Marais

Koordinaten: 48° 51′ 28″ N, 2° 21′ 41″ O

Restaurant Chez Marianne

Der (oder das) Marais (deutsch: Sumpf) ist ein Stadtteil[Anm. 1] von Paris an der Rive Droite, d. h. dem nördlichen Ufer der Seine. Er liegt zwischen dem Centre Georges-Pompidou im Westen, der Place de la République im Norden und der Place de la Bastille im Osten und gehört teils zum 3., teils zum 4. Arrondissement.

Lage und Charakteristik

Begrenzt wird das Viertel von der Rue Réaumur und der Rue de Bretagne im Norden, dem Boulevard Beaumarchais im Osten, der Seine im Süden und der Rue Beaubourg sowie der Rue du Renard im Westen. Die hier befindliche Sumpflandschaft wurde im 13. Jahrhundert von Angehörigen des Templerordens trockengelegt. Damals befand sich der Marais in einer Randlage außerhalb, heute liegt er im Herzen der Stadt östlich der innerstädtischen Geschäfts- und Regierungsviertel. Da die großen Verkehrsachsen am Marais vorbei und nicht hindurchführen, hat er einen altertümlichen, stellenweise mittelalterlich anmutenden und von der Architektur des 19. Jahrhunderts, die in den meisten Vierteln von Paris überwiegt, unberührtes Aussehen bewahrt. Dies bildet seinen besonderen Reiz und machte das Marais-Viertel, zuvor weitgehend unbeachtet, seit den staatlichen Sanierungsmaßnahmen der 1960er und 1970er Jahre zu einem der „angesagten“ Viertel der französischen Hauptstadt – sowohl für viele Pariser als auch für viele Besucher der Stadt. Noch in der Nachkriegszeit sahen Planungen den Abriss der heruntergekommenen Bausubstanz vor, der schließlich verworfen wurde. So ist der Marais eines der in architektonischer Hinsicht besonders ursprünglich wirkenden Viertel der Stadt. Schon ihre Modernisierung durch Georges-Eugène Haussmann im 19. Jahrhundert hatte er weitgehend unberührt überstanden, sodass noch heute die ältesten und prachtvollsten Hôtels particuliers, d. h. Stadtpaläste des Adels, neben windschiefen Handwerkerhäusern und hohe schmale Mietshäuser neben den Ordensniederlassungen der Tempelritter zu besichtigen sind.

Städtebauliche Geschichte

Der Marais war, wie sein Name anzeigt, zunächst ein Sumpfgebiet außerhalb der Stadtgrenzen; seine Trockenlegung begann im 13. Jahrhundert. Im 14. Jahrhundert wurde eine erweiterte Pariser Stadtmauer errichtet, die den Marais mit einschloss. Im 17. Jahrhundert entwickelte sich der Marais zur bevorzugten Wohngegend des Adels. Davon zeugen eine Reihe von Stadtpalästen aus dem 16./17. Jahrhundert, die bis heute erhalten sind und überwiegend öffentlichen Zwecken dienen (Archives Nationales im Hôtel de Soubise, Centre des monuments nationaux im Hôtel de Sully, stadtgeschichtliches Museum im Hôtel de Carnavalet, jüdisches Museum im Hôtel de Saint-Aignan, Picasso-Museum im Hôtel Salé u. a.), sowie die harmonische repräsentative Bebauung der auf Betreiben Heinrichs IV. (Regierungszeit 1589–1610) in den Jahren 1605 bis 1612 gebaute Place des Vosges, des ersten städtischen Platzes der Hauptstadt, der anlässlich der Doppelhochzeit von Heinrichs Nachfolger, Ludwig XIII., mit Anna von Österreich und von Élisabeth de Bourbon mit dem spanischen Thronfolger, Philipp IV., im April 1612 mit mehrtägigen Feierlichkeiten und Turnieren eingeweiht wurde. In der Französischen Revolution Ende des 18. Jahrhunderts wurde der Adel vertrieben, und es begann der architektonische Niedergang, der erst 1962 unter Kulturminister André Malraux gestoppt wurde.

