Mundhöhlenkarzinom
| Klassifikation nach ICD-10 | |
|---|---|
| C01 | Bösartige Neubildung des Zungengrundes |
| C02 | Bösartige Neubildung sonstiger und nicht näher bezeichneter Teile der Zunge |
| C03 | Bösartige Neubildung des Zahnfleisches |
| C04 | Bösartige Neubildung des Mundbodens |
| C05 | Bösartige Neubildung des Gaumens |
| C06 | Bösartige Neubildung sonstiger und nicht näher bezeichneter Teile des Mundes |
| ICD-10 online (WHO-Version 2019) | |

Der Begriff Mundhöhlenkarzinom umschließt alle bösartigen Tumoren der Mundhöhle und Zunge, hierbei handelt es sich in 80 bis 90 Prozent der Fälle um Plattenepithelkarzinome. Andere Tumorarten, wie das von den seromukösen Schleimhautdrüsen ausgehende Adenokarzinom, sind selten. Mundhöhlenkarzinome gehören zur Klasse der Kopf-Hals-Tumoren.
Ursachen
Hauptrisikofaktoren für das Auftreten eines Mundhöhlenkarzinoms sind chronischer Tabak- oder Alkoholmissbrauch, wesentlich seltener sind andere Faktoren. Bei chronischem Tabak- oder Alkoholabusus ist ein bis zu 6-fach, bei Kombination beider Risikofaktoren ein bis zu 30-fach erhöhtes Erkrankungsrisiko vorhanden. Für das Lippenkarzinom gilt der Kontakt der Lippe mit der Zigarette, unabhängig von der Gesamtmenge des Tabakkonsums, als ein Hauptrisikofaktor. Weiterhin ist der Gebrauch von Kautabak ein prädisponierender Faktor für die Entstehung eines Mundhöhlenkarzinoms. Neben dem Konsum von Tabak oder Alkohol kann auch eine einseitige Ernährung, wie ein übermäßiger Konsum von Fleisch oder gebratenem Essen, die Gefahr einer Karzinomentstehung in der Mundhöhle erhöhen.[1] Daneben können auch sexuell übertragbare Krankheiten begünstigend wirken.
Epidemiologie
Die Karzinome der Mundhöhle treten überwiegend nach der 5. Lebensdekade auf und haben einen Gipfel zwischen dem 60. und 70. Lebensjahr. Männer sind doppelt so häufig betroffen wie Frauen. Das Zentrum für Krebsregisterdaten und die Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland haben für 2014 ermittelt, dass pro Jahr 16,9 Männer von 100.000 an Mundhöhlen- oder Rachenkarzinom erkranken aber nur 5,9 Frauen. Die Überlebensrate 5 Jahre nach Diagnose ist bei Männern mit 43 Prozent geringer als bei Frauen mit 53 Prozent.[2] Die Mortalität des Mundhöhlenkarzinoms weist geographische Unterschiede auf, in Frankreich ist sie z. B. viermal so hoch wie in Deutschland. Auch in den USA ist die Inzidenz sowohl bei Männern als auch bei Frauen höher als in Deutschland.[2] Das Mundhöhlenkarzinom liegt mit sechs Prozent aller Krebserkrankungen weltweit an sechster Stelle. Bei Männern ist es die fünfthäufigste und bei Frauen die 15.-häufigste Krebsneuerkrankung (Stand 2012).[3] Das Fünf-Jahres-Überleben von Patienten mit diagnostiziertem Mundhöhlenkarzinom liegt in Deutschland bei etwa 55 Prozent.[4]
Pathologie
Entstehung
Das Entstehen eines Mundhöhlenkarzinoms vollzieht sich in den seltensten Fällen ohne Präkanzerosen, welche – abhängig von der Wahrscheinlichkeit einer Entartung – in fakultative (geringe Wahrscheinlichkeit) und obligate (Wahrscheinlichkeit ≥ 30 %) Präkanzerosen unterteilt werden. Eine fakultative Präkanzerose des Mundhöhlenkarzinoms ist die Leukoplakie und findet sich am häufigsten auf der Wangenschleimhaut und im Mundwinkel. Die obligaten Präkanzerosen sind insgesamt seltener als Leukoplakien und häufig schon zum Zeitpunkt der Diagnose bösartig (maligne) entartet. Hierzu gehört z. B. der Morbus Bowen (bzw. Erythroplasie Queyrat), sie sind oft am Zahnfleisch oder der Zungenunterseite lokalisiert.
