Paul Preuß (Alpinist)

Paul Preuss

Paul Preuß, auch Paul Preuss (* 19. August 1886 in Altaussee; † 3. Oktober 1913 am Gosaukamm), war ein österreichischer Alpinist. Er war einer der erfolgreichsten und besten Kletterer seiner Zeit: innerhalb von nur 5 Jahren gelangen ihm 1200 Besteigungen, davon 300 im Alleingang und rund 150 Erstbesteigungen. Er stürzte bei einer Alleinbegehung auf den Mandlkogel im Gosaukamm (Salzkammergut) ab.

Leben

Paul Preuß kam in Altaussee in einer jüdischen Familie als Sohn des Klavierlehrers Eduard Preuß und dessen Frau Caroline, geborene Lauchheim, zur Welt. Sein Vater stammte aus Ungarn, seine Mutter aus dem Elsass; die beiden hatten sich in einem adeligen Wiener Haus kennengelernt, in dem Caroline als Hausdame arbeitete und Eduard Klavierunterricht gab. 1882 heirateten sie und bezogen eine Wohnung in Wien am Franz-Josephs-Kai. Ihre Arbeitgeber gingen jedes Jahr zur Sommerfrische in das Salzkammergut, dort gab Eduard ebenfalls Klavierunterricht. Im Frühjahr 1886 erwarb die junge Familie ein kleines Haus in Altaussee, wo Preuß im August 1886 geboren wurde.[1] Er wuchs mit seinen älteren Schwestern Mina und Sophie überwiegend in Wien auf, nur die Sommer verbrachte die Familie in Altaussee.

Im Alter von sechs Jahren litt Preuß unter einer Form infektiöser Lähmung,[2] infolgedessen er monatelang das Bett hüten musste und sich nur noch im Rollstuhl fortbewegen konnte. Nach seiner Genesung war er zunächst noch schwach, weshalb sein Vater, ein Hobbybotaniker, mit ihm erste Wanderungen unternahm; dadurch erholte sich Preuß allmählich von seiner Krankheit und gewann an Kraft. Er nun spielte Tennis und nahm Fechtunterricht, auch lernte er vom Vater Klavierspielen. Als er zehn Jahre alt war, starb sein Vater.[3]

Später ging er nach München und studierte Biologie.[4] Da er als Jude nicht promovieren durfte, konvertierte er 1909 zum Protestantismus und promovierte später in Pflanzenphysiologie. Er hielt viele Vorträge über die Alpen und das Bergsteigen, auch Lichtbildvorträge – damals eine absolute Sensation.[1] Bei seinem Tod im Oktober 1913 hatte er bereits an die 50 Vorträge für die Wintersaison vereinbart. Zudem schrieb er zahlreiche Artikel in alpinen Zeitschriften. Er wird als eloquent, geistreich, humorvoll und umgänglich beschrieben. Menschen, die er nicht leiden konnte, gab er recht, mit Menschen, die er mochte, konnte er sich auch streiten.[5]

Preuß erlebte eine lange Reihe von antisemitischen Anfeindungen und Ausgrenzungen, so weigerte sich der Deutsche und Österreichische Alpenverein (DÖAV) jahrelang diesen Ausnahmekletterer aufzunehmen. Erst spät wurde er in den sich als bergsteigerische Elite definierenden Akademischen Alpenverein München aufgenommen.[6] Der DÖAV wurde sehr früh antisemitisch ausgerichtet, damit begann in den einzelnen Sektionen auch nach und nach eine Ausgrenzung der jüdischen Kletterer. Aber nicht nur die aktiven wurden ausgegrenzt, Ziel war es auch, die Erfolge von jüdischen Kletterern kleinzureden und vergessen zu machen. Bereits in den 1920ern wurde Preuß Name vom Alpenverein aus dem Geschichtsbüchern gelöscht, seine Veröffentlichungen beseitigt und seine Taten aus antisemitischen Motiven totgeschwiegen und in Deutschland vergessen.[7] Erst in den 60er Jahren lebte sein Andenken wieder auf: in den Dolomiten war er immer präsent geblieben und kam darüber wieder in das Bewusstsein von österreichischen und deutschen Bergsteigern.

