Oliver Ullrich

Raumfahrtmediziner und Gravitationsbiologe Oliver Ullrich vom UZH Space Hub, fotografiert von Regina Sablotny, Berlin

Oliver Ullrich (* 9. Juli 1970 in Berlin) ist ein deutscher Raumfahrtmediziner und Gravitationsbiologe.

Leben

Er studierte an der Freien Universität Berlin von 1989 bis 1996 Medizin und Biochemie und promovierte 1998 zum Dr. med an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zum Dr. rer. nat. promovierte er an der Freien Universität Berlin. 2002 habilitierte er an der Charité in Anatomie und Zellbiologie. Im Dezember 2003 trat er eine Professur für Molekulare Immunologie und später für Weltraumbiotechnologie am Universitätsklinikum Magdeburg an. In Zusammenarbeit mit der Fakultät für Maschinenbau der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg begründete er eine weltraumbiologische Forschung, die internationale Beachtung findet. Darüber hinaus arbeitete er an der Vernetzung von Neurowissenschaften und Immunologie, beteiligte sich an einem Landesforschungsverbund und gründete ein DFG-Graduiertenkolleg. Seit 2007 ist er Honorarprofessor für Weltraumbiotechnologie an der Fakultät für Maschinenbau der Universität Magdeburg. Im Jahr 2019 übernahm er eine Honorarprofessur für Weltraummedizin an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena, wo er Studierende in die interdisziplinäre Produktentwicklung im Rahmen von Raumfahrtmissionen einführt.[1][2] Im September 2007 trat er seine derzeitige Position als ordentlicher Professor für Anatomie am Anatomischen Institut der Universität Zürich in der Schweiz. Außerdem ist Ullrich Adjunct Professor am Beijing Institute of Technologie (BIT) in China.

Forschung

Ullrich leitete internationale weltraummedizinische und gravitationsbiologische Forschungsprojekte, darunter CELLBOX-PRIME[3], TRIPLE LUX A[4], FLUMIAS-DEA[5] und Gene Control Prime[6]. Er befasst sich mit Gravitationsbiologie und beschäftigt sich dabei insbesondere mit der molekularen Anpassung menschlicher Zellen an unterschiedliche Schwerkraftsbedingungen.[7] Er will herausfinden, wie Körperzellen Schwerkraft wahrnehmen und wie sie auf Schwerkraftveränderung reagieren[8]. Immunzellen und Zellen des Muskel-Skelett-Systems interessieren ihn dabei ganz besonders. Deren Schwerkraftverhalten untersucht er auf unterschiedlichen Plattformen: Parabelflügen, suborbitalen Raketen und auf der Internationalen Raumstation ISS. Auch im deutsch-chinesischen Weltraumprojekt SIMBOX auf Shenzhou-8 führte er ein orbitales Experiment durch[9]. Ullrichs angewandte Forschung zielt u. a. auf die Produktion von Geweben und Organen in Schwerelosigkeit ab.[10] Weltweite Beachtung fand ein Forschungsergebnis, das er zusammen mit Cora Thiel nach Experimenten auf der ISS 2017 veröffentlichte: Demnach passen sich Immunzellen von Säugetieren in weniger als einer Minute vollständig an die Schwerelosigkeit an[11][12][13]. Auch in anderen Zelltypen fanden er und sein Team schnelle Anpassungsvorgänge[14][15][16]. Aktuell erforscht er, wie diese Anpassung zustande kommt. In diesen Forschungsgebieten arbeitet er, verbunden über ein Space Act Agreement, mit der US-Raumfahrtagentur NASA zusammen[17]. Seine Forschungsergebnisse tragen zur Risikoabschätzung bemannter Raumfahrtmissionen bei.

Im Jahr 2012 wurde Oliver Ullrich auf Lebenszeit zum Akademiemitglied der International Academy of Astronautics gewählt. Er ist Präsident der Swiss SkyLab Foundation und Direktor der Swiss Parabolic Flights. 2015 gründete er die Magdeburger Arbeitsgemeinschaft für Forschung unter Raumfahrt- und Schwerelosigkeitsbedingungen (MARS) an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg[18] 2016 wurde er in den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrtmedizin (DGLRM) gewählt und 2019 zu deren Vizepräsidenten[19] Er ist Mitglied des Programmausschusses des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Darüber hinaus gehört er diversen anderen internationalen Gremien der Raumfahrt an.[20] Des Weiteren ist Ullrich Direktor des UZH Space Hub – einer Innovationsplattform der Universität Zürich. 2020 organisierte er auf dem Militärflugplatz Dübendorf die weltweit erste Parabelflugkampagne unter Pandemiebedingungen.[21][22] Im Jahr 2018 wurde er unter die 200 prominentesten Persönlichkeiten der Stadt Zürich gewählt.[23]

Ullrich ist Ko-Editor verschiedener wissenschaftlicher Fachzeitschriften, u. a. für Scientific Reports (Nature Publishing Group)[24] und Acta Astronautica (Elsevier)[25], des offiziellen wissenschaftlichen Journals der International Academy of Astronautics.