Lokalisation


Nach einer Studie des DÖSAK (Deutsch-Österreichisch-Schweizerischer Arbeitskreis für Tumoren im Kiefer- und Gesichtsbereich) sind etwa 45 Prozent aller Mundhöhlenkarzinome am Mundboden lokalisiert. Die Tumoren an der Zunge (Zungenkrebs) folgen mit ca. 20 Prozent. Weitere Lokalisationen, jedoch deutlich seltener, sind in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit: Zahnfleisch, Oberlippe und Wangenschleimhaut. Der Mundhöhlenkrebs entsteht oft an mehreren Stellen (multifokal), was die hohe Rezidivquote erklärt.
Morphologie
Die beiden Formen des Wachstums des Mundhöhlenkarzinoms unterscheiden sich prognostisch voneinander:
- Ulzeröse (chronische) Form: Diese nach innen (endophytisch) wachsende Form besitzt in der Regel einen Zerfallskrater, die Prognose ist abhängig von der Lokalisation, so ist sie besser an der Lippe als z. B. am Mundboden oder an der Zunge. Die ulzeröse Form macht etwa 99 Prozent aus. Histologisch handelt es sich hier um ein geringgradig differenziertes Plattenepithelkarzinom.
- Verruköse (warzenartige) Form: Diese nach außen (exophytisch) wachsende Form macht etwa ein Prozent aus. Der Tumor wächst langsam und metastasiert später. In der Histologie handelt es sich um hochdifferenzierte Plattenepithelkarzinome.
Metastasen
Die Tumoren der Mundhöhle und der vorderen zwei Drittel der Zunge metastasieren primär fast nie über das Blut (hämatogen), sondern über die Lymphe in die Unterkieferlymphknoten, seltener in die Kinnlymphknoten oder tiefen Halslymphknoten. Die Häufigkeit der lymphogenen Metastasierung steigt mit dem Tumorstadium. Sie beträgt bei Diagnosestellung des Tumors ca. 30 bis 40 Prozent (T1-Stadium ca. 10–15 Prozent im Stadium T4 mit 55–75 Prozent).
Tumoren des Zahnfleischs (Gingiva) und der Wangenschleimhaut weisen bei Diagnosestellung in einem größeren Prozentsatz bereits Metastasen in den regionären Lymphknoten auf. Bei Gingivatumoren können Lymphknoten des Rachens, bei Wangenschleimhauttumoren auch Parotislymphknoten befallen sein.
Symptome und Diagnostik
Jeder weiße oder rote Fleck, jeder Oberflächendefekt oder jedes Geschwür, jede Schwellung oder Schmerzen im Mundbereich, Taubheitsgefühl und unklare Blutung sollte von einem Facharzt abgeklärt werden. Weitere Anfangssymptome können Mundgeruch, Zahnlockerung, Halsschwellung sowie Sprech- und Schluckbehinderung sein.[1]
Weiter sollte bei bestehendem Verdacht eine Computertomographie oder eine Kernspintomographie des Primärtumors und der Lymphbahnen durchgeführt werden. Vorteil der Kernspintomographie ist bei Tumoren der Zunge und des Mundbodens der gute Weichgewebekontrast. Soll die Infiltration des Knochens geklärt werden, ist die Kernspintomographie weniger hilfreich, hier bietet sich die Skelettszintigraphie oder die Computertomographie im Speziellen Knochenfenster an. Zudem sollte eine Panoramaschichtaufnahme der Zähne erstellt werden. Bei fortgeschrittenen Tumorerkrankungen (ab Tumorstadium T3 bzw. nachgewiesenen Lymphknotenmetastasen) sollte eine hämatogene Metastasierung von Lunge, Leber und Nebennieren kontrolliert werden. Eine Tumorbiopsie sollte erst nach der Bildgebung erfolgen.[1]
Therapie
Die Behandlung des Mundhöhlenkarzinoms erfolgt interdisziplinär in spezialisierten Zentren und wird im Rahmen eines Tumorboards festgelegt. Ziel ist die vollständige Entfernung oder Kontrolle des Tumors bei möglichst gutem Erhalt von Sprache, Schluckfunktion und Lebensqualität. Die Therapie richtet sich nach Tumorstadium, Allgemeinzustand und individuellen Gegebenheiten.
Chirurgische Therapie
Die Operation ist in den meisten Fällen die wichtigste Behandlungsmaßnahme. Je nach Stadium und Ausdehnung des Tumors kann eine Resektion mit entsprechend großem Sicherheitsabstand (ca. 1 cm) ausreichen. Bei ausgedehnten Befunden kann eine Teilresektion des betroffenen Ober- oder Unterkiefers notwendig sein. Bei Überschreiten mehrerer Regionen der Mundhöhle sollte dann eine kombinierte Resektion von z. B. Zunge, Mundboden und Gaumen durchgeführt werden. Bei Lymphknotenmetastasen erfolgt eine selektive bis radikale Neck-Dissection.
