Raynaud-Syndrom

Rechte Hand mit ausgeprägtem Raynaud-Phänomen
Klassifikation nach ICD-10
I73.0Raynaud-Syndrom
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Charakteristisch für ein Raynaud-Syndrom oder den Morbus Raynaud ist das Raynaud-Phänomen (benannt nach Maurice Raynaud [ʁɛno]), ein anfallsweises symmetrisches Erblassen der Finger oder Zehen aufgrund von krampfartigen Verengungen der Blutgefäße (Vasospasmen). Unter Umständen kann die Vasokonstriktion auch andere Akren wie Nase oder Ohren betreffen. In den USA leiden nach Schätzungen der National Institutes of Health etwa 5 bis 10 Prozent der Bevölkerung am Raynaud-Syndrom. Frauen sind fünfmal häufiger betroffen als Männer. Bei stillenden Frauen können auch die Brustwarzen betroffen sein, während des Stillens verfärbt sich die jeweilige Brustwarze weiß.[1] Im Verlauf dieser funktionellen Gefäßstörung kann es zu einer Gangrän kommen (Raynaudsche Gangrän).[2]

Die Erkrankung ist benannt nach dem französischen Arzt Maurice Raynaud (1834–1881), der sie 1862 in seiner medizinischen Dissertation[3] erstmals ausführlicher beschrieb. Umgangssprachlich wird sie auch Weißfingerkrankheit oder Leichenfinger genannt, medizinische Bezeichnungen der Symptome sind Digitus mortuus (Totenfinger) oder Reilscher Finger (nach Johann Christian Reil).

Pathogenese

Die Pathogenese ist bislang nicht exakt geklärt. An der Genese der Erkrankung können unterschiedliche Faktoren beteiligt sein und verschiedene Reaktionsmuster auslösen. Normalerweise versucht der Körper im Falle einer Kälteexposition den Wärmeverlust zu minimieren, indem über die Aktivierung des autonomen Nervensystems mehr Blut von oberflächlichen Hautgefäßen in tiefere Körpervenen geleitet wird.

In vielen Fällen liegt dem Raynaud-Syndrom eine Fehlregulation durch den sympathischen Teil des autonomen Nervensystems zugrunde: über Alpha-Adrenorezeptoren wird eine übermäßige Gefäßverengung der Endarterien (Arteriolen) bewirkt. Durch den ausgelösten Gefäßspasmus wird der Blutfluss in den betroffenen Arealen sehr stark eingeschränkt. Meist lösen sich diese Spasmen wieder von selbst.

Vorder- und Rückseite derselben Hand zu Anfang eines einsetzenden Raynaud-Phänomens

Symptome

Das beim Raynaud-Syndrom zu beobachtende Phänomen verläuft in betroffenen Regionen meist dreiphasig:

  1. Ischämie – mit blasser Haut – durch anfallsartige Gefäßkrämpfe verengen sich die Arterien. Die Folge ist eine erhebliche Minderdurchblutung der Akren. Hält diese an, treten Gefühllosigkeit, Kältegefühl, Taubheitsgefühl, abnehmende Beweglichkeit und Schmerzen auf.
  2. Zyanose – blaufarbige Haut – durch Hypoxie. Die Venen weiten sich, in Reaktion auf die Minderversorgung des Gewebes. Dem angesammelten venösen Blut ist vom Gewebe mehr Sauerstoff entnommen als sonst, was sich in einer bläulichen Verfärbung zeigt.
  3. Hyperämie – mit geröteter Haut – reaktiv kommt es zu einer vermehrten Durchblutung mit Rötung und Schwellung, Kribbeln, Klopfen, Hitzegefühl und Schmerzen.

Die Ausprägung dieser drei Phasen kann von Fall zu Fall unterschiedlich sein. Der im typischen Fall auftretende Farbwechsel der Hautregion wird auch als Tricolore-Phänomen bezeichnet.

Bei lange anhaltender Minderversorgung der Region bzw. längerem Bestehen der Erkrankung können Sekundärschädigungen der Gefäßwände mit nachfolgender Nekrose und Gangrän auftreten.

Epidemiologie

In den USA wurde im Rahmen der Framingham-Studie die Häufigkeit bestimmt. Die Prävalenz des Raynaud-Phänomens betrug 9,6 % bei Frauen und 8,1 % bei Männern.[4] In Deutschland wird die Prävalenz auf 5,8 % geschätzt.[5] Das Syndrom ist im Norden häufiger als im Süden, in Gebirgsregionen häufiger als im Flachland. Es besteht eine familiäre Häufung.[6]

Formen

Primäres Raynaud-Syndrom

Von einem primären Raynaud-Syndrom – Synonyme sind Morbus Raynaud oder Raynaud-Krankheit – spricht man, wenn die Symptome ohne erkennbare Grunderkrankung auftreten. Oft wird ein Anfall durch Kälteexposition oder psychische Belastung ausgelöst.

