Polarforschung

Als Polarforschung wird die wissenschaftliche Erforschung der Polargebiete Arktis und Antarktis bezeichnet. Sie ist heute durch internationale Kooperation gekennzeichnet, die auch politische Strukturen ausgebildet hat.
Forschungsgeschichte
Vom 17. zum frühen 19. Jahrhundert
Den Beginn der Polarforschung kann man etwa auf das 18. Jahrhundert ansetzen, wobei zunächst vor allem die Meteorologie, die Geophysik, die allgemeine Geographie und die Meereskunde auf Interesse stießen. Die eher machtpolitisch motivierte dänische Grönlandexpedition unter Christian IV. (1605–1607) darf dennoch als Pioniertat gelten. Der Däne Hans Egede knüpfte daran 1721–36 mit dem Ziel der Mission der Inuit und der Gründung der Siedlung Nuuk an.
In der Arktis ging es anfänglich vor allem um die Entdeckung neuer Landgebiete bzw. Wasserwege und um kürzere Verbindungen von Europa nach Asien. Als sich gezeigt hatte, dass der direkte Weg über den Nordpol anders als vermutet nicht eisfrei war, begaben sich viele Expeditionen auf die Suche nach der Nordostpassage (nördlich Asiens) bzw. der Nordwestpassage (nördlich Amerikas). Namhafte Forscher ab 1818 waren die Briten John Ross, William Parry und John Franklin.
Im Süden blieb hingegen die Erforschung des 1772 von James Cook entdeckten Kontinents Antarktika länger noch aus. Die ersten Expeditionen unternahmen 1819 Fabian Gottlieb von Bellingshausen in russischen Diensten, 1820 der Brite Edward Bransfield und der US-Amerikaner Nathaniel Palmer.
Deutsche Forschung im 19. und 20. Jahrhundert
Die Ursprünge der deutschen Polarforschung gehen zurück auf August Petermann und Georg von Neumayer. Um die Wende ins 20. Jahrhundert ragte Erich von Drygalski hervor. Das Erreichen der geografischen Pole wurde international zum Hauptthema. Gleichzeitig begann eine Entwicklung zur umfassenden, interdisziplinären Erforschung der Polargebiete mit breitgefächerten Schwerpunkten in der Geographie, Geophysik, Ozeanografie, Glaziologie und Biologie. Die Grönlandexpedition (1930–1931) unter der Leitung von Alfred Wegener stellte mit ihren drei Stationen zur gleichzeitigen Messung der Wetterbedingungen über der Eiskappe und der seismischen Eisdickenmessung einen Meilenstein dar. Mit dem Einsatz von Zeppelinen ergaben sich weitere Möglichkeiten (s. u.). 1969 übernahm das Zentralinstitut für Physik der Erde in Potsdam die Organisation der Antarktisforschung in der DDR, und 1974 trat die DDR dem Antarktis-Vertrag bei. 1976 wurde die Georg-Forster-Station nahe der russischen Station Nowolasarewskaja in der Schirmacheroase gegründet. Erst 1979 trat die BRD dem Vertrag bei und leitete mit der Gründung des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven eine neue Phase der westdeutschen Polarforschung ein.
Internationale Forschung

In den 1870er Jahren begann die Internationalisierung der Polarforschung. Der erste Internationale Meteorologenkongress in Wien empfahl 1873 die Einrichtung meteorologischer Stationen in den Polargebieten.[1] In einem Vortrag auf der 48. Versammlung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte in Graz am 18. September 1875 stellte Carl Weyprecht, der gemeinsam mit Julius Payer die Österreichisch-Ungarische Nordpolexpedition von 1872–74 geleitet hatte, seine Grundprincipien der arktischen Forschung vor. Er vertrat die Ansicht, dass „die arktische Forschung für die Kenntnis von den Naturgesetzen von höchster Bedeutung“ sei, vereinzelte Beobachtungsreihen aber nur relativen Wert besäßen.
Es gelang Weyprecht und den Präsidenten der 1879 gegründeten Internationalen Polarkommission, Georg von Neumayer und Heinrich von Wild, die Unterstützung der Regierungen einiger europäischer Staaten sowie der USA für ein gemeinsames Forschungsprojekt und die Errichtung geophysikalischer Beobachtungsstationen zu erhalten. 1882–1883 fand das erste Internationale Polarjahr unter Beteiligung von elf Staaten mit zwölf festen Stationen in der Arktis und zwei in der Subantarktis statt. Es wurden vor allem Arbeiten auf den Gebieten der Meteorologie und des Geomagnetismus sowie zur Erforschung des Polarlichts nach einem vorher abgestimmten Programm durchgeführt.