Rekonstruktion
Nach der Tumorentfernung erfolgt die Wiederherstellung der entstandenen Defekte. Ziel ist die funktionelle und ästhetische Rehabilitation. Häufig werden mikrochirurgische Gewebetransplantate verwendet, die eine gute Wiederherstellung von Form, Sprache und Schluckfunktion ermöglichen.
Strahlen- und Chemotherapie
Nach der Operation folgt bei fortgeschrittenen Tumoren häufig eine ergänzende Strahlen- oder kombinierte Strahlen- und Chemotherapie. Sie soll verbliebene Tumorzellen zerstören und Rückfälle verhindern. Wenn eine Operation nicht möglich ist, kann diese kombinierte Behandlung auch als alleinige Therapie eingesetzt werden. Die Auswahl der Methode hängt vom Tumorstadium, vom Allgemeinzustand der Patientin oder des Patienten und von möglichen Nebenwirkungen ab. Eine Unterbrechung der Strahlentherapie sollte möglichst vermieden werden, da sie den Behandlungserfolg verringern kann.
Systemische und Immuntherapien
Bei fortgeschrittenen oder wiederkehrenden Erkrankungen, die nicht mehr operativ behandelt werden können, können systemische Therapien eingesetzt werden. Dazu zählen Behandlungsformen, die das körpereigene Immunsystem aktivieren oder gezielt in Wachstumsprozesse von Tumorzellen eingreifen. Diese Therapien zielen darauf ab, das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen und die Lebensqualität zu erhalten. Welche Kombination aus Strahlen-, Chemo- oder Immuntherapie eingesetzt wird, hängt von der individuellen Situation ab und wird im Tumorboard festgelegt.
Palliative Behandlung
Wenn eine Heilung nicht mehr möglich ist, steht die palliative Therapie im Vordergrund. Eine palliative Situation liegt vor, wenn der Tumor so weit fortgeschritten ist, dass eine vollständige Entfernung nicht mehr möglich oder die Belastung durch eine kurative Therapie zu hoch wäre. Sie hat das Ziel, Beschwerden zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern.
Je nach Gesundheitszustand kommen verschiedene Maßnahmen infrage:
- Medikamentöse Behandlung zur Kontrolle des Tumorwachstums und Linderung von Symptomen
- Palliative Strahlentherapie, um Schmerzen zu verringern oder Blutungen zu stoppen
- Chirurgische oder interventionelle Eingriff, um Komplikationen wie Schluckstörungen, Atemprobleme oder Infektionen zu behandeln
Welche Therapie sinnvoll ist, hängt von der Ausbreitung der Erkrankung, dem Allgemeinzustand und den persönlichen Wünschen der Betroffenen ab.
Literatur
- S3-Leitlinie Diagnostik und Therapie des Mundhöhlenkarzinoms der Deutschen Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. In: AWMF online (Stand 2021)
- Riede, Schäfer: Allgemeine und spezielle Pathologie. 3. Auflage, S. 713.
- R. H. Brakenhoff, B. J. M. Braakhuis: Entstehung, Behandlung und Prävention von Mundhöhlenkrebs. (PDF; 86 kB) In: Fanconi-Anämie: Ein Handbuch für Familien. S. 275–279.
Weblinks
- Früherkennung des Mundhöhlenkrebses. (PDF; 110 kB) Patienteninformation der Bundeszahnärztekammer und der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde.
Einzelnachweise
- ↑ a b c S3-Leitlinie Diagnostik und Therapie des Mundhöhlenkarzinoms der Deutschen Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. In: AWMF online (Stand März 2021)
- ↑ a b Gemeinsame Publikation des Zentrums für Krebsregisterdaten und der Gesellschaft der Epidemiologischen Krebsregister in Deutschland e. V.: Krebs in Deutschland für 2013/2014. Hrsg.: Robert Koch-Institut. 11. Ausgabe Auflage. Berlin 2017, ISBN 978-3-89606-288-8, doi:10.17886/rkipubl-2017-007.
- ↑ Mundhöhlenkrebs bei Männern die fünfthäufigste Krebsneuerkrankung. In: kma-online.de. 4. Februar 2013, abgerufen am 1. November 2021.
- ↑ S. Listl, L. Jansen u. a.: Survival of patients with oral cavity cancer in Germany. In: PloS one, 2013, Band 8, Nummer 1, S. e53415; ISSN 1932-6203. doi:10.1371/journal.pone.0053415. PMID 23349710. PMC 3548847 (freier Volltext)
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Histopathologic image illustrating well differentiated squamous cell carcinoma in the excisional biopsy specimen. Hematoxylin-eosin stain.
Autor/Urheber: Bionerd, Lizenz: CC BY 3.0
Mundhöhlenkrebs (resp. Plattenepithelkarzinom) bei einem 40 Jahre alten Raucher