Mandorla

Majestas Domini in einer Mandorla, umgeben von den Evangelistensymbolen (Elfenbein auf Holz, Köln 13. Jh.)

Mandorla (ital. für „Mandel“) ist ein Fachbegriff aus der Kunstgeschichte und bezeichnet eine Glorie oder Aura („Aureole“) rund um eine ganze Figur. Damit unterscheidet sich die Mandorla vom Heiligenschein, der nur das Haupt umgibt. Von Ausnahmen abgesehen sind Mandorlen Christus vorbehalten und zeigen ihn im Typus der Majestas Domini bzw. als Pantokrator.

Formen

Türsturz der ehemaligen Abteikirche von Saint-Genis des Fontaines (um 1010)

Eine Mandorla ist zumeist mandelförmig, kann aber manchmal – vor allem bei frühen Formen – auch eine Kreis- oder Ellipsenform annehmen. In sehr seltenen, ebenfalls meist frühen Fällen wird die Mandorla auch aus zwei sich überschneidenden Kreisen gebildet. Rautenförmige und gezackte Mandorlen kommen ebenfalls vor. Auf Ikonen, insbesondere des neueren griechischen Stils ab ca. 1900, sind komplizierte Mandorlen oft sehr prominent.

Der Rahmen einer Mandorla ist häufig farblich abgestuft oder skulptural besonders aufwendig gestaltet (Diamantstab, Lochstab); er erinnert somit an die Vision eines Regenbogens in Ez 1,26–28 . Das Innere der meisten Mandorlen ist ungestaltet; manchmal finden sich die griechischen Buchstaben Α und Ω, seltener auch Darstellungen eines Sternenhimmels oder Andeutungen von Wolken. Während in älteren Darstellungen Christus bzw. Maria vollständig von der Mandorla umschlossen sind, ragen in späteren Darstellungen nicht selten Hände und Füße (manchmal auch der Kopf) über die Randbegrenzung hinaus.

Die romanischen Mandorlen sind häufig umgeben von den Symbolen der vier Evangelisten. In vielen Fällen werden sie auch von Engeln gehalten oder emporgehoben und stehen im ikonographischen Zusammenhang mit der Himmelfahrt Christi oder Mariens.

Geschichte

Detail der Pala doro im Aachener Dom: Majestas Domini umgeben von vier Evangelistenmedaillons (11. Jh.)

Mandorlen treten in der sakralen Kunst Europas seit dem 5. Jahrhundert n. Chr. auf. Ihre Blütezeit erleben sie in der mittelalterlichen Kleinkunst (Buchmalerei, Goldschmiedekunst, Elfenbeinschnitzerei), in Apsisfresken oder in Portaltympana der Romanik. In der gotischen und spätgotischen Kunst sind sie deutlich seltener anzutreffen. Von wenigen Ausnahmen (z. B. Peruginos Himmelfahrtsbilder, Raffaels Disputa) abgesehen, verzichten die Künstler der Hochrenaissance auf die Darstellung von Mandorlen oder ersetzen sie durch Strahlenkränze und Wolkenformen. In der Spätrenaissance und im Barock verschwinden sie ganz. Erst mit den sich an der Kunst des Mittelalters orientierenden Präraffaeliten und Nazarenern tauchen sie im 19. und 20. Jahrhundert[1] vereinzelt wieder auf.

Maria in der Mandorla

Dass die Gottesmutter allein in einer Mandorla erscheint, ist eher selten. In solchen Fällen ist zumeist das Bildthema der Himmelfahrt Mariens angesprochen. Häufiger tritt sie zusammen mit ihrem Sohn im Typus der Marienkrönung oder als Sedes sapientiae („Sitz der Weisheit“) auf. In der spätgotischen Kunst entwickelt sich der eigenständige Typus der Strahlenkranzmadonna ohne Mandorla, der bis in die Barockzeit hinein bestand.

Heilige in der Mandorla

Bedeutende Heilige der Kirchengeschichte werden in äußerst seltenen Fällen mit einer Mandorla umgeben, die manchmal von Engeln umgeben ist oder getragen wird und in derartigen Fällen dem Himmelfahrtstypus entspricht.

Kaiser Otto III. in einer Mandorla

Kaiser Otto III. in einer Mandorla, Liuthar-Evangeliar (um 1000). Der Kaiser ist umgeben von den vier Evangelistensymbolen; eine aus dem Himmel kommende Hand setzt ihm eine Krone auf.