Alpinistische Karriere

Paul Preuß im Schiefen Riss am Totenkirchl im Kaisergebirge

Ab einem Alter von elf Jahren wendete sich Preuß immer mehr den Bergen zu, meist in Begleitung seiner Schwester oder Schulfreunden, zunehmend auch alleine. Zuerst wagte er sich in die Wiener Hausberge, dann auf die leichteren Gipfel des Salzkammerguts. Dort lernte er den Ischler Salineningenieur Hans Reinl kennen, der ihm die alpinen Grundkenntnisse beibrachte.[1]

Der Bergsteiger Kurt Maix, der ihn gut kannte, wird später festhalten: „Die Berge machten ihn gesund. Er begann nicht als Kletterer. Er stieg und kraxelte herum, er sucht Pflanzen und Kräuter – wie die Einheimischen es auch tun. Er lernte den wiegenden Gang, die Trittsicherheit – wie er es eben bei den Einheimischen gesehen hatte.“ Damit legte er die Basis für seine späteren bergsteigerischen Erfolge.[8]

Seine erste wirklich alpine Begehung war am 11. Januar 1908 die Durchsteigung der Planspitze Nordwand im Gesäuse. Damit begannen für Preuß die Jahre, in der er sein Können mit jeder Wand steigerte. Schnell eroberte er die großen Wände im Wilden Kaiser, in den Westalpen, aber vor allem immer wieder in den Dolomiten.[1]

Bei schlechten Wetter trainierte er auch zuhause mit einfachen Hilfsmitteln, so stellte er etwa auf einen Schrank zwei Gläser auf den Rand und machte an ihnen Klimmzüge – ein perfektes Training für brüchigen Fels.[7] Er war als Kletterer ein Naturtalent: „Sein Klettern war am ehesten dem Tanzen zu vergleichen, so schwerelos, so ohne Mühe, so durchaus lustbetont ist es erfolgt“ erinnerte sich später sein Freund Alexander Hartwich.[5] Preuß beginnt erst 1910 ein Tourenbuch zu führen, seine frühen Klettertouren sind nur durch Erzählungen seiner Schwestern und seiner Freundin Emmy Eisenberg dokumentiert – diese waren häufig seine Seilkameradinnen.[8]

Paul Preuß klettert am 28. Juli 1911 mit seiner Schwester Mina an der Guglia di Brenta

1911 kletterte Preuß im Alleingang durch die Totenkirchl-Westwand im Kaisergebirge, er brauchte dafür nur zweieinhalb Stunden, ein absoluter Rekord. Nur eine Woche später, am 28. Juli 1911 brach er mit seiner bergsteigerisch ebenfalls sehr ehrgeizigen Schwester Mina und seinem Freund Paul Relly in die Brentagruppe auf. Hier gelang Preuß eine Erstbegehung an der Ostwand der Guglia di Brenta im Trentino, erst 17 Jahre später gelang eine Wiederholung dieser Route.[3] Mina und Paul hatten sich während dieser Tour verlobt. Im gleichen Jahr ist dem Trio auch an den Drei Zinnen eine spektakuläre Erstbegehung gelungen, sie haben den Turm durch einen schwierigen Riss bestiegen. Zu seinen Ehren heißt der Turm seither im italienischen „Torre Preuß“.[1] Allein im Jahr 1911 machte er 93 Touren in nur vier Monaten, viele davon zählen zu den schwersten Touren seiner Zeit.[9] Preuß war schnell und sicher im Fels unterwegs, er beeindruckte auch den jungen Luis Trenker tief.[2]

In seinem kurzen Leben machte er mehr als 1200 Fels-, Ski- und Hochtouren[4], davon 150 Erstbegehungen und 300 Besteigungen im Alleingang[10]. Er verzichtete bewusst auf jegliche Sicherungs- und Hilfsmittel, sogar das Abseilen lehnte er ab. Er gilt heute als einer der geistigen Väter des Freikletterns und als einer der besten Kletterer seiner Zeit. Preuss war ein vielseitiger Alpinist, der nicht nur den Fels beherrschte, sondern auch Erstbegehungen auf Schnee und Eis unternahm. Er betrieb auch Skibergsteigen, Skitraversen (in beiden Bereichen gelangen ihm Erstbegehungen) und Schneeschuhwandern.

Am 3. Oktober 1913 stürzte Paul Preuß im Alter von nur 27 Jahren aus dem oberen Abschnitt der Nordkante des Mandlkogels im Dachsteingebirge ab.[5] Auf einem Felsband im Schlussteil der Kante wurden einige seiner Ausrüstungsgegenstände gefunden, aufgrund der Auffindesituation besteht die Vermutung, dass er gerastet hat und dabei den Halt verloren hat. Erst elf Tage später wurde seine Leiche am Fuß des Berges unter Schnee geborgen. Die Umstände des Absturzes konnten nicht abschließend geklärt werden.

