Psychologisches Institut der Universität Zürich

Das Psychologische Institut der Universität Zürich geht zurück auf eine Laborgründung im Jahre 1897 und gehört daher neben den Instituten in Berlin, Bonn, Freiburg, Göttingen, Graz, Innsbruck, Kiel, Leipzig, München und Würzburg zu den ältesten Orten psychologischer Forschung.[1] Die Psychologie entstand als Erfahrungswissenschaft, die an Universitäten betrieben wird, mit der Eröffnung der ersten psychologischen Laboratorien 1875 durch William James an der Harvard University[2] und 1879 durch Wilhelm Wundt in Leipzig.

Geschichte

Ernst Meumann

Vor seiner Berufung nach Leipzig forschte und lehrte Wilhelm Wundt als Professor für induktive Philosophie für zwei Semester an der Universität Zürich. Ihm folgte Wilhelm Windelband, der ebenfalls nur zwei Semester in Zürich blieb. Sein Nachfolger, Richard Avenarius, gerade bei Wundt in Leipzig habilitiert und vermutlich auf Wundts Empfehlung nach Zürich berufen, setzte die psychologische Interpretation des Philosophie-Lehrstuhls fort.[3]

Gründung 1897

Die Gründung des Psychologischen Instituts der Universität Zürich kann auf das Jahr 1897 datiert werden, in dem Ernst Meumann als Nachfolger von Avenarius sein Psychologisches Labor eröffnete, das ihm im Rahmen seiner Berufungsverhandlungen zugesagt worden war.

Apparate zur Reaktionszeitmessung aus dem Archiv des Psychologischen Instituts der Universität Zürich

Meumann verschmolz die empirisch-psychologischen Methoden mit erziehungswissenschaftlichen Problemen zur Experimentellen Pädagogik und bot regelmässig experimentalpsychologische Kurse an. In der Folge stieg das studentische Interesse an Psychologie (obwohl seine Lehrveranstaltungen teilweise um 5 Uhr morgens begannen[4]). Die Hörerzahlen stiegen von 30 in den 1890er Jahren auf über 87 im Sommersemester 1905.[1] Die Schaffung eines zweiten auf Psychologie ausgerichteten Philosophie-Lehrstuhls zog mit Gustav Störring einen weiteren Wundt-Schüler nach Zürich. Nach dem Weggang Meumanns nach Königsberg wurde – gegen die Empfehlung Wundts, der seinen Schüler Gottlob Friedrich Lipps ins Spiel bringen wollte – Friedrich Schumann berufen, der später zu den Gründern der Gestaltpsychologie gerechnet wird. Lipps kam wenig später als Nachfolger von Störring doch noch nach Zürich und sollte für 20 Jahre das Psychologische Institut prägen. Unterstützt wurde er dabei von den beiden angewandten Psychologen Arthur Wreschner (zunächst Assistent von Meumann, später Extraordinarius) und Julius Suter (später Gründer des Psychotechnischen Instituts in Zürich, heute das Institut für Angewandte Psychologie).

Nach dem Tod von Lipps 1931 sorgte die antipositivistische Stimmung an der Philosophischen Fakultät dafür, dass sein Lehrstuhl mit dem rein geisteswissenschaftlich arbeitenden Eberhard Grisebach aus Jena wiederbesetzt wurde, das psychologische Labor wurde aufgegeben und Psychologie als Prüfungsfach gestrichen.[5] Eine Gruppe von Studierenden ersuchte den Erziehungsrat, wieder einen psychologischen Lehrstuhl zu schaffen und Psychologie als Hauptfach anzubieten, was zunächst nicht von Erfolg gekrönt war.[1] Allerdings wurde 1938 der Privatdozent Suter, in dessen Wirken die Anfänge der Arbeitspsychologie in Zürich gesehen werden können,[6] auf ein Extraordinariat berufen.

Wiederaufbau ab 1947

Mit der Berufung von Wilhelm Keller (von Habermas als einer seiner Lehrer bezeichnet[7]) setzte ein Wiederaufschwung der Psychologie an der Philosophischen Fakultät ein. Obwohl er selbst eher philosophisch arbeitete, trug er als Direktor mit zum Ausbau des Psychologischen Instituts bei.[1] Er wirkte darauf ein, dass im Herbstsemester 1948 Psychologie erstmals als Hauptfach gelehrt wurde.[5] Bereits 1975 studierten 750 Studierende im Hauptfach und 220 im Nebenfach. Bei der Besetzung vier weiterer Lehrstühle wurde darauf geachtet, dass sowohl die empirische (Hans Biäsch, Ulrich Moser, Gerhard Schmidtchen) als auch die theoretische Psychologie (Detlev von Uslar) bedient wurde.

