Niedersächsisch

Niedersächsisch

Gesprochen in

Deutschland, Niederlande
Linguistische
Klassifikation

Niedersächsisch (in den Niederlanden Nedersaksisch) bildet einen Teil des Dialektkontinuums im Nordwesten Deutschlands und im Nordosten der Niederlande.

Weil es geografisch im westlichen Teil des niederdeutschen Sprachraums liegt, wird es auch als Westniederdeutsch bezeichnet; das Pendant dazu ist dann der östliche Teil des niederdeutschen Sprachraums, das Ostniederdeutsche. Diese Einteilung gilt jedoch als überholt. Das Niederdeutsche wird in das Nördliche Niederdeutsch und das Südliche Niederdeutsch unterteilt. Der zunehmende Bildungsgrad weiter Teile der Bevölkerung im 19. und 20. Jahrhundert und die Verbreitung und Verwendung der Standardsprachen als Amts-, Unterrichts- und Mediensprache in allen Bevölkerungsschichten bedrohte zunehmend die Dialekte und damit auch das Kontinuum. das heute nur noch teilweise und in unterschiedlichen Stadien des Verfalls erhalten geblieben ist.[1][2][3]

Das Niedersächsische in den Niederlanden (Nedersaksisch) mit Standardniederländisch als Schrift- und Dachsprache wird oft als Ostniederländisch bezeichnet. Das heutige Niedersächsisch ist aus den Mundarten des Altsächsischen entstanden.

Sein ursprüngliches Sprachgebiet ist der Nordwesten des heutigen Deutschland und der Nordosten der heutigen Niederlande. Das Ostniederdeutsche mit seinen niederfränkischen Spracheinflüssen wird nicht dem Niedersächsischen zugeordnet. Die Kurzformen Platt oder Plattdeutsch findet man auch bei niederfränkische und mitteldeutschen Mundarten, etwa dem Nordhessischen[4].

Gliederung

Das Niedersächsische in Deutschland wird in der Regel folgendermaßen gegliedert:[5]

Diese Dialektverbände zerfallen in zahlreiche kleinere Regional- und Ortsdialekte, deren Zuordnung je nach den verwendeten Kriterien unterschiedlich ausfallen kann.

Die Dialekte im Süden des Landkreises Emsland in Niedersachsen, das Lingener Platt, werden in der Regel dem Westfälischen Platt zugeordnet. Sie gehören dabei zu der Untergruppe der peripher-westfälischen Dialekte, die sich dadurch auszeichnen, dass die typischen westfälischen Brechungsdiphthonge für eine frühere Zeit angenommen werden, später aber durch Kurzvokale ersetzt wurden, sodass man zum Beispiel better sagt statt westfälisch biäter. Sie werden daher heute als Übergangsdialekte zum Nordniedersächsischen betrachtet wie viele Dialekte in den Ostniederlanden und im nördlichen Osnabrücker Land. Das (eigentliche) Emsländische (in Niedersachsen), das noch in das Nord- und Südemsländische geteilt werden kann, und das Hümmlinger Platt zählen traditionell zum Nordniedersächsischen, allerdings finden sich auch hier Nachwirkungen der westfälischen Vokalbrechung: Viele westfälische steigende Diphthonge tauchen hier als fallende auf, während das (übrige) Nordniedersächsische Monophthonge aufweist. Dies ist auch im Südoldenburgischen und Ostfriesischen der Fall. Kennzeichen aller Dialekte im Emsland sind einige auffällige Konservativismen im Wortschatz, wie Paosken für „Ostern“ oder Saterdag für „Sonnabend“ sowie lexikalische Übernahmen aus dem Niederländischen.

Beispiel für die Darstellung der Dialektsituation eines Ortes

Die Bevölkerung Adorfs, wie die von Neuringe, spricht zwei unterschiedliche Dialektvarianten. Die evangelisch-reformierte Bevölkerung spricht einen Niederbentheimer Dialekt, während man unter den katholischen Bewohnern Emsländisch hört. Auch wenn Anhänger beider religiösen Bekenntnisse schon lange durcheinander leben, haben sie ihre unterschiedliche Varianten des Plattdeutschen beibehalten.[6]

Abgrenzung

Innerhalb des deutschen beziehungsweise kontinentalen westgermanischen Dialektkontinuums gibt es keine Sprachgrenzen, sondern nur fließende Übergänge zwischen den Varietäten. Die Sprachwissenschaft grenzt die Gruppen durch bestimmte Isoglossen voneinander ab, die nicht immer unumstritten sind. Auch für das Westniederdeutsche werden solche Isoglossen als Grenzen angenommen.

