Nosferatu (Sagengestalt)

Nosferatu ist ein angeblich rumänischer Name für einen Vampir. Im rumänischen Volksglauben existiert ein solches Wesen nicht.

Beschreibung

Die früheste bekannte schriftliche Verwendung des Begriffes findet sich in einem deutschsprachigen Artikel von Wilhelm Schmidt, Professor am k.k. Staats-Gymnasium in Hermannstadt, Das Jahr und seine Tage in Meinung und Brauch der Rumänen Siebenbürgens aus dem Jahr 1865: „Hieran reihe ich den Vampyr – nosferatu. Es ist dies die uneheliche Frucht zweier unehelich Gezeugter oder der unselige Geist eines durch Vampyre Getödteten, der als Hund, Katze, Kröte, Frosch, Laus, Floh, Wanze, kurz in jeder Gestalt erscheinen kann und wie der altslavische und böhmische Blkodlak, Vukodlak oder polnische Mora und russische Kikimora als Incubus oder Succubuszburatorul – namentlich bei Neuverlobten sein böses Wesen treibt. Was hierüber vor mehr als hundert Jahren geglaubt und zur Abwehr geübt wurde, ist noch heute wahr, und es dürfte kaum ein Dorf geben, welches nicht im Stande wäre Selbsterlebtes oder doch Gehörtes mit der festen Überzeugung der Wahrheit vorzubringen.“[1]

Der Begriff wurde danach von der schottischen Reiseschriftstellerin Emily Gerard, die möglicherweise Schmidts Artikel gelesen hatte, in ihrem Buch The Land beyond the Forest. Facts and Fancies from Transylvania (2 Bände, 1888) genutzt.[2] Bereits drei Jahre zuvor hatte sie in einem Magazin über den Volksglauben der Bewohner von Siebenbürgen, auch Transsilvanien genannt, berichtet.

Emily Gerard war mit einem Offizier der k. u. k. Kavallerie polnischer Herkunft verheiratet, der in Temesvar stationiert war. Da sie an Land und Leuten interessiert war, unternahm sie häufiger Ausflüge ins benachbarte Transsilvanien. Angesichts ihrer mangelnden Kenntnisse des Rumänischen sowie des Ungarischen bediente sie sich eines Dolmetschers, der vermutlich die Aussagen der nach ihrem Volksglauben befragten Rumänen nicht wortgetreu übersetzte. Es ist anzunehmen, dass die Autorin sich an die Gebildeten unter den Rumänen wandte, also an die orthodoxen Geistlichen.

Gerard beschreibt den Nosferatu als bösartiger als den Strigoi, den Vampir im realen transsilvanischen Volksglauben, und schreibt viele seiner Eigenschaften dem Nosferatu zu. Nach Gerard gäbe es neben dem lebenden, dem unehelichen Nachkommen zweier unehelicher Personen, den toten Nosferatu, der sich von menschlichem Blut ernähre und so getötete Menschen in weitere Nosferatu verwandle. Um die Verwandlung in einen Vampir zu verhindern, würde ein Nagel in die Stirn geschlagen oder der Leichnam mit dem Fett eines Schweins eingerieben, das am Fest des Heiligen Ignatius von Antiochien geschlachtet wurde. In „sehr hartnäckigen Fällen von Vampirismus“ werde der Kopf abgetrennt und der Mund mit Knoblauch gefüllt oder das Herz verbrannt und die Asche über das Grab gestreut. Einen Zweig Wildrosen über den Leichnam zu legen oder am Todestag mit Weihrauch um das Grab zu gehen, soll den Vampir daran hindern, das Grab zu verlassen. Getötet werde der Vampir, indem ein Pfahl durch den Leichnam getrieben oder ein Pistolenschuss in den Sarg abgefeuert werde.

Woher Emily Gerard die einzelnen Bestandteile ihrer Schilderung vom Nosferatu genommen hat, ist unklar. Es scheint, dass sie verschiedene Bruchstücke, die sie gesammelt hatte, zu einem Vampirbild verschmolz, das rumänischen Glaubensvorstellungen nur sehr bedingt entsprach. Sie wollte einen Bestseller schreiben, keine volkskundliche Abhandlung. Zu diesem Zweck war sie gezwungen, den zeitgenössischen Lesergeschmack zu bedienen. Bei Reiseberichten über Völker, die vom europäischen Standpunkt her zivilisationsfern waren – sowohl in den Randgebieten Europas als auch in Übersee –, erwartete das Publikum die Beschreibung von skurrilen oder erschreckenden Sitten und Glaubensvorstellungen, und die von Emily Gerard präsentierte Schilderung eines aberwitzigen Vampirglaubens entsprach dem Bild, das sich die Briten vom „Land hinter den Wäldern“ machen wollten.

