Okwui Enwezor

Okwui Enwezor (2009)

Okwui Enwezor (* 23. Oktober 1963 in Calabar, Nigeria; † 15. März 2019 in München[1][2], Deutschland) war ein nigerianischer Kurator, Autor und Hochschullehrer.[3] Von Oktober 2011 bis Juni 2018 war er Direktor des Hauses der Kunst in München.[4]

Leben und Werk

Enwezor, dessen Familie zur Ethnie der Igbo gehörte, zog nach einer Kindheit in Nigeria Anfang der 1980er Jahre nach New York,[5] wo er am New Jersey City State College ein Studium der Politikwissenschaft begann, das er 1987 mit einem Bachelor abschloss. Sein Zugang zur Kunst begann mit einem Interesse an Lyrik, er trat in der Knitting Factory auf und verfasste erste Veröffentlichungen. Enwezor gründete 1993 zusammen mit Salah Hassan (Cornell University) und Chika Okeke-Agulu (Princeton University) das dreimal jährlich erscheinende Magazin NKA: Journal of Contemporary African Art, in dem sie versuchen, die Fixiertheit des internationalen Kunstbetriebs auf den euroamerikanischen Zusammenhang zu überwinden.

Ausgehend von diesem Einstieg in den Kunstbetrieb wurde er außerordentlicher Kurator am International Center of Photography in New York. Er war Studiendekan (dean of academic affairs) am San Francisco Art Institute (2005–2009)[6] und Gastprofessor an der Art History University in Pittsburgh, der Columbia University New York, der University of Illinois Urbana-Champaign, sowie der Universität Umeå in Schweden. Enwezor war Joanne Cassulo Fellow des Independent Study Program am Whitney Museum of American Art in New York (2010–2011).

Enwezor wurde als künstlerischer Leiter von zahlreichen Großausstellungen berufen. Von 1996 bis 1997 leitete er die zweite Johannesburg Biennale in Südafrika, 1998–2002 war er künstlerischer Leiter der documenta 11 in Kassel, 2006 kuratierte er die Biennale für zeitgenössische Kunst in Sevilla, sowie von 2007 bis 2008 die 7. Gwangju Biennale in Südkorea. Zudem wurde er künstlerischer Leiter von Meeting Points 6, einem Projekt für Performance und visuelle Kunst in acht Städten (Beirut, Amman, Damaskus, Kairo, Tunis, Tanger, Brüssel und Berlin) sowie Hauptkurator von La Triennale, Paris im Jahr 2012. 2011 war er kuratorischer Berater der „Dublin Contemporary“ in Irland.

Von Oktober 2011 bis Juni 2018 war Enwezor Leiter des Hauses der Kunst in München und hatte damit erstmals die Möglichkeit, die Ausstellungen eines großen internationalen Hauses längerfristig zu entwickeln. Im Oktober 2016 wurde seine Anstellung um weitere fünf Jahre verlängert, zum 1. Juni 2018 legte er das Amt nieder.[4] Dies begründete er zum einen mit gesundheitlichen Problemen, zum anderen aber auch mit einem Mangel an moralischer Unterstützung. Er habe sich, laut eigener Aussage, als Direktor nicht mehr erwünscht gefühlt. Seine Erfolge seien u. a. durch eine negative Berichterstattung über Mitarbeiter des Museums und eine chronische Unterfinanzierung unter den Teppich gekehrt worden.[7] Knapp zehn Monate später verstarb Enwezor in Folge seiner Krebserkrankung.[8]

Als Höhepunkt der kuratorischen Arbeit Enwezors gilt die Funktion als künstlerischer Leiter der 56. Biennale von Venedig im Jahr 2015.[9] Die Presse schrieb über die Ausstellung, Enwezor zeige „eine unangestrengte, souveräne Anthologie der globalen zeitgenössischen Kunst, mit einem starken Akzent auf politisch und sozial motivierten Positionen.“[10] Er selbst nahm für seine Arbeit in Venedig in Anspruch, „Ideen“ auszustellen und auf die übermächtige Entwicklung des Kunstmarktes zu reagieren, indem er die Ausstellung gegen den Markt positioniert. Er ließ Das Kapital vollständig vorlesen und stellte die Idee über die Ware.[11]