Die historische Entwicklung des zeitweise anrüchigen Stadtviertels beobachtend, beschrieb Victor Hugo 1831 in seinem Roman Der Glöckner von Notre-Dame den Marais so:

„Zigeuner, entlaufene Mönche, versumpfte Studenten, Schurken aller Nationen, wie Spanier, Italiener, Deutsche, und alle Religionen, Juden, Christen, Mohammedaner, Götzenanbeter, am Tag bettelnd, nachts als Räuberbanden ausschwärmend…“

Mittelpunkt jüdischen Lebens in Paris

Jüdisches Geschäft

Der Marais entwickelte sich nach dem Wegzug des Adels zu einem Zentrum jüdischen Lebens in Paris. Seit dem 13. Jahrhundert haben trotz mehrerer Vertreibungen und Ansiedlungsverbote zuwandernde Juden immer wieder eine Heimat in der französischen Hauptstadt gefunden. Bildeten in der frühen Neuzeit zunächst aus Spanien und Portugal vertriebene Juden und Marranen die Mehrheit, kamen nach der Französischen Revolution besonders strenggläubige Juden aus dem Elsass und Osteuropa in den Marais. Nachdem während der deutschen Besatzung (1940–1944) viele Juden geflohen oder deportiert und ermordet worden waren, siedelten sich in den 1960er Jahren vor allem Juden aus Nordafrika im Marais an und bilden heute einen Großteil der jüdischen Gemeinde von Paris. Zwei Museen zeugen von der Geschichte der Juden von Paris: die Gedenkstätte Mémorial de la Shoah und das Musée d’art et d’histoire du Judaïsme. Nirgendwo sonst in Europa leben heute so viele Juden wie in Frankreich und im Raum Paris: rund 400.000 in ganz Frankreich, fast die Hälfte davon in der Île-de-France und viele noch immer im Marais.

Ein sehenswertes Zeugnis der Moderne ist die 1913 von dem Architekten Hector Guimard errichtete Synagoge der Rue Pavée, der einzige Sakralbau, den Guimard entworfen hat. Der „Vater“ der im Jugendstil gestalteten Eingänge der Pariser Métro – selbst mit einer Jüdin, der Malerin Adeline Oppenheim aus New York, verheiratet – suchte darin die verspielte Ästhetik des Jugendstils mit der Strenge des orthodoxen Judentums zu verbinden. In unmittelbarer Nachbarschaft residiert das Oberhaupt der orthodoxen Juden von Paris, einer kleinen Minderheit der jüdischen Bevölkerung der Stadt.

Das Marais weist neben zahlreichen modischen Boutiquen, Cafés und Restaurants, Buchhandlungen und Cafés-Théâtres bis heute auch einige jüdische Geschäfte auf, die sich seit Ende der 1970er Jahre wie das gesamte Viertel zu touristischen Anziehungspunkten entwickelt haben. Dabei kann es vorkommen, dass etwa eine Sushi-Bar oder Pizzeria mit einem Kaschrut-Zertifikat des Großrabbinats von Paris ausgezeichnet ist, das über die Einhaltung der rituellen jüdischen Reinheitsvorschriften wacht. Die Rue des Rosiers und ihre Seitenstraßen werden inoffiziell auf Jiddisch le Pletzl genannt. In der Rue Geoffrey-l’Asnier befindet sich das Mahnmal für den unbekannten jüdischen Märtyrer.

Für politische Aufklärung im Sinne eines besseren gegenseitigen Verständnisses von Juden, Christen, Muslimen und Andersgläubigen engagierte sich von 1989 bis 2006 die Télévision Française Juive, die der erste explizit jüdische Fernsehsender in Europa war. Ihren Sitz hatte sie in der Rue des Rosiers.

Restaurant Jo Goldenberg. Dieses berühmte jüdische Restaurant existierte von 1948 bis 2007.

In der Rue des Rosiers (Nr. 7) lag auch das im Jahr 1948 eröffnete und 2007 geschlossene jüdische, aber nicht koschere Restaurant Goldenberg, an das ein Delikatessenladen angeschlossen war und das jüdische und nichtjüdische Besucher aus aller Welt anzog und zum Ruhm des Marais als Judenviertel von Paris beitrug. Am 9. August 1982 wurde ein Bombenanschlag auf das Restaurant verübt, bei dem sechs Menschen getötet und 22 verletzt wurden. Der Anschlag wird der Abu-Nidal-Organisation zugeschrieben.[1]

In der Rue des Hospitalières Saint-Gervais Nr. 10 befand sich seit 1846 die erste jüdische Schule von Paris. Sie war im Jahr 1819 gegründet worden und wurde 1880 von der Stadt als öffentliche Schule übernommen. Heute ist in dem Gebäude, das ursprünglich eine Fleischerei beherbergte, eine Grundschule untergebracht.