Preuß Klettergrundsätze

Preuß ist nicht nur für seine Leistungen, sondern auch für seine Leitsprüche berühmt. Besonders anerkannt ist seine Forderung, man müsse die Kletterstellen, die man nach oben klettert, auch frei abklettern können. Die Grundsätze, die er für das Klettern formuliert hat, hat er im September 1911 in der Deutschen Alpenzeitung unter dem Titel Künstliche Hilfsmittel auf Hochtouren veröffentlicht und lauten im Einzelnen:

  1. „Bergtouren, die man unternimmt, soll man nicht gewachsen, sondern überlegen sein.“
  2. „Das Maß der Schwierigkeiten, die ein Kletterer im Abstieg mit Sicherheit zu überwinden im Stande ist und sich auch mit ruhigem Gewissen zutraut, muss die oberste Grenze dessen darstellen, was er im Aufstieg begeht.“
  3. „Die Berechtigung für den Gebrauch von künstlichen Hilfsmitteln entsteht daher nur im Falle einer unmittelbar drohenden Gefahr.“
  4. „Der Mauerhaken ist eine Notreserve und nicht die Grundlage einer Arbeitsmethode.“
  5. „Das Seil darf ein erleichterndes, niemals aber das allein seligmachende Mittel sein, das die Besteigung der Berge ermöglicht.“
  6. „Zu den höchsten Prinzipien gehört das Prinzip der Sicherheit. Doch nicht die krampfhafte, durch künstliche Hilfsmittel erreichte Korrektur eigener Unsicherheit, sondern jene primäre Sicherheit, die bei jedem Kletterer in der richtigen Einschätzung seines Könnens zu seinem Wollen beruhen soll.“

Bekannt ist auch seine Position im „Mauerhakenstreit“: Preuß war derjenige, der das Setzen von Haken nicht befürwortete und sich dafür einsetze, dass nur die alleinige Begehung einer Route ohne technische Hilfsmittel gilt. Haken sollten nur zur Sicherung eingesetzt werden, niemals zur Fortbewegung. Er hatte zwar Hammer und Haken als Sicherung dabei, setzte sie aber nur sehr spärlich ein. Damals wurden Haken noch nicht permanent wie heutzutage gesetzt, sondern meist nach der Begehung wieder entfernt. Damit hatte er eine erstaunlich moderne Ansicht, die noch 100 Jahre nach seinem Tod Bestand hat. Ebenfalls recht modern mutet eine andere Aussage Preuß an: „Wenn der Alpinismus eine Zukunft hat, dann wird er im alpinen Sport liegen“.[6]

Ein anderes Zitat von Preuß ist nicht so modern: „Die Frau ist der Ruin des Alpinismus.“ Er lag damit im frauenfeindlichen Trend seiner Zeit, auch wenn er persönlich häufig mit seiner Schwester und mit Emmy Eisenreich auf Bergtour ging.[6]

Erstbegehungen

Einige der etwa 150 Erstbegehungen von Paul Preuß sind[11]:

Gedenken

Paul-Preuß-Hütte (2243 m)

Obwohl Preuss 1909 zum Protestantismus konvertiert war, galt er den Nationalsozialisten als Jude und wurde nach Möglichkeit totgeschwiegen, dies wurde auch vom Alpenverein fortgesetzt. Erst in den 1960er Jahren hat man sich wieder seiner erinnert.[2]

Ihm zu Ehren wurde die Kleinste Zinne der Drei Zinnen in den italienischen Dolomiten Preußturm benannt, ebenso die Paul-Preuß-Straße in München-Feldmoching und die Preuß-Hütte in der Rosengartengruppe, die 20 Jahre nach seinem Tod von Tita Piaz zu seinem Gedenken errichtet wurde.[12] Anlässlich seines hundertsten Todesjahres wurde 2013 in Altaussee eine von Walter Angerer d. J. geschaffene Schattenskulptur zur Erinnerung an Paul Preuß enthüllt.[13]

Paul-Preuß-Preis

Paul-Preuß-Denkmal, Altaussee

2014 gründeten Bergsteiger und Alpinjournalisten aus Österreich, Bayern und Südtirol die Internationale Paul-Preuss-Gesellschaft (IPPG). Jährlich wird der Paul-Preuß-Preis an einen Bergsteiger vergeben, dessen Einstellung und Leistungen die Grundsätze von Preuß widerspiegeln.[14] Preuß war ein Verfechter des freien Kletterstils und einem bewussten Abwägen des Risikos, damit hat er wesentliche daran mitgewirkt, das Klettern ohne Verwendung von technischen Hilfsmittel weiterzuentwickeln, aber auch einen verantwortungsbewussten Umgang mit den Bergen propagiert. Sein Credo war „Das Können ist des Dürfens Maß“.