Heinrich von Wlislocki beschreibt in seinem Aufsatz über die „Quälgeister im Volkglauben der Rumänen“ den Nosferat wie folgt:

„Der gefährlichste Quälgeist im rumänischen Volkglauben, der nicht nur schlafenden Menschen vom Blute saugt, sondern auch als Incubus und Subcubus eine gefährliche Rolle spielt, ist der Nosferat. Dem Volkglauben nach ist der Nosferat das uneheliche Kind zweier Leute, die selber uneheliche Kinder sind. Der Nosferat kommt leblos auf die Welt, in die Erde vergraben aber erwacht er zu Leben und kehrt nimmer in sein Grab zurück, sondern nimmt verschiedene Gestalten an. Bald erscheint er als schwarze Katze, oder als schwarzer Hund, oder als Käfer, als Schmetterling, ja selbst als Strohhalm. In solchen Gestalten besucht er nachts die Menschen und zwar wenn er männlichen Geschlechtes ist, Weiber; ist er aber weiblich, so stattet er Männern seine Besuche ab. Als blutsaugendes Wesen tritt er nur bei älteren Leuten auf; mit jüngern aber vermischt er sich geschlechtlich, die dann abzehren, hinsiechen und gar bald sterben. Oft kommt es vor, dass Weiber vom Nosferat geschwängert werden und Kinder gebären, die gar hässlich, am ganzen Leibe mit Haaren dicht bedeckt sind und gar bald Moroiu werden. Als schöner Jüngling, beziehungsweise als üppig schöne Maid erscheint nächtlicher Weile der Nosferat bei dem betreffenden Menschen, der sich seinen Umarmungen nicht entwinden kann und in halbwachem Zustand, kraft- und machtlos, sich den Gelüsten des Nosferat überlassen muss. Oft erscheint er an einsamen Orten auch am Tage solchen Jünglingen und Maiden, die er früher schon nächtlicher Weile besucht hat. Maide, die ausser der Ehe geschwängert werden, reden sich häufig genug auf den Nosferat aus. Brautleuten ist der Nosferat besonders gefährlich. In der Brautnacht erscheint oft ein Nosferat bei der Braut, ein anderer beim Bräutigam, und erst nach geschehener Umarmung, wenn sich dann diese Quälgeister mit lautem Gelächter und gewöhnlich in der Gestalt einer dünnen Rauchsäule entfernen, ihren Irrtum wahrnehmen. In den meisten Fällen kommt es aber zu keiner Umarmung, sondern es machen diese Quälgeister das junge Weib unfruchtbar oder den Mann impotent. In siebenbürgischen Ehescheidungprozessen wird häufig als Grund der Impotenz der Nosferat angeführt. Um sich die Brautnacht vor dem Besuch des Nosferat zu sichern, besprengen in vielen Ortschaften die Brautleute ihr Lager mit Weihwasser oder legen darunter Kohlen, aus dem Weihrauchbecken der Kirche genommen. In manchen Gegenden hält man es für die Sicherheit der Brautleute für genügend, wenn während der Brautnacht ein Hund in ihrer nächsten Nähe sich befindet. Dem Volkglauben der Siebenbürger Rumänen gemäss fährt der Nosferat in seinem neunundneunzigsten Lebensjahre zur Hölle hinab, wo er im Dienste der Teufel treulose Eheleute quält.“

Heinrich v. Wlislocki, Quälgeister im Volkglauben der Rumänen, in: Am Ur-Quell. Monatschrift für Volkskunde, 6. Bd., 1896[3]

Etymologie

Die Etymologie des Begriffs Nosferatu ist bis heute ungeklärt. Nach der üblichsten Annahme stammt Nosferatu von altgriechisch νοσοφόροςnosophóros oder altgriechisch νοσηφόροςnosēphóros, deutsch ‚Krankheit bringend‘[4] der griechischen Volksmythologie. Gordon Melton nimmt an, dass der Begriff durch die orthodoxe Kirche in Rumänien zur Verbreitung gekommen ist und in nesufur’atu umgewandelt wurde, da bei Geistlichen Kenntnisse der griechischen Sprache weit verbreitet waren.

Einer anderen Theorie zufolge war im damaligen Rumänisch in Transsilvanien Nesuferitu eine Umschreibung für den Teufel (wörtlich ‚der nicht zu Ertragende/Unausstehliche/Zu-Meidende‘), zusammengesetzt aus der Vorsilbe ne- ‚nicht‘ und suferit (Infinitiv: a suferi ‚ertragen‘, ‚ausstehen‘). In der modernen rumänischen Sprache ist der Begriff immer noch gebräuchlich, wenn er auch heute nicht mehr zwangsläufig mit dem Satan in Verbindung gebracht werden muss, sondern auch lediglich für eine verfluchte Person stehen kann.[5]

Erhards Schilderungen wurden von Bram Stoker für seinen Roman Dracula (1897) als Informationsquelle genutzt. Im 16. Kapitel des Romans wird der Name von Abraham van Helsing benutzt und mit „Untoter“ übersetzt.[6] Der Wortbestandteil No- ließ Stoker vermutlich annehmen, dass die Übersetzung ‚Un-Toter‘ lauten müsse. Allerdings lautet die korrekte rumänische Vorsilbe ne- (im Lateinischen in-).

