Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich

Basisdaten
Titel:Militärstrafgesetzbuch
Früherer Titel:Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich
Abkürzung:MStGB
Art:Reichsgesetz
Geltungsbereich:Deutsches Heer, Kaiserliche Marine
Rechtsmaterie:Nebenstrafrecht
Ursprüngliche Fassung vom:20. Juni 1872
(RGBl. 1872, Nr. 18, S. 174–204)
Inkrafttreten am:1. Oktober 1872
(§ 1 G vom 20. Juni 1872)[1]
Neubekanntmachung vom:16. Juni 1926 (Bekanntmachung des Textes des Militärstrafgesetzbuchs und des Einführungsgesetzes dazu. RGBl. I S. 275.)
Letzte Neufassung vom:10. Oktober 1940 (Verordnung über die Neufassung des Militärstrafgesetzbuchs, RGBl. I S. 1347)
Inkrafttreten der
Neufassung am:
1. Dezember 1940 (Art. II VO vom 10. Oktober 1940)
Letzte Änderung durch:1. Februar 1945 (Art. I VO vom 1. Februar 1945, RGBl. I S. 27 vom 20. Februar 1945)
Inkrafttreten der
letzten Änderung:
1. Februar 1945 (Art. II VO vom 1. Februar 1945)
Außerkrafttreten:20. August 1946
(Art. III Kontrollratsgesetz Nr. 34)
Weblink:Gesetzestext auf Wikisource
Bitte den Hinweis zur geltenden Gesetzesfassung beachten.

Das Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich (MStGB) wurde am 20. Juni 1872 von Kaiser Wilhelm I. erlassen. Es regelte die militärischen Verbrechen und Vergehen von Soldaten und Militärbeamten im Deutschen Heer und der Kaiserlichen Marine und ging im Wesentlichen auf das Preußische Militärstrafgesetzbuch von 1845[2] und das Bayerische Militärstrafgesetzbuch von 1869 zurück.[3]

Reichseinheitliches Militärstrafrecht

Mit dem MStGB wurde ein reichseinheitliches materielles Militärstrafrecht geschaffen. Neben dem Militärstrafgesetzbuch galt das zivile Strafgesetzbuch für nichtmilitärische Gesetzesverstöße subsidiär weiter. Vorschriftswidrige Behandlung, Beleidigung und Misshandlung Untergebener wurden unter Strafe gestellt.[4]

Der Erste Teil regelte den Versuch, die Teilnahme und Strafausschluss- und Strafmilderungsgründe von Verstößen. Kriegsverrat, Gefährdung der Kriegsmacht im Felde, Unerlaubte Entfernung und Fahnenflucht, Selbstverstümmelung und Vortäuschung von Gebrechen, Feigheit, Gehorsamsverweigerung, Missbrauch der Dienstgewalt, widerrechtliche Handlungen im Felde gegen Personen oder Eigentum (z. B. Plünderung, Marodieren) sowie sonstige Tatbestände wurden aufgeführt.

Die Strafandrohungen waren im Vergleich zu anderen europäischen Regeln milder, so dass während des Ersten Weltkrieges deutlich weniger Todesurteile vollstreckt wurden als unter französischem oder britischem Recht. Nach dem Krieg propagierte Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, um von seinem Versagen abzulenken, die Dolchstoßlegende.[5] Die Legende befeuerte und radikalisierte später die Kriegsstrafgesetzgebung während des Nationalsozialismus.[6]

Für das Militärstrafverfahren galten zunächst noch vier verschiedene Militärprozessordnungen und Militärgerichtsverfassungen, die erst mit der Militärstrafgerichtsordnung vom 1. Dezember 1898, die zum 1. Oktober 1900 in Kraft trat, vereinheitlicht wurden. Für Militärpersonen des aktiven Heeres und der aktiven Marine war danach grundsätzlich die Militärgerichtsbarkeit zuständig.[4][7]

