Ruth Dreifuss

Ruth Dreifuss (2002)

Ruth Dreifuss (* 9. Januar 1940 in St. Gallen; heimatberechtigt in Endingen) ist eine Schweizer Politikerin (SP) und Alt-Bundesrätin. Sie wurde im Jahr 1993 in den Bundesrat und 1999 als erste Frau zur Bundespräsidentin der Schweiz gewählt.

Leben

Ruth Dreifuss fotografiert von Erling Mandelmann (1988)
(c) Bibliothek am Guisanplatz, Sammlung Rutishauser, CC BY-SA 4.0
Ruth Dreifuss und Christiane Brunner kurz vor der Wahl von Ruth Dreifuss in den Bundesrat

Ruth Dreifuss kam als zweites Kind des Ehepaares Sidney Dreifuss (1899–1956) und Jeanne Bicard (1905–1962) nach ihrem Bruder Hans Jakob (* 1936) zur Welt. Die Eltern hatten sich in St. Gallen auf einem Ball der jüdischen Gemeinde kennengelernt. Ihr Vater war ursprünglich in der Textilbranche tätig,[1]:S. 88 später arbeitete er im Kriegsernährungsamt, weswegen die Familie den Wohnsitz 1942 nach Bern verlegte. Mit Kriegsende wurde Sidney Dreifuss' Anstellung beim Bund überflüssig und im September 1945 stieg er in eine neue Branche ein: Er gründete ein Unternehmen für Import und Export von Früchten.[1]:S. 112 Die Familie zog nach Genf um, wo Ruth Dreifuss 1945 zum ersten Mal den Kindergarten besuchte, bis sie 1947 in der "École de Sécheron" eingeschult wurde. Anschliessend besuchte sie die erste Mädchensekundarklasse an der Rue Neckar, daraufhin schloss sie eine Handelsschule ab. Ihr Plan war es, eine Ausbildung zur Sozialarbeiterin zu absolvieren. Da sie mit 18 Jahren noch zu jung dafür war – die Genfer Ecole d' études sociales verlangte ein Minimalalter von 19 Jahren – beschloss sie, ein Jahr lang arbeiten zu gehen. Am 29. August 1958 nahm sie eine Tätigkeit als Hotelrezeptionistin im Kurhaus Cademario im Kanton Tessin auf.[1]:S. 179 Im Frühjahr 1959 kehrte sie nach Genf zurück und schrieb sich an der Sozialarbeiterschule ein. Daneben hörte sie an der Universität Genf Vorlesungen in den Fächern Psychiatrie und Philosophie, unter anderem bei Jeanne Hersch. Von 1961 bis 1964 war Ruth Dreifuss bei der Coop-Zeitung Coopération journalistisch tätig.[2] 1967 legte sie nach dem Besuch eines Abendgymnasiums die Maturitätsprüfung ab.[1]:S. 261

Anschliessend studierte Ruth Dreifuss Wirtschaftswissenschaften in Genf und schloss 1970 mit dem Lizenziat ab.[3] Von 1972 bis 1981[4] arbeitete sie als wissenschaftliche Adjunktin für die Direktion für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe (DEH) (heute: Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit, DEZA) tätig. 1981 wurde sie zur Zentralsekretärin des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds gewählt, wo sie bis zu ihrer Wahl in den Bundesrat wirkte.

1964[3] oder 1965 trat Dreifuss in die Sozialdemokratische Partei (SP) ein.[4] Von 1989 bis zu ihrer Wahl in den Bundesrat war sie Mitglied der Legislative der Stadt Bern des Berner Stadtrats. 1991 kandidierte sie für die Berner SP erfolglos für den Nationalrat.[3]

Sie engagierte sich von 2016 bis 2020 als Präsidentin bei der Global Commission on Drug Policy (Weltkommission für Drogenpolitik).[5] Dafür wurde sie 2019 mit dem Stockholm Prize in Criminology ausgezeichnet.[6]

Arbeit als Bundesrätin

Ruth Dreifuss, Bundespräsidentin 1999 mit ihren Kollegen
Ruth Dreifuss (2014)