2018 wurde Enwezor als Corresponding Fellow in die British Academy gewählt.[12]

Kuratierte Ausstellungen (Auswahl)

Veröffentlichungen als Autor

  • Events of the Self: Contemporary African Photography from the Walther Collection. Steidl Verlag, 2010
  • Contemporary African Art Since 1980. Mit Chika Okeke-Agulu; Damiani Editore, 2009
  • Archive Fever: Uses of the Document in Contemporary Art. ICP/Steidl, 2008
  • Großausstellungen und die Antinomien einer transnationalen globalen Form. Fink Verlag, 2002

Interviews

  • Eva Karcher, Alexandra Mühlauer: „Ich habe Angst, meine Wurzeln zu verlieren.“ Interview mit Okwui Enwezor. In: Süddeutsche Zeitung, Nr. 95/2014, 25. April 2014, S. 24.
  • Alexander Wulffius: Von Kunstwelten und perfekten Verbrechen, in: Einsichten und Perspektiven. Ein Gespräch mit Okwui Enwezor, 4/2014. Digital: Interview
  • Carolee Thea: On curating: Interviews with ten international curators. D.A.P./Distributed Art Publ., New York 2009, ISBN 978-1-935202-00-4, S. 48–57.

Herausgeber Sammelbände

  • Mit Terry Smith und Nancy Condee: Antinomies of Art and Culture: Modernity, Postmodernity, Contemporaneity. Duke University Press, 2009
  • Mit Olu Oguibe: Reading the Contemporary: African Art from Theory to the Marketplace. INIVA und MIT Press, 1999

Literatur

  • Swantje Karich: Die Welten des Okwui Enwezor. Jetzt hat er das Sagen: Der Kurator der Biennale in Venedig hat eine Mission. Er will die Kunst vom Kapitalismus befreien. Ist sie schon bereit dafür? In: Die Welt, 2. Mai 2015, S. 27. Online-Version

Weblinks

Commons: Okwui Enwezor – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Kurator und Autor Okwui Enwezor ist tot. In: faz.net. 15. März 2019, abgerufen am 15. März 2019
  2. Nachruf e-flux, abgerufen am 28. März 2019
  3. Swantje Karich, Hans-Joachim Müller: Er brachte die Welt nach Europa. In: welt.de. 15. März 2019.
  4. a b Haus der Kunst: Direktor Okwui Enwezor legt Amt nieder. Süddeutsche Zeitung, 4. Juni 2018, abgerufen am 20. November 2022.
  5. Nachruf auf Okwui Enwezor. In: Süddeutsche Zeitung. Abgerufen am 30. August 2020.
  6. Carol Vogel: Okwui Enwezor to Be Visual Arts Director of Venice Biennale. In: artsbeat.blogs.nytimes.com. 5. Dezember 2013, abgerufen am 31. Dezember 2018.
  7. Ulrike Knöfel: Zum Tod von Okwui Enwezor: Der Weltendenker. In: Spiegel Online. 15. März 2019 (spiegel.de [abgerufen am 16. März 2019]).
  8. ArtNews: [1], 15. März 2019.
  9. Wichtigste europäische Kunstschau: Okwui Enwezor leitet Biennale von Venedig. In: Spiegel Online vom 4. Dezember 2013. Abgerufen am 4. Dezember 2013.
  10. taz: Das Motto von der Welten Zukünfte, 9. Mai 2015
  11. Frankfurter Rundschau: "Ich stelle Ideen aus, nicht Waren", 20. Mai 2015
  12. Record number of academics elected to British Academy. In: www.thebritishacademy.ac.uk. 20. Juli 2018, abgerufen am 31. Dezember 2018.
  13. Katalog In/Sight: African Photographers, 1940-Present online verfügbar im Internet Archive.

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Autor/Urheber: Andrew Russeth from New York, New York, Lizenz: CC BY-SA 2.0
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