Bis Ende des Jahrhunderts werden neben Wiederbesetzungen auch neue Lehrstühle geschaffen (Etablierung der Psychologischen Methodenlehre und je ein zusätzliches Ordinariat in der klinischen und in der Sozialpsychologie). Die auf den zweiten klinischen Lehrstuhl berufene Inge Strauch war nicht nur die erste Professorin am Psychologischen Institut, sondern die erste Frau überhaupt, die an der Philosophischen Fakultät ein Ordinariat innehatte. Nach ihr wurde 2018 eine Gastprofessur benannt.[8]

Wachstum ab 2002

Entwicklung der Lizenziats- und Master-Abschlüsse am Psychologischen Institut der Universität Zürich 1990–2020

Um die Jahrtausendwende wird die Psychologie in den Jahresberichten der Universität Zürich wiederholt als "traditionelles Engpassfach" erwähnt[9], womit das numerische Betreuungsverhältnis von Studierenden zu Dozierenden gemeint ist, dass sich aufgrund der hohen studentischen Nachfrage des Fachs Psychologie zusehends verschlechtert. Folgerichtig werden ab 2002 gleich acht neue Ordinariate besetzt. Seit 2006 sind alle Lehrstühle in einem gemeinsamen Gebäude in Zürich-Oerlikon (Binzmühlestrasse 14) auf dem Campus Oerlikon untergebracht.

Jubiläum 2022

Im Jahr 2022 feierte das Psychologische Institut sein 125-jähriges Jubiläum[10]. Im Zuge der Vorbereitungen auf das Jubiläum wurden die sterblichen Überreste von Richard Avenarius auf dem Friedhof Sihlfeld feierlich wiederbeigesetzt, nachdem sie seit 1925 an der Universität Zürich aufbewahrt worden waren, zunächst in der Säule mit der Büste von Avenarius vor der Aula und danach im Universitätsarchiv[11].

Professoren und Professorinnen seit Gründung des Instituts
NameProfessurNachfolger vonBeginnEnde
Ernst MeumannInduktive PhilosophieRichard Avenarius18971905
Gustav StörringGeschichte der Philosophie19021911
Arthur WreschnerPhysiologische Psychologie19101932
Friedrich SchumannInduktive PhilosophieErnst Meumann19051910
Gottlob Friedrich LippsSystematische Philosophie, allgemeine Pädagogik und experimentelle PsychologieGustav Störring19111931
Eberhard GrisebachSystematische Philosophie, allgemeine Pädagogik und experimentelle PsychologieGottlob Friedrich Lipps19311945
Julius SuterSystematische Psychologie19381952
Friedrich 'Wilhelm' KellerSystematische Philosophie und PsychologieEberhard Grisebach19471974
Hans BiäschPraktische Psychologie19581971
Ulrich MoserAngewandte (später: Klinische) Psychologie19621990
Detlev von UslarAllgemeine theoretische Psychologie19671993
Gerhard SchmidtchenSozialpsychologie19681990
François StollAngewandte PsychologieHans Biäsch19732004
Norbert BischofAllgemeine PsychologieWilhelm Keller19751997
Inge StrauchKlinische Psychologie19761999
Heinz Stefan HerzkaPsychopathologie des Kindes- und Jugendalters (Psychiatrie)19772001
Christian ScharfetterPsychopathologie des Erwachsenalters (Psychiatrie)19781999
René HirsigPsychologische Methodenlehre19852009
Brigitte BootheKlinische PsychologieUlrich Moser19902013
Heinz GutscherSozialpsychologieGerhard Schmidtchen19902012
Rainer HornungSozial- und Gesundheitspsychologie19922013
Urs SchallbergerAngewandte Psychologie und Persönlichkeitsforschung19922006
Wolfgang MarxAllgemeine PsychologieDetlev von Uslar19942008
Friedrich WilkeningAllgemeine PsychologieNorbert Bischof19972012
Ulrike EhlertKlinische Psychologie und PsychotherapieInge Strauch1999
Willibald RuchPersönlichkeitspsychologie und Diagnostik20022021
Lutz JänckeNeuropsychologie20022022
Mike MartinGerontopsychologie und Gerontologie2002
Veronika Brandstätter-MorawietzAllgemeine Psychologie: Motivation2003
Martin KleinmannArbeits- und Organisationspsychologie2003
Klaus JonasSozial- und Wirtschaftspsychologie20032022
Alexandra M. FreundEntwicklungspsychologie: ErwachsenenalterFrançois Stoll2004
Andreas MaerckerPsychopathologie und klinische InterventionChristian Scharfetter2005
Guy BodenmannKlinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien2008
Klaus OberauerAllgemeine Psychologie: KognitionWolfgang Marx2008
Carolin StroblPsychologische Methodenlehre, Evaluation und StatistikRené Hirsig2011
Moritz DaumEntwicklungspsychologieFriedrich Wilkening2012
Johannes UllrichSozialpsychologieHeinz Gutscher2013
Birgit WatzkeKlinische Psychologie mit Schwerpunkt PsychotherapieforschungBrigitte Boothe2013
Urte ScholzAngewandte Sozial- und GesundheitspsychologieRainer Hornung2013
Markus LandoltGesundheitspsychologie des Kindes- und Jugendalters (Kinderspital)2014
Birgit KleimExperimentelle Psychopathologie und Psychotherapie (Psychiatrie)2016
Nicolas LangerMethoden der Plastizitätsforschung2016
Lilly ShanahanKlinische Entwicklungspsychologie (Jacobs Center)2016
Nora Maria RaschlePsychologie der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen (Jacobs Center)2019
Holger BrandtQuantitative Methoden der Intervention und Evaluation20192021
Wiebke BleidornDifferenzielle Psychologie und DiagnostikWillibald Ruch2021
Christopher HopwoodPersönlichkeitspsychologie2021
Jörg GrossSozial- und WirtschaftspsychologieKlaus Jonas2022
Paul SausengNeuropsychologie und Kognitive NeurowissenschaftLutz Jäncke2023
Charles DriverQuantitative Methoden der Intervention und der Evaluation2024

