Planungsgruppe Stieldorf

Die Planungsgruppe Stieldorf war eine deutsche Architektengruppe und ein Architekturbüro, das von den 1960er- bis 1990er-Jahren bestand.

Geschichte

Seit 1956 gab es einen vom Bundestag verhängten Stopp für Regierungsbauten in Bonn. Dahinter stand die Sorge, jeder Bau würde das Provisorium bekräftigen und den Anspruch auf ein wiedervereinigtes Deutschland schwächen.[1] Anfang der 1960er Jahre, nach dem Rücktritt von Bundeskanzler Konrad Adenauer und dem Bau der Mauer in Berlin, wurden erstmals Planungen für größere Regierungsbauten in der „provisorischen“ Bundeshauptstadt Bonn angestellt, da fast alle Ministerien und Bundesbehörden völlig unzureichend in alten Kasernen und angemieteten Häusern untergebracht waren. Im Regierungsviertel waren nur drei Neubauten errichtet worden: 1953 das Gebäude des Bundesministeriums für das Post- und Fernmeldewesen, 1954 das Presseamt und 1955 das Auswärtige Amt.

Bei der in Berlin ansässigen Bundesbaudirektion wurde 1962 ein Beratergremium aus den Professoren Paul Baumgarten, Egon Eiermann und Sep Ruf gebildet, um die neue Regierung um Ludwig Erhard planerisch und städtebaulich zu beraten. Die Professoren empfahlen daraufhin einer Reihe junger Architekten nach Bonn zu kommen, um ihre Entscheidungshilfen zu erarbeiten.

Nach Abschluss der Arbeiten 1968 gründeten drei von ihnen – Manfred Adams (1931–2019), Günther Hornschuh (1925–2001) und Peter Türler – die Planungsgruppe A. H. T. . Ein Jahr später waren es – mit Georg Pollich als ehemaligem Mitarbeiter von Egon Eiermann und Projektleiter des Langen Eugen sowie Robert Glatzer (1925–1995) als ehemaligem Leiter der Planungsabteilung der Bundesbaudirektion – bereits fünf Partner. Das Architekturbüro ließ sich 1971 in einem nach eigenen Entwürfen neu erbauten Atelier in Stieldorf (Raiffeisenstraße 2) bei Bonn nieder und firmierte nunmehr als Planungsgruppe Stieldorf. 1973 wurde die Kommanditgesellschaft Planungsgruppe Stieldorf GmbH & Partner KG gegründet, die jedoch nur ein Jahr lang Bestand hatte.

Die Planungsgruppe wuchs mit jedem gewonnenen Architektenwettbewerb, den die sozialliberale Koalition unter Kanzler Willy Brandt ab 1969 bundesoffen auslobte, um den Hauptstadtausbau Bonns zu forcieren. Außer den Großbauplanungen wurden Wohnbauten, Gemeindezentren, kirchliche Bauten sowie Gewerbebau und Kommunal-Verwaltungen bearbeitet. Anfang der 1980er Jahre bestand die Planungsgruppe aus annähernd 100 Mitarbeitern. 1981 schied Manfred Adams aus dem Büro aus.[2] Ende der 1980er-Jahre gab die Planungsgruppe das Atelier in Stieldorf auf. Um 2000 (mit dem Ableben Günther Hornschuhs) wurde sie aufgelöst, Peter Türler (Mitbegründer des Büros von 1968) führte jedoch anschließend, zeitweise zusammen mit Georg Pollich, den Namen "Planungsgruppe Stieldorf" in seinem eigenen Architekturbüro in Bad Honnef weiter.

