Nuklearunfall von Palomares

Flugroute

Der Nuklearunfall von Palomares mit Atomwaffen des Strategic Air Command der US Air Force geschah am 17. Januar 1966 bei Palomares, einem kleinen Ort an der spanischen Südostküste zwischen Almería und Cartagena. Ein mit vier Wasserstoffbomben bestückter US-Bomber und ein Tankflugzeug kollidierten in der Luft. Keine der Wasserstoffbomben explodierte, aber die mit Plutonium gefüllten Zünder von zwei der Bomben explodierten und verteilten mehrere Kilo hoch radioaktives Plutonium-239 über die Landschaft. Die Franco-Diktatur spielte den Absturz herunter. Der Unfall ereignete sich während des Höhepunkts des Kalten Krieges, als die USA täglich zur Abschreckung atomar bewaffnete Kampfflugzeuge nahe der sowjetischen Grenze fliegen ließen. Die Bomben hatten die 100 bis 110-fache Sprengkraft der Hiroshima-Bombe.

Hergang

Tägliche Luftbereitschaftsmissionen im Zusammenhang mit der Operation Chrome Dome (Zeichnung von 1966)

Bei einer Luftbetankung in der Saddle Rock Refueling Area über der spanischen Mittelmeerküste kollidierte ein mit Wasserstoffbomben vom Typ B28RI bestückter B-52G-Bomber der 68th Bomb Wing, der im Rahmen der Operation Chrome Dome von der Seymour Johnson Air Force Base in North Carolina in den USA kam, mit einem KC-135-Tankflugzeug der US Air Force in 9000 Metern Höhe. Es kam zu einer Explosion, wobei die gut 150.000 Liter Treibstoff an Bord des Betankungsflugzeugs in Flammen aufgingen und beide Flugzeuge abstürzten. Alle vier Besatzungsmitglieder des Betankungsflugzeugs starben. Fünf Mitglieder der siebenköpfigen Bomberbesatzung konnten mit dem Schleudersitz aus dem Flugzeug aussteigen, allerdings öffnete sich bei einem der Fallschirm nicht, sodass insgesamt sieben der elf Soldaten starben. Ein Besatzungsmitglied landete auf dem spanischen Festland und drei weitere gingen einige Kilometer von der Küste entfernt im Meer nieder, wo sie durch spanische Fischer gerettet und ins Krankenhaus gebracht wurden.

Suchgebiet der 4. Wasserstoffbombe

Drei der vier Wasserstoffbomben an Bord des B-52-Bombers, mit jeweils einem 1,45-MT-Gefechtskopf, stürzten im bewohnten Gebiet von Palomares auf den Boden, die vierte fiel acht Kilometer vor der Küste ins Meer.[1] Die Sicherheitsvorkehrungen verhinderten eine thermonukleare Explosion, doch die hochexplosiven konventionellen Sprengladungen in zwei der Bomben detonierten und kontaminierten durch die radioaktiven Bestandteile der Sprengköpfe ca. 170 Hektar Agrarland.[2]

Die chemische Zusammensetzung des Waffenplutoniums wurde von Francos Regierungsapparat im Auftrag der USA strikt geheim gehalten.[3] Es ist nie bekannt geworden, wie viel Waffenplutonium sichergestellt werden konnte. Schätzungen zufolge sind rund 3.000 Gramm Plutonium-239 als feiner Staub freigesetzt worden. Das andalusische Dorf Palomares wurde nicht evakuiert und es wurde darauf verzichtet, es zu reinigen. Am 2. Februar 1966 einigten sich die Repräsentanten der amerikanischen und spanischen Atombehörden lediglich auf ein beschränktes Dekontaminierungsprogramm.[4]

In einer Aktion wurden ca. 1400 Tonnen Erdboden radioaktiv kontaminierter Tomatenplantagen abgetragen und mit dem Schiff USNS Boyce nach Aiken, South Carolina auf das Gelände der Savannah River Site zur Entsorgung gebracht.[5]

Die aus dem Meer geborgene Wasserstoffbombe

Mehr als 33 US-Kriegsschiffe riegelten das Gebiet der Absturzstelle der vierten Wasserstoffbombe im Mittelmeer ab, die der spanische Fischer Paco Orts, der die Bombe am Fallschirm hatte herunterkommen sehen, markieren konnte.[6] Taucher, unter ihnen Carl Brashear, und Tauchboote suchten daraufhin den Meeresgrund ab. Erst am 7. April 1966 konnte durch das Bergungs-U-Boot DSV Alvin die Bombe aus einer Meerestiefe von 869 Metern geborgen und an Bord der USS Petrel gebracht werden. Die Bergungsoperation kostete sechs Millionen US-Dollar.