Den Südpol erreichte als erster 1911 der Norweger Roald Amundsen, in der Geschichte der Nordpolexpeditionen ist die historische Pioniertat umstritten. Eine Gruppe um den Italiener Umberto Nobile überflog den Nordpol zuerst 1926 mit einem Luftschiff.
50 Jahre später wurde das zweite Internationale Polarjahr 1932–1933 von 15 Staaten mit 200 Stationen allein in der Arktis durchgeführt. Diese Tradition fand 1957/58 im Rahmen des Internationalen Geophysikalischen Jahres seine Fortsetzung, das sich allerdings nicht auf die Polregionen beschränkte. Beide Male gab es keine staatliche deutsche Beteiligung.
Um 1980 konnte das internationale Greenland Ice Sheet Project (USA, Dänemark, Schweiz) mithilfe von Eisbohrkernen wichtige Fortschritte in der Glaziologie erzielen.
2007–2009 folgte das vierte Polarjahr (englisch: International Polar Year, IPY) und umfasste eine koordinierte Feldkampagne von Beobachtung, Forschung und Analyse, die größte und umfassendste Kampagne jemals, um die Polarregionen zu erkunden. Schätzungsweise 50.000 Forscher, lokale Beobachter, Pädagogen, Studenten und Hilfskräfte aus mehr als 60 Ländern waren an den 228 internationalen IPY-Projekten beteiligt (170 in der wissenschaftlichen Forschung, eines in der Datenverwaltung und 57 in Bildung und Öffentlichkeitsarbeit und damit verbundenen nationalen Bemühungen). Das IPY umfasste intensive Forschungs- und Beobachtungsperioden in der Arktis und Antarktis über einen Zeitraum von drei Jahren, der am 1. März 2007 begann und am 12. Juni 2010 auf der IPY Oslo Science Conference abgeschlossen wurde.[2]
Luftschiffe und Forschungsstationen
Wichtige Erkenntnisse zur Meteorologie, zur Geographie im nördlichen Polarmeer und zur Geophysik lieferte die gemeinsame deutsch-russische Arktisexpedition aus dem Jahre 1931, welche mit 46 Fahrtteilnehmern am 24. Juli in Friedrichshafen mit dem Luftschiff „LZ 127 Graf Zeppelin“ begann, nach Zwischenlandungen in Berlin-Staaken und Sankt Petersburg über Finnland in die nördliche Barentssee führte und am 30. Juli 1931 erfolgreich beendet wurde. Als nördlichster Punkt wurden die letzten Eilande von Franz-Josef-Land (die Liv- und die Eva-Insel, die Fridtjof Nansen 1895 nach wochenlanger Eiswanderung erreicht hatte) überquert. Anschließend, nach 600 km Fahrt am 81. Breitengrad entlang, wurde die Nordspitze von „Nordland“ (Sewernaja Semlja) erreicht, wobei man versuchte aus der Luft neue Erkenntnisse über diese Region zu gewinnen, da über sie bisher so gut wie nichts bekannt war.
Die Erkundungen mit Hilfe von permanenten oder nur in den Sommermonaten betriebenen Forschungsstationen in der Antarktis wird seit der ersten Gründung 1903 (Orcadas seit 1904 dauerhaft von Argentinien unterhalten) bis heute fortgesetzt. In der Arktis entstanden zusätzlich Eisdriftstationen auf größeren Eisschollen, die längere Zeit über den Arktischen Ozean treiben.
Gegenwart
Spätestens seit der Ausbildung von Governance-Strukturen (s. u.) sowie der wachsenden ökonomischen Nutzung (seit jeher Walfang und Fischfang, Robbenjagd, am Ende des 20. Jahrhunderts z. B. Kreuzfahrttourismus) in den Polargebieten befassten sich zunehmend andere Disziplinen, darunter die Robotik, Rechts-, Politik-, Wirtschafts- oder die Kulturwissenschaften mit der Polarforschung.[3][4] In der Antarktis ist der Rohstoffabbau durch das Madrid-Protokoll (1991) vollständig verboten.[5] Für die Arktis gilt das nicht: Dort fördern mehrere Staaten trotz der widrigen Bedingungen in erheblichem Umfang Erdöl/-gas, Kohle und Metalle (Seltene Erden).
