Phosgenit

Phosgenit
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Phosgenit aus der „Monteponi Mine“, Iglesias, Sardinien
(Vergleichsmaßstab: 1 ″ mit Einkerbung bei 1 cm)
Allgemeines und Klassifikation
Andere Namen
  • Bleihornerz
  • Hornblei
  • Cromfordit
  • Kerasin
Chemische FormelPb2[Cl2|CO3]
Mineralklasse
(und ggf. Abteilung)
Carbonate und Nitrate
System-Nr. nach Strunz
und nach Dana
5.BE.20 (8. Auflage: V/C.09)
16a.03.04.01
Kristallographische Daten
Kristallsystemtetragonal
Kristallklasse; Symbolditetragonal-dipyramidal; 4/m 2/m 2/m[1]
RaumgruppeP4/mbm (Nr. 127)Vorlage:Raumgruppe/127[2]
Gitterparametera = 8,16 Å; c = 8,88 Å[2]
FormeleinheitenZ = 4[2]
Physikalische Eigenschaften
Mohshärte2 bis 3
Dichte (g/cm3)gemessen: 6,12 bis 6,15; berechnet: 6,124[3]
Spaltbarkeitdeutlich bis gut nach {001} und {110}; undeutlich nach {010}[3]
Bruch; Tenazitätmuschelig
Farbefarblos, grau, weißgelb, hellrosa, grünlich, bräunlichgelb bis braun
Strichfarbeweiß
Transparenzdurchsichtig bis durchscheinend
GlanzDiamantglanz
Kristalloptik
Brechungsindizesnω = 2,118
nε = 2,145[4]
Doppelbrechungδ = 0,027[4]
Optischer Charaktereinachsig positiv
Pleochroismussehr schwach: ω = rötlich; ε = grünlich[4]
Weitere Eigenschaften
Besondere Merkmalegelegentlich schwache gelborange Fluoreszenz unter kurz- und langwelligem UV-Licht

Phosgenit, auch unter seinen bergmännischen Bezeichnungen Bleihornerz oder Hornblei sowie synonym als Cromfordit oder Kerasin bzw. bekannt, ist ein selten vorkommendes Mineral aus der Mineralklasse der „Carbonate und Nitrate“ mit der chemischen Zusammensetzung Pb2[Cl2|CO3][2]. Das Mineral ist damit chemisch gesehen ein Blei-Carbonat mit zusätzlichen Chlorionen.

Phosgenit kristallisiert im tetragonalen Kristallsystem und entwickelt meist kurz- bis langprismatische oder tafelige Kristalle, aber auch körnige bis massige Mineral-Aggregate mit diamantähnlichem Glanz auf den Oberflächen. In reiner Form ist Phosgenit farblos und durchsichtig. Durch vielfache Lichtbrechung aufgrund von Gitterbaufehlern oder polykristalliner Ausbildung kann er aber auch durchscheinend weiß erscheinen und durch Fremdbeimengungen eine hellrosa, grünliche, gelbliche oder bräunlichgelbe bis braune Farbe annehmen.

Etymologie und Geschichte

Als Erstbeschreibung des Phosgenits gilt die von 1841 durch August Breithaupt (1791–1873), der das Mineral aufgrund seiner Zusammensetzung nach der chemischen Verbindung Phosgen benannte. Es ist allerdings möglich, dass die Erstbeschreibung auch schon um 1800 durch Dietrich Ludwig Gustav Karsten erfolgte, der es in den „Mineralogischen Tabellen“ (Berlin, Erste Edition: 78) als Hornblei beschrieb,[4] aber wohl nicht als eigenständiges Mineral erkannte.

Bereits 1785 wurde durch Charles Grenvill (nach Bridges und Smith, 1983) in England, genauer in der „Bage Mine“ bei Cromford in Derbyshire ein Mineral entdeckt, dass zunächst für eine neue Mineralart gehalten wurde und nach seiner Typlokalität als Cromfordit bezeichnet wurde.[5] Später stellte sich allerdings heraus, dass es sich um Phosgenit handelte.[6]

Klassifikation

In der veralteten, aber noch gebräuchlichen 8. Auflage der Mineralsystematik nach Strunz gehörte der Phosgenit zur gemeinsamen Mineralklasse der „Carbonate, Nitrate und Borate“ und dort zur Abteilung der „Wasserfreien Carbonate mit fremden Anionen“, wo er als Namensgeber zusammen mit Bismutit die „Phosgenit-Bismutit-Gruppe“ mit der System-Nr. V/C.09 und den weiteren Mitgliedern Beyerit und Kettnerit bildete.

