Planwirtschaft

Planwirtschaft ist ein wirtschaftliches Organisationsprinzip, bei dem Produktion, Verteilung und Konsum von Gütern nicht (ausschließlich) über Marktmechanismen, sondern auf Grundlage von Plänen koordiniert werden. Dabei können solche Pläne entweder zentral oder dezentral[1][2], staatlich oder nicht-staatlich, autoritär oder demokratisch gestaltet sein. Der Begriff ist ein Oberbegriff, der verschiedene historische und theoretische Ausprägungen umfasst. Im deutschsprachigen Raum wird dieser Begriff häufig fälschlicherweise[3] mit dem Begriff der Zentralverwaltungswirtschaft gleichgesetzt. Allerdings handelt es sich bei Zentralverwaltungswirtschaft nur um eine sehr spezifische Unterform der Planwirtschaft.

Begriffsabgrenzung

Ideologiegeschichtlich geprägte Verengung des Begriffs in Westdeutschland

Im engeren Sinn wird der Begriff Planwirtschaft häufig mit der Zentralverwaltungswirtschaft gleichgesetzt, also einer staatlich-bürokratisch gesteuerten Wirtschaftsform, wie sie etwa in der Sowjetunion oder der DDR existierte.

Die missverständliche[4] Gleichsetzung des Begriffs Planwirtschaft mit der Zentralverwaltungswirtschaft ist eine spezifisch deutschsprachige Besonderheit, die weder in der internationalen wissenschaftlichen Diskussion noch in der allgemeinen Begriffsverwendung außerhalb des deutschen Sprachraums üblich ist. Während etwa im englischsprachigen Raum zwischen planned economy, centrally planned economy, indicative planning und decentralized planning klar unterschieden wird, dominiert im deutschen Sprachgebrauch häufig ein enger, abwertender Begriff von Planwirtschaft, der sich auf die staatssozialistischen Systeme des 20. Jahrhunderts bezieht.

Diese Gleichsetzung ist Ergebnis der politischen und ökonomischen Systemkonkurrenz zwischen westlichen Marktwirtschaften und sozialistischen Staatswirtschaften. Vor diesem Hintergrund wurde der Begriff „Planwirtschaft“ in Westdeutschland vielfach pauschal mit der autoritär-bürokratischen Steuerung in der DDR oder der Sowjetunion identifiziert.[5] Diese Gleichsetzung diente der ideologischen Abgrenzung im Kalten Krieg und hatte eine stark polemisierende Funktion: Planwirtschaft galt dabei nicht als Oberbegriff, sondern als Synonym für die Mängel[6] der „realsozialistischen“ Wirtschaftsordnung.[7][8] Differenzierte theoretische Konzepte demokratischer Planung oder dezentraler Koordination wurden dadurch weitgehend ausgeblendet oder diskreditiert.

Der in Deutschland prägende wirtschaftspolitische Denkrahmen des Ordoliberalismus, insbesondere in der Ausprägung der Sozialen Marktwirtschaft, war zentral für diese Gleichsetzung. Vertreter wie Walter Eucken[9], Alfred Müller-Armack oder Ludwig Erhard entwickelten das Konzept der sozialen Marktwirtschaft in expliziter Abgrenzung zur Planwirtschaft,[10] die sie systematisch mit staatlicher Übersteuerung gleichsetzten. In dieser Perspektive erschien jegliche überbetriebliche Planung bereits als „Verzerrung“ marktwirtschaftlicher Prozesse. Dabei wurde übersehen, dass selbst in marktwirtschaftlich verfassten Demokratien – etwa in Frankreich, Schweden oder Japan[11] – Formen wirtschaftlicher Planung existierten, die weder zentralistisch noch autoritär organisiert waren.

Niklas Luhmann kritisierte die Entgegensetzung der Begriffe von Marktwirtschaft und Planwirtschaft als „nicht lohnend, ja irreführend“. Die Bedeutung dieser Begriffe sei reduziert, da man richtigerweise fragen müsste „wer und wie zentral und wie folgenreich er in einer Marktwirtschaft plant“.[12]

Formen der Planwirtschaft

Zentralverwaltungswirtschaft

Siehe Zentralverwaltungswirtschaft

Dezentrale Planwirtschaft

Neben den zentralen Varianten gibt es theoretisch entwickelte Modelle einer dezentral-demokratischen Planwirtschaft, bei denen entweder auf staatliche Planungshierarchien ganz verzichtet wird oder in denen gesellschaftlich-planvolles Handeln im Wesentlichen das Ergebnis dezentraler Planung ist.