Auszeichnungen

Zwischen 2000 und 2003 gewann Oliver Ullrich drei Mal den Karl-Asmund-Rudolphi-Preis für die beste Lehre an der Charité Berlin. 2002 wurde er mit dem Wolfgang-Bargmann-Preis der Anatomischen Gesellschaft, 2004 mit dem Landesforschungspreis Sachsen-Anhalt und 2006 mit dem Otto-von-Guericke-Preis ausgezeichnet. Er ist Träger der Parabelflugmedaille in Bronze und in Silber. 2009 durfte er sich in das Goldene Buch der Stadt Magdeburg eintragen. 2017 wurde er zum Hochschullehrer des Jahres an der Medizinischen Fakultät der Universität Zürich gewählt[26]. 2018 verlieh die Deutsche Akademie für Flug- und Reisemedizin (DAF) Ullrich zusammen mit Cora Thiel den Albrecht-Ludwig-Berblinger-Wissenschaftspreis[27] für ihre Forschungsarbeit "Rapid adaptation of microgravity in mammalian macrophage cells".

Weiteres

Gemeinsam mit dem Luftwaffenoffizier und Mediziner Marc Studer initiierte und leitete er die Entwicklung einer Schwerelosigkeits-Forschungsplattform auf einem Kampfflugzeug der Schweizer Luftwaffe.[28][29][30] Mit Natalie Dove baute er das Swiss Parabolic Flight-Programm auf, dass durch die Kombination von Wissenschaftlerteams mit Industrie und Privatpersonen Forschungsflüge mit der A310 ZERO-G vom Flugplatz Dübendorf aus ohne den Einsatz von Steuergeldern ermöglicht[31]. Gemeinsam mit Cora Thiel gelang Ullrich 2011 der experimentelle Nachweis, dass die Erbsubstanz DNA die Weltraumumgebung und den Eintritt in die Erdatmosphäre überstehen kann und danach noch funktionsfähig ist.[32] Die Publikation dieser Studie im Jahr 2014 erlangte weltweite Aufmerksamkeit.[33][34] Oliver Ullrich gilt als der erste Weststudent in der DDR nach dem Mauerfall.[35] Darüber hinaus hat Oliver Ullrich einen postgradualen Abschluss[36] in Theologie von der Päpstlichen Lateranuniversität in Rom und arbeitet an der Schnittstelle zwischen Glauben und Naturwissenschaften[37][38].

Werke

  • Rapid coupling between gravitational forces and the transcriptome in human myelomonocytic U937 cells, 2017[39]
  • Stability of gene expression in human T cells in different gravity environments is clustered in chromosomal region 11p15.4, 2017[40]
  • Rapid adaptation to microgravity in mammalian macrophage cells, 2017[41]
  • Functional Activity of Plasmid DNA after Entry into the Atmosphere of Earth Investigated by a New Biomarker Stability Assay for Ballistic Spaceflight Experiments, 2014[42]
  • Metabolische Wirkung des Lipidperoxidationsproduktes 4-Hydroxynonenal auf die Poly-ADP-Ribosylierung in primären Synovialfibroblasten, 1998
  • Funktion und Regulation des nukleären 20S Proteasoms beim Abbau oxidativ geschädigter Histone in humanen K562-Zellen, 1998
  • Mechanismen protektiver und destruktiver Funktionen der Poly(ADP-Ribose)-Polymerase-1 (PARP-1) bei Zell- und Gewebeschädigungen 2002