Die seit 2001 gültige und von der International Mineralogical Association (IMA) verwendete 9. Auflage der Strunz’schen Mineralsystematik ordnet den Phosgenit in die neu definierte Klasse der „Carbonate und Nitrate“, dort aber ebenfalls in die Abteilung der „Carbonate mit zusätzlichen Anionen; ohne H2O“ ein. Diese ist weiter unterteilt nach den in der Verbindung vorherrschenden Metallen, so dass das Mineral entsprechend seiner Zusammensetzung in der Unterabteilung „Mit Blei (Pb) und Bismut (Bi)“ zu finden ist, wo es zusammen als einziges Mitglied die unbenannte Gruppe 5.BE.20 bildet.

Auch die vorwiegend im englischen Sprachraum gebräuchliche Systematik der Minerale nach Dana ordnet den Phosgenit in die Klasse der „Carbonate, Nitrate und Borate“ und dort in die Abteilung der „Carbonate - Hydroxyl oder Halogen“ ein. Hier ist er als einziges Mitglied in der unbenannten Gruppe 16a.03.04 innerhalb der Unterabteilung „Carbonate - Hydroxyl oder Halogen mit (AB)2(XO)3Zq“ zu finden.

Kristallstruktur

Phosgenit kristallisiert tetragonal in der Raumgruppe P4/mbm (Raumgruppen-Nr. 127)Vorlage:Raumgruppe/127 mit den Gitterparametern a = 8,16 Å und c = 8,88 Å sowie 4 Formeleinheiten pro Elementarzelle.[2]

Eigenschaften

Phosgenit zeigt gelegentlich schwache gelborange Fluoreszenz unter kurz- und langwelligem UV-Licht.

Bildung und Fundorte

(c) Christian Rewitzer, CC BY-SA 3.0
Wasserklarer Phosgenit aus der Schlackenlokalität Vrissaki Point, Lavrio, Attika, Griechenland (Vergleichsmaßstab: 1 ″ mit Einkerbung bei 1 cm)

Phosgenit ist ein typisches Sekundärmineral und bildet sich als Umwandlungsprodukt aus Bleiglanz (PbS) unter Einwirkung kohlensäurehaltiger oder chlorhaltiger Gewässer wie beispielsweise Meerwasser in der Oxidationszone von Blei-Lagerstätten. Es tritt dort in Paragenese mit Cerussit, Anglesit, Matlockit, Laurionit und anderen sekundären Bleimineralen auf.

Als seltene Mineralbildung konnte Phosgenit nur an wenigen Orten nachgewiesen werden, wobei bisher (Stand 2016) rund 150 Fundorte als bekannt gelten.[7]

In Deutschland trat das Mineral bisher unter anderem auf Schlackenhalden bei Richelsdorf in Hessen, Astfeld in Niedersachsen und der ehemaligen Gemeinde Kall (heute Mechernich) sowie in verschiedenen Gruben bei Selbeck (Ratingen), Velbert, Essen und Marl in Nordrhein-Westfalen und Puderbach in Rheinland-Pfalz auf.

In Österreich fand man Phosgenit auf einer Schlackenhalde bei Waitschach (Gemeinde Hüttenberg) in Kärnten, auf Schlackenhalden in der Gemeinde Kolm-Saigurn im Hüttwinkl-Tal (Hohe Tauern) und bei Schwarzleo in der Gemeinde Leogang in Salzburg und in der Gemeinde Oberzeiring in der Steiermark.

Weitere Fundorte liegen unter anderem in Argentinien, Australien, Brasilien, Chile, Frankreich, Griechenland, Iran, Irland, Italien, Marokko, Mexiko, Namibia, Norwegen, Polen, Russland, Südafrika, Tschechien, Tunesien, im Vereinigten Königreich (UK) und den Vereinigten Staaten von Amerika (USA).[8]

Verwendung

Als Pigment und in der Medizin

Bei der chemischen Analyse verschiedener Kosmetika und Augenschminke der Alten Ägypter wurden ungewöhnlicherweise auch Gemenganteile von Phosgenit und Laurionit gefunden. Beide Minerale sind überwiegend weiß und kommen nur selten in der Natur vor. Experimente bewiesen, dass die Verbindungen mit geringem Aufwand wenn auch zeitintensiv schon bei Zimmertemperatur synthetisch hergestellt werden kann. Die untersuchenden Forscher stellten die Vermutung auf, dass der Verwendungsgrund nicht allein die Einstellung der gewünschten Schminkfarbe gewesen sein konnte, da dies leichter durch die Verwendung des reichlich natürlich vorkommenden Cerussits zu bewerkstelligen gewesen wäre.

