Ratinger Hof

Der Ratinger Hof auf der Ratinger Straße in Düsseldorf 1978

Der Ratinger Hof war eine Künstlerkneipe[1] in den 1970er und frühen 1980er Jahren und Szenetreffpunkt der Undergroundkultur in Deutschland. Der Ratinger Hof wird häufig als Geburtsort des deutschen Punks angesehen.[2] Die Kneipe lag in der Düsseldorfer Altstadt auf der Ratinger Straße Nr. 10.

Lage und Bedeutung

Im Ratinger Hof, der bis Ende 1975 eine gemütlich eingerichtete Kneipe mit Sternchenhimmel an der Decke, teppichbedeckten Tischen und Musikbox war, trafen sich sowohl die Psychedeliker des Creamcheese, die Punkgesellschaft, als auch die Rocker und vereinzelte Mods des Düsseldorfer Raumes.[3] Von 1974 bis 1979 waren Carmen Knoebel (die Frau von Imi Knoebel) und Ingrid Kohlhöfer (die Frau von Christof Kohlhöfer) die Betreiber.

1976 erfuhr der Ratinger Hof durch den Künstler Imi Knoebel eine radikale formale Veränderung. Alle Wände wurden weiß gestrichen und grelle Neonbeleuchtung angeschafft. Dies sorgte dafür, dass sich das Stammpublikum veränderte. Rocker und so genannte Althippies zogen es vor, andere Lokale aufzusuchen. Im von der Szene nur Hof genannten Club fanden ständig Konzerte von bekannten Punkbands wie 999, Wire, XTC, Dexys Midnight Runners, Pere Ubu, S.Y.P.H., Mittagspause, Fehlfarben, Male, Charley’s Girls, Family 5, der West-Berliner Band DIN A Testbild, Minus Delta t, Die nachdenklichen Wehrpflichtigen und anderen statt. ZK, die Vorgängerband von Die Toten Hosen, spielten dort ihr erstes Konzert. Weitere wichtige Bands, die im Umfeld des Ratinger Hofs gegründet wurden, sind KFC, DAF – Deutsch-Amerikanische Freundschaft, Fred Banana Combo, Mania D und Östro 430.

Carmen Knoebel ermöglichte es Bands, im Bierkeller des Hofes auch tagsüber zu proben, was beispielsweise von der Band ZK mit Sänger Campino intensiv genutzt wurde und dazu führte, dass viele junge Musiker den Hof als ihre Heimat betrachteten und sich direkt nach der Schule dort am frühen Nachmittag trafen. Nachts erschienen Bands wie Kraftwerk, Neu, La Düsseldorf und standen an der Theke und stellten sich aus. Die damaligen Germanistikstudenten Hubert Winkels, heute Literaturkritiker, Peter Glaser und der 2005 verstorbene Dichter Thomas Kling trafen sich dort ebenso wie die frühen Düsseldorfer Punks zum Pogo. Die Musik dazu wurde zwischen 1979 und 1984 von Markus Oehlen, Jimmy Radant, Detlef Lamprecht, dem „dicken Reinhold“, Xaõ Seffcheque, Waldi (Waldemar Jaeger) und Ziggy P (Siegfried Abrolat) als DJs präsentiert. Im März 1981 berichtete das Magazin Stern über den Ratinger Hof und stellte ihn als Geheimtipp dar. Allerdings war da schon die sogenannte Neue Deutsche Welle losgetreten, eine massentaugliche Kopie der Musik und des Lebensstils, der 1976 im Hof startete.[4]

Kunsthistorische Relevanz

Im Ratinger Hof trafen sich viele Künstler, von denen einige in der ca. 300 Meter entfernten Kunstakademie Düsseldorf studierten oder unterrichteten, unter anderem Blinky Palermo, Imi Knoebel, Katharina Sieverding, Sigmar Polke, Thomas Ruff, Thomas Schütte, Axel Hütte, Trini Trimpop, Muscha, Christof Kohlhöfer, Klaus Mettig, A. R. Penck, Markus Oehlen, Jörg Immendorff und Joseph Beuys. Der Hof blieb bis zur Polizeistunde um ein Uhr morgens geöffnet, wobei das größte Gedränge, samt Ordnungskräften, sich häufig draußen auf der Ratinger Straße abspielte.[5] Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen zeigte 2010 die Ausstellung „Auswertung der Flugdaten, Kunst der 80er. Eine Düsseldorfer Perspektive“, die Arbeiten von heute international bekannten Künstlern präsentierte, die im Ratinger Hof Stammgast waren.[6] Der Titel der Ausstellung „Auswertung der Flugdaten“ stammt von Thomas Kling, einem Düsseldorfer Dichter, der in seinem Gedicht „RATINGER HOF, ZETTBEH (3)– o nacht! ich nahm schon flugbenzin..“[7] die nächtliche Atmosphäre im „Hof“ poetisch verdichtet.

