Paul Fridolin Kehr

Paul Fridolin Kehr (* 28. Dezember 1860 in Waltershausen; † 9. November 1944 in Wässerndorf, Landkreis Kitzingen) war ein deutscher Historiker, Diplomatiker und Archivar.

Leben und Wirken

Paul Fridolin war viertes Kind des damaligen Rektors der Bürger- und Gewerbeschule Waltershausen, Karl Kehr. Das Interesse für die Diplomatik weckte wohl bereits der Halberstädter Gymnasialdirektor Gustav Schmidt, an dessen Domgymnasium Kehr 1879 das Abitur ablegte. Mit ihm gemeinsam hat er päpstliche Urkunden und Regesten für die Provinz Sachsen (1353 bis 1378) im Jahre 1889 veröffentlicht. 1883 wurde Kehr an der Georg-August-Universität Göttingen promoviert. Prägend war das Jahr 1884 am Institut für Österreichische Geschichtsforschung in Wien bei Theodor von Sickel, als dessen Begleiter er 1885 erstmals Rom und die römischen Archive und Bibliotheken kennenlernte. Sickel hat ihn als Mitarbeiter für die Herausgabe der Diplome Ottos III. angestellt, doch endete die Beschäftigung 1888 abrupt. 1889 wurde Kehr an der Philipps-Universität Marburg habilitiert und Privatdozent. 1893 wurde er Professor in Marburg und 1895 in Göttingen. 1903 wurde Kehr Direktor des Preußischen Historischen Instituts in Rom, Vorgänger des heutigen Deutschen Historischen Instituts in Rom. Hier hatte er regelmäßigen Kontakt und wissenschaftlichen Austausch mit dem Priesterhistoriker Paul Maria Baumgarten. Nicht überall wurde dieser enge Umgang zwischen einem römischen Monsignore und einem preußischen Professor positiv beurteilt.[1] 1919 wurde er als korrespondierendes Mitglied in die Bayerische Akademie der Wissenschaften aufgenommen.[2]

Kehr heiratete 1908 Doris vom Baur. Aus dieser Ehe ging u. a. die Tochter Gudila – später verheiratet mit Götz Freiherr von Pölnitz – hervor. Bis 1941 war er Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für deutsche Geschichte, dessen Nachfolgeinstitut das Max-Planck-Institut für Geschichte (MPIG) in Göttingen wurde, sowie 1919 bis 1934 Präsident der Zentraldirektion der Monumenta Germaniae Historica (MGH). Nachdem Kehr Rom im Mai 1915 hatte verlassen müssen, wurde er in Berlin zum Generaldirektor der Preußischen Archive ernannt. 1938 wurde er zum korrespondierenden Mitglied der British Academy gewählt.[3]

Auf Kehr geht das Göttinger Papsturkundenwerk (auch Regesta Pontificum Romanorum oder Papsturkundenwerk der Pius-Stiftung) zurück. Für dessen Abteilung Italia Pontificia verfasste er acht Bände. Für die MGH edierte Kehr die Urkunden Ludwigs des Deutschen, Karlmanns, Ludwigs des Jüngeren, Karls III., Arnolfs und Heinrichs III. (letztere nach Vorarbeiten von Harry Bresslau). Für das Kaiser-Wilhelm-Institut konzipierte er die Germania sacra.

Im Jahr 1940 wurde ihm der Adlerschild des Deutschen Reiches verliehen mit der Würdigung „Dem hervorragenden Erforscher der mittelalterlichen Geschichte“.[4] Kehr starb in Wässerndorf und wurde auf dem Privatfriedhof derer von Pölnitz bei Schloss Hundshaupten bestattet.

Schriften

Vollständig verzeichnet bei: Stefan Weiß: Paul-Kehr-Bibliographie. In: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken. Bd. 72, 1992, S. 374–437 (perspectivia.net).

Nachdruck wichtiger Werke: Paul Fridolin Kehr: Ausgewählte Schriften. Herausgegeben von Rudolf Hiestand. 2 Teilbände. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2005, ISBN 3-525-82522-6 Inhaltsverzeichnis.

Quellen

  • Leo Just: Briefe an Hermann Cardauns, Paul Fridolin Kehr, Aloys Schulte, Heinrich Finke, Albert Brackmann und Martin Spahn 1923–1944 (= Beiträge zur Kirchen- und Kulturgeschichte. Bd. 12). Herausgegeben, eingeleitet und kommentiert von Michael F. Feldkamp. Lang, Frankfurt am Main u. a. 2002, ISBN 3-631-38931-0.