Während die Militärgerichtsbarkeit aufgrund Art. 106 der Weimarer Verfassung mit Reichsgesetz vom 7. August 1920 aufgehoben und seitdem von den ordentlichen Gerichten ausgeübt worden war,[8][9] wurde das Militärstrafgesetzbuch samt Einführungsgesetz in einer vom 1. August 1926 ab geltenden Fassung neu bekanntgemacht.[10]

Die Militärgerichtsbarkeit wurde nach der Machtergreifung auf Grundlage der Militärstrafgerichtsordnung von 1898 wieder eingeführt[11] und mit Beginn des Zweiten Weltkriegs durch die Kriegsstrafverfahrensordnung (KStVO) der „Sicherung der Wehrmacht und des Kriegszwecks“ angepasst.

Zweiter Weltkrieg

Ausgehend von einer grundsätzlichen Kritik, dass die Justiz während der Erschöpfung des Heeres 1917–1918 nicht hart genug gegen Zersetzungen durchgegriffen habe, griffen NS-Militärrechtstheoretiker und -reformer Gedanken Ludendorffs auf. Die „seelische Geschlossenheit von Wehrmacht und Volk“ sollte als Fundament des „totalen Krieges“ begriffen werden und eine Strafrechtsreform durchgeführt werden, auf die ab 1935 auch die Wehrmacht drängte.

Es wurden zunächst nur die Verleitung zur Fahnenflucht und die Selbstverstümmelung neu gefasst. 1938 wurden während der Sudetenkrise die Reformpläne in der Kriegs-Sonderstrafrechts-Verordnung (KSSVO) zusammengefasst, die am 1. September 1939 während des Angriffs auf Polen in Kraft trat. Der § 5 KSSVO sah für Wehrkraftzersetzung die Todesstrafe vor und erlaubte eine weitläufige Auslegung des Tatbestandes. In der Verschärfung von 1943 sah § 5a bei Vergehen gegen die Manneszucht eine Überschreitung des regelmäßigen Strafrahmens bis zur Todesstrafe vor, wenn es die Aufrechterhaltung der Manneszucht oder die Sicherheit der Truppe erfordern würden, ein Hebel für eine willkürliche Strafverschärfung über den Strafrahmen einzelner Tatbestände hinaus.[12] Die militärische Führung sah darin schon frühzeitig ein geeignetes Mittel für ihre Kriegsgerichte, die entfernte Möglichkeit der Beeinflussung der „geistigen Wehrkraft“ unnachgiebig zu sanktionieren.[13]

Die Kriegslage führte ab 1943 zu einer gesteigerten Betonung des Durchhaltewillens und einer beträchtlichen Zunahme von Strafverfahren. Ab dem Juli 1943 wurden innerhalb der Wehrmacht Straftaten gegen das „Vertrauen in die politische und militärische Führung“ in Schnellverfahren von Frontregiments-Standgerichten bzw. Sonderstandgerichten der Wehrmacht abgeurteilt. 1945 wurden die Verfahren immer mehr auf Standgerichte verlagert, die im Schnellverfahren urteilten. Die Standgerichte konnten von Offizieren subalterner und kleinerer Verbände angeordnet und deren Urteile unverzüglich vollstreckt werden.[14]

Die Militärgerichtsbarkeit im Nationalsozialismus umfasste rund 3000 Richter.

Aufhebung nach der Kapitulation 1945

Mit dem von den Briten erlassenen Militärgestz Nr. 153 vom 4. Mai 1945 wurden die deutschen Kriegsgerichte grundsätzlich „abgeschafft“. In den noch besetzten Ländern Dänemark und Norwegen durften die Kriegsgerichte noch eingeschränkt wirken, aber höchstens zwei Jahre Freiheitsstrafe eigenständig aussprechen. Die Todesstrafe war nicht mehr vorgesehen. Aus Unkenntnis oder Gleichgültigkeit verhängten manche deutsche Marinerichter weiterhin die Todesstrafe und auch die alliierten Behörden haben die Regelung mitunter nicht gekannt. Das MStGB wurde mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 34 vom 20. August 1946, das auch die Wehrmacht auflöste, aufgehoben.[15] Militärgerichtliche Verurteilungen aufgrund von MStGB und KSSVO wurden 2002 mit einer Änderung des Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege aufgehoben, da der Gesetzgeber insbesondere „Fahnenflüchtige“ und „Wehrkraftzersetzer“ rehabilitieren wollte.[16]