Werk

Ausgeführte Entwürfe

Planungsgruppe der Bundesbaudirektion (1962–1968)
Planungsbeginn;
Bauzeit
Gemeinde
Ortsteil
AdresseBildObjektMaßnahmeAnmerkungen
1965–1966Bonn
Gronau
Heussallee 7–11
Lage
weitere BilderAbgeordneten-WohnhäuserNeubauDenkmalschutz
1967–1968Bonn
Bonn-Castell
Arminiusstraße 32
Lage
Bürogebäude und Kfz-Werkstatt des Bundesministeriums der FinanzenNeubau[3]:132 f.Teil der heutigen „Liegenschaft Graurheindorfer Straße 198“[4]
1966–1967Bonn
Plittersdorf
Kennedyallee 40
Lage
Deutsche Forschungsgemeinschaft: IV. Bauabschnitt (viergeschossiger Hochbau)Neubau[3]:148 f.1969–1970 aufgestockt
1967–1969Bonn
Plittersdorf
Martin-Luther-King-Straße 8
Lage
Bundesschatzministerium (Haus Carstanjen): ErweiterungNeubau (Entwurf: Manfred Adams; künstlerische Beratung: Sep Ruf)[3]:143 f.1996–2022 Klimasekretariat der Vereinten Nationen
Planungsgruppe Stieldorf (ab 1968)
Planungsbeginn;
Bauzeit[AM 1]
Gemeinde
Ortsteil
AdresseBildObjektMaßnahmeAnmerkungen
1969–1975Bonn
Hochkreuz
Heinemannstraße/Godesberger Allee/
Max-Löbner-Straße/Langer Grabenweg
Lage
weitere BilderKreuzbauten im Ministerienstandort Godesberg-NordNeubau[5]:4–14Sitz verschiedener Bundesbehörden; Denkmalschutz
1970Königswinter
Stieldorf
An der Passionshalle 13
Lage
katholisches Gemeindezentrum mit angegliederter KüsterwohnungNeubau[5]:59heute Offene Ganztagsschule
1971, 1974 (Erweiterung)Königswinter
Stieldorf
Raiffeisenstraße 2
Lage
Atelier der Planungsgruppe Stieldorf (verglaste Holzkonstruktion)Neubau[5]:44–50[6]:112
1972–1974Königswinter
Vinxel
Panoramaweg 4–22
Lage
WohnhausgruppeNeubau[7][8]Vorläufer der elementierten Holz-Fachwerkhäuser, die von der Kontrast Bau- und Betreuungsgesellschaft mbH & Co. KG, ansässig ebenfalls Raiffeisenstraße in Königswinter-Stieldorf, entwickelt wurden und nun von der DaVinci Haus GmbH & Co KG weiterentwickelt und vertrieben werden.
1973BrühlAm Rankewerk 2–4
Lage
weitere BilderBüro- und Lagerhaus Orba (Holzskelettbau)Neubau (mit Gottfried Böhm)[9][5]:39–43mit dem Kölner Architekturpreis 1975 ausgezeichnet[10]; Denkmalschutz
1973NassauElisenhütte