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Arbeitsgruppe Innovation und Konstruktion: Antrittsvorlesung Oliver Ullrich. Arbeitsgruppe Innovation und Konstruktion, Wirtschaftsingenieurwesen, Ernst-Abbe-Hochschule Jena, abgerufen am 7. Februar 2021 (deutsch).
  2. Nutzung der Schwerelosigkeit als Werkzeug für Forschung, Entwicklung und Produktion. 23. Oktober 2019, abgerufen am 7. Februar 2021 (deutsch).
  3. Experiment Details. Abgerufen am 22. April 2020.
  4. Experiment Details. Abgerufen am 22. April 2020.
  5. Experiment Details. Abgerufen am 22. April 2020.
  6. Experiment Details. Abgerufen am 22. April 2020.
  7. PROF. DR.MED. DR.RER.NAT. OLIVER ULLRICH auf www.dglrm.de
  8. Oliver Ullrich. Abgerufen am 22. April 2020 (englisch).
  9. DLR – Raumfahrtmanagement – SIMBOX – Eine deutsch-chinesische Raumfahrtkooperation. Abgerufen am 22. April 2020.
  10. Experiment Details. Abgerufen am 22. April 2020.
  11. Cora S. Thiel, Diane de Zélicourt, Svantje Tauber, Astrid Adrian, Markus Franz: Rapid adaptation to microgravity in mammalian macrophage cells. In: Scientific Reports. Band 7, Nr. 1, 27. Februar 2017, ISSN 2045-2322, S. 1–13, doi:10.1038/s41598-017-00119-6 (nature.com [abgerufen am 22. April 2020]).
  12. 42 is the answer. Abgerufen am 22. April 2020 (englisch).
  13. Säugetierzellen stellen sich verblüffend schnell auf Schwerelosigkeit ein – derStandard.at. Abgerufen am 22. April 2020 (österreichisches Deutsch).
  14. Oliver Ullrich, Cora S. Thiel: Schnelle zelluläre Reaktion und Anpassung an Schwerelosigkeit. In: Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin – FTR. Band 26, Nr. 05, Oktober 2019, ISSN 1864-4538, S. 202–205, doi:10.1055/a-0990-3284 (thieme-connect.de [abgerufen am 22. April 2020]).
  15. Cora S. Thiel, Svantje Tauber, Swantje Christoffel, Andreas Huge, Beatrice A. Lauber: Rapid coupling between gravitational forces and the transcriptome in human myelomonocytic U937 cells. In: Scientific Reports. Band 8, Nr. 1, 5. September 2018, ISSN 2045-2322, S. 1–24, doi:10.1038/s41598-018-31596-y (nature.com [abgerufen am 22. April 2020]).
  16. Cora Sandra Thiel, Swantje Christoffel, Svantje Tauber, Christian Vahlensieck, Diane de Zélicourt: Rapid Cellular Perception of Gravitational Forces in Human Jurkat T Cells and Transduction into Gene Expression Regulation. In: International Journal of Molecular Sciences. Band 21, Nr. 2, 14. Januar 2020, S. 514, doi:10.3390/ijms21020514 (mdpi.com [abgerufen am 22. April 2020]).
  17. NASA Kennedy: KSC-20181218-PH_CSH01_0008. 18. Dezember 2018, abgerufen am 7. Februar 2021.
  18. Stephan Jaensch, Jan Vesper, Marian Gaebler, Kristopher Jelinek, Philip Richter (Layout, HTML, CSS)-intosite GmbH: Otto-von-Guericke-Universität wird Standort für Weltraumforschung. Abgerufen am 22. April 2020.
  19. 2020-2022. Abgerufen am 16. April 2020 (deutsch).
  20. Auftakt des Festjahres "20 Jahre OVGU" auf www.ovgu.de
  21. Oliver Ullrich: Weltweit erste Parabelflugkampagne unter den Bedingungen der SARS-CoV-2-Pandemie. In: Georg Thieme Verlag (Hrsg.): Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR. Georg Thieme Verlag, Stuttgart Oktober 2020, S. 247–252, doi:10.1055/a-1248-5679 (thieme-connect.com [abgerufen am 7. Februar 2021]).
  22. Alois Feuse: Weltpremiere in Dübendorf: Schwerelosigkeitsflug trotz Corona. In: NZZ. NZZ, 11. Juni 2020, abgerufen am 7. Februar 2021 (deutsch).
  23. www.ww-magazin.ch: Die 200 prominentesten Persönlichkeiten in Zürich und in Basel. Abgerufen am 7. Februar 2021.
  24. Editors | Scientific Reports. Abgerufen am 22. April 2020 (englisch).
  25. Acta Astronautica. (elsevier.com [abgerufen am 22. April 2020]).
