Pflichtjahr

Zwischen dem Ende der Schulzeit und dem Eintritt in die Lehre oder in das Berufsleben führte der Staat 1938 mit der „Anordnung zur Durchführung des Vierjahresplans über den verstärkten Einsatz weiblicher Arbeitskräfte in der Land- und Hauswirtschaft“ für alle Frauen unter 25 Jahren das Pflichtjahr ein.[1]

Ausgenommen waren verheiratete Frauen mit Kindern und Frauen, die ohnehin einen Beruf in diesen Bereichen der Land- oder Hauswirtschaft ausübten. Eine Bescheinigung über das abgeschlossene Pflichtjahr musste im Arbeitsbuch eingetragen werden.

Die Frauen und Mädchen sollten während ihres Pflichtjahres auf ihre künftige Rolle als Hausfrau und Mutter vorbereitet werden. Gleichzeitig dienten sie zur Entlastung in Haushalten, in denen es aufgrund des Krieges an Arbeitskräften mangelte; dies galt besonders in der Landwirtschaft.

Das Pflichtjahr ist nicht identisch mit der Ableistung des Reichsarbeitsdienstes. Junge Frauen hatten diesbezüglich eine Doppelbelastung zu tragen: Nach der Schule, vor der Lehre musste das Pflichtjahr beim Bauern absolviert werden, nach der Lehre war ein halbes Jahr Arbeitsdienst verpflichtend. In Kriegszeiten wurden die jungen Frauen zum Kriegshilfsdienst eingezogen, wofür die Zeit des Pflichtdienstes auf ein Jahr verlängert wurde.[2]

Das Pflichtjahr löste das seit 1934 etablierte Landjahr, ein etwa acht Monate (April bis November) dauerndes Lager für Arbeit und Erholung des Reichserziehungsministeriums, ab.

Ohne den Nachweis über das abgeleistete Pflichtjahr konnte keine Lehre oder anderweitige Ausbildung begonnen werden.

Grund für das Pflichtjahr laut dem NS-Regime

Die hauswirtschaftliche Ausbildung stellte die Grundlage aller Frauenberufe dar. Die Erlernung des Haushaltes war das Wichtigste, was ein Mädchen bzw. eine Frau lernen konnte. Alle Mädchen sollten einmal tüchtige Hausfrauen und Mütter werden. Die Kinder konnten nur gesund und ordentlich erzogen werden, wenn die Mutter eine tüchtige Hausfrau war. Die Hausfrau konnte nur tüchtig sein und richtig wirtschaften, wenn sie die Hauswirtschaft ordentlich erlernt hatte.[3]

Entwicklung des Pflichtjahres

Hermann Göring ordnete im Februar 1938 das sogenannte Pflichtjahr an, das im März desselben Jahres in Kraft trat. Alle Frauen unter 25 Jahren durften von privaten und öffentlichen Betrieben der Bekleidungs-, Textil- und Tabakindustrie nur dann eingestellt werden, wenn sie eine mindestens einjährige Beschäftigung in der Land- oder Hauswirtschaft nachweisen konnten. Dies galt auch für Anstellungen in Büros oder kaufmännischen Beschäftigungen. Als Alternative zum einjährigen Pflichtjahr auf dem Land konnte man auch einen zweijährigen Dienst in der Wohlfahrtspflege oder im Gesundheitssektor erbringen.[4]

In das Pflichtjahr wurde das bereits bestehende Hauswirtschaftliche Jahr eingegliedert, das im Mai 1934 veranlasst worden war, um die große Zahl an Schulabsolventinnen in eine Warteschleife zu schicken und sie so aus dem Arbeitsmarkt zu nehmen, da es zu wenige Ausbildungsplätze gegeben hatte. Die Eingliederung des Hauswirtschaftlichen Jahres diente dazu, eine Barriere aufzustellen, mit der man die Berufswahl der Frauen stärker beeinflussen konnte.[4]

Das Pflichtjahr war eine Institution, die – verglichen mit der freiwilligen Landhilfe oder dem Landdienst der Hitlerjugend – erst relativ spät eingeführt worden war. Sie unterschied sich von dem 1930 gegründeten „Frauenarbeitsdienst“, der bis 1938 auf Freiwilligkeit basierte und anfangs nur den männlichen Arbeitsdienst unterstützte. Später wurde der „Frauenarbeitsdienst“ in den „Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend“ eingegliedert und konzentrierte sich so auf die hauswirtschaftliche und ideologische Schulung junger Mädchen, und nicht auf die Erbringung einer tatsächlichen Arbeitsleistung.[5]