Der Vorfall rief Proteste von Atomkraft- und Nuklearwaffengegnern hervor und führte zu diplomatischen Verwicklungen zwischen Spanien und den USA. Vier Tage nach dem Vorfall erklärte die spanische Regierung, dass zukünftig keine Flüge von NATO-Flugzeugen über spanisches Territorium genehmigt würden, und am 29. Januar folgte ein formelles Verbot. Kaum zwei Monate nach dem Vorfall betrachtete die Franco-Diktatur die Angelegenheit als erledigt. Mit dem berühmten Bad am Strand von Palomares des damaligen Informations- und Tourismusministers Manuel Fraga Iribarne mit dem US-Botschafter Angier Biddle Duke vor geladener Presse wurde der Vorfall bagatellisiert.

Dieser Unfall sowie der Absturz eines Nuklearwaffen-beladenen B-52-Bombers nahe der Thule Air Base am 21. Januar 1968, bei dem es ebenfalls zu radioaktiver Kontamination kam, wobei nicht alle Teile der Wasserstoffbomben wiedergefunden werden konnten, führten schließlich zur Einstellung der Operation Chrome Dome, der Nuklearbomber-Strategie der Vereinigten Staaten.[7]

In seinem Abschlussbericht 1975 hielt das US-Verteidigungsministerium fest, dass der am Unfalltag herrschende Wind plutoniumhaltigen Staub aufgewirbelt hat und dass „das ganze Ausmaß der Verbreitung nie in Erfahrung zu bringen sein“ würde.

Erst 1985 erhielten die Bewohner Zugang zu ihren medizinischen Unterlagen. Rund 522 Einwohner von Palomares erhielten eine Entschädigung der US-Regierung in Höhe von insgesamt 600.000 US-Dollar und die Stadt weitere 200.000 US-Dollar für eine Entsalzungsanlage.

Nachmessungen im Jahr 2004 offenbarten eine weiterhin hohe Radioaktivität im Erdreich einiger Flächen in der Umgebung von Palomares.[8] Die betroffenen Grundstücke (660 Hektar) wurden daraufhin im Eilverfahren enteignet, um eine Bebauung oder weitere landwirtschaftliche Nutzung zu verhindern. Im Oktober 2006 wurde zwischen der spanischen und US-Regierung die vollständige Dekontaminierung des betroffenen Geländes vereinbart. Die Kosten hierfür sollen zwischen beiden Staaten geteilt werden. Noch ist allerdings unklar, wie groß das Ausmaß der Belastung ist und auf welche Weise die Dekontaminierung erfolgreich durchgeführt werden kann. Im Oktober 2006 wurde bei Schnecken in der Nähe des Ortes deutlich erhöhte Radioaktivität festgestellt, woraufhin man weitere gefährliche Mengen Plutonium und Americium im Erdboden vermutete. Auch wurde belastetes Plankton im Meer festgestellt.[9][10] Im Dezember 2009 wurde durch eine Veröffentlichung von Depeschen US-amerikanischer Botschaften durch WikiLeaks bekannt, dass der damalige spanische Außenminister Miguel Ángel Moratinos der US-Außenministerin Hillary Clinton mitteilte, die Veröffentlichung der Studie über die aktuelle radioaktive Belastung könne dazu führen, dass sich die öffentliche Meinung in Spanien gegen die USA richten könnte.[11][12]

Die USA beendeten ihre Beteiligung an den fortlaufenden Kosten, die die Kontamination verursachte, mit der letzten Zahlung am 7. September 2009.[13] Auch das Europäische Parlament befasste sich mit der Angelegenheit.[14]

In Spanien versuchte man, das Erdreich zu dekontaminieren, denn Schätzungen nach befand sich ein halbes Kilogramm Waffenplutonium noch im Boden. Dabei waren die Spanier jedoch auf die Hilfe der Amerikaner angewiesen, denn in Spanien gab es keine Lagerstätte für die verseuchte Erde.[15] Die Regierung der USA hielt die Spanier jedoch hin.[3] Die anhaltende Geheimniskrämerei im Jahre 2011 erinnerte den Ökologen und Umweltschützer Igor Parra an die Franco-Zeit.[3]

Im Oktober 2015 einigten sich Spanien und die USA darauf, dass die in Spanien bei Säuberungsarbeiten angefallene kontaminierte Erde (rund 50.000 Kubikmeter)[16] in die USA verschifft werden, um dort endgelagert zu werden. US-Außenminister John Kerry unterzeichnete eine Vereinbarung mit seinem Amtskollegen José Manuel García-Margallo.[17][18]

Im November 2018 berichtete die Tageszeitung El Pais, dass die spanische Regierung nach einer parlamentarischen Anfrage zu diesem Thema informiert hat, dass sich die Regierung von Donald Trump nicht an das unter der Regierung von Barack Obama geschlossene Abkommen gebunden fühlte.[19]

Anfang 2023 forderte Spanien abermals von den USA die Beseitigung der durch den Vorfall mit Plutonium radioaktiv verseuchten Hinterlassenschaften. Das spanische Außenministerium teilte mit, es würden keine weiteren Einzelheiten zu der Petition bekannt gegeben, bis eine offizielle Antwort der Regierung Biden vorliege. Der Tageszeitung El Pais zufolge drängten die Politiker auf eine schnelle Einigung, da im Dezember Parlamentswahlen stattfinden.[20]

Siehe auch

  • Nuklearunfall bei der US Air Force Base Goldsboro 1961
  • Nuklearunfall bei der US Air Force Base Thule 1968

Literatur

  • Tad Szulc: The Bombs of Palomares. The Viking Press, New York 1967, OCLC 432909253.
  • Fred Geher, Fred Helbig: Der Tod von Palomares (= Tatsachen. Band 150). Militärverlag der DDR, Berlin 1974.
  • Barbara Moran: The day we lost the H-bomb: Cold War, hot nukes, and the worst nuclear weapons disaster in history. Presidio Press/Ballantine Books, New York 2009, ISBN 978-0-89141-904-4.