Der Preis wird an extreme, aktive Kletterer verliehen, die herausragende Leistungen im Gebirge vollbracht haben und gleichzeitig zweifelsfrei und glaubwürdig dem Grundsatz „by fair means“ gefolgt sind, deren Handeln bisherigen Vorbildwirkung, von innovativen Zielsetzung und von Nachhaltigkeit bestimmt war. Ausgezeichnet wird das bergsteigerische Lebenswerk und nicht eine einzelne Höchstleistung.[15]

Der Preis wird einmal jährlich vergeben. Er besteht aus einer Skulptur, der eine kleinere Variante der von Walter Angerer d. Jüngeren am Altaussee ist, und eine Urkunde. Der Förderpreis ist zusätzlich mit 5000 Euro dotiert.

Preisträger sind beispielsweise:[16]

Literatur

Weblinks

Commons: Paul Preuß – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b c d e Internationale Paul Preuss Gesellschaft: Portrait — Paul Preuss. Abgerufen am 9. Dezember 2023.
  2. a b c Sebastian Hofer: Paul Preuß: Vor 100 Jahren verunglückte der Philosoph des Freikletterns. Profil vom 28. Juni 2013, abgerufen am 10. November 2018.
  3. a b Zum 135. Geburtstag von Paul Preuß. 19. August 2021, abgerufen am 28. Juni 2023.
  4. a b Andi Dick: Auf dem Weg des Tänzers – Klettern auf den Spuren von Paul Preuß. (PDF; 341 kB) In: DAV Panorama. Deutscher Alpenverein, Dezember 2010, S. 95, abgerufen am 7. Juni 2012.
  5. a b c Vor 100 Jahren: Paul Preuß stürzt in den Tod. Abgerufen am 28. Juni 2023.
  6. a b c Martin Krauß: Der Träger war immer schon vorher da: die Geschichte des Wanderns und Bergsteigens in den Alpen. Nagel & Kimche, München 2013, ISBN 978-3-312-00558-1, S. 65 ff.
  7. a b Bergsteiger: Der König der Extremkletterei stürzte mit 27 ab - WELT. 3. Oktober 2015, abgerufen am 28. Juni 2023.
  8. a b Bergsteigen.at : : Alpines Lexikon. Paul Preuß, Begründer des Freikletterns. 31. Juli 2010, abgerufen am 9. Dezember 2023.
  9. Bayerischer Rundfunk: Visionär ohne Schmäh: Eröffnung des Paul-Preuß-Gedenkjahres. 16. Mai 2016 (br.de [abgerufen am 28. Juni 2023]).
  10. Martin Grabner: Paul Preuß, Begründer des Freikletterns. Bergsteigen.com, abgerufen am 7. Juni 2012 (Biographie).
  11. Paul Preuß. In: Mountain Future. Österreichischer Alpenverein, archiviert vom Original am 28. September 2007; abgerufen am 19. November 2020.
  12. Reinhold Messner: Der Philosoph des Freikletterns – Die Geschichte von Paul Preuß. 1. Auflage. Pieper Verlag, München 2011, ISBN 978-3-492-40416-7, S. 41 f.
  13. Alpenpost: Enthüllung Paul Preuß - Skulptur in Altaussee 2013; PDF, abgerufen am 6. Oktober 2014.
  14. Internationale Paul Preuss-Gesellschaft. Internationale Paul Preuss-Gesellschaft, abgerufen am 8. September 2018.
  15. Regeln für die Verleihung des Paul-Preuß-Preises. Abgerufen am 9. Dezember 2023.
  16. Internationale Paul Preuss Gesellschaft: Paul-Preuss-Preis. Abgerufen am 9. Dezember 2023.
  17. DAV (Hrsg.): Paul-Preuß-Preis verliehen. Panorama, Nr. 06/2023, S. 24.

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Paul Preuß und Mina Preuß am Guglia die Brenta (Campanile Basso) am 28.7.1911
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Paul Preuss - Denkmal in Altaussee, Zinken im Hintergrund links
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Paul-Preuss-Hütte (2243 m), Rosengartengruppe, Dolomiten
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Paul Preuss im Schiefen Riss am Totenkirchl im Kaisergebirge, vermutlich 1911