Radionuklidtherapie von Knochenmetastasen

Die Radionuklidtherapie von Knochenmetastasen ist ein nuklearmedizinisches Verfahren zur palliativen Behandlung von Knochenmetastasen.

Beschreibung

Bei der Radionuklidtherapie von Knochenmetastasen werden dem Patienten Radiopharmaka injiziert. An Radionukliden kommen derzeit (Stand 2011) im Wesentlichen nur β-Strahler, wie 89Sr (als Chlorid),[1] 90Y (als Citrat),[2] 32P (als Natriumphosphat)[3], Samarium-153-EDTMP[4] (Ethylendiamin-tetra(methylenphosphonsäure); ein Phosphonat-Analogon zu Ethylendiamintetraessigsäure) und Rhenium-186-HEDP (Hydroxy-Ethylen-Diphosphonat) zur Anwendung. Diese Radiopharmaka haben eine hohe Knochenaffinität, das heißt, sie werden nach der Verabreichung (Applikation) schnell und in hohem Maße in die Knochen eingebaut. Bereiche mit hohem Knochenumsatz, wie Knochenmetastasen, nehmen diese β-Strahler in erhöhtem Maße auf. Die Gewebeschädigung ist deshalb im Bereich der Metastasen besonders hoch. Je nach Reichweite des beim Zerfall freigesetzten Elektrons werden auch einige Millimeter des umgebenden gesunden Gewebes geschädigt. Aufgrund ihrer chemischen Ähnlichkeit zum Calcium werden 89Strontium und 90Y als freie Ionen direkt in die Knochen eingebaut. Auch 32P wird als Phosphat direkt von den Knochen resorbiert. Bei den Radionukliden 153Sm und 186Re wird die Knochenaffinität durch die chemische Bindung an knochenaffine Bisphosphonate erreicht. Wie bei der Strahlentherapie werden durch die Radionuklidtherapie der Knochenumbau und Entzündungen im Bereich der Knochenmetastasen gehemmt. In mehreren Studien konnte die Effektivität der Radionuklidtherapie für Knochenmetastasen bei Brustkrebs und Prostatakarzinom nachgewiesen werden. Die Ansprechrate liegt bei etwa 70 % der behandelten Patienten. Eine vollständige Schmerzfreiheit erzielt man bei etwa 30 % der Patienten. Die Schmerzlinderung setzt etwa 48 Stunden nach der Behandlung mit 186Re und 153Sm ein und hält zwischen einem und zwölf Monaten an.[5] In den ersten zwei bis vier Tagen kommt es bei etwa 10[3] bis 30 %[6] der Patienten zu einer durchschnittlich drei Tage andauernden Anfangsverschlimmerung der Schmerzen (engl. pain flare).[6]

Zur Therapie von Knochenmetastasen des Schilddrüsenkarzinoms kann Iod-131 (Radioiodtherapie) verwendet werden.[7] Die Knochenmetastasen können dabei zuvor mit Hilfe des diagnostischen Radionuklids Iod-123 nachgewiesen und die potenzielle Radioiodaufnahme für die Therapie überprüft werden.[8] Die Heilungschancen sind bei Schilddrüsenkarzinomen auch nach der Metastasierung in die Knochen – im Gegensatz zu den meisten anderen Tumoren – relativ hoch.[9] Die 5-Jahres- beziehungsweise 10-Jahres-Überlebensrate lag in einer Studie aus dem Jahr 2001 bei 41 beziehungsweise 15 %.[10]

Die Reichweite der β-Strahlung liegt – abhängig vom verwendeten Radionuklid – im Bereich von mehreren Millimetern. Dadurch kann das die Knochenmetastasen umgebende gesunde Knochenmark in Mitleidenschaft gezogen werden. Die Myelotoxizität, das heißt die Schädigung blutzellbildender Stammzellen des Knochenmarks limitiert sowohl die anwendbare Aktivität als auch die Anzahl der Therapiezyklen.[11] Die Funktion der Blutbildung im roten Knochenmark wird bei den üblichen Aktivitäten an Radionukliden zur Behandlung von Knochenmetastasen auf etwa ein Drittel der Ausgangswerte gesenkt. Dieser Effekt lässt nach etwa zwei Monaten wieder nach. Patienten mit einer Anämie oder einer Leukopenie sind deshalb von einer Radionuklidtherapie normalerweise ausgeschlossen.[12]