Weitere Sehenswürdigkeiten

Place des Vosges

Die Grenze am westlichen Eingang zum Marais bildet das von Renzo Piano und Richard Rogers entworfene Centre Pompidou. Der aufgrund seines Erscheinungsbilds zuweilen als „Raffinerie“ bezeichnete Gebäudekomplex, der eine der umfangreichsten öffentlichen Sammlungen moderner Kunst beherbergt, ist nach dem französischen Staatspräsidenten Georges Pompidou benannt, auf dessen Initiative hin er entstanden ist. Für seine Errichtung wurde das Quartier des Halles, d. h. die Pariser Markthallen und die sie umgebende Bebauung, niedergelegt. Die Verlegung des Großmarkts an den Stadtrand und die Neugestaltung des Hallenviertels gehörten zu der in den 1960er Jahren eingeleiteten Sanierung dieses vernachlässigten Teils der Pariser Innenstadt, in die auch das angrenzende Marais einbezogen wurde.

Einer der schönsten Plätze von Paris, die Place des Vosges, liegt inmitten des Marais. Der Platz, der bis zur Revolution Place Royale hieß, wurde 1605 unter König Heinrich IV. an der Stelle eines Pferdemarkts angelegt. Der Schriftsteller Victor Hugo wohnte hier im Haus Nr. 6 und der berühmte Kardinal Richelieu, der Erste Minister Ludwigs XIII., im Haus Nr. 21.

Das dem französischen Nationalarchiv angegliederte Musée de l’Histoire de France dokumentiert im prunkvollen Rahmen des Hôtel de Soubise, eines der größten Stadtpaläste des Marais-Viertels, die Geschichte Frankreichs. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Entstehung des Königreichs und der Entwicklung seiner Institutionen. Schriftstücke wie die Testamente von Ludwig XIV., Ludwig XV. und Napoleon Bonaparte sind hier ausgestellt, ebenso der letzte Brief von Königin Marie-Antoinette und der Haftbefehl Robespierres, ein Schreiben von Richard Löwenherz und ein Brief Jeanne d’Arcs an die Einwohner von Reims vom 6. August 1429.

Die seit 1810 protestantische Kirche Les Billettes an der Rue des Archives geht auf ein Kloster des späten 13. Jahrhunderts zurück und erinnert zugleich an eine antijüdische Legende. Die heutige Kirche entstand 1756–1758. Der gotische Kreuzgang ist der einzige seiner Art, der in Paris erhalten ist.

Auf dem Weg von der Rue Vieille du Temple – hier hatte einst der Templerorden seinen Sitz – zur Rue des Francs-Bourgeois führt der Weg am Marché Saint-Paul vorbei, wo sich unter Portalvorbauten Antiquitäten- und Trödelgeschäfte aneinanderreihen.

Sonstiges

Gay-Buchhandlung Les Mots à la Bouche

Im Marais, um die Rue de la Verrerie herum, in den Parallelstraßen Rue Sainte-Croix de la Bretonnerie und Rue des Blancs Manteaux, hat sich ein großer Teil der Pariser Schwulenszene mit ihren Läden und Cafés angesiedelt.

Das Hôtel Duret-de-Chevry in der Rue du Parc-Royal beherbergt seit 1994 das Deutsche Historische Institut Paris.

Literatur

  • Hilja Droste, Thorsten Droste: Paris, Spaziergänge durch die Seine-Metropole; Plätze und Boulevards, Kirchen und Museen, DuMont, Ostfildern 2012, ISBN 978-3-7701-6622-0, S. 140ff. (= DuMont-Kunst-Reiseführer ).
  • Niklaus Meienberg: Das Schmettern des gallischen Hahns: Reportagen aus Frankreich, Limmat, Zürich 1987, ISBN 978-3-85791-123-1.
Commons: Le Marais – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen

  1. Der Marais ist kein Quartier gemäß der Pariser Verwaltungsstruktur

Einzelnachweise

  1. Der Spiegel am 15. August 1982 über den Anschlag auf das Restaurant Jo Goldenberg (abgerufen am 13. Juni 2025).

Auf dieser Seite verwendete Medien

Paris PlaceDesVosges NordNordEst.JPG
Autor/Urheber: AlNo (discuter/talk/hablar/falar), Lizenz: CC BY-SA 3.0
Place des Vosges, Paris, France.
Jo Goldenberg restaurant, Paris 12 June 2005.jpg
Autor/Urheber: David Monniaux, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Jo Goldenberg's restaurant in the Rue des Rosiers, in le Marais, Paris, France
Paris - Les Mots a la Bouche.jpg
Autor/Urheber: Ecelan, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Paris - "Les Mots a la Bouche", a LGBT bookshop.
Chez Marianne (Le Marais Paris) 01.jpg
Autor/Urheber: Zantastik, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Französisches Restaurant Chez Marianne im Marais-Viertel, 2 Rue des Hospitalières Saint-Gervais, Paris, Frankreich.
Paris marais magasin juif.jpg
Autor/Urheber: Vincent de Groot - http://www.videgro.net, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Paris (Île-de-France, France) : "Maison Mami-Houry", épicerie juive dans le Le Marais.