Piuro

Piuro
Piuro (Italien)
Piuro (Italien)
StaatItalien
RegionLombardei
ProvinzSondrio (SO)
Koordinaten46° 20′ N, 9° 25′ O
Höhe382 m s.l.m.
Fläche85 km²
Einwohner1.901 (31. Dez. 2022)[1]
Postleitzahl23020
Vorwahl0343
ISTAT-Nummer014050
Bezeichnung der BewohnerPiuresi
SchutzpatronMariä Himmelfahrt (14. August)
WebsitePiuro
(c) Vonvikken, CC BY-SA 3.0 it
Gemeinde Piuro in der Provinz Sondrio
Wasserfall Acquafraggia

Piuro (dt. Plurs, rätoromanisch Plür) ist ein Dorf in der Provinz Sondrio in der Lombardei, Italien. Piuro hat 1901 Einwohner (Stand 31. Dezember 2022) auf 48 km².

Geografie

Piuro liegt nahe der Grenze zum Kanton Graubünden, Schweiz, und gehört geografisch zum Bergell. Das Dorf liegt an der Mündung des Valle Drana in die Mera und setzt sich aus einer Vielzahl von Weilern zusammen. Die wichtigsten sind Prosto, Borgonovo und Santa Croce. Die kleineren heißen Sant’Abbondio, Aurogo, Scilano und Cranna. Hoch oben am Berg und mit dem Auto nicht erreichbar liegen Savogno und Dasile[2] und die Wasserfälle Acquafraggia.[3] Nördlich der Wasserscheide beim Leipass befindet sich das Tal Valle di Lei, das aufgrund historischer Weiderechte zum Gebiet von Piuro gehört. Im Tal liegt der Stausee Lago di Lei.

Geschichte

Matthäus Merian: Plurs vor und nach dem Bergsturz. Abbildung aus Martin Zeiller, Topographia Helvetiae, 1642/1654

1021 wurde Plurium erstmals erwähnt. Damals gehörte der Ort noch zum größeren Chiavenna. Im 15. Jahrhundert erlangte Plurs die Selbständigkeit.

Durch den Abbau von Speckstein und dessen Verarbeitung zu Hausgeschirr und Kochtöpfen, den Export von Lavezprodukten und den europaweiten Handel mit Seide aus dem Gebiet des Comersees gelangte das Städtchen zu Reichtum und Wohlstand. Ein Zeitzeuge schrieb im 17. Jahrhundert von Häusern, „die man eher große Paläste nennen konnte. […] Ja es schien, als habe hier Krösus den Reichtum angesammelt und Kleopatra ihre kostbaren Juwelen getragen“.[4]

Plurs besitzt Alpweiden auf der hohen Talstufe beim See Lago dell’Acqua Fraggia, und die Gemeinde erwarb sich schon früh auf der Nordseite der Bergkette im Valle di Lei auf den ausgedehnten Alpweiden eine zusätzliche Basis für die Viehwirtschaft.

Plurs blieb 1487 vom Bündnerfeldzug verschont, weil der verwandte Berthold Fontana aus Riom im bündnerischen Oberhalbstein intervenierte und eine Brandschatzungssumme entrichtete. Als 1512 die Bündner das Veltlin eroberten, wurde Plurs Amtssitz eines Podestaten. Um 1550 kamen vom Bergell her in Plurs und Ponteggia evangelische Gemeinden auf. Führende Vertreter der Kaufmannsfamilien Lumaga und Camulio, die in Italien der Inquisition ausgesetzt waren, förderten hier die Reformation, indem sie italienische Glaubensflüchtlinge aufnahmen, und wirkten im reformierten Kirchenrat mit.[5] 1597 führten namhafte reformierte und katholische Theologen in der Kirche San Giovanni eine öffentliche Disputation über den Stellenwert der Messe durch.