  26. Oliver Ullrich. Abgerufen am 16. April 2020 (englisch).
  27. Auszeichnung mit dem Albrecht-Ludwig-Berblinger-Preis 2018. Abgerufen am 16. April 2020.
  28. Marc Studer, Gesine Bradacs, Andre Hilliger, Eva Hürlimann, Stephanie Engeli: Parabolic maneuvers of the Swiss Air Force fighter jet F-5E as a research platform for cell culture experiments in microgravity. In: Acta Astronautica. Band 68, Nr. 11, 1. Juni 2011, ISSN 0094-5765, S. 1729–1741, doi:10.1016/j.actaastro.2010.11.005 (sciencedirect.com [abgerufen am 20. April 2020]).
  29. Alois Feusi: Mit dem Kampfjet zur Dissertation. NZZ, 22. Januar 2010, abgerufen am 20. April 2020.
  30. www 20minuten ch, 20 Minuten, 20 Min www.20min.ch: Nase vorn in der Weltraumforschung. Abgerufen am 20. April 2020.
  31. Die Schweiz im Weltall – TV. Abgerufen am 20. April 2020.
  32. Cora S. Thiel, Svantje Tauber, Andreas Schütte, Burkhard Schmitz, Harald Nuesse: Functional Activity of Plasmid DNA after Entry into the Atmosphere of Earth Investigated by a New Biomarker Stability Assay for Ballistic Spaceflight Experiments. In: PLoS ONE. Band 9, Nr. 11, 26. November 2014, ISSN 1932-6203, S. e112979, doi:10.1371/journal.pone.0112979, PMID 25426925, PMC 4245111 (freier Volltext) – (plos.org [abgerufen am 20. April 2020]).
  33. Manfred Lindinger: Robuste Erbsubstanz: Einmal Weltall und zurück. In: FAZ.NET. ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 20. April 2020]).
  34. Did our DNA arrive from space? Abgerufen am 20. April 2020 (englisch).
  35. Guten Tag. Ich komme aus dem Westen. 6. November 2009, abgerufen am 20. April 2020.
  36. Erkenntnisprozesse der modernen Naturwissenschaften aus Sicht der Theologie des Volkes Gottes. Abgerufen am 26. Februar 2021.
  37. Der Mensch in Wissenschaft und Glauben. Abgerufen am 26. Februar 2021.
  38. 20HS_UZH-i-Ringvorlesung_Der Mensch in Wissenschaft und Glauben. Abgerufen am 26. Februar 2021.
  39. Cora S. Thiel, Svantje Tauber, Swantje Christoffel, Andreas Huge, Beatrice A. Lauber: Rapid coupling between gravitational forces and the transcriptome in human myelomonocytic U937 cells. In: Scientific Reports. Band 8, Nr. 1, 5. September 2018, ISSN 2045-2322, S. 1–24, doi:10.1038/s41598-018-31596-y (nature.com [abgerufen am 16. April 2020]).
  40. Cora S. Thiel, Andreas Huge, Swantje Hauschild, Svantje Tauber, Beatrice A. Lauber: Stability of gene expression in human T cells in different gravity environments is clustered in chromosomal region 11p15.4. In: npj Microgravity. Band 3, Nr. 1, 31. August 2017, ISSN 2373-8065, S. 1–20, doi:10.1038/s41526-017-0028-6 (nature.com [abgerufen am 16. April 2020]).
  41. Thiel, Cora S de Zélicourt, Diane Tauber, Svantje Adrian, Astrid Franz, Markus Simmet, Dana M Schoppmann, Kathrin Hauschild, Swantje Krammer, Sonja Christen, Miriam Bradacs, Gesine Paulsen, Katrin Wolf, Susanne A Braun, Markus Hatton, Jason Kurtcuoglu, Vartan Franke, Stefanie Tanner, Samuel Cristoforetti, Samantha Sick, Beate Hock, Bertold Ullrich, Oliver: Rapid adaptation to microgravity in mammalian macrophage cells. Nature Publishing Group, 27. Februar 2017, OCLC 980366864.
  42. Cora S. Thiel, Svantje Tauber, Andreas Schütte, Burkhard Schmitz, Harald Nuesse: Functional Activity of Plasmid DNA after Entry into the Atmosphere of Earth Investigated by a New Biomarker Stability Assay for Ballistic Spaceflight Experiments. In: PLOS ONE. Band 9, Nr. 11, 26. November 2014, ISSN 1932-6203, S. e112979, doi:10.1371/journal.pone.0112979, PMID 25426925, PMC 4245111 (freier Volltext) – (plos.org [abgerufen am 16. April 2020]).

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