Rolfing

Rolfing ist ein markenrechtlich geschützter Begriff für eine Methode der manuellen Körperarbeit, die ursprünglich als Strukturelle Integration bezeichnet wurde. Sie soll auf das Fasziennetz wirken und den Körper am Ideal der senkrechten Linie in der Schwerkraft ausrichten.[1]

Entwicklung und Theorie

Die Methode wurde in den 1950er Jahren von der amerikanischen Biochemikerin Ida Rolf (1896–1979) entwickelt und zunächst Strukturelle Integration genannt.[2] Heute gibt es mehrere Schulen, die auf dieser Arbeit aufbauen. Rolfing ist die Marke der Strukturellen Integration, die an Ida Rolfs ursprünglicher Schule, dem Rolf Institute in Boulder/USA und dessen Tochterinstituten, unterrichtet wird.[1]

Ida Rolf ging davon aus, dass der Körper umso weniger Energie für seine Aufrichtung benötige, je näher seine einzelnen Abschnitte sich am Ideal einer senkrechten Linie ausrichten.[1] Ihrer Ansicht nach spielt das Bindegewebe – insbesondere die Faszien – eine zentrale Rolle für die Körperhaltung. In ihrem Buch Rolfing and Physical Reality[3] schrieb sie dazu: “Fascia is the organ of posture. Nobody ever says this; all the talk is about muscles. Yet this is a very important concept, and because this is so important, we as Rolfers must understand both the anatomy and physiology, but especially the anatomy of fascia.” (deutsch: „Die Faszien sind das Organ der Körperhaltung. Niemand erwähnt dies jemals, alle sprechen nur über Muskeln. Dennoch ist dies ein sehr wichtiges Konzept, und weil es so wichtig ist, müssen wir als Rolfer Kenntnisse in Anatomie und Physiologie haben, jedoch insbesondere bezüglich der Anatomie der Faszien.[4]“)

Nach ihrer Theorie passt sich der Körper bei lang anhaltender Belastung im Alltag, oder als Folge von Unfällen und Verletzungen mit einer Veränderung der Faszien in Form einer Verstärkung an. Solche Verstärkungen und Verhärtungen können erworbene Fehlhaltungen fixieren und die Beweglichkeit einschränken.[1]

Ida Rolf sah in der von ihr entwickelten manuellen Behandlung der Faszien den Schlüssel für die nachhaltige Verbesserung der Körperhaltung.[1]

Anwendungsgebiete

Rolfing zielt nicht vorrangig auf die Behandlung medizinischer Probleme ab. Es ist ein Prozess, der den Körper in der Schwerkraft neu ausrichten soll. Zur Lösung von Verhärtungen und zum Ausgleich von Spannungen im Fasziennetz üben Rolfer einen langsamen Druck auf das Bindegewebe aus. Je nach Körperregion und Tiefenschicht werden dafür Fingerkuppen, Knöchel, Handflächen oder Ellbogen eingesetzt. Ergänzend werden auch Bewegungselemente, sensorische Faktoren der Wahrnehmung und Orientierung in der Schwerkraft, sowie psychosoziale Faktoren mit einbezogen.[1]

Das Verfahren wird häufig im Bereich der Gesundheitsvorsorge eingesetzt. Hier geht es vor allem um eine Optimierung der Körperhaltung und um freiere Beweglichkeit. Es kann behandelnd angewendet werden bei myofaszialen Dysfunktionen, chronischen Schmerzzuständen wie Rückenschmerzen, sowie bei Fehlhaltungen und strukturellen Veränderungen infolge von Verletzungen und Unfällen.[1]

Rolfing wird oft in einer Serie von zehn aufeinander aufbauenden Sitzungen in der Dauer von 50 bis 90 Minuten angeboten, die auf einen Zeitraum von durchschnittlich drei Monaten verteilt werden. Innerhalb jeder Sitzung analysiert der Rolfer die Körperhaltung und Struktur im Stehen und Gehen. Anschließend erfolgt die manuelle Behandlung auf der Liege, der sich auch Behandlungselemente im Sitzen, Stehen oder in der Bewegung anschließen können. Optimierung von Alltagspositionen und das Erarbeiten neuer, ökonomischer Bewegungsoptionen ergänzen die Sitzungen.[1]

Kontraindikationen

Gegenanzeigen sind unter anderem akute entzündliche Erkrankungen, Aneurysmen, akute Phlebitis und nicht komplett verheilte Wunden. Besondere Vorsicht ist geboten bei Osteoporose, Schwangerschaft, Krebserkrankungen, Arteriosklerose, psychischen Krankheiten und langfristiger Cortison-Einnahme.[1] Weitere Kontraindikationen sind knöcherne Ursachen eines Bewegungsdefizits, entzündliches Rheuma, degenerative Muskelerkrankungen und frische Traumata[5] sowie akute Bandscheibenvorfälle und schwere Herzerkrankungen.[6]