In der Römerzeit wurden diese Substanzen zu therapeutischen, gesundheitsvorbeugenden und kosmetischen Zwecken verwendet. In antiken Texten von Plinius dem Älteren und Pedanios Dioskurides ist zu lesen, dass das hergestellte Puder zu einer Art Augentropfen verarbeitet wurde oder genutzt wurde, um Hautflecken im Gesicht der Frauen zu überdecken.[9]

Als Schmuckstein

Zur kommerziellen Verwendung als Schmuckstein ist der Phosgenit mit einer Mohshärte von nur 2 bis 3 zu weich. Als Sammelobjekte werden sie dennoch gern von Hobby- oder auch professionellen Schleifern in Facettenform geschliffen.[10][11]

Siehe auch

Literatur

  • Dietrich Ludwig Gustav Karsten: Tabellarische Uebersicht der mineralogisch-einfachen Fossilien [als Hornblei]. In: Mineralogische Tabellen Heinrich August Rottmann, Berlin 1800, S. 50–50
  • August Breithaupt: Phosgenites plumbosus kürzer Phosgenit. In: Vollständige Charakteristik des Mineral-Systems. Band 2, Arnoldische Buchhandlung, Dresden und Leipzig 1841, S. 183–184 (137,7 kB)
  • Friedrich Klockmann: Klockmanns Lehrbuch der Mineralogie. Hrsg.: Paul Ramdohr, Hugo Strunz. 16. Auflage. Enke, Stuttgart 1978, ISBN 3-432-82986-8, S. 580 (Erstausgabe: 1891).
  • Petr Korbel, Milan Novák: Mineralien-Enzyklopädie. Dörfler Verlag GmbH, Eggolsheim 2002, ISBN 978-3-89555-076-8, S. 125.

Weblinks

Commons: Phosgenite – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Webmineral – Phosgenite
  2. a b c d Hugo Strunz, Ernest H. Nickel: Strunz Mineralogical Tables. 9. Auflage. E. Schweizerbart'sche Verlagsbuchhandlung (Nägele u. Obermiller), Stuttgart 2001, ISBN 3-510-65188-X, S. 300.
  3. a b Phosgenite. in: John W. Anthony, Richard A. Bideaux, Kenneth W. Bladh, Monte C. Nichols (Hrsg.): Handbook of Mineralogy, Mineralogical Society of America. 2001 (handbookofmineralogy.org PDF; 63,5 kB).
  4. a b c d Mindat – Phosgenite
  5. J. Jones: Mineralogy of Bage Mine. In: Bulletin Peak District Mines Historical Society. Band 8, Nr. 4, December 1982 (englisch, PDF 150,2 kB (Memento des Originals vom 13. Mai 2012 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.pdmhs.com).
  6. Rocks and Crystals from Derbyshire – Cromfordite (Memento vom 26. August 2004 im Internet Archive) (englisch)
  7. Mindat – Anzahl der Fundorte für Phosgenite
  8. Fundortliste für Phosgenit beim Mineralienatlas und bei Mindat
  9. Schminke der Ägypter. (Memento vom 7. Juli 2012 im Webarchiv archive.today) – Sendereihe „Archimedes“ bei ARTE vom 17. Juli 2001.
  10. Walter Schumann: Edelsteine und Schmucksteine. Alle Arten und Varietäten. 1900 Einzelstücke. 16. überarbeitete Auflage. BLV Verlag, München 2014, ISBN 978-3-8354-1171-5, S. 224.
  11. Realgems – Phosgenit (mit Bildbeispielen geschliffener Steine)

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Autor/Urheber: Rock Currier, Lizenz: CC BY 3.0
Phosgenit
Fundort: Monteponi Mine, Iglesias, Provinz Carbonia-Iglesias, Sardinien, Italien
Mineralprobe aus der Sammlung des Smithsonian Instituts - Länge des Vergleichsmaßstabs am unteren Bildrand beträgt 1 Zoll (= 2,54 cm) mit einer Einkerbung bei einem Zentimeter.