Jiří Kosta machte in den 1970er Jahren auf den Unterschied zwischen zentraler und dezentraler Planung aufmerksam und betonte, Planung könne sich „nicht allein auf die zentrale vollzugsverbindliche Kennzifferplanungsform sowjetischer Prägung beschränken. Schließlich heißt in unserem Verständnis Planung demokratische Partizipation der Öffentlichkeit an allen Planentscheidungen.“[13] Zwischen zentraler und dezentraler Planung bestünden erhebliche Unterschiede, etwa in den Befugnissen einzelner Betriebe und in den betrieblichen horizontalen Beziehungen. Kosta führt als Beispiel für dezentrale Tendenzen das jugoslawische Modell der Arbeiterselbstverwaltung an.

Ernest Mandel verstand sozialistische Planwirtschaft als „demokratisch artikulierte und zentralisierte Selbstbestimmung, die geplante Selbstregierung der assoziierten Produzenten“[14] und setzte sie sowohl Marktwirtschaft als auch staatlichem Dirigismus entgegen.

Auch Charles Bettelheim betont die Möglichkeit dezentraler Planung und die Notwendigkeit, dass Planung von unten nach oben geschehen müsse: „Tatsächlich kann, je nach dem vorliegenden Fall, die Koordination der Produktionsprozesse entweder die Form eines zentralisierten Plans annehmen oder die einer Überlagerung von untereinander koordinierten Plänen.“[15] Es sei, „notwendig, daß der Plan auf der Basis der Initiative der Massen aufgestellt und durchgeführt wird, daß er die Erfahrungen und Vorhaben der Massen konzentriert und koordiniert.“[16]

DDR-Ökonom Friedrich Behrens vertrat in seinen späteren Jahren eine nicht-staatliche, gemeinschaftliche Planung der assoziierten Produzenten in einer pluralistischen Selbstverwaltungsgesellschaft. Er setzte seine Hoffnung auf einen „Übergang von einer mehr oder minder direkt zentralistischen Planung der Produktion durch den Staat, d.h. faktisch durch eine Partei- und Staatsbürokratie, zu einer immer mehr indirekt zentralen Planung der Produktion durch demokratisch gewählte, jederzeit abrufbare und von der Öffentlichkeit kontrollierte Organe, als vorherbestimmte Kontrolle der Produktion durch die Gesellschaft, d. h. durch freie und frei assoziierte Produzenten“.[17]

Der Wirtschaftswissenschaftler Daniel E. Saros veröffentlichte 2014 eine Theorie sozialistischer Planung, die sich auf die Möglichkeiten moderner Informationstechnologien stützt. In seiner Theorie ist Planung ein „gemeinsam durchdachter Plan, bei dem das Denken und Planen niemals aufhört. Es handelt sich nicht um einen Zentralplan, sondern um eine dezentralisierte Form der Planung, die auf Märkte verzichtet und Produktion sowie Verteilung an den menschlichen Bedürfnissen ausrichtet“ („collectively thought-out plan where the thinking and planning never cease. It is not a central plan but a decentralized form of planning that does away with markets and organizes production and distribution to satisfy human needs.“)[18]

Michael Albert und Robin Hahnel haben mit Parecon einen Vorschlag für eine dezentral geplante Wirtschaft gemacht, in der die Bürger in Arbeiter-, Nachbarschafts- und Verbraucherräten die wirtschaftliche Planung bestimmen.[19]

Planwirtschaft als politischer Kampfbegriff

In der politischen Debatte wird in der Bundesrepublik der Begriff „Planwirtschaft“ häufig als Kampfbegriff genutzt.[20][21]