Lage
Verwaltungsgebäude der Firma Kaiser & Co. (Blechverarbeitungsfabrik)Neubau[5]:51–55
1973Bonn
Plittersdorf
Gotenstraße 138–140
Lage
weitere BilderMehrfamilienhaus (Eigentumswohnungen)Neubau[5]:63–66[6]:148
1973–1974AlfterAm Rathaus 7
Lage
weitere BilderRathaus der Gemeinde AlfterNeubau[11][5]:32–38
1973–1974Bonn
Venusberg
Haager Weg 40
Lage
Evangelisches GemeindezentrumNeubau (mit Gottfried Böhm)[5]:60[6]:60
1973–1976Bonn
Gronau
Adenauerallee 139
Lage
weitere BilderBundeskanzleramtNeubau[5]:15–19heute Sitz des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung; Denkmalschutz
1974–1978Köln
Marienburg
Raderberggürtel 50
Lage
© Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)
weitere Bilder
Funkhaus Deutsche Welle (gemeinsam mit dem Funkhaus des Deutschlandfunks)Neubau (Bauherr: Bundesbaudirektion)[5]:20–252003 von der Deutschen Welle aufgegeben (Umzug nach Bonn in den Schürmann-Bau); 2019–21 abgebrochen
1974;
1978–1984
Mainz
Lerchenberg
ZDF-Straße
Lage
ZDF-Sendezentrum: Dritter Bauabschnitt (Sendebetriebsgebäude)Neubau[5]:25–31[2]
1978–1982Düsseldorf
Carlstadt
Berger AlleeVerwaltungsgebäude der Mannesmann AGNeubau[2][12][13]
1980–1981Bonn
Duisdorf
Villemombler Straße
Lage
Sporthalle des Bundesgrenzschutzes an der ehem. Gallwitz-KaserneNeubau[2][6]:160mit dem Holzbaupreis Nordrhein-Westfalen 1982 ausgezeichnet[14]
1981–1982Bonn
Gronau
Schlegelstraße 1
Lage
Landesvertretung des Freistaates BayernAnbau[6]:55
1985–1993Hünfelden
Gnadenthal
Hof Gnadenthal
Lage
Kloster und Dorf GnadenthalSanierung/Wiederaufbau[2]1993 mit dem Hessischen Denkmalpreis ausgezeichnet
1992–1993SiegburgChemie-Faser-Allee 5
Lage
Grundschule DeichhausNeubau[2][15]
1993–1994Bad HonnefLuisenstraße 15
Lage
Evangelisches Gemeindehaus[16]Neubau (Entwurf: Günther Hornschuh)[17][18]
1995Bonn
Heiderhof
Mandelbaumweg 2/5
Lage
Pädagogisch-Theologisches InstitutNeubau (Bauherr: Evangelische Kirche im Rheinland)[19]
1993;
1999–2003
Bonn
Bonn-Zentrum
Oxfordstraße/ Annagraben/ Alexanderstraße
Lage
Landgericht und Amtsgericht BonnErweiterung/Neubau (Bauherr: Land Nordrhein-Westfalen)