Der Bergsturz von Plurs 1618

Der unkontrollierte Lavezsteinabbau hatte den Berg Conto unterhöhlt und zehn Tage Regen führten am 25. Augustjul. / 4. September 1618greg. zu einem schweren Bergsturz: vom Monte Conto lösten sich infolge der Unterhöhlungen große Felsmassen, die das Dorf Piuro und den etwa 500 Meter bergwärts liegenden Weiler Scilano (Schilan) unter hohen Gesteinstrümmern begruben und den Fluss Mera für kurze Zeit zu einem See stauten. Der Kommissar von Chiavenna, Fortunat Sprecher, nannte in seinem zweiten Bericht an die Bündner Regierung in Chur 930 Todesopfer,[6] Sprechers Zeitgenosse, der Historiker Benedetto Parravicini, erhöhte die geschätzte Zahl um 300 auf 1200 insgesamt.[7]

Die Berichte in den damaligen Zeitungen über den Bergsturz auf das wohlhabende Handelsstädtchen Plurs nahmen teilweise legendäre Züge an, die sich durch die späteren Ausgrabungen nicht belegen ließen. Der Zürcher Kupferstecher Hardmeyer illustrierte als erster wenige Wochen danach den Bergsturz mit einigen geographischen Fehlern, da er den Ort nie gesehen hatte. Weitere Stecher in Europa kopierten seine fehlerhafte Vorlage.[8][9][10][11] Die Drei Bünde veranlassten gleich nach der Katastrophe erste Ausgrabungen. Letzte Sondierungen erfolgten noch 1963–1966 durch die italienisch-schweizerische Vereinigung für die Ausgrabung von Piuro.[12][13] Die Vereinigung gab ein Bibliografie der Veröffentlichungen zur Geschichte von Plurs heraus.[14] In der Kirche Sant’Abbondio in Chiuro befindet sich eine kleine Ausstellung über das verschüttete Plurs.[15]

(c) schoella, CC BY 3.0
Palazzo Vertemate

Sehenswürdigkeiten

  • Pfarrkirche San Martino di Tours (11. Jahrhundert) im Ortsteil Santa Croce[16] mit mittelalterlichen Fresken des Malers Maestro dell’Apocalisse di Civate aus den Jahren 1030–1050, die ältesten Fresken der Provinz Sondrio.
  • Kirche Auffindung des Kreuzes im Ortsteil San Croce, eine kreisförmige, zum ersten Mal im Jahr 1176 erwàhnte romanische Kirche. Das hölzerne Altarbild von Yvo Strigel von Memmingen ist mit 1499 datiert.
  • Palazzo Vertemate-Franchi (vor 1618)[17][18][19]. Nach dem Erdrutsch blieb er als Hauptpalast der Familie erhalten und wurde nach und nach restauriert. Heute befindet er sich im Besitz der Gemeinde Chiavenna.[20]
  • Kirche Sant’Abbondio im Ortsteil Borgonuovo. Sie beherbergt das archäologische Museum, das Piuro vor 1618 gewidmet ist und diejenigen Funde enthält, die vom italienisch-schweizerischen Verein der Scavi di Piuro gefunden wurden.
  • Glockenturm Sant’Abbondio (1600) im Ortsteil Belfort.
  • In den Trotten in den alten Vierteln von Piuro stehen Balkenpressen, die zum Pressen der Trauben und zum anschließenden Pressen des Trester verwendet wurden.
  • Acquafraggia-Wasserfälle[21]

Persönlichkeiten

  • Guglielmo da Piuro (* um 1440 in Piuro; † nach 1478 ebenda?), Bildhauer, Architekt in Celerina/Schlarigna[22]
  • Mino Celsi (1514–1575), Edelmann, Humanist und Publizist[23]
  • Luigi Guanella (1842–1915), Pfarrer von Savogno Fraktion der Gemeinde Piuro
  • Ponziano Togni (1906–1971), Architekt, Maler, Zeichner und Wandmaler