Literatur

  • Theodor SchiefferKehr, Paul Fridolin. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 11, Duncker & Humblot, Berlin 1977, ISBN 3-428-00192-3, S. 396–398 (Digitalisat).
  • Michael F. Feldkamp: Pius XI. und Paul Fridolin Kehr. Begegnungen zweier Gelehrter. In: Archivum Historiae Pontificiae. Bd. 32, 1994, ISSN 0066-6785, S. 293–328.
  • Eva Wipplinger: Medaillenkünstlerinnen in Deutschland. Kreativität in Geschichte und Gegenwart. Staatliche Galerie Moritzburg, Halle 1992, ISBN 3-86105-066-8, S. 38, Bronzeplakette von G. Budde zum 70. Geburtstag Kehrs 1930.
  • Wolfgang Leesch: Die deutschen Archivare 1500–1945. Bd. 2: Biographisches Lexikon. Saur, München u. a. 1992, ISBN 3-598-10605-X, S. 299–300.
  • Hedwig Munscheck-von Pölnitz: Der ‚Liber Vitae Pauli Fridolini Kehr‘ oder eine neue Quelle zu Paul Fridolin Kehr. In: Arno Mentzel-Reuters, Martina Hartmann, Martin Baumeister (Hrsg.): Das Reichsinstitut für ältere deutsche Geschichtskunde 1935 bis 1945 – ein „Kriegsbeitrag der Geisteswissenschaften“? Beiträge des Symposiums am 28. und 29. November 2019 in Rom (= Studien zur Geschichte der Mittelalterforschung. Bd. 1). Harrassowitz, Wiesbaden 2021, ISBN 978-3-447-11631-2, S. 221–240.
  • Horst Fuhrmann: Paul Fridolin Kehr. „Urkundione“ und Weltmann. In: Horst Fuhrmann: Menschen und Meriten. Eine persönliche Portraitgalerie. Beck, München 2001, ISBN 3-406-47221-4, S. 174–212.
  • Alberto Monticone: La cultura italiana e la Germania nel 1914. Una lettera di P.F. Kehr al principe di Bülow. In: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken. Bd. 48, 1968, S. 323–345.
  • Josef Fleckenstein: Paul Kehr. Lehrer, Forscher und Wissenschaftsorganisator in Göttingen, Rom und Berlin. In: Hartmut Boockmann, Hermann Wellenreuther (Hrsg.): Geschichtswissenschaft in Göttingen. Eine Vorlesungsreihe (= Göttinger Universitätsschriften. Serie A: Schriften. Bd. 2). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1987, ISBN 3-525-35831-8, S. 239–260.
  • Albert Brackmann (Hrsg.): Papsttum und Kaisertum. Forschungen zur politischen Geschichte und Geisteskultur des Mittelalters. Paul Kehr zum 65. Geburtstag dargebracht. Verlag der Münchner Drucke, München 1926 (Neudruck: Scientia Verlag, Aalen 1973, ISBN 3-511-10014-3).
  • Arnold Esch: Die Lage der deutschen wissenschaftlichen Institute in Italien nach dem Ersten Weltkrieg und die Kontroverse über ihre Organisation. Paul Kehrs „römische Mission“ 1919/1920. In: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken. Bd. 72, 1992, S. 314–373.
  • Roland Böhm: Paul Fridolin Kehr. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 3, Bautz, Herzberg 1992, ISBN 3-88309-035-2, Sp. 1285–1290.
  • Walther Holtzmann: Paul Fridolin Kehr. In: Deutsches Archiv für die Erforschung des Mittelalters. Bd. 9, 1951, S. 26–58 (digizeitschriften.de, Digitalisat).
  • Arnold Esch: Die deutsche Geschichtswissenschaft und das mittelalterliche Rom. Von Ferdinand Gregorovius zu Paul Kehr. In: Hartmut Boockmann, Kurt Jürgensen (Hrsg.): Nachdenken über Geschichte. Beiträge aus der Ökumene der Historiker. In memoriam Karl Dietrich Erdmann. Wachholtz, Neumünster 1991, ISBN 3-529-02715-4, S. 55–76.
  • Hedwig Munscheck-von Pölnitz: Der Lebensrückblick des Paul Fridolin Kehr. In: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte (FBPG). Neue Folge, Bd. 31, 2021, S. 97–134.
  • Hubert Jedin: In memoriam Paul Kehr. In: Hubert Jedin: Kirche des Glaubens. Kirche der Geschichte. Ausgewählte Aufsätze und Vorträge. Bd. 1: Kirchengeschichtsschreibung. Italien und das Papsttum. Deutschland, Abendland und Weltkirche. Herder, Freiburg/ Basel/ Wien 1966, S. 91–94.
  • Stephan Selzer: Zwischen Rom und Merseburg. Paul Fridolin Kehr und das Urkundenbuch des Hochstiftes Merseburg. In: Sachsen und Anhalt. Bd. 24 (2002/2003), S. 83–102.
  • Stefan Weiß: Paul Kehr. Delegierte Großforschung. Die „Papsturkunden in Frankreich“ und die Vorgeschichte des Deutschen Historischen Instituts in Paris. In: Ulrich Pfeil (Hrsg.): Das Deutsche Historische Institut Paris und seine Gründungsväter. Ein personengeschichtlicher Ansatz. Oldenbourg, München 2007, ISBN 978-3-486-58519-3, S. 36–57 (perspectivia.net, Digitalisat).

Weblinks

Fußnoten

  1. Vgl. dazu Paul Fridolin Kehr: Ältere Papsturkunden in den päpstlichen Registern. In: Nachrichten der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften. Heft 4, 1902, S. 401, Anm. 1 (Nachdruck Papsturkunden in Italien III, 1977, S. 375).
  2. Paul Fridolin Kehr. (PDF; 839 kB) Nachruf bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.
  3. Deceased Fellows. (PDF) British Academy, abgerufen am 17. Juni 2020.
  4. Wolfgang Steguweit: Der „Adlerschild des Deutschen Reiches“. In: Berlinische Monatsschrift (Luisenstädtischer Bildungsverein). Heft 6, 2000, ISSN 0944-5560, S. 187 (luise-berlin.de).