Im Osten wird das Niedersächsische vom Ostniederdeutschen durch die Isoglosse zwischen dem westlichen Plural Präsens auf -(e)t und dem östlichen auf -e(n) (mak[e]t versus make[n]) getrennt. Diese Isoglosse wird auch meist als Grenze des sächsischen Altlandes zu den Gebieten gesehen, die durch die Deutsche Ostsiedlung auch sprachlich „kolonisiert“ wurden.

Im Süden wird das niedersächsische Sprachgebiet durch die so genannte Benrather Linie von den hochdeutschen Varietäten getrennt, so dass z. B. das Westfälische bis nach Nordhessen und ins Ruhrgebiet hineinreicht.

Im Westen, im Gelderland, grenzt das Niedersächsische (Niederlande) an das Niederfränkische. Hier wird ebenfalls meist eine Isoglosse als Sprachgrenze herangezogen, welche die Verbreitung des niedersächsischen Einheitsplurals auf -(e)t begrenzt. Die Dialekte in den Niederlanden gehören wie die Dialekte in Deutschland zu einem gemeinsamen, Staatsgrenzen überschreitenden Dialektkontinuum. Der Einfluss der beiden Standardsprachen Standardhochdeutsch und Niederländisch auf die Dialekte ist manchmal bei den jeweiligen Dialektsprechern zu hören. Die niedersächsischen Dialekte mit niederländischer Dachsprache werden daher auch als niederländische Dialektgruppe (Ostniederländisch) kategorisiert. Bei dieser synchronen Sichtweise wäre die deutschländisch-niederländische Staatsgrenze bis zum niederfränkischen Sprachgebiet am Niederrhein auch die Westgrenze des Niedersächsischen in Deutschland und die Ostgrenze des Niedersächsischen in den Niederlanden.

Im Norden bildete die Linie EckernfördeTreeneEider die historische Grenze zum Dänischen und Nordfriesischen. Seit dem späten Mittelalter verschob sich die Nordgrenze des Niedersächsischen nach Schleswig hinein und verbreitete sich nahezu im gesamten heute zu Deutschland gehörenden Landesteil Südschleswig. Nur in sehr wenigen Gebieten nahe der heutigen Grenze und zum Teil auf Sylt, Föhr und Amrum hat sich das Niedersächsische nicht neben Nordfriesisch und Jütisch/Dänisch etablieren können.

Probleme der Terminologie

Die in diesem Artikel wiedergegebene Definition umfasst die heute gängigsten Definitionen der hier synonym gebrauchten Begriffe Niedersächsisch und Westniederdeutsch als westliches Sprachgebiet der niederdeutschen Sprache mit oder ohne Ostniederländisch. Im Laufe der Zeit wurden die Termini Niedersächsisch und Westniederdeutsch jedoch mit sehr unterschiedlichen Definitionen gefüllt, so dass eine entsprechende Aufmerksamkeit im Umgang mit der Forschungsliteratur angebracht ist.

Hans Taubken fasste 1990 die in der Forschungsgeschichte verwendeten Definitionen zusammen.[7] Der Begriff Niedersächsisch steht demnach in verschiedenen Arbeiten für

  • die gesamte niederdeutsche Sprache (Ost- und Westniederdeutsch),[8]
  • für Westniederdeutsch ohne das niederländische Niedersächsisch,[9]
  • für Westniederdeutsch inklusive niederländisches Niedersächsisch,[10]
  • für das Nordniedersächsische ohne Ostfriesisch, Schleswigsch und Holsteinisch[11] und
  • für die niederdeutschen Dialekte in den Bundesländern Niedersachsen und Bremen.[12]

Der Begriff Westniederdeutsch beinhaltet demnach je nach Zeit und Autor

  • das „Altland“ der unverschobenen kontinentalwestgermanischen Mundarten (Niedersächsisch und Niederfränkisch im Gegensatz zum Ostniederdeutschen),[13]
  • das Niedersächsische inklusive des niederländischen Niedersächsisch,[14][15]
  • das Niedersächsische ohne niederländisches Niedersächsisch[16] und
  • die niedersächsischen Dialekte in Deutschland, also ohne das Niedersächsische und Niederfränkische in den Niederlanden, aber inklusive das niederfränkische Niederrheinisch.[17][15]

Andere Einteilungen

Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe gliedert die Mundarten in Westfalen wie folgt:[18]

Literatur

Jan Goossens (Hrsg.): Niederdeutsch – Sprache und Literatur. Band 1: Sprache. Neumünster 1983. Willy Sanders: Sachsensprache, Hansesprache, Plattdeutsch: sprachgeschichtliche Grundzüge des Niederdeutschen. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1982.