Der Mangel an Arbeitskräften in der Land- und Hauswirtschaft blieb bis zu Görings Einführung des Pflichtjahres ein großes Thema in der Politik. Das Pflichtjahr war eine erste Dienstverpflichtung in Zeiten einer kriegsbedingten Notlage und sollte eine schnelle Beschaffung von Arbeitskräften ermöglichen.[5]

Zunächst löste die Einführung des Pflichtjahrs Bestürzung in der Bevölkerung aus. Junge Mädchen, die nicht in land- oder hauswirtschaftlichen Berufen arbeiten wollten, oder Eltern, die für ihre Töchter andere Berufe vorgesehen hatten, waren unzufrieden mit dieser Verordnung.[4]

Im Jahr 1938 kamen rund 130.000 Mädchen aufgrund des Pflichtjahres in Land- und Hauswirtschaft sowie in Berufe, die die Pflege betrafen. Der Bedarf war damit aber nicht gedeckt. Daher verschärfte das Regime im Januar 1939 die Bestimmungen dadurch, dass nun sämtliche Branchen betroffen waren. 300.000 bis 400.000 Mädchen und junge Frauen unter 25 Jahren wurden erfasst. Zudem musste das Arbeitsamt dem Pflichtjahr zustimmen; dadurch verstärkte sich die Lenkkraft der Arbeitsverwaltung und es konnten Vorgaben gemacht werden, wo das Pflichtjahr absolviert werden musste. Durch diese Entwicklung wurde das bisher partielle Pflichtjahr, das den direkten Zugang zu einigen Berufen versperrt hatte, zu einem allumfassenden.[4]

Mit dem fortschreitenden Kriegsgeschehen kam es zu einem Positionsstreit. Die arbeitspolitischen Entscheidungsträger konnten sich bei der allgemeinen Durchsetzung der Dienstpflicht für alle nichterwerbstätigen Frauen nicht entscheiden, und bis zum Ende des Krieges kam es zu keinem Ergebnis. Die Befürworter und Gegner standen in einem Zwiespalt. Einerseits wurde die Frau als eine bedeutende Arbeitskraft für den Krieg gesehen, andererseits wurde sie in ihrer Rolle als Mutter und Hausfrau wahrgenommen, und eine Dienstpflicht würde diesem Bild entgegenwirken.[5]

Literatur

  • Gertrud Albrecht: Das Pflichtjahr. Berlin : Junker und Dünnhaupt, 1942 (mit einer ausführlichen Übersicht über die Rechtsgrundlagen des „Pflichtjahres“, die für die Durchführung zuständigen staatlichen Stellen sowie deren Aufgaben (Deutsche Arbeitsfront, Arbeitsämter, Arbeitsgerichte) sowie die Rechte und Pflichten der betroffenen Mädchen und jungen Frauen, ihrer Eltern sowie der beteiligten Arbeitgeber).[6]
  • Stichwort Pflichtjahr (Pflichtjahrmädchen, -mädel), in: Cornelia Schmitz-Berning: Vokabular des Nationalsozialismus. Berlin : Walter de Gruyter, 1998, S. 465f.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Ausstellung "Lebensstationen" im Zeughaus Berlin
  2. Ausstellung "Lebensstationen" im Zeughaus Berlin.
  3. Cornelia Schmitz-Berning: Vokabular des Nationalsozialismus. 2. Auflage. Berlin/New York 2007, S. 465–466.
  4. a b c d Detlev Humann: „Arbeitsschlacht“. Arbeitsbeschaffung und Propaganda in der NS-Zeit 1933–1939. In: Ulrich Herbert/Lutz Raphael (Hrsg.): Moderne Zeit. Neue Forschungen zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Band 23. Göttingen 2011, S. 149.
  5. a b c Christina Löffler: Die Rolle und Bedeutung der Frau im Nationalsozialismus. Antifeminismus oder moderne Emanzipationsförderung? Saarbrücken 2007, S. 67.
  6. PDF