Sekundäres Raynaud-Syndrom

Das sekundäre Raynaud-Syndrom (syn. Raynaud-Phänomen) tritt als Begleiterkrankung auf, z. B. bei

Diagnostik

Die akrale Oszillographie hilft mittels laser- bzw. lichtgesteuerter Impulse eine Minderdurchblutung zu objektivieren. In Zusammenhang mit einem Provokationstest, in dem der Patient einem Wärme- und/oder Kältebad ausgesetzt ist, können die Symptomatik und deren Ursache eingegrenzt werden. Im Falle eines sekundären Raynaud-Phänomens sind diagnostische Abklärungen der Grunderkrankung notwendig.

Während das primäre Raynaud-Phänomen in der Regel einen symmetrischen Befall beider Hände zeigt, tritt das sekundär bedingte Raynaud-Phänomen häufig nur einseitig auf.

Therapie

Im Normalfall ist das Raynaud-Syndrom harmlos. Abhilfe wird erreicht durch warmhaltende Kleidung, überhaupt Körperwärme, Warmhalten der Finger und Zehen, Bewegung und durchblutungsfördernde Massage. Außerdem haben sich sowohl körperliches als auch geistiges Training im Sinne einer Stresskontrolle bewährt.

Medikamentös wird eine Vasodilatation durch Alpha-Rezeptorenblocker oder Calciumantagonisten, wie z. B. Nifedipin, erreicht. Diese Behandlung ist auch bei stillenden Müttern, deren Brustwarzen betroffen sind, in den USA als effektiv getestet worden.[1] In den letzten Jahren wird auch zunehmend Prostaglandin E1 (Alprostadil) eingesetzt.

Sollte diese Therapie versagen oder in schweren Fällen nicht ausreichend sein, zieht man in Erwägung, den Sympathikus, der die betreffenden Extremitäten innerviert, zu durchtrennen (Sympathektomie). Hierbei werden das Ganglion stellatum und das zweite und dritte Thorakalganglion ausgeschaltet. Allerdings stört man dadurch die Schweißregulation und bewirkt eine lokale Hyperämie. Außerdem ist die Operation aufgrund der Lage des sympathischen Grenzstrangs seitlich der Wirbelkörper im Brustkorb nicht ohne Risiko.

Beim sekundären Raynaud-Syndrom kann in schweren Fällen durch spezielle Apherese eventuell die ursächliche Erkrankung, wie eine Autoimmunerkrankung, behandelt und die Durchblutung des Gewebes angeregt werden.

Ein neuerer Therapieversuch besteht in der Einnahme von Sildenafil, welches durch seine gefäßerweiternde Wirkung die Symptome lindert. Diese Therapieform befindet sich in Deutschland zurzeit in der klinischen Erprobung. Therapeutisch werden auch Prostacyclin und Prostacyclinanaloga, z. B. Iloprost (Handelsname Ilomedin), zur Behandlung des Raynaud-Syndroms eingesetzt.

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Jane E. Anderson, Nancy Held, Kara Wright: Raynaud’s Phenomenon of the Nipple: A Treatable Cause of Painful Breastfeeding. In: Pediatrics. Band 113, Nr. 4, April 2004, ISSN 0031-4005, S. e360–e364, PMID 15060268 (aappublications.org).
  2. Herbert Reindell, Helmut Klepzig: Krankheiten des Herzens und der Gefäße. In: Ludwig Heilmeyer (Hrsg.): Lehrbuch der Inneren Medizin. Springer-Verlag, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1955; 2. Auflage ebenda 1961, S. 450–598, hier: S. 590 f. (Morbus Raynaud).
  3. Maurice Raynaud: De l’Asphyxie Locale et de la Gangrène Symétrique des Extrémités. Thèse pour le doctorat en Médecine. L. Leclerc, Paris 1862.
  4. Frederick N Brand, Martin G Larson, William B Kannel, Jacqueline M McGuirk: The Occurrence of Raynaud's Phenomenon in a General Population: The Framingham Study. In: Vascular Medicine. Band 2, Nr. 4, November 1997, ISSN 1358-863X, S. 296–301, doi:10.1177/1358863X9700200404 (sagepub.com [abgerufen am 30. April 2021]).
  5. O Sander, M Schroeder, B Ostendorf , et al.: Capillary microscopy – a crosssectional study in the population. In: Arthritis & Rheumatology. Band 62, 2010, S. 671–672.
  6. Peter Klein-Weigel, Oliver Sander, Simone Reinhold, Jessica Nielitz, Julia Steindl: Raynaud‘s phenomenon—a vascular acrosyndrome that requires long-term care. In: Deutsches Aerzteblatt Online. 23. April 2021, ISSN 1866-0452, doi:10.3238/arztebl.m2021.0023 (aerzteblatt.de [abgerufen am 30. April 2021]).
  7. Marianne Brydøy u. a.: Observational Study of Prevalence of Long-term Raynaud-Like Phenomena and Neurological Side Effects in Testicular Cancer Survivors. In: J Natl Cancer Inst. Band 101, 2009, S. 1682–1695.

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Vorder- und Rückseite einer Hand zum selben Zeitpunkt des Auftretens eines Raynaud-Syndroms