  • Michael Elmentaler: Nordniederdeutsch, Ostfälisch, Westfälisch, Nordrheinmaasländisch. In: Joachim Herrgen, Jürgen Erich Schmidt: Sprache und Raum. Ein internationales Handbuch der Sprachvariation. Band 4: Deutsch (= Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft. Band 30.4). De Gruyter Mouton, Berlin/Boston 2019, ISBN 978-3-11-018003-9, S. 550–590.
  • Robert Damme, Jan Goossens, Gunter Müller, Hans Taubken: Niederdeutsche Mundarten. In: Geographisch-landeskundlicher Atlas von Westfalen. Themenbereich V: Kultur und Bildung. Lieferung 8, Doppelblatt 1, Münster 1996 (Digitalisat). Eingefärbt sind hier nur Gebiete, die zum Landschaftsverband Westfalen-Lippe gehören.
  • Hermann Niebaum: Geschichte und Gliederung der sprachlichen Systeme in Westfalen. In: Der Raum Westfalen VI,1, Münster 1989, ISBN 3-402-05554-6, S. 5–31.
  • Rudolf Ernst Keller: Westphalian: Mönsterlänsk Platt. In: German Dialects. Phonology & Morphology, with selected texts. Manchester University Press, Manchester 1961, S. 299–338.
  • Jan Goossens: Sprachatlas des nördlichen Rheinlands und des südöstlichen Niederlands: „Fränkischer Sprachatlas“. Zweite Lieferung: Textband, N. G. Elwert Verlag, Marburg 1994.
  • Jan Goossens: Die niederländische Strukturgeographie und die Reeks Nederlandse Dialectatlassen. Noord-Hollandsche Uitgevers Maatschappij, Amsterdam 1965.
  • Jan Goossens: Strukturelle Sprachgeographie. Eine Einführung in Methodik und Ergebnisse. Winter, Heidelberg 1969.
  • Jan Goossens: Niederdeutsch – Sprache und Literatur. Wachholtz, Neumünster 1973.
  • Jan Goossens: Deutsche Dialektologie. de Gruyter, Berlin 1977, ISBN 3-11-007203-3.
  • Jan Goossens: Ausgewählte Schriften zur niederländischen und deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft. Waxmann, Münster 2000, ISBN 3-89325-871-X.
  • Helmut Hackstätte, Karl Jürgenvathauer: Ossenbrügger Platt: nix os Wöere; een lüttket Wöerebouk ton Naukieken un Arbeeten. In Zusammenarbeit mit Alfred Möllers. Fromm, Osnabrück 1994, ISBN 3-7729-3106-5.

Herausgegeben vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe:

Herausgegeben vom Landschaftsverband Rheinland, LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte:

  • NRW – „Land der tausend Dialekte“. LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, abgerufen am 20. September 2023.
  • Rheinischer Fächer. Landschaftsverband Rheinland, Amt für rheinische Landeskunde, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 4. Juli 2007; abgerufen am 5. Februar 2008.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.arl.lvr.de
  • Rheinischer Fächer. Landschaftsverband Rheinland, LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, abgerufen am 11. September 2023.
  • Dialekte im Rheinland. LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, abgerufen am 5. Juni 2022.
  • Dialekte im Rheinland. LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte, abgerufen am 11. September 2023.