Berühmt und einzigartig ist eine Buchmalerei aus dem Liuthar-Evangeliar (um 1000) mit der Darstellung Kaiser Ottos III. in einer Mandorla. Auch wenn Buch und Segensgestus fehlen und der Kaiser stattdessen „nur“ den Reichsapfel in den weit ausgestreckten, alles umfassenden Händen hält, ist es so, als ob sich hier der thronende – und von einer himmlischen Hand gekrönte – Kaiser in einer christusähnlichen Weise und umgeben von den Symbolen der vier Evangelisten darstellen lässt. Auch in einer Darstellung im Speyerer Evangeliar (um 1045) ragen die Köpfe Konrads II. und seiner Gemahlin Gisela in die Mandorla, d. h. in die himmlische Sphäre hinein (siehe Bildergalerie).

Derartige Darstellungen aus dem Vorfeld des Investiturstreits sind nur zu verstehen, wenn der Kaiser nicht allein als weltlicher, sondern auch als geistlicher Stellvertreter Christi bzw. Gottes auf Erden gemeint wurde – eine Rolle, die nach mittelalterlichem Verständnis allein dem Papst und der Kirche vorbehalten war.

Symbolik

Mandorlen werden – wie Heiligenscheine – als sichtbarer Ausdruck der Licht- bzw. Heilskraft einer göttlichen oder quasi-göttlichen Figur gedeutet; sie sind Symbole mittelalterlichen Gottes- und Weltverständnisses.

Literatur

  • Wilhelm Messerer: Mandorla (Gloriole, ganzfigurige Aura). In: Engelbert Kirschbaum (Hrsg.): Lexikon der christlichen Ikonographie, Band III. Herder, Freiburg im Breisgau 1971, Sp. 147–149.
  • Robert Berger: Die Darstellung des thronenden Christus in der romanischen Kunst (= Tübinger Forschungen zur Archäologie und Kunstgeschichte. Bd. 5, ISSN 0175-9183). Gryphius, Reutlingen 1926.

Weiterführende Information

Weblinks

Commons: Mandorla – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen

  1. Beispielsweise in Fresken von Albert Burkart in Memmingen, Pfarrkirche St. Josef (1943), und in Großhesselohe, Pfarrkirche Heiligste Dreifaltigkeit (um 1952?).

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Linteau St Genis.jpg
Le linteau de l'abbaye de Saint-Génis-des-Fontaines. Photographie personnelle (2006).
CLUNY-Coffret Christ 1.JPG
Autor/Urheber: Anonymus , Lizenz: CC BY 2.5
Couvercle d'un coffret en ivoire d'éléphant portant la représentation du Christ en Majesté entre les quatre évangélistes. Cologne, première moitié du XIIIe s. Ivoire.
Liuthar-Evangeliar.jpg

Darstellung Ottos III. aus dem Aachener Liuthar-Evangeliar, fol. 16r. Representation of Otho III, from the Evangeliary of Liuthar, abbay of Reicheneau (see here for black & white photographies of the Evangeliary of Liuthar, on the Bildindex's website).

Date: Most sources, such as Eliza Garrison, seem to describe him as Otho III - see in part. footnote 7 on p.10, which finishes by quoting "Ernst Kantorowicz's foundational if problematic analysis of [this] dedication image", in The King’s Two Bodies: A Study in Medieval Political Theology (Princeton: Princeton University Press, 1957), 61-78 ; according to the latter, it would be Otho II, and not Otho III, and the image would have been producted near 973, whereas Garrison notes that "Questions relating to its proper dating have dominated the literature on this manuscript for quite some time, and my own analysis of this work will take as its point of departure Florentine Mütherich‟s suggested range of 983-990 as the correct one for the work‟s date of production. It should be said that this dating is still a matter of debate and some scholars associate this image with the time of Otto III‟s imperial coronation in 996, which took place in Rome."

Description: The following description is drawn from Kantorowicz (The King's Two Bodies, III, §2), although we consider this image to be more likely to represent Otho III.

This atypical image thus depicts Otho III, holding a royal orb, inside a mandorla, usually used to depict the Christ. He is supported by Terra. The four figures holding the white shawl represents the Four Evangelists (the lion of Mark and the steer of Luke), with the Hand of God (perhaps of Christ, argues Kantorowicz) touching Otho. At the time of Otho II's anointing, hands were not anointed (they were, however, soon after, a detail which gives weight to Kantorowicz's interpretation): this may explain why they are located below the shawl, which would represent the tabernacle or divide between Earth and Heaven. Thus, the upper part of Otho is in Heaven, the lower part on Earth. Two archbishops and two warriors are depicted on the bottom, and one important prince (or reguli, as shown by their crowns) on each side of the stool.

The division between three plans (up, center and down) corresponds to representations of the Christ in Majesty in the Apocalypse of Trier or in the Bible of San Paolo. Compare also to the Christ in Majesty in the Vivian Bible (folio 329 here).
Aachen Cathedral altar detail.jpg
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Westseite des Altarstisches im Dom in de:Aachen, Zentralmotiv umgeben von Symbolen der vier Evangelisten, Denkmal