Schwarz-blaue Koalition

ÖVP
FPÖ

Als Schwarz-blaue Koalition oder auch Türkis-blaue Koalition bezeichnet man in Österreich eine Zusammenarbeit zwischen der Österreichischen Volkspartei (ÖVP, schwarz, seit 2017 auch türkis) und der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ, blau).

Bundesweit kam eine solche Koalition erstmals von Februar 2000 bis April 2005 durch die Bundesregierungen Schüssel I und Schüssel II zustande. Nach der Nationalratswahl 2017 bildeten ÖVP und FPÖ von Dezember 2017 bis Mai 2019 erneut eine Koalition (Bundesregierung Kurz I).

Auf Landesebene gibt es seit Oktober 2015 in Oberösterreich (Landesregierung Pühringer V, Landesregierung Stelzer I, Landesregierung Stelzer II) und seit März 2023 in Niederösterreich (Mikl-Leitner II) ein schwarz-blaues Arbeitsübereinkommen im Rahmen einer Proporzregierung. Am 24. Mai 2023 verkündete der Landeshauptmann von Salzburg Wilfried Haslauer die erfolgreiche Bildung einer schwarz-blauen Koalition (Landesregierung Haslauer jun. III) in Folge der Landtagswahl 2023.

In Deutschland ist der Begriff bisher nicht in gleicher Weise üblich, weil keine der etablierten Parteien mit der Farbe Blau in Verbindung gebracht wird und eine Koalition mit der Alternative für Deutschland, die die Farbe benutzt, bislang als ausgeschlossen gilt. Vereinzelt wurden historische Konstellationen rückblickend so bezeichnet, beispielsweise die Zusammenarbeit von katholischer Zentrumspartei mit evangelischen Konservativen im Württemberg der 1920er Jahre.[1][2]

Bundesebene

Anfang 2000er (Schüssel/Haider)

Nach der Nationalratswahl am 3. Oktober 1999 konnte der damalige sozialdemokratische Bundeskanzler Viktor Klima keine handlungsfähige Regierungskoalition bilden. Erstmals in der Geschichte Österreichs schlossen ÖVP und FPÖ eine Koalition. Sie hatten bei der Wahl gleich viele Mandate im Nationalrat erhalten; die FPÖ unter Jörg Haider hat etwa 400 Stimmen (0,01 %) mehr als die ÖVP erhalten. Gelegentlich sprach man daher auch von „Blau-Schwarz“. Die ÖVP stellte den Bundeskanzler und die Hälfte der Minister; die FPÖ erhielt das Amt des Vizekanzlers sowie wichtige Ministerämter wie das Finanz-, Sozial-, Justiz- und Landesverteidigungsministerium und Staatssekretäre. Nach der vorgezogenen Neuwahl am 24. November 2002, bei der die ÖVP erstmals seit 1966 wieder stärkste Partei wurde und die FPÖ massiv Stimmen verlor, wurde die Koalition zwischen ÖVP und FPÖ fortgesetzt; die FPÖ erhielt weniger Ministerposten und Staatssekretär-Posten.

Die von Wolfgang Schüssel geführte Schwarz-blaue Koalition (2000 bis 2006, Kabinette Schüssel I und ab 2003 II) war die erste dieser Art auf Bundesebene und beendete nach 13 Jahren die zuletzt in ihrer Arbeit blockierte Große Koalition zwischen ÖVP und SPÖ. Haider selbst gehörte dieser Regierung nicht an, sondern blieb Landeshauptmann in Kärnten. Seit der Parteispaltung der FPÖ am 4. April 2005 in FPÖ-alt und Haiders BZÖ sprach man von einer schwarz-orangen Koalition, weil die Parteifarbe des BZÖ, das die Koalitionsvereinbarung übernahm, Orange wurde.

Die Regierung führte zahlreiche Reformen durch, stieß aber in Österreich auf teilweise heftige Ablehnung. Sie wird jahrelang kontrovers diskutiert, während man auf bürgerlicher Seite die zahlreichen Reformagenden hervorhob und Schüssel als Wendekanzler bezeichnete. Auch die internationale Ablehnung war groß (siehe auch Sanktionen der EU-XIV gegen Österreich), die Figur Haider wurde im Ausland immer bedrohlicher gesehen als in Österreich selbst, wo er primär als Kärntner Regionalpolitiker in Erscheinung trat. Wie erst später bekannt wurde, gab es zahlreiche Korruptionsskandale, vor allem seitens der FPÖ-Regierungsmitglieder (Karl-Heinz Grassers Homepage-Affäre und Novomatic-Affäre, Auftragsvergaben durch Hubert Gorbach und die BUWOG-Affäre, die Terminal Tower- und die Tetron-Affäre, die Beschaffung der Eurofighter, sowie mehrere Telekom-Affären). Die Hypo-Alpe-Adria-Affäre (Abwicklung der Hausbank des Bundeslandes) gehört hingegen primär in den Dunstkreis der Haiderschen Landesregierung dieser Jahre.

Ende 2010

Der ÖVP-Spitzenkandidat Wilhelm Molterer lehnte vor der Nationalratswahl in Österreich 2008 Schwarz-Blau nicht explizit ab: eine Zusammenarbeit galt wegen großer Differenzen in Europathemen und sozialpolitischen Themen aber als schwierig. FPÖ-Kandidat Heinz-Christian Strache warf der Volkspartei mehrmals „soziale Eiskastenpolitik“ vor und machte keinen Hehl daraus, mit der SPÖ mehr Übereinstimmungen zu sehen.

Nach der Nationalratswahl 29. September 2013 schloss ÖVP-Obmann Michael Spindelegger trotz Uneinigkeiten mit der SPÖ erneut eine Große Koalition, weil die Mandatszahl von ÖVP und FPÖ keine Mehrheit sicherte und weil die ÖVP mit dem Team Stronach nicht koalieren wollte.

Logo der ÖVP (2017–2022)

Regierung Türkis-Blau I: 2017 Nach der Nationalratswahl 2017, aus der die ÖVP als stärkste Partei hervorgegangen war, nahm Sebastian Kurz Koalitionsverhandlungen mit der FPÖ auf. Die Bildung einer türkis-blauen Regierung (Wechsel der Parteifarbe auf Bundesebene) war bereits vor der Wahl für möglich gehalten worden. Am 15. Dezember verkündeten Kurz und Strache, dass sie sich auf ein Regierungsabkommen geeinigt hatten, die Bundesregierung Kurz I wurde am 18. Dezember 2017 ernannt.

Rücktritt Strache Am Freitag, 17. Mai 2019 wurde um 18 Uhr ein Video durch die Süddeutsche Zeitung und den Spiegel veröffentlicht, in welchem H.C. Strache zusammen mit seinen Vertrauten Johann Gudenus in einer Villa auf Ibiza zu sehen sind. Das Video stammt aus dem Jahr 2017 und wurde heimlich kurz vor der Nationalratswahl aufgenommen. Im Gespräch waren die beiden Genannten mit einer vermeintlichen Nichte eines russischen Oligarchen. Dieses Video schlug so hohe Wellen, dass der Vizekanzler H.C. Strache am darauffolgenden Tag sämtliche Ämter zurücklegte, einschließlich Vizekanzler und Parteiführung. Die Parteiführung übernahm Norbert Hofer. Johann Gudenus trat ebenfalls zurück.

Am 18. Mai 2019 gab Bundeskanzler Kurz bekannt, dass er den Innenminister Herbert Kickl entlassen werde, worauf alle FPÖ-Minister ihre Ämter niederlegten und somit die Koalition beendeten. Damit dauerte Türkis-Blau 2017–2019 weniger als eineinhalb Jahre.

Länderebene

Vorarlberg

Auf Länderebene gab es von 1974 bis 2009 eine schwarz-blaue Zusammenarbeit, obwohl die ÖVP immer eine absolute Mehrheit erreichte. Eine echte Koalition gab es allerdings nur zwischen 1999 und 2004. Vor der Landtagswahl in Vorarlberg 2009 schloss Landeshauptmann Herbert Sausgruber nach einer antisemitischen Aussage des FPÖ-Spitzenkandidaten Dieter Egger eine Fortführung der Kooperation aus[3]. In der folgenden Legislaturperiode regierte die ÖVP mit absoluter Mehrheit alleine, seit deren Verlust 2014 zusammen mit den Grünen.

Kärnten

In Kärnten bestand bis 2017 das Proporz-System. Zuvor kam es mehrmals zu einer Zusammenarbeit zwischen ÖVP und FPÖ. Nachdem die SPÖ 44 Jahre den Landeshauptmann gestellt hatte, wählten 1989 die Abgeordneten der Volkspartei Jörg Haider zum ersten FPÖ-Landeshauptmann. Zwei Jahre später wurde Haider wegen einer rechtsextremen Aussage per Misstrauensantrag abgewählt und mit SPÖ-Stimmen Christof Zernatto (ÖVP) gewählt. Erst 18 Jahre später kam es wieder zu einem schwarz-blauen Arbeitsübereinkommen. Als Wunschkoalition nannte 2009 der Spitzenkandidat der FPÖ Mario Canori eine Zusammenarbeit mit dem BZÖ und, falls diese beide Parteien keine Mehrheit besäßen, wäre eine zusätzliche Einbindung der ÖVP möglich. Nachdem die Freiheitlichen in Kärnten noch als Teil des BZÖ die Landtagswahl 2009 gewonnen hatten und Gerhard Dörfler mit den Stimmen von FPÖ und ÖVP zum Landeshauptmann gewählt wurde, spaltete sich die Landesgruppe vom BZÖ ab und begann eine Kooperation mit der Bundes-FPÖ.

Oberösterreich

Mit der Landesregierung Pühringer V wurde am 23. Oktober 2015 vom Oberösterreichischen Landtag erstmals eine Landesregierung mit einem schwarz-blauen Arbeitsübereinkommen im Rahmen einer Proporzregierung gewählt und angelobt.[4] Nach dem Abgang Pühringers im April 2017 wurde das Arbeitsübereinkommen innerhalb der Landesregierung Stelzer I fortgesetzt.

Salzburg

Vor der Landtagswahl 2023 schloss Landeshauptmann Wilfried Haslauer eine Koalition aus ÖVP und FPÖ aus. Nach der Wahl konnte Wilfried Haslauer seine "Dirndl-Koalition" nicht fortsetzen, da die NEOS nicht mehr im Landtag vertreten war. Mit den Grünen erreichte er allerdings auch keine Mehrheit. Stattdessen zog er eine "Allianz für Salzburg" aus ÖVP, FPÖ und SPÖ in Erwägung, was allerdings von der SPÖ abgelehnt wurde. Deshalb wurde die ÖVP-FPÖ Koalition ausgehandelt. Am 26. Mai 2023 wurde die neue Salzburger Landesregierung Haslauer jun. III der Öffentlichkeit vorgestellt. Am 14. Juni 2023 soll die neue Landesregierung vereidigt werden. Es ist die erste Schwarz-Blaue Regierung des Landes.

Literatur

  • Cathrin Pichler, Roman Berka, Hrsg.: TransAct. Transnational Activities in the Cultural Field. Interventionen zur Lage in Österreich. museum in progress, Edition Transfer bei Springer Wien New York 2010, ISBN 978-3-211-99800-7
  • Kulturrisse (Zeitschrift für radikaldemokratische Kulturpolitik): Die intellektuelle Konterrevolution, Ausgabe 00/2000, Wien 2000
  • Emmerich Tálos: Schwarz-Blau – eine Bilanz des „Neu-Regierens“, Wien 2006, ISBN 3-7000-0516-4

Einzelnachweise

  1. Peter Steinbach, Dieter Langewiesche: Der deutsche Südwesten: Regionale Traditionen und historische Identitäten (1800 - 2000). Hans-Georg Wehling zum 70. Geburtstag, Kohlhammer 2007, S. 71, online in Google Bücher
  2. Andreas Kost, Werner Relleck, Reinhold Weber: Parteien in den deutschen Ländern: Geschichte und Gegenwart, C.H.Beck 2010, S. 109f., online in Google Bücher
  3. Exiljuden-Sager: Sausgruber schließt Koalition mit FPÖ aus. In: DiePresse.com. 24. August 2009, abgerufen am 14. Januar 2018.
  4. Kurier: Männerbund regiert Oberösterreich. Artikel vom 21. Oktober 2015, abgerufen am 22. Oktober 2015.

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