Ebenso kann es zu erheblichen Komplikationen mit Implantaten kommen. 1997 beschrieb Kerr den Fall einer Frau, der aufgrund eines Harnleiterverschlusses durch Nierensteine ein so genannter Stent in den ableitenden Harnwegen implantiert wurde, um deren Durchgängigkeit zu gewährleisten. Nachdem die Patientin sich einer Rolfing-Therapie unterzogen hatte, traten starke Schmerzen auf. Es stellte sich heraus, dass der Stent durch die Übungen verrutscht war.[7]

Kritik

Für die Wirksamkeit des Rolfings gibt es bisher nur wenige zuverlässige Daten. Eine klinische Studie mit chronischen Rückenschmerzpatienten ergab eine Verringerung in deren Alltagseinschränkungen. Weitere dem Rolfing zugesprochene Wirkungen sind bisher nur in Erfahrungsberichten oder kleineren klinischen Studien dokumentiert worden, die keine ausreichende Aussagekraft besitzen.[8]

Im August 2014 schrieb die AOK zu Rolfing: „Bisher ist die Methode den wissenschaftlichen Beweis schuldig geblieben, dass sie tatsächlich Haltungsschäden dauerhaft korrigieren kann oder sogar seelische Leiden zu lösen versteht. Unbewiesen ist auch die Hypothese, dass eine Verbesserung der Körperhaltung oder eine Veränderung der Spannungsverhältnisse im körperweiten Bindegewebs-Netzwerk zu einer Verbesserung körperlicher Beschwerden beiträgt.“[9]

Die Barmer GEK stellte fest: „Bei der Rolfing Behandlung handelt es sich um kein anerkanntes Heilmittel im Sinne der Heilmittelrichtlinie, welches im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung verordnet und durch zugelassene Physiotherapeuten zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden kann.“[10]

Kostenerstattung durch Krankenkassen

Auf Grund des fehlenden Wirknachweises werden die Kosten für Rolfingbehandlungen von den gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland und von den österreichischen Gebietskrankenkassen i. d. R. nicht übernommen:[11][9][10][12] Auch ist das Rolfing nicht im sogenannten Hufeland-Verzeichnis,[13] einer Liste anerkannter Naturheilverfahren, die von privaten Krankenversicherungen häufig als Grundlage verwendet wird, aufgeführt.[14] In Österreich erstatten einige private Zusatzversicherungen einen Teil der Behandlungskosten. In der Schweiz ist Rolfing eine anerkannte Körpertherapiemethode der Komplementärmedizin und als natürliches Heilverfahren registriert. Die Zusatzversicherungen der meisten Krankenkassen übernehmen einen großen Teil der Behandlungskosten.[15][16][17]

Literatur

  • Ida Rolf: Rolfing. 2. Auflage. Verlag Hugendubel, 1997, ISBN 3-88034-958-4.
  • Irmgard Oepen: Lexikon der Parawissenschaften: Astrologie, Esoterik, Okkultismus, Paramedizin, Parapsychologie kritisch betrachtet. LIT Verlag, Münster 1999, ISBN 3-8258-4277-0, S. 259.
  • Compendium der Complementärmedizin. Co’med Verlag, 2011, ISBN 978-3-934672-47-5, S. 234–240.
  • Hans Georg Brecklinghaus: Rolfing – Strukturelle Integration. 4. Auflage. Lebenshaus Verlag, 2008, ISBN 3-932803-07-8.
  • Robertino Bedenian: Massagen: Ein Überblick über westliche und östliche Massagetechniken: Alternative Heilmethoden, die Sie kennen sollten (Band II). CreateSpace Independent Publishing, 2013, ISBN 978-1-4895-7967-6

Weblinks

  • Website der European Rolfing Association

Einzelnachweise

  1. a b c d e f g h i vgl. Compendium der Complementärmedizin. Co’med Verlag, 2011, ISBN 978-3-934672-47-5, S. 234–240.
  2. Über Ida Rolf
  3. Ida Rolf: Rolfing and Physical Reality. Inner Traditions/Bear & Co, 1990, ISBN 0-89281-380-6, S. 123/124.
  4. deutsche Übersetzung von Theo Kirdorf und Hildegard Höhr: Rolfing im Überblick. Junfermann, 1993, ISBN 3-87387-107-6.
  5. berlinrolfing.de Pressestimmen, Zeitschrift Orthopädie und Rheuma, 3/2001
  6. diepresse.com
  7. H. D. Kerr: Ureteral stent displacement associated with deep massage. In: WMJ. 96, 1997, S. 57–58, PMID 9433179.
  8. Jacobson, Eric E. et al. “Structural Integration as an Adjunct to Outpatient Rehabilitation for Chronic Nonspecific Low Back Pain: A Randomized Pilot Clinical Trial.” Evidence-Based Complementary and Alternative Medicine, vol. 2015, Article ID 813418 (2015) doi:10.1155/2015/813418
  9. a b Infos der AOK zu Rolfing August 2014
  10. a b Barmer GEK
  11. Infos der AOK zu Rolfing 2009 (Memento vom 2. Oktober 2009 im Internet Archive)
  12. diepresse.com
  13. Hufelandverzeichnis anerkannter Naturheilmethoden
  14. pkv-private-krankenversicherung.net
  15. asca.ch
  16. visana.ch
  17. emr.ch