Bekannte Absolventinnen und Absolventen

Am Psychologischen Institut der Universität Zürich haben unter anderem die folgenden Persönlichkeiten studiert:

Einzelnachweise

  1. a b c d Antonia Kreibich, Andreas Maercker (2020): Zürich - Die Erstetablierung des Psychologischen Instituts der Universität Zürich. In: Armin Stock, Wolfgang Schneider (Hrsg.): Die ersten Institute für Psychologie im deutschsprachigen Raum. Hogrefe, Göttingen, S. 390–407.
  2. Seite von William James an der Harvard University. Abgerufen am 24. Juni 2020.
  3. C. Russo Krauss: Wundt, Avenarius, and Scientific Psychology: A Debate at the Turn of the Twentieth Century. Palgrave MacMillan / Springer Nature, Cham, Switzerland, ISBN 978-3-03012636-0, doi:10.1007/978-3-030-12637-7.
  4. Lehrveranstaltungen von Ernst Meumann an der Universität Zürich. Abgerufen am 29. Juni 2021.
  5. a b Wilhelm Keller: 3. Psychologie. In: Rektorat der Universität Zürich (Hrsg.): Die Universität Zürich 1933-1983 - Festschrift zur 150-Jahr-Feier der Universität Zürich. Grafische Betriebe NZZ Fretz AG, Zürich 1983, ISBN 3-85823-086-3, S. 485–490.
  6. R. Rüegsegger: Die Geschichte der Angewandten Psychologie 1900–1940. Ein internationaler Vergleich am Beispiel der Entwicklung in Zürich. Huber, Toronto 1986.
  7. Ferber, Rafael: „Was ist der Mensch?“ – Eine Erinnerung an den Schweizer Philosophen und Psychologen Wilhelm Keller (1909–1987). Philosophie.ch., Bern 2016, doi:10.5167/uzh-123749.
  8. Gastprofessur Inge Strauch an der Universität Zürich. Abgerufen am 29. Juni 2021.
  9. Archiv der Jahresberichte der Universität Zürich. Abgerufen am 13. Juli 2021.
  10. 125 Jahre Psychologie. Abgerufen am 27. Januar 2023.
  11. Andreas Maercker: Erinnerungskulturen der Psychologie: Der Fall der Wiederbeisetzung von Richard Avenarius nach 125 Jahren in Zürich. In: Psychologische Rundschau. Band 74, 2023, S. 121–122 (hogrefe.com).

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Autor/Urheber: Henri Gossweiler, Lizenz: CC BY 4.0
Die Reaktionszeit wird mittels der drei Apparaten (Gedächtnis oder Trefferapparat, Chronoskop und dem Schallschlüssel) gemessen.

Die drei Geräte sind mittels Kabel miteinander verbunden. Zuerst lernt die Versuchsperson einzelne Wortgruppen am Gedächtnis- oder Trefferapparat auswendig. Z.B. Arm / Bein, Bauer / Feld, Wald / Jäger etc.. Nun wird eines der Wörter abgedeckt und die Versuchsperson muss das passende zweite Wort herausfinden und in den Schallschlüssel sprechen. Wenn das Wortpaar am Trefferapparat erscheint, wird über einen Stromkreis das Chronoskop gestartet. Sobald die Versuchsperson das passende Wort in den Schallschlüssel spricht, wird über einen zweiten Stromkreis das Chronoskop angehalten. So kann die Reaktionszeit gemessen werden.

Die Geräte entstammen dem Archiv des Psychologischen Instituts der Universität Zürich und wurden von Ernst Meumann oder einem seiner Nachfolger verwendet.
Ernst Meumann (1862–1915).jpg
Porträt Ernst Meumann
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Entwicklung der Lizenziats- und Master-Abschlüsse am Psychologischen Institut der Universität Zürich 1990-2020, basierend auf Daten des Bundesamts für Statistik