Einzelnachweise

  1. Jan Goossens: Deutsche Dialektologie, Kapitel „Deutsche Dialektologie“. De Gruyter (Sammlung Göschen), 1977, ISBN 3-11-007203-3, S. 48.
  2. Jan Goossens: Niederländische Mundarten – vom Deutschen aus gesehen. In: Niederdeutsches Wort. Kleine Beiträge zur niederdeutschen Mundart- und Namenskunde, Bd. 10. Verlag Aschendorff, Münster 1970, S. 78.
  3. C. Hoppenbrouwers, G. Hoppenbrouwers: De indeling van de Nederlandse streektalen: dialecten van 156 steden en dorpen geklasseerd volgens de FFM. Uitgeverij Van Gorcum, Assen 2001, S. 56–60.
  4. Rebekka Knoll: Sprechet dä dann Platte? Warum unser Dialekt wieder modern ist. In: HNA. 21. Februar 2018, abgerufen am 3. Juni 2023.
  5. Z. B. Willy Sanders: Sachsensprache, Hansesprache, Plattdeutsch: sprachgeschichtliche Grundzüge des Niederdeutschen. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1982. Nordniedersächsisch dort als Nordniederdeutsch bezeichnet.
  6. G.H. Kocks: Die Dialekte von Südostdrente und anliegenden Gebieten. Groningen 1970, S. 46.
  7. Hans Taubken: „Westniederdeutsch“ und „Nordniedersächsisch“. In: Robert Damme (Hrsg.) u. a.: Franco-Saxonica: Münstersche Studien zur niederländischen und niederdeutschen Philologie. Jan Goossens zum 60. Geburtstag. Neumünster 1990, S. 201–237.
  8. Siehe u. a. Otto Behaghel: Geschichte der deutschen Sprache. 5., verbesserte und stark erweiterte Auflage. Berlin/Leipzig 1928, S. 159; L. Kremer: Mundart im Westmünsterland. Aufbau. Gebrauch. Literatur. Borken 1983.
  9. Siehe u. a. Otto Behaghel: Die deutsche Sprache. 4. Auflage. Wien 1907; Joachim Schildt et al.: Kleine Enzyklopädie. Deutsche Sprache. Leipzig 1983; Otto Bremer: Karte der deutschen Mundarten. In: Brockhaus’ Konversations-Lexikon, 14. Aufl., 1894 (Karte)
  10. Siehe u. a. Oskar Weise: Unsere Mundarten – ihr Werden und ihr Wesen. 2. Auflage. Leipzig/Berlin 1919, S. VI f. (neben Niedersächsisch und Ostniederdeutsch tauchen hier auch die Begriffe Westniedersächsisch und Nordniedersächsisch auf); V.M. Schirmunski: Deutsche Mundartkunde. Vergleichende Laut- und Formenlehre der deutschen Mundarten. Berlin 1962; Dieter Stellmacher: Niedersächsisch. Düsseldorf 1981.
  11. H.J. Gernetz: Niederdeutsch – gestern und heute. 2. Auflage. Rostock 1980.
  12. Niedersächsisches Wörterbuch. Band 3, Neumünster 1953 ff.
  13. Siehe u. a. C.J. Hutterer: Die germanischen Sprachen. Ihre Geschichte in Grundzügen. Budapest 1975.
  14. Siehe u. a. E. Schwarz: Die deutschen Mundarten. Göttingen 1959; Hans Taubken: Die Mundarten der Landkreise Emsland und Grafschaft Bentheim. Teil I: Zur Laut- und Formengeographie. In: Th. Penners (Hrsg.): Emsland/Bentheim. Beiträge zur neueren Geschichte. Sögel 1985.
  15. a b In: Hans Peter Althaus, Helmut Henne, Herbert Ernst Wiegand (Hrsg.): Lexikon der germanistischen Linguistik. 2. Auflage. Tübingen 1980. Innerhalb des Abschnittes VI. Areale Aspekte:
    • Jan Gossens: Areallinguistik. S. 445 ff. [enthält eine Karte, auf der Westniederdeutsch auch Nordostniederländisch umfasst]
    • Hermann Niebaum: Westniederdeutsch. S. 458 ff.
    • Dieter Stellmacher: Ostniederdeutsch. S. 464 ff.
  16. Siehe u. a. W. Foerste: Geschichte der niederdeutschen Mundarten. In: W. Stammler (Hrsg.): Deutsche Philologie im Aufriß, Bd. 1. Berlin/Bielefeld/München 1954; L. Kremer: Mundarten im Westmünsterland. Aufbau. Gebrauch. Literatur. Borken 1983.
  17. Siehe u. a. H.P. Althaus: Ergebnisse der Dialektologie. Bibliographie der Aufsätze in den deutschen Zeitschriften für Mundartforschung 1884–1968. ZDL-Beihefte 7, Wiesbaden 1970; P. Teepe: Zur Lautgeographie. In: Jan Gossens: Niederdeutsch. Sprache und Literatur. Eine Einführung. 2. Auflage. Neumünster 1983.
  18. Herausgegeben vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe: