süd in Frankfurt am Main. Enthüllt am 29. Januar 1991. Tafel aus weißem Marmor, gestaltet von Christoph Krause.

Inschrift der Gedenktafel (Interpunktion hier teilweise ergänzt):

„Karl Landauer, Mitbegründer des ersten Frankfurter Psychoanalytischen Instituts 1929–1933. Geboren 12. Oktober 1887 in München, ums Leben gebracht im KZ Bergen-Belsen, 27. Januar 1945“