Weblinks

Commons: Nuklearunglück von Palomares – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. brookings.edu; Broken Arrows: The Palomares and Thule Accidents Brookings Institution, abgerufen am 1. Mai 2012
  2. Palomares Incident, January 17, 1966 Time, abgerufen am 1. Mai 2012
  3. a b c FERIENZIEL IN ANDALUSIEN - Als vier US-Bomben Palomares radioaktiv verseuchten. In: welt.de. 16. Januar 2011, abgerufen am 7. März 2023.
  4. Gerhard Piper: USA zahlen nicht mehr für Atomwaffenunfall, Telepolis vom 29. August 2010
  5. brookings.edu
  6. Forgotten: The most radioactive town in Europe independent.co.uk, abgerufen am 2. Mai 2012
  7. Atomunglücke: Defekte Technik, tödliche Fracht. Spiegel Online, Fotostrecke
  8. Palomares bombs: Spain waits for US to finish nuclear clean-up bbc.co.uk, abgerufen am 5. November 2012
  9. Als vier US-Bomben Palomares radioaktiv verseuchten welt.de, abgerufen am 2. Mai 2012
  10. J. A. Sanchez-Cabeza, J. Merino, P. Masqué, P. I. Mitchell, L. L. Vintró, W. R. Schell, L. Cross, A. Calbet: Concentrations of plutonium and americium in plankton from the western Mediterranean Sea. In: The Science of the total environment. Band 311, Nummer 1–3, Juli 2003, S. 233–245, doi:10.1016/S0048-9697(03)00053-6, PMID 12826395.
  11. Secretary Clinton'December 14, 2009 conversation with Spanish Foreign Minister Miguel Angel Moratinos. Außenministerium der Vereinigten Staaten, 18. Dezember 2009, abgerufen am 18. Dezember 2010.
  12. Spain demands US clears earth from site of 1966 nuclear bomb mishap guardian.co.uk
  13. USA zahlen nicht mehr für Atomwaffenunfall. Abgerufen am 2. September 2010.
  14. Betrifft: Dekontamination von Palomares und WikiLeaks europarl.europa.eu; abgerufen am 2. Mai 2012
  15. Flugzeugabsturz holt spanisches Dorf ein. In: n-tv. 2. März 2011, abgerufen am 7. März 2023.
  16. Thilo Schäfer: Von Andalusien nach Nevada. In: Mallorca Zeitung, Nr. 806, 15. Oktober 2015, S. 14.
  17. Palomares nuclear crash: US agrees Spanish coast clean-up. BBC News, 19. Oktober 2015
  18. Nuklearunfall in Spanien: Als es Atombomben regnete. In: spektrum.de. Abgerufen am 22. Januar 2023.
  19. Miguel González: Trump no quiere llevarse la tierra radiactiva de Palomares. In: El País. 7. November 2018, ISSN 1134-6582 (elpais.com [abgerufen am 7. November 2018]).
  20. Miguel González: España reclama a EE UU que se lleve las tierras contaminadas con plutonio por el accidente de Palomares. In: El País. 6. März 2023, ISSN 1134-6582 (elpais.com [abgerufen am 7. März 2023]).

Koordinaten: 37° 14′ 58,9″ N, 1° 47′ 55,3″ W

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Operation Chrome Dome.png
Overview of daily B-52 airborne alert flights conducted under Operation Chrome Dome.
Palomares ADA955702 Page 124.jpg
Nuklearunglück von Palomares: Suchgebiet der im Meer versunkenen Wasserstoffbombe
Palomares H-Bomb Incident.jpg
Eighty days after it fell into the ocean following the January 1966 midair collision between a nuclear-armed B-52G bomber and a KC-135 refueling tanker over Palomares, Spain, this B28FI nuclear bomb was recovered from 2,850 feet (869 meters) of water and lifted aboard the USS Petrel (note the missing tail fins and badly dented "false nose"). This photograph was among the first ever published of a U.S. hydrogen bomb. Left to right are Sr. Don Antonio Velilla Manteca, chief of the Spanish Nuclear Energy Board in Palomares; Brigadier General Arturo Montel Touzet, Spanish coordinator for the search and recovery operation; Rear Admiral William S. Guest, commander of U.S. Navy Task Force 65; and Major General Delmar E. Wilson, commander of the Sixteenth Air Force. The B28 had a maximum yield of 1.45 megatons.
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Nuklearunglück von Palomares: Reconstruierte Flugroute