Nosferatu in den Medien

Max Schreck als Graf Orlok (Gedenktafel in Wismar)

Stoker übernahm den Begriff Nosferatu für den Vampir in seinem Roman Dracula. Im 18. Kapitel werden die Fähigkeiten und Schwächen des Nosferatu beschrieben, wobei Stoker die Angaben Erhards über den Nosferatu und den Werwolf mit eigenen Vorstellungen verbunden, darunter die Verwandlung in eine Fledermaus und das Fehlen eines Spiegelbilds.[7]

Aufgrund der Verfilmung des Romans unter dem Titel Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens durch Friedrich Wilhelm Murnau (1922) wurde der Begriff allseits bekannt, obwohl er im Film kaum eine Rolle spielt.

Vor allem in Rollenspielen, speziell Vampire: Die Maskerade, Vampire aus der Alten Welt und Vampire: Requiem von der Firma White Wolf, und der darauf basierenden Fernsehserie Embraced – Clan der Vampire sind Nosferatu ein Clan von hässlichen und abstoßenden Vampiren. Das Erscheinungsbild ist durch die Filmvorbilder Graf Orlok (Max Schreck) in Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens und Graf Dracula (Klaus Kinski) in Nosferatu – Phantom der Nacht beeinflusst, die sich deutlich von der üblichen Darstellung in Vampirromanen und -filmen unterscheiden.

Seit dem Vampirboom der 1990er Jahre findet der angebliche Vampirtypus Nosferatu in verschiedenen Vampirhandbüchern und Vampirlexika Erwähnung und scheint von einigen Autoren nachträglich mit allerlei phantasievollen Eigenschaften angereichert worden zu sein.

In der Romanreihe Tsuki to Laika to Nosferatu von Keisuke Makino heißt ein Projekt, welches Vampire als Testsubjekte für einen geplanten bemannten Weltraumflug der fiktiven Föderalen Republik Zirnitra missbraucht, Nosferatu-Projekt.

Literatur

  • Jan Perkowski, The Romanian Folkloric Vampire, in The Vampire: A Casebook, herausgegeben von A. Dundes. Madison, Wisconsin, USA 1988, S. 35–46.
  • Peter Mario Kreuter: Der Vampirglaube in Südosteuropa. Studien zur Genese, Bedeutung und Funktion. Rumänien und der Balkanraum, Weidler, Berlin 2001, ISBN 978-3-89693-709-4 (Dissertation Universität Bonn 2001, 218 Seiten).
  • Harry Senn, Were-Wolf and Vampire in Romania, New York 1982.
  • Montague Summers, The Vampire in Lore and Legend, Toronto 2001 (zuerst unter dem Titel The Vampire in Europe, London 1929).
  • Emily Gerard: The Land Beyond the Forest: Facts, Figures, and Fancies from Transylvania by Gerard. Harper & Brothers, New York 1888, Kap. 25, S. 180–187 (gutenberg.org).
  • J. Gordon Melton, The Vampire Book: The Encyclodepia of the Undead, Detroit – London 1999, S. 496–497 (Digitalisat).

Einzelnachweise

  1. Wilhelm Schmidt: Das Jahr und seine Tage in Meinung und Brauch der Rumänen Siebenbürgens. In: Österreichische Revue. Band 3, Nr. 1. Verlag von Carl Gerold’s Sohn, Wien 1865, S. 211 ff., hier 224 (com.au [abgerufen am 17. Januar 2022]).
  2. Die den Nosferatu betreffenden Passagen aus Gerards Artikel von 1885 sind abgedruckt bei Leonard Wolf (Herausgeber), Dracula. The Connoisseur’s Guide, New York 1997, S. 21–22.
  3. Heinrich v. Wlislocki, Quälgeister im Volkglauben der Rumänen, in: Am Ur-Quell. Monatschrift für Volkskunde, 6. Bd., 1896, herausgegeben von Friedrich S. Krauss, S. 108ff., hier 108f. (in Antiqua) https://archive.org/details/bub_gb_z0ISAAAAYAAJ/page/n117
  4. Franz Passow, neu bearbeitet und umgestaltet von Val. Chr. Fr. Rost, Friedrich Palm, Otto Kreußler, Karl Keil und Ferd. Peter: Handwörterbuch der griechischen Sprache. Band 2, Nr. 1. Friedrich Christian Wilhelm Vogel, Leipzig 1852, S. 363, Sp. 2 (google.com [abgerufen am 16. Oktober 2023]).
  5. NESUFERIT - Definiția din DEX. Auf: Archeus.ro - Resurse lingvistice pentru limba română
  6. Bram Stoker: Dracula. 1897, S. 253, abgerufen am 10. Oktober 2023 (englisch).
  7. Bram Stoker: Chapter 18: Dr. Seward's Diary. In: Dracula. (wikisource.org [abgerufen am 16. Oktober 2023]).

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Autor/Urheber: J.-H. Janßen, Lizenz: CC0
Gedenktafel zur Erinnerung an die Dreharbeiten für den Stummfilmklassiker Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens (1922) am Marktplatz von Wismar, Landkreis Nordwestmecklenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Deutschland. Teile des Films wurden 1921 in Wismar gedreht.