Die radiobiologische Wirksamkeit (radiobiological effectiveness, RBE) der β-Strahlung ist relativ niedrig. Im Gegensatz dazu haben α-Strahler einen wesentlich höheren Energieeintrag und dadurch eine deutlich höhere radiobiologische Wirksamkeit. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer hohen linearen Energieübertragung (engl. high-LET, high linear energy transfer).[13] β-Strahler haben eine niedrige lineare Energieübertragung (engl. low-LET). Der low-LET führt in der DNA der Tumorzellen nur vereinzelt zu Strangbrüchen, während beim high-LET irreparable Doppelstrangbrüche in der DNA ausgelöst werden. Die Reparaturmechanismen der Zelle sind mit den Einwirkungen von α-Strahlern weitgehend überfordert.[14] Die Dosis-Wirkungs-Beziehung verläuft bei High-LET-Strahlenquellen nahezu linear, während sie bei Low-LET-Strahlern linear-quadratisch ist.[15] Vorteilhaft ist außerdem die mit weniger als 100 µm geringe Reichweite der α-Teilchen im Körpergewebe. Die Abhängigkeit der Wirksamkeit einer Radionuklidtherapie vom Zellzyklus (G0) ist durch die schweren Schäden, die die α-Strahlung in den Zellen anrichtet, deutlich geringer als bei den β-Strahlern.[16][17]

Mit 223Ra-Chlorid (Alpharadin, Handelsname Xofigo) ist ein α-Strahler zur Behandlung von symptomatischen Knochenmetastasen kastrationsresistenter Prostatakarzinome zugelassen.[18] Das 223Ra soll ebenfalls gezielt die Knochenmetastasen schädigen und – aufgrund der sehr geringen Reichweite der α-Strahlung – das umgebende Gewebe weitgehend schonen.[19][20] In der klinischen Phase II betrug die mittlere Überlebenszeit der Patienten, die Radium-223 erhielten, 65,3 Wochen, während sie bei den Patienten, denen ein Placebo verabreicht wurde, bei 46,4 Wochen lag.[21][22] Radium wird wegen seiner Ähnlichkeit zum Calcium vom Körper bevorzugt in die Knochen eingebaut. Knochenaufbauende Metastasen reichern wegen ihres hohen Mineralbedarfes das Radium in verstärktem Maß an.[23][17][24]