Nicht ausgeführte Entwürfe

Literatur

  • Wilfried Täubner: Planungsgruppe Stieldorf. Bauten und Projekte. Köln 1974.
  • Merle Ziegler: Kybernetisch regieren. Architektur des Bonner Bundeskanzleramtes 1969-1976 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Band 172; Reihe Parlament und Öffentlichkeit Band 6), Düsseldorf 2016, ISBN 978-3-7700-5331-5.

Weblinks

Commons: Planungsgruppe Stieldorf – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen

  1. sofern nur ein Jahr angegeben: Fertigstellungsjahr

Einzelnachweise

  1. Merle Ziegler: Kybernetisch regieren. Architektur des Bonner Bundeskanzleramtes 1969–1976 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Band 172. Hrsg. von der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Reihe Parlament und Öffentlichkeit, Band 6). Droste Verlag, Düsseldorf 2017, S. 12, ISBN 978-3-7700-5331-5.
  2. a b c d e f Saur allgemeines Künstler-Lexikon, Band 27, Walter de Gruyter, 2000, ISBN 3-598-22767-1, S. 66.
  3. a b c Ursel und Jürgen Zänker: Bauen im Bonner Raum 49–69. Versuch einer Bestandsaufnahme (= Landschaftsverband Rheinland [Hrsg.]: Kunst und Altertum am Rhein. Führer des Rheinischen Landesmuseums in Bonn. Nr. 21). Rheinland-Verlag, Düsseldorf 1969.
  4. Liegenschaft Graurheindorfer Straße 198 (Memento vom 4. März 2016 im Internet Archive), Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung
  5. a b c d e f g h i j k l m n o p q Wilfried Täubner: Planungsgruppe Stieldorf. Bauten und Projekte, Köln 1974.
  6. a b c d e Ingeborg Flagge: Architektur in Bonn nach 1945: Bauten in der Bundeshauptstadt und ihrer Umgebung. Verlag Ludwig Röhrscheid, Bonn 1984, ISBN 3-7928-0479-4.
  7. Katja Hasche: Königswinter. In: LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland (Hrsg.): Siedlungen in Nordrhein-Westfalen: Rheinschiene (= Die Bau- und Kunstdenkmäler von Nordrhein-Westfalen. 1. Rheinland). Michael Imhof Verlag, Petersberg 2020, ISBN 978-3-7319-0966-8, Band 2, S. 881–886.
  8. Wohnhäuserreihe (Memento vom 4. März 2016 im Internet Archive), Forschungsprojekt Architektur und Ingenieurbaukunst der 1950er, 60er und 70er Jahre in NRW, TU Dortmund
  9. Ingeborg Flagge (Hrsg.); Ingeborg Flagge, Anette Hellmuth: FSB Architekturführer Rhein-Sieg: Stadtführer zeitgenössischer Architektur. Verlag Das Beispiel, Darmstadt 2003, ISBN 3-935243-36-7, Objekt Nr. 14.
  10. Brühl, Büro- und Lagerhaus, Wege zum Holz
  11. Ingeborg Flagge (Hrsg.); Ingeborg Flagge, Anette Hellmuth: FSB Architekturführer Rhein-Sieg: Stadtführer zeitgenössischer Architektur. Verlag Das Beispiel, Darmstadt 2003, ISBN 3-935243-36-7, Objekt Nr. 6.
  12. Iris Poßegger, Roland Weber: Der Gartenarchitekt Roland Weber (1909-1997), Grupello, 2007, ISBN 978-3-89978-075-8, S. 132.
  13. Herbert Rex: Architekturkritik in Zeitungen und Zeitschriften der Bundesrepublik: in Fallstudien undersucht an Düsseldorfer Bauprojekten der 60er und 70er Jahre, Institut für Architektur- und Stadtforschung, 1981, S. 295.
  14. Bonn-Duisdorf, Sporthalle – Wege zum Holz, Landesforsten Rheinland-Pfalz
  15. Ingeborg Flagge (Hrsg.); Ingeborg Flagge, Anette Hellmuth: FSB Architekturführer Rhein-Sieg: Stadtführer zeitgenössischer Architektur. Verlag Das Beispiel, Darmstadt 2003, ISBN 3-935243-36-7, Objekt Nr. 16.
  16. Informationstafel des Geschichtswegs Bad Honnef, Wikimedia Commons
  17. Ein Zentrum aus Glas und Stahl: Evangelische Gemeinde Bad Honnef baut an der Kirche, General-Anzeiger, 14. April 1993 (genios.de)
  18. Glas und Stahl inmitten eines großzügigen Gartens: Haus der evangelischen Kirche eingeweiht, General-Anzeiger, 24. Oktober 1994 (genios.de)
  19. Ingeborg Flagge (Hrsg.); Ingeborg Flagge, Anette Hellmuth: Gothaer Architekturführer Bonn: Stadtführer zeitgenössischer Architektur. Verlag Das Beispiel, Darmstadt 2001, ISBN 978-3-935243-07-0, Objekt Nr. 17.
  20. Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Vom Ständehaus zum Landtag am Rhein. Der Landtag Nordrhein-Westfalen 1946–1988. 2013, S. 15 ff. (PDF, landtag.nrw.de).
  21. a b Die Oberbürgermeisterin der Stadt Bonn (Hrsg.); Friedrich Busmann: Vom Parlaments- und Regierungsviertel zum Bundesviertel. Eine Bonner Entwicklungsmaßnahme 1974–2004. Bonn, Juni 2004, S. 45. (online PDF)
  22. Geschichte ab 1972, Evangelische Kirchengemeinde Bonn-Holzlar.

Koordinaten: 50° 43′ 45,8″ N, 7° 13′ 7,1″ O

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Hochhaus, ehemals Sitz Deutsche Welle, Köln. Architekt: Planungsgruppe Stieldorf, Baujahr: 1976-78, Bauherr: Bundesbaudirektion
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Büro- und Lagergebäude in Brühl, Am Rankewerk 2–4. Architekten: Planungsgruppe Stieldorf mit Gottfried Böhm
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