Die Ratinger-Hof-Szene ist Thema eines Dokumentarfilmes von Reda El Scherif und Konstantin Koewius mit Peter Hein, Andi Meurer, Carmen Knoebel, Jonny Bauer, Kurt Dahlke, Jürgen Krause, Monique Maaßen, Armin Campari und Eva Maria Goessling u. a.[8] Auch ist die Szene im Ratinger Hof zentrales Thema in Jürgen Teipels Doku-Roman Verschwende Deine Jugend über Punk und New Wave in Deutschland. Vergleichbare Institutionen in Berlin waren das SO36 und der Dschungel. Nach Schließung des Hofs 1989 beherbergte das Gebäude zeitweise eine Technodisco, die von Rolf Maier-Bode geführt wurde. Erst seit 2003 wird wieder Rock im Ratinger Hof unter dem Namen Stone gespielt.

Seit November 2020 setzen sich die „Kulturbanausen e.G.“ für den kulturhistorisch relevanten Ort ein. In Form einer Genossenschaft arbeitet das Kollektiv daran, dort ein Soziokulturelles Zentrum zu etablieren.

Dokumentarfilm

Literatur

  • Sven-André Dreyer, Michael Wenzel, Thomas Stelzmann: Keine Atempause – Musik aus Düsseldorf, Droste, Düsseldorf 2018, 192 S., ISBN 978-3-7700-2067-6
  • Rüdiger Esch: Electri_City. Elektronische Musik aus Düsseldorf 1970–1986. Suhrkamp, Berlin 2014, ISBN 978-3-518-46464-9.
  • Theo Lücker: Die Düsseldorfer Altstadt Wie sie keiner kennt. I. Band Vom Ratinger Tor bis Kurze Straße. 2. Auflage. Verlag der Goethe-Buchhandlung, Düsseldorf 1985, ISBN 3-924331-06-5, S. 63 ff.
  • Stephan von Wiese (Vorw.): Brennpunkt 2. Die Siebziger Jahre, Entwürfe, Joseph Beuys zum 70. Geburtstag, 1970 1991, Kunstmuseum Düsseldorf im Ehrenhof, Düsseldorf 1991.
  • Xao Seffcheque: Watergate Düsseldorf – Business-Fick und Neue Musik. Geschichte des Düsseldorfer Punk und Wave. In: Walter Hartmann, Gregor Pott (Hrsg.): 6. Rock session. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1982, ISBN 3-499-17463-4.
  • Karl Böcker (Autor), Addi Hansen (Autor) Die Ratinger Straße: Geschichte und Geschichten der Kunst- und Kultmeile in der Düsseldorfer Altstadt Bachem Verlag April 2010, ISBN 978-3-7616-2373-2.
  • ar/gee Gleim: Guter Abzug. No Time Music Entertainment E.K, 1982.
  • Enno Stahl: Bolz, Hörisch, Kittler und Winkels tanzen im Ratinger Hof. Was körperlich-sportiv begann, setzt sich auf anderer Ebene fort: Diskurs-Pogo. In: Kultur & Gespenster. Heft 6, Winter 2008, S. 107–117.
  • Ralf Zeigermann (Hrsg.): Ratinger Hof – Fotos und Geschichten. Wiegner, Königswinter 2010, ISBN 978-3-931775-13-1.
  • Enno Stahl: Ratinger Hof – Thomas Kling und die Düsseldorfer Punkszene. In: Dirk Matejovski (Hrsg.): Pop in R(h)einkultur. Oberflächenästhetik und Alltagskultur in der Region.Klartext, Essen 2008, ISBN 978-3-837500-05-9, S. 205–226 (im Anhang Interviews mit Franz Bielmeier und Carmen Knoebel).

Einzelnachweise

  1. Stephan von Wiese (Vorw.): Brennpunkt 2. Die Siebziger Jahre, Entwürfe, Joseph Beuys zum 70. Geburtstag, 1970 1991, Kunstmuseum Düsseldorf im Ehrenhof, Düsseldorf 1991, S. 128
  2. Harald Hordych: Auf der Suche nach dem verlorenen Krach. In: Süddeutsche Zeitung Nr. 111, 14./15. Mai 2011, S. V2/
  3. Spiegel-online: Legendäres Drecksloch, abgefragt am 15. September 2010
  4. Samstag Nacht im Ratinger Hof, Stern-Magazin, 3/1981, Seite 40–58.
  5. Stephan von Wiese (Vorw.): Brennpunkt 2. Die Siebziger Jahre, Entwürfe, Joseph Beuys zum 70. Geburtstag, 1970 1991, S. 130
  6. Ausstellungsinformation. Abgefragt am 31. Mai 2015.
  7. Frieder von Ammon: Poetische Psychonautik: Thomas Klings Gedicht RATINGER HOF, ZETTBEH (3). In: parapluie, Nr. 23, Sommer 2006. Abgefragt am 31. Mai 2015.
  8. Wecken und geweckt werden. Abgerufen am 22. Mai 2018

Weblinks

Koordinaten: 51° 13′ 46,3″ N, 6° 46′ 30,9″ O

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1978-05-20 Duesseldorf Ratinger Hof.jpg
Autor/Urheber: Ralf Zeigermann, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Ratinger Hof in Düsseldorf, legendäre Punkrock Kneipe