Literatur

  • B. Mathieu: Plurs. In: Historisch-Biographisches Lexikon der Schweiz, Band 5, Pictet – Resti. Attinger, Neuenburg 1921, S. 456 (Digitalisat).
  • Günther Kahl: Plurs: zur Geschichte der Darstellungen des Fleckens vor und nach dem Bergsturz von 1618. In: Zeitschrift für schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte. Band 41, Verlag Karl Schwegler AG, Zürich 1984.
  • Martin Bundi: Plurs. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 11. Februar 2010.
  • Katrin Hauer: Der plötzliche Tod. Bergstürze in Salzburg und Plurs kulturhistorisch betrachtet. LIT-Verlag, Wien 2009, ISBN 978-3-643-50039-7 (Kulturwissenschaft; 23); dieselbe: Bergstürze kulturhistorisch betrachtet: Salzburg und Plurs im Vergleich. In: Kreye und andere (Hrsg.): Natur als Grenzerfahrung. Universitätsverlag Göttingen, Göttingen 2009.
  • Helmut Presser: Vom Berge verschlungen, in Büchern bewahrt. Herbert Lang, Bern 1963.
  • Alex Capus: 13 wahre Geschichten. Historische Miniaturen. Deuticke, Wien 2004; dtv, München 2006, ISBN 3-423-13470-4, S. 99–109: Gottes Zorn im Bündnerland.

Weblinks

Commons: Piuro – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Bilancio demografico e popolazione residente per sesso al 31 dicembre 2022. ISTAT. (Bevölkerungsstatistiken des Istituto Nazionale di Statistica, Stand 31. Dezember 2022).
  2. Von Ponteggia führt eine Bergstraße, nur mit Bewilligung befahrbar, zu einem Parkplatz 750 m vor Savogno; nach dem noch höher gelegenen Dasile führt von Savogno ein Saumweg empor. Der Materialtransport nach Savogno und von dort nach Dasile erfolgt mit zwei Materialseilbahnen.
  3. Website valchiavenna.com mit Beschreibung der Wasserfälle Acquafraggia, Weiler Savogno und Dasile
  4. Presser, S. 17.
  5. Manfred Edwin Welti: Kleine Geschichte der italienischen Reformation (= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte. Band 193). Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, Gütersloh 1985 (digitalisiert 2006 University of Michigan), ISBN 978-3-5790-1663-4, S. 91–134: Das Exil.
  6. Rapporto del 26 agosto 1618 (5 settembre) di Fortunat Sprecher al Governo di Coira (Rapport von Fortunat Sprecher für die Regierung in Chur) und Descrizione dell’evento del 1629 e 1691. Associazione Italo-Svizzera per gli scavi di Piuro, abgerufen am 22. August 2018 (italienisch).
  7. Antonio Colombo: Piuro Sepolta. L’Ariete, Milano 1969. SBN=IT\ICCU\SBL\0367969.
  8. Silvia Andrea: Die Bienen von Plurs: vier Tage vor dem verheerenden Bergsturz hatten sie die Flucht ergriffen. Appenzeller Kalender 253, 1974.
  9. Campanile Legende
  10. Hauer 2010 (2), S. 275.
  11. Alex Capus: 13 wahre Geschichten. Historische Miniaturen. Deuticke, Wien 2004; dtv, München 2006, ISBN 3-423-13470-4, S. 99–109: Gottes Zorn im Bündnerland
  12. Martin Bundi: Plurs. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 11. Februar 2010.
  13. Grabungen von Plurs auf piuroitalosvizzera.net
  14. Veröffentlichungen zu Plurs auf piuroitalosvizzera.net
  15. Il paese del pianto (italienisch) auf paesidivaltellina.altervista.org/piuro
  16. Pfarrkirche San Martino di Tours (Foto)
  17. Palazzo Vertemate-Franchi Piuro auf der Plattform ETHorama
  18. Palazzo Vertemate Franchi (Foto)
  19. Guido Scaramellini, Il Vertemate Franchi di Piuro, un esempio di palazzo autarchico (italienisch), auf e-periodica.ch/digbib (abgerufen am 11. Januar 2017).
  20. Palazzo Vertemate Franchi
  21. Acquafraggia Wasserfälle auf valchiavenna.com.
  22. Guglielmo da Piuro auf archive.org/stream (abgerufen am 23. Dezember 2016).
  23. Carlos Gilly: Mino Celsi. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 16. Februar 2005, abgerufen am 28. März 2020.

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