Bundesrepublik Deutschland

Da das Militärstrafgesetz bis 1935 - ebenso wie das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 - dem Geist des liberalen Rechtsstaats entsprach, war es insoweit Grundlage für das Wehrstrafgesetz von 1957.[3]

Literatur

Weblinks

Wikisource: Militärstrafgerichtsordnung – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

  1. Einführungsgesetz zum Militär-Strafgesetzbuche für das Deutsche Reich. Vom 20. Juni 1872. documentArchiv.de, abgerufen am 22. Oktober 2023.
  2. vgl. Art. 61 der Bismarckschen Reichsverfassung, Gesetz betreffend die Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871. verfassungen.de, abgerufen am 25. Oktober 2023.
  3. a b vgl. zur Geschichte BT-Drs. 3040 Entwürfe eines Wehrstrafgesetzes und eines Einführungsgesetzes zum Wehrstrafgesetz vom 20. Dezember 1956, Anlage 2, S. 12.
  4. a b Hartmut Wiedner: Soldatenmißhandlungen im Wilhelminischen Kaiserreich (1890-1914). pdf, Friedrich-Ebert-Stiftung, S. 162.
  5. 20. Juni 2007 - Vor 135 Jahren: Deutsches Militär-Strafgesetzbuch tritt in Kraft. WDR, 20. Juni 2007, aufgerufen am 21. Oktober 2023.
  6. Tristan Barczak: „Zur Aufrechterhaltung der Manneszucht“ – Deutsche Kriegsgerichtsbarkeit nach dem 8. Mai 1945 und ihre juristische Aufarbeitung". S. 94.
  7. Helge Berndt: Zur Reform der Militärstrafgerichtsordnung 1898. Die Haltung der Parteien im Reichstag. Militärgeschichtliche Mitteilungen 1973, S. 7–29.
  8. Gesetz, betreffend Aufhebung der Militärgerichtsbarkeit vom 17. August 1920, RGBl. 1579.
  9. Heinrich Dietz: Zur Aufhebung der Militärgerichtsbarkeit. (Gesetz vom 7. August 1920, RGBl. S. 1579 ff.). ZStW 1921, S. 78 ff.
  10. Militärstrafgesetzbuch vom 16. Juni 1926, RGBl. I S. 275.
  11. Gesetz über Wiedereinführung der Militärgerichtsbarkeit vom 12. Mai 1933, RGBl. I S. 264.
  12. Tristan Barczak: „Zur Aufrechterhaltung der Manneszucht“ – Deutsche Kriegsgerichtsbarkeit nach dem 8. Mai 1945 und ihre juristische Aufarbeitung". S. 95.
  13. Peter Lutz Kalmbach: „Schutz der geistigen Wehrkraft”: NS-Strafrechtsreformen für den „totalen Krieg”. JuristenZeitung 2015, S. 815 f.
  14. Peter Lutz Kalmbach: „Schutz der geistigen Wehrkraft”: NS-Strafrechtsreformen für den „totalen Krieg”. S. 817 f.
  15. Tristan Barczak: „Zur Aufrechterhaltung der Manneszucht“ – Deutsche Kriegsgerichtsbarkeit nach dem 8. Mai 1945 und ihre juristische Aufarbeitung". S. 98 f.
  16. Tristan Barczak: „Zur Aufrechterhaltung der Manneszucht“ – Deutsche Kriegsgerichtsbarkeit nach dem 8. Mai 1945 und ihre juristische Aufarbeitung". S. 101.
  17. Rezensiert für H-Soz-Kult von Peter Keller.