Institutionen der Polarforschung
Deutschland
In der Bundesrepublik wird die Polarforschung seit 1980 vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) koordiniert. Nach dem Ende der DDR wurde die Potsdamer Forschungsstelle in das Institut integriert. Daneben gibt es die Deutsche Gesellschaft für Polarforschung, die seit 1931 die Fachzeitschrift „Polarforschung“ herausgibt, junge Wissenschaftler fördert und allgemein für die Polarforschung wirbt.
Forschungseisbrecher Polarstern
Die Polarstern ist der einzige Forschungs-Eisbrecher Deutschlands und mit 118 Metern Länge das größte deutsche Forschungsschiff vor der Sonne, die 116 Meter lang ist. Die Polarstern wurde 1982 in Dienst gestellt und pendelt seitdem zwischen den Polen der Erde: Im Sommer der Nordhalbkugel erforschen Wissenschaftler die Arktis, im südlichen Sommer nimmt die Polarstern Kurs auf die Antarktis, um hier neben den wissenschaftlichen Expeditionen auch die deutsche Forschungsstation Neumayer III (seit 1981) aus ihrem Frachtraum mit Lebensmitteln, wissenschaftlicher Ausrüstung und Kraftstoff für die Polarflugzeuge, Helikopter und den Betrieb der Station zu versorgen. Jedes Jahr im Frühling und im Herbst macht sie auf ihrer Reise zwischen den Polen Halt in Bremerhaven: In ihrem Heimathafen wird sie für die nächste Reise fit gemacht, betankt und mit wissenschaftlicher Ausrüstung und Proviant beladen. Der Eisbrecher besitzt einen doppelwandigen Rumpf und verstärkte Stahlplatten am Bug und am Eisgürtel, sodass er bis zu anderthalb Meter dickes Eis mühelos durchbrechen kann. Ist das Eis dicker, rammt sich die Polarstern den Weg frei: Bei einer Rammeisfahrt schiebt sie sich – meist mit mehreren Anläufen mit ihrer vollen Leistung (fast 20.000 PS) auf das Eis, das dann unter dem Gewicht des Schiffs bricht. An Bord sind meistens auch zwei Helikopter und Schlauchboote, mit denen die Wissenschaftler Messungen auch abseits des Schiffs durchführen können. Aufgrund ihres hohen Gewichts hat die Polarstern einen Tiefgang von 11,20 Metern.[6]
Im Jahr 2025 wurde der Vertrag zum Bau von Polarstern II in Wismar unterschrieben. Für 1,2 Mrd. € soll es ab 2027 gebaut werden.[7]
Bereits seit 1983 setzt das AWI Flugzeuge vom Typ Dornier 228-101 für die Polarforschung ein. Mehr als 25 Jahre waren die Polar 2 und die Polar 4 im Einsatz, bevor sie durch leistungsfähigere Flugzeuge vom Typ Basler-Turbo (BT-67) ersetzt wurden (Polar 5, seit 2007 und Polar 6, seit 2011).
Internationale Zusammenarbeit in Wissenschaft und Politik
Bereits 1957/58 entstand das internationale Wissenschaftliche Komitee für Antarktisforschung (Scientific Committee on Antarctic Research, SCAR). 1990 wurde es erweitert um das Internationale Wissenschaftliche Komitee für Arktisforschung (International Arctic Science Committee, IASC). Das internationale IASC-Sekretariat war bis 2016 am Alfred-Wegener-Institut in Potsdam angesiedelt, nun in Akureyri (Island). Die internationalen Regionalforen für die Arktis- und Antarktispolitik sind der 1996 gegründete Arktische Rat (Arctic Council) und die Treffen der Konsultativvertragsparteien des 1959 unterzeichneten Antarktis-Vertrages (ATCM – Antarctic Treaty Consultative Meeting). Deutschland wird je durch das Auswärtige Amt vertreten.[8]
Aufgrund des Umweltschutzplans für die Arktis, der Arctic Environmental Protection Strategy und einer Empfehlung des Arktischen Rats wurde ab 2001 ein Hochschulnetzwerk mit einer virtuellen Universität der Arktis (englisch: UArctic) aufgebaut. Gefördert wird damit die Bildung und die interdisziplinäre Erforschung der Region Arktis. Dort kann der Bachelor of Circumpolar Studies erworben werden.[9]
Ergebnisse der Polarforschung werden auch vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) im United Nations Environment Programme-Global Resource Information Database, einem weltweiten wissenschaftlichen Netzwerk, veröffentlicht. Hier sind vor allem die Online-Karten und Grafiken hervorzuheben.[10]
Die UN verabschieden jährlich eine Resolution zur Friedlichen Nutzung des Weltraums und der Antarktis, um den entmilitarisierten Status dieser Region, die nur friedlichen Zwecken und der Wissenschaft offensteht, zu unterstreichen. Auch eine Nutzung etwa als Atommülllager ist ausgeschlossen.[11]
Vergleichbare Forschungsansätze
Siehe auch
Weblinks
- Deutsche Gesellschaft für Polarforschung e.V. und Zeitschrift. Abgerufen am 19. Oktober 2025.
- Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI). Abgerufen am 19. Oktober 2025.
- Interaktive Webreportage über den Forschungseisbrecher Polarstern (April 2017)
- IPY - International Polar Year 2007-2008. Abgerufen am 19. Oktober 2025.
- Internationales Polarjahr 2007/08 (in Deutsch)
- Die 2. deutsche Nordpolarfahrt 1869/70
- International Trans-Antarctic Scientific Expedition (ITASE). Abgerufen am 19. Oktober 2025 (englisch).
Literatur
- Hans-Peter Kosack: Die Polarforschung. Ein Datenbuch über die Natur-, Kultur-, Wirtschaftsverhältnisse und die Erforschungsgeschichte der Polarregionen. Friedr. Vieweg & Sohn, Braunschweig 1967
- Klaus Fleischmann: Zu den Kältepolen der Erde – 50 Jahre deutsche Polarforschung. Delius Klasing Verlag, 2005, ISBN 3-7688-1676-1.
- Dieter Karl Fütterer, Eberhard Fahrbach: POLARSTERN 25 Jahre Forschung in Arktis und Antarktis. Delius Klasing Verlag, Bielefeld 2008, ISBN 978-3-7688-2433-0.
- Markus Rex: Eingefroren am Nordpol: Das Logbuch von der Polarstern. Penguin Verlag, 2023, ISBN 978-3-328-10951-8.
- Polarforschungsagenda 2030. Status und Perspektiven der deutschen Polarforschung. DFG-Statusbericht des Deutschen Nationalkomitees SCAR/IASC, 2017 online PDF
Einzelnachweise
- ↑ C. Lüdecke: Vor 125 Jahren - Der zweite internationale Meteorologenkongreß in Rom 1879. In: DMG-Mitteilungen. 1/2004, S. 14–16 (PDF ( vom 12. Oktober 2013 im Internet Archive); 2,5 MB).
- ↑ IPY 2007-2008. Abgerufen am 19. Oktober 2025.
- ↑ Sebastian Leskien: Die Wissenschaft als Wegbegleiterin zur Umsetzung der Leitlinien Deutscher Arktispolitik. Hrsg.: Polarforschung. Band 89, Nr. 1. Copernicus, Bremerhaven, Potsdam, S. 37–45.
- ↑ Marine robotics capability. Abgerufen am 1. April 2025 (britisches Englisch).
- ↑ Bundesumweltministerium: Umweltschutzprotokoll zum Antarktisvertrag vom 04.10.1991- BMUKN - Gesetze und Verordnungen. 18. Januar 2017, abgerufen am 20. Oktober 2025.
- ↑ Marie Heidenreich/Projektträger Jülich: Die Polarstern kehrt in ihren Heimathafen zurück. Abgerufen am 19. Oktober 2025.
- ↑ Christoph Woest: "Polarstern 2": Wismarer Werft baut Deutschlands neuen Forschungseisbrecher. Abgerufen am 20. Oktober 2025.
- ↑ DFG-Polarforschungsagenda
- ↑ University of the Arctic, abgerufen am 21. Februar 2013.
- ↑ Arendal (Norwegen) UNEP/GRID-Arendal, abgerufen am 20. Februar 2013.
- ↑ Christoph Zinsius: Der Antarktis-Vertrag. 24. Juli 2013, abgerufen am 20. Oktober 2025.
Auf dieser Seite verwendete Medien
le Pourquoi Pas au Havre, mission Charcot, 15 août 1908 (photographie de presse)
Autor/Urheber: Hannes Grobe (Hgrobe 06:16, 26 April 2006 (UTC)), Alfred Wegener Institute for Polar and Marine Research, Lizenz: CC BY-SA 2.5
German research vessel POLARSTERN off the British Station Rothera, Antarctic Peninsula