Neuhessischer Regiolekt

Walter Renneisen bei einer Neuhessisch-Veranstaltung (2007)

Neuhessisch ist ein deutscher Regiolekt, der in Mittel- und Südhessen gesprochen wird. Umgangssprachlich wird er oft als „Hessisch“ bezeichnet, obwohl er der deutschen Standardsprache deutlich näher steht als den traditionellen hessischen Dialekten.

Sprachwissenschaftliche Einordnung

Die regionalsprachliche Entwicklung, die im Laufe des 20. Jahrhunderts eingetreten ist, hat im Rhein-Main-Gebiet zu einer „Rhein-Mainisierung“ des südlichen Zentralhessisch geführt. Die alten sprachlichen Strukturgrenzen wurden aufgebrochen und haben zu einer Neugliederung des Sprachraums geführt. In sprachwissenschaftlicher Sicht spricht man deshalb statt von „Neuhessisch“ vom Rhein-Main-Regiolekt.[1]

Neuhessisch und hessische Mundart in Medien und Kultur

Überregionale Bekanntheit hat die südhessisch eingefärbte Umgangssprache des Rhein-Main-Gebietes durch Hörfunk und Fernsehen erlangt, besonders durch den in Frankfurt am Main ansässigen Hessischen Rundfunk. In den 1960er und 1970er Jahren prägten volkstümliche, überregional erfolgreiche Fernsehsendungen wie Heinz Schenks Zum Blauen Bock oder Die Hesselbachs mit Wolf Schmidt und Liesel Christ den Eindruck von hessischer Mundart. Was außerhalb Hessens heute oftmals als „typische hessische Mundart“ angesehen wird, ist tatsächlich der Regiolekt des südhessischen Rhein-Main-Gebiets, der sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts herausgebildet hat.

Sogar in der 1976 entstandenen mehrteiligen Fernsehproduktion des Hessischen Rundfunks Der Winter, der ein Sommer war, die unter anderem in Kassel und Treysa spielt, bedienen sich in Dialektpassagen die Darsteller überwiegend der ortsfremden südhessischen Mundart. Um das Neuhessische von den traditionellen Mundarten Mittelhessens und Nordhessens abzugrenzen, wird deshalb auch der Begriff Fernsehhessisch oder Ebbelwoihessisch verwendet.

Das Neuhessische wird auch von modernen südhessischen Mundartautoren wie Kurt Sigel, Ernst Schildger oder Fritz Ullrich (Frankfurter Rundschau) und Schriftstellern wie Rudolf Krämer-Badoni (Deutschland – Deine Hessen) und Herbert Heckmann verwendet. Der aus Darmstadt stammende Schauspieler Günter Strack war immer wieder in südhessischen Dialektrollen zu sehen, zum Beispiel in der Filmreihe Hessische Geschichten, in der Strack verschiedene volkstümliche Charaktere verkörperte, oder die Serien Diese Drombuschs, Mit Leib und Seele. Das von 1971 bis 2013 bestehende Frankfurter Volkstheater spielte zahlreiche moderne Theaterstücke in mundartlicher Bearbeitung.

Literarisch bedeutsam für das moderne hessische Volkstheater war der Bühnenautor, Regisseur und Schauspieler Wolfgang Deichsel mit seinen Molière-Bearbeitungen im Frankfurter Dialekt. Sie wurden seit den 1960er Jahren im Theater am Turm und im Schauspiel Frankfurt gespielt, heute vor allem von der Frankfurter Volksbühne sowie beim Theaterfestival Barock am Main. Zu den bekannten neuhessischen Schauspielern und Kabarettisten zählen Michael Quast, Matthias Beltz und Walter Renneisen.

Populärkultur

In jüngerer Zeit bestimmen Gruppen wie Saure Gummern (Ried-Blues), die Rockband Rodgau Monotones, die Comedy-Gruppen Badesalz und Mundstuhl sowie die Komiker Bodo Bach und Maddin, aber auch der Kabarettist Urban Priol aus dem an der Grenze zu Südhessen liegenden, zum bayerischen Regierungsbezirk Unterfranken gehörenden Aschaffenburg sowie Rainer Bange aus Hanau die Regiolektszene im südhessischen Raum.

Man kann hier auch die Rap-Gruppe Rödelheim Hartreim Projekt einreihen. Hier wird eher ein hessisch-hochdeutsches Missingsch verwendet. Die dabei vorgetragenen Regiolekte sind überwiegend Neuhessisch auf frankfurterischem und auch südhessischem Substrat, deren Formen im Frankfurter, Mainzer, Wiesbadener, Offenbacher, Hanauer, Aschaffenburger und Darmstädter Raum gesprochen werden, oder rheinfränkisch eingefärbtes Hochdeutsch.

Die regionalen Basisdialekte Mittel- und Oberhessens gehen in einem sich entwickelnden Neuhessisch entlang der wirtschaftlichen Verkehrsbeziehungen (spöttisch: „RMV-Hessisch“) im Süden auf.

Andere Regiolekte in Deutschland

Literatur

  • Heinrich J. Dingeldein: Grundzüge einer Grammatik des Neuhessischen. In: Brücken schlagen. „Weit draußen auf eigenen Füßen.“ Festschrift für Fernand Hoffmann. Hrsg. v. Joseph Kohnen, Hans-Joachim Solms und Klaus-Peter Wegera. Lang, Frankfurt am Main 1994, S. 273–309, ISBN 3-631-47300-1.
  • Lars Vorberger: Regionalsprache in Hessen. Eine Untersuchung zu Sprachvariation und Sprachwandel im mittleren Hessen (= Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik. Beiheft 178). Stuttgart 2019, ISBN 978-3-515-12363-1.
  • Hans Sarkowicz, Ulrich Sonnenschein (Hrsg.): Die großen Hessen. Insel, Frankfurt a. M. / Leipzig 1996 (HR-Produktion), ISBN 3-458-16817-6.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Lars Vorberger: Regionalsprache in Hessen. Eine Untersuchung zu Sprachvariation und Sprachwandel im mittleren Hessen (= Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik. Beiheft 178). Stuttgart 2019, ISBN 978-3-515-12363-1.

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Walter Renneisen, bei einer öffentlichen Lesung