Literatur

  • Paul Cockshott, Allin Cottrell: Alternativen aus dem Rechner. Für sozialistische Planung und direkte Demokratie. PapyRossa Verlag, 2006, ISBN 978-3-89438-345-9.
  • Timo Daum, Sabine Nuss: Die unsichtbare Hand des Plans: Koordination und Kalkül im digitalen Kapitalismus (= Analysen). 2., korr. Auflage. Dietz Berlin, Berlin 2021, ISBN 978-3-320-02382-9.
  • Robin Hahnel: A Participatory Economy. AK Press, Chico 2022. ISBN 978-1-84935-484-4.
  • Planwirtschaft und Verkehrswirtschaft. Duncker & Humblot, München / Leipzig 1931.
Wiktionary: Planwirtschaft – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Paul R.Gregory, Robert C. Stuart, Comparing Economic Systems in the Twenty-First Century, Boston 2003, S. 23–24 "Centralization is commonly identified with plan and decentralization with market, but there is no simple relationship between the level of decision making and the use of market or plan as a coordinating mechanism. In some economies, it is possible to combine a considerable concentration of decision-making authority and information in a few large corporations with substantial state involvement and yet to have no system of planning as such… To identify an economy as planned does not necessarily reveal the prevalent coordinating mechanism, or for that matter, the degree of centralization in decision making. Both depend on the type of planning mechanism."
  2. Mandel, Ernest, In defense of socialist planning New Left Review volume I No. 159, S. 29, abrufbar unter http://digamo.free.fr/mandelsp.pdf
  3. https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/planwirtschaft-46080
  4. Alfred Stobbe: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen. 8. Auflage. Springer, ISBN 978-3-540-57851-2, S. 28.
  5. https://www.hdg.de/haus-der-geschichte/ausstellungen/markt-oder-plan-wirtschaftsordnungen-in-deutschland-1945-1961.
  6. https://www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/513381/alles-nach-plan/
  7. Karlies Abmeier, Josef Thesing (Hrsg.), Wirtschaftsordnung und soziale Gerechtigkeit, S. 8 abrufbar unter: https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=ef2fc7df-c3ca-f461-9803-9e3ddfee64aa&groupId=252038
  8. Gerd Hardach, Gegenwartsgeschichte der deutschen Wirtschaft, S. 235, abrufbar unter: https://library.oapen.org/bitstream/handle/20.500.12657/59658/9783110772746.pdf?sequence=1&isAllowed=y
  9. Walter Eucken: Die Grundlagen der Nationalökonomie (= Enzyklopädie der Rechts- und Staatswissenschaft. Unterreihe: Abteilung Staatswissenschaft). 9. Auflage. Springer, Berlin / Heidelberg / New York / London / Paris / Tokyo / Hong Kong 1989, ISBN 3-540-51292-6, S. XVII (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche – Erstausgabe: 1940). Vgl. dazu den Ausdruck „zentralgeleitete Wirtschaft“ (Eucken) etwa bei Heinz Murmann, Marktwirtschaft, in der Virtuellen Akademie der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit (online (Memento vom 31. Oktober 2007 im Internet Archive); abgerufen am 19. September 2008).
  10. https://taz.de/Oekonom-ueber-Soziale-Marktwirtschaft/!5627461/
  11. Chalmers Johnson, MITI and the Japanese Miracle The Growth of Industrial Policy, 1925-1975, ISBN 978-0-8047-1206-4
  12. Die Wirtschaft der Gesellschaft (= Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, Band 1152), Suhrkamp, Frankfurt am Main 1994, ISBN 3-518-28752-4, S. 87.
  13. Kosta, Jiří: Sozialistische Planwirtschaft. Theorie und Praxis. 1. Auflage. Westdeutscher Verlag, Opladen 1974, ISBN 978-3-531-21245-6, S. 10.
  14. Mandel, Ernest: In Defense of Socialist Planning. In: New Left Review. Band I/159, September 1986.
  15. Charles Bettelheim: Ökonomischer Kalkül und Eigentumsformen: zur Theorie der Übergangsgesellschaft (= Politik). 11. - 14.Tsd Auflage. Wagenbach, Berlin 1979, ISBN 978-3-8031-1012-1, S. 55.
  16. Charles Bettelheim, Berlin 1979, S. 153
  17. Behrens, Fritz: Man kann nicht Marxist sein, ohne Utopist zu sein. Hrsg.: Günter Krause, Dieter Janke. 1. Auflage. VSA, Hamburg 2010, ISBN 978-3-89965-405-9, S. 177.
  18. Daniel Earl Saros: Information technology and socialist construction: the end of capital and the transition to socialism (= Routledge frontiers of political economy). Routledge, New York 2014, ISBN 978-0-415-74292-4, S. 197.
  19. https://ejpe.org/journal/article/view/867
  20. https://www.sueddeutsche.de/meinung/aktuelles-lexikon-planwirtschaft-1.5337181
  21. https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/kampfbegriff-planwirtschaft-von-der-notwendigkeit-einen-plan-zu-haben-kolumne-a-ad61a2ed-6b3a-42ae-9483-f1fbaf010201