Dreifuss wurde am 10. März 1993 als Nachfolgerin von René Felber (SP) in den Bundesrat gewählt. Ihrer Wahl ging die Nichtwahl der offiziellen Kandidatin Christiane Brunner und ein heftiger Frauenprotest gegen die Wahl von Francis Matthey voraus (siehe dazu auch Brunner-Effekt). Damals nahm der von der Vereinigten Bundesversammlung bereits zum Bundesrat gewählte Francis Matthey die Wahl nicht an. Ihm hätte sonst womöglich ein Parteiausschluss gedroht. Die Wahl von Dreifuss bedingte die Verlegung ihres gesetzlichen Wohnorts von Bern nach Genf, da die Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft damals noch die sogenannte Kantonsklausel enthielt, die zwei Bundesräte aus einem Kanton nicht zuliess.[3]

Dreifuss wurde Vorsteherin des Eidgenössischen Departement des Innern (EDI). Sie trug massgeblich zur Erarbeitung und Umsetzung des KVG bei, das per 1. Januar 1996 in Kraft gesetzt werden konnte.[7] Ebenso setzte sie mit der 10. AHV-Revision mit der Durchsetzung des Ehegattensplittings und den Erziehungsgutschriften entscheidende Akzente für die Gleichberechtigung der Frauen.[8] Sie setzte sich auch bereits während ihrer Amtszeit für einen bezahlten Mutterschaftsurlaub ein, jedoch fand eine entsprechende Vorlage erst zwei Jahre nach ihrem Rücktritt beim Schweizer Stimmvolk Anklang.[4] 1999 war sie Bundespräsidentin. Am 31. Dezember 2002 trat Ruth Dreifuss zurück. Als ihre Nachfolgerin wurde Micheline Calmy-Rey gewählt.

Ruth Dreifuss war nach Elisabeth Kopp die zweite Frau und die erste Person mit jüdischem Hintergrund, die in den Bundesrat gewählt wurde.[1]:S. 11 Sie war zudem die erste Frau, die das Amt der Bundespräsidentin innehatte. Sie war überdies das zweite Bundesratsmitglied der SP, das dem EDI vorstand, nach Bundesrat Hans-Peter Tschudi.

Auszeichnungen

Die Universität Haifa verlieh Ruth Dreifuss 1999 den Titel einer Ehrendoktorin. Die Hebräische Universität Jerusalem folgte ein Jahr später, die Universität Freiburg 2006,[3] die Universität Neuenburg und die Universität Bern 2022.[9][10]

Siehe auch

Dokumentation

Literatur

Weblinks

Commons: Ruth Dreifuss – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b c d e Isabella Fischli: Dreifuss ist unser Name. Eine Politikerin, eine Familie, ein Land. Pendo Verlag, Zürich 2003, ISBN 3-86612-006-0
  2. Ruth Dreifuss - Munzinger Biographie. Abgerufen am 27. März 2021.
  3. a b c d e Michaël Flaks: Ruth Dreifuss. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 23. November 2022, abgerufen am 3. Dezember 2022.
  4. a b c Geschichte der Sozialen Sicherheit-Dreifuss, Ruth. Abgerufen am 27. März 2021.
  5. The Global Commission on Drug Policy: Mission and History, abgerufen am 9. März 2021.
  6. The Stockholm Criminology Symposium: Winners of the Stockholm Prize in Criminology, abgerufen am 9. März 2021.
  7. https://www.parlament.ch/centers/documents/de/wa-br-ruth-dreifuss-amtszeit.pdf, abgerufen am 16. April 2020.
  8. http://pk-netz.ch/2016/03/08/ein-knick-nach-oben/
  9. Dies academicus 2022, docteur-e-s honoris causa. Université de Neuchâtel, abgerufen am 9. November 2022.
  10. Urs Wüthrich: War 1999 erste Bundespräsidentin: Uni Bern ehrt Ruth Dreifuss mit dem Doktortitel. In: derbund.ch. 3. Dezember 2022, abgerufen am 3. Dezember 2022.
VorgängerAmtNachfolgerin
René FelberMitglied im Schweizer Bundesrat
1993–2002
Micheline Calmy-Rey

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Ruth Dreifuss und Christiane Brunner (von links), Schweizer Politikerinnen (SP)
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Ruth Dreifuss, President of Switzerland (1999); Minister of Home Affairs (1993-2002) Chatham House, More Police or More Doctors? How to Best Tackle Illicit Drugs, 6 November 2014
Ruth Dreifuss.gif
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Ruth Dreifuss (1940–), member of the Swiss Federal Council
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Der Schweizer Bundesrat, 1999