Einzelnachweise

  1. R. G. Robinson, D. F. Preston, M. Schiefelbein, K. G. Baxter: Strontium 89 therapy for the palliation of pain due to osseous metastases. In: JAMA Band 274, Nummer 5, August 1995, S. 420–424, ISSN 0098-7484. PMID 7542352. (Review).
  2. S. K. Shukla, G. S. Limouris, R. Cusumano, A. Acconcia, C. Cipriani, G. Atzei, G. Argirò, S. Boemi: Advanced prostate cancer diagnosis and therapy with gallium-67 and yttrium-90, respectively. In: Anticancer Research Band 17, Nummer 3B, 1997 May-Jun, S. 1731–1734, ISSN 0250-7005. PMID 9179226.
  3. a b E. B. Silberstein: Teletherapy and radiopharmaceutical therapy of painful bone metastases. In: Seminars in nuclear medicine Band 35, Nummer 2, April 2005, S. 152–158, ISSN 0001-2998. doi:10.1053/j.semnuclmed.2004.11.006. PMID 15765378. (Review).
  4. M. Farhanghi, R. A. Holmes, W. A. Volkert, K. W. Logan, A. Singh: Samarium-153-EDTMP: pharmacokinetic, toxicity and pain response using an escalating dose schedule in treatment of metastatic bone cancer. In: Journal of nuclear medicine Band 33, Nummer 8, August 1992, S. 1451–1458, ISSN 0161-5505. PMID 1378887.
  5. Palliative Schmerztherapie von Skelettmetastasen. (Memento vom 30. Mai 2010 im Internet Archive) Universitätsklinikum Ulm, abgerufen am 25. Februar 2011
  6. a b D. A. Loblaw, J. S. Wu, P. Kirkbride, T. Panzarella, K. Smith, J. Aslanidis, P. Warde: Pain flare in patients with bone metastases after palliative radiotherapy–a nested randomized control trial. In: Supportive care in cancer Band 15, Nummer 4, April 2007, S. 451–455, ISSN 0941-4355. doi:10.1007/s00520-006-0166-y. PMID 17093912.
  7. J. C. Sisson, Y. K. Dewaraja, E. J. Wizauer, T. J. Giordano, A. M. Avram: Thyroid carcinoma metastasis to skull with infringement of brain: treatment with radioiodine. In: Thyroid Band 19, Nummer 3, März 2009, S. 297–303, ISSN 1557-9077. doi:10.1089/thy.2008.0426. PMID 19207003. PMC 2727798 (freier Volltext).
  8. S. Iwano, K. Kato, T. Nihashi, S. Ito, Y. Tachi, S. Naganawa: Comparisons of I-123 diagnostic and I-131 post-treatment scans for detecting residual thyroid tissue and metastases of differentiated thyroid cancer. In: Annals of nuclear medicine Band 23, Nummer 9, November 2009, S. 777–782, ISSN 1864-6433. doi:10.1007/s12149-009-0303-z. PMID 19787312.
  9. C. Durante, N. Haddy, E. Baudin, S. Leboulleux, D. Hartl, J. P. Travagli, B. Caillou, M. Ricard, J. D. Lumbroso, F. De Vathaire, M. Schlumberger: Long-term outcome of 444 patients with distant metastases from papillary and follicular thyroid carcinoma: benefits and limits of radioiodine therapy. In: The Journal of clinical endocrinology and metabolism Band 91, Nummer 8, August 2006, S. 2892–2899, ISSN 0021-972X. doi:10.1210/jc.2005-2838. PMID 16684830.
  10. M. O. Bernier, L. Leenhardt, C. Hoang, A. Aurengo, J. Y. Mary, F. Menegaux, E. Enkaoua, G. Turpin, J. Chiras, G. Saillant, G. Hejblum: Survival and therapeutic modalities in patients with bone metastases of differentiated thyroid carcinomas. In: The Journal of clinical endocrinology and metabolism Band 86, Nummer 4, April 2001, S. 1568–1573, ISSN 0021-972X. PMID 11297585.
  11. A. N. Serafini: Current status of systemic intravenous radiopharmaceuticals for the treatment of painful metastatic bone disease. In: International journal of radiation oncology, biology, physics Band 30, Nummer 5, Dezember 1994, S. 1187–1194, ISSN 0360-3016. PMID 7525518. (Review).
  12. P. Köhler: Strahlentherapie von Knochenmetastasen. (Memento vom 31. März 2010 im Internet Archive) (PDF; 606 kB) In: radiologen-konstanz.de 4, 2005
  13. E. J. Hall: Radiology for the radiologist. Ausgabe 5, J. B. Lippincott Williams & Wilkins, 2000, S. 112–123. ISBN 0-7817-2649-2
  14. M. A. Ritter, J. E. Cleaver, C. A. Tobias: High-LET radiations induce a large proportion of non-rejoining DNA breaks. In: Nature Band 266, Nummer 5603, April 1977, S. 653–655, ISSN 0028-0836. PMID 859634.
  15. W. Hiddemann, C. R. Bartram: Die Onkologie. Verlag Springer, 2009, ISBN 3-540-79724-6, S. 246. ISBN eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
  16. H. R. Withers, K. Mason, B. O. Reid, N. Dubravsky, H. T. Barkley, B. W. Brown, J. B. Smathers: Response of mouse intestine to neutrons and gamma rays in relation to dose fractionation and division cycle. In: Cancer Band 34, Nummer 1, Juli 1974, S. 39–47, ISSN 0008-543X. PMID 4834165.
  17. a b S. Nilsson, R. H. Larsen, S. D. Fosså, L. Balteskard, K. W. Borch, J. E. Westlin, G. Salberg, O. S. Bruland: First clinical experience with alpha-emitting radium-223 in the treatment of skeletal metastases. In: Clinical Cancer Research Band 11, Nummer 12, Juni 2005, S. 4451–4459, ISSN 1078-0432. doi:10.1158/1078-0432.CCR-04-2244. PMID 15958630.
  18. Europäische Arzneimittel-Agentur: Xofigo. Radium-223-Dichlorid (PDF; 75 kB). EMA/579264/2013, EMEA/H/C/002653, 13. November 2013.
  19. Bayer und Algeta entwickeln gemeinsam Behandlung für Krebspatienten mit Knochenmetastasen. Bayer AG, 7. September 2009, abgerufen am 25. März 2021.
  20. clinicaltrials.gov: A Phase III Study of Alpharadin (Radium-223) in Patients With Symptomatic Hormone Refractory Prostate Cancer With Skeletal Metastases (ALSYMPCA). Stand vom 6. Januar 2011, abgerufen am 25. Februar 2011
  21. S. Nilsson, L. Franzén, C. Parker, C. Tyrrell, R. Blom, J. Tennvall, B. Lennernäs, U. Petersson, D. C. Johannessen, M. Sokal, K. Pigott, J. Yachnin, M. Garkavij, P. Strang, J. Harmenberg, B. Bolstad, O. S. Bruland: Bone-targeted radium-223 in symptomatic, hormone-refractory prostate cancer: a randomised, multicentre, placebo-controlled phase II study. In: The Lancet Oncology Band 8, Nummer 7, Juli 2007, S. 587–594, ISSN 1470-2045. doi:10.1016/S1470-2045(07)70147-X. PMID 17544845.
  22. R. L. Carter: Patterns and mechanisms of bone metastases. In: Journal of the Royal Society of Medicine Band 78 Suppl 9, 1985, S. 2–6, ISSN 0141-0768. PMID 4045915. PMC 1289525 (freier Volltext).
  23. M. D. Shelley, M. D. Mason: Radium-223 for men with hormone-refractory prostate cancer and bone metastases. In: The lancet oncology Band 8, Nummer 7, Juli 2007, S. 564–565, ISSN 1470-2045. doi:10.1016/S1470-2045(07)70180-8. PMID 17613416.
  24. Ø. Bruland, S. Nilsson, D. R. Fisher, R. H. Larsen: High-linear energy transfer irradiation targeted to skeletal metastases by the alpha-emitter 223Ra: adjuvant or alternative to conventional modalities? In: Clinical cancer research Band 12, Nummer 20 Pt 2, Oktober 2006, S. 6250s–6257s, ISSN 1078-0432. doi:10.1158/1078-0432.CCR-06-0841. PMID 17062709.