Londoner Konferenz (1838–1839)
1838 begann die Londoner Konferenz zwischen Belgien und den Niederlanden. Sie befasste sich neuerlich mit Folgen aus der belgischen Revolution und endete am 19. April 1839 mit der Unterzeichnung des Vertrags von London, auch (nl) Verdrag der XXIV artikelen oder (fr) Traité des XXIV articles genannt.
Vorgeschichte

Die Wurzeln der Londoner Konferenz von 1838–1839 liegen in der Belgischen Revolution von 1830, in deren Verlauf sich Belgien vom Vereinigten Königreich der Niederlande lossagte. Der Wiener Kongress (1815) hatte die südlichen (katholischen, französischsprachigen) Provinzen mit den nördlichen (protestantischen, niederländischsprachigen) Provinzen zum Königreich der Niederlande zusammengeschlossen.[1][2] Die kulturellen, religiösen und wirtschaftlichen Gegensätze führten jedoch zu wachsender Unzufriedenheit, die in einer Revolution mündete.[3][4]
Bereits 1830 kam es zur ersten Londoner Konferenz, auf der die Großmächte (Großbritannien, Frankreich, Russland, Preußen, Österreich) das Königreich Belgien als unabhängigen Staat de facto anerkannten. Die Niederlande akzeptierten dies jedoch zunächst nicht.
Der Deutsche Bund, ein loser Staatenbund deutscher Fürstentümer und Königreiche, hatte ein starkes Interesse an der territorialen Integrität seiner Mitgliedsstaaten – und dazu gehörte auch das Großherzogtum Luxemburg, das in einer Personalunion mit dem Königreich der Niederlande verbunden war.[5][6] Nach der belgischen Revolution von 1830 besetzten belgische Truppen Teile Luxemburgs, worauf der Deutsche Bund eine militärische Bundesexekution.[7] Bereits 1831 wurde eine bundesständische Besatzung unter preußischer Führung in den östlichen Teil Luxemburgs entsandt, um die Kontrolle zu sichern.[8] Der Bund betrachtete Luxemburg als Teil des deutschen Kulturgebietes und widersetzte sich daher jeglicher vollständigen Abtretung an Belgien.
Ausgangslage
Trotz der Anerkennung Belgiens durch die Großmächte 1831 weigerte sich König Wilhelm I. der Niederlande, die vollständige Unabhängigkeit Belgiens anzuerkennen, insbesondere was die Grenzregelungen in der Provinz Luxemburg und in Limburg betraf. Zwar wurde 1831 das sogenannte „XXIV Artikel-Protokoll“ erstellt – ein Friedensvorschlag der Großmächte –, doch Wilhelm I. lehnte es ab. Erst 1838 erklärte er sich zur Annahme bereit, was jedoch nun auf belgischer Seite für Unmut sorgte.
Als König Wilhelm I. 1838 plötzlich bereit war, den Vertrag der XXIV Artikel zu akzeptieren, bedeutete das aus Sicht des Deutschen Bundes die Aufgabe von Gebietsansprüchen in Luxemburg und Limburg – was nicht mit den Interessen des Bundes vereinbar war. Der Bund legte deshalb Protest ein, insbesondere gegen die geplante Teilung Luxemburgs. Am stärksten opponierte Preußen, das im Rahmen des Deutschen Bundes das militärische Gewicht stellte und sich gegen eine französisch-belgische Einflussnahme in den deutschen Westen wehrte. Die Spannungen erhöhten sich so sehr, dass zeitweise ein offener Konflikt zwischen Belgien (unter französischem Schutz) und dem Deutschen Bund nicht ausgeschlossen war – ein Grund, warum die Londoner Konferenz von 1838–1839 besonders dringlich wurde.[9][10][11]
Beschlüsse

Die Londoner Konferenz von 1838–1839 führte zu einem völkerrechtlich verbindlichen Vertrag zwischen dem Königreich Belgien und dem Königreich der Niederlande. Dabei griffen die fünf europäischen Großmächte – Großbritannien, Frankreich, Preußen, Österreich und Russland – vermittelnd ein und setzten auf diplomatischem Wege die sogenannte „XXIV Artikel“-Lösung durch, die ursprünglich bereits 1831 formuliert worden war. Der wichtigste Beschluss war die Anerkennung Belgiens als unabhängiger und dauerhaft neutraler Staat. Diese Neutralität wurde von allen Großmächten garantiert und auferlegt und sollte künftig ein friedliches Gleichgewicht im westlichen Europa sichern.[12][13]
Territorial wurde Belgien verpflichtet, Teile der Provinzen Luxemburg und Limburg an die Niederlande abzutreten. Luxemburg wurde in zwei Teile gespalten: Der westliche Teil ging an Belgien, während der östliche Teil als selbstständiges Großherzogtum weiterhin in Personalunion mit den Niederlanden verbunden blieb und gleichzeitig ein Mitglied des Deutschen Bundes blieb.[3] Auch Limburg wurde teilweise Belgien zugeschlagen, während der östliche Teil ebenfalls bei den Niederlanden verblieb. Mit dem am 19. April 1839 unterzeichneten Vertrag wurde dieser Grenzverlauf völkerrechtlich festgelegt. Sowohl Belgien als auch die Niederlande erklärten sich bereit, die vereinbarten Regelungen dauerhaft anzuerkennen. Der Deutsche Bund, der insbesondere in Bezug auf Luxemburg Interessen geltend machte, stimmte dem Kompromiss nur zögerlich zu.[10]
Folgen

Die Folgen der Londoner Konferenz von 1839 waren für das europäische Staatensystem des 19. Jahrhunderts von großer Bedeutung. Zunächst wurde durch den Vertrag ein mehrjähriger Konflikt zwischen Belgien und den Niederlanden beigelegt und damit ein möglicher Krieg im westlichen Mitteleuropa abgewendet. Die Anerkennung Belgiens als unabhängiger Staat stabilisierte die politische Ordnung in der Region und war ein diplomatischer Erfolg der Großmächte, die ihre jeweiligen Interessen durch ein Gleichgewicht der Kräfte gewahrt sahen.
Besonders folgenreich war die im Vertrag festgelegte Neutralität Belgiens. Diese wurde zu einem zentralen Element der internationalen Ordnung in Westeuropa und galt bis zum Ersten Weltkrieg als unantastbar. Als das Deutsche Reich 1914 dennoch in Belgien einmarschierte, führte die Verletzung dieser Neutralität unmittelbar zur Kriegserklärung Großbritanniens an Deutschland – ein deutliches Zeichen für die langfristige Bedeutung des Londoner Vertrags. Auch die im Vertrag festgelegten Grenzen haben sich in großen Teilen bis heute erhalten, wodurch die Konferenz nicht nur ein historisches Friedenswerk, sondern auch ein territoriales Fundament der modernen Benelux-Staaten schuf.[14][11]
Siehe auch
Einzelnachweise
- ↑ Thierry Lentz, Frank Sievers, Thierry Lentz: 1815: der Wiener Kongress und die Neugründung Europas. 1. Auflage. Siedler, München 2014, ISBN 978-3-8275-0047-2, S. 486 ff.
- ↑ Johannes Koll: "Die belgische Nation": Patriotismus und Nationalbewusstsein in den Südlichen Niederlanden im späten 18. Jahrhundert. Bd. 33. Waxmann, Münster ; New York 2003, ISBN 978-3-8309-1209-5.
- ↑ a b Michael Erbe: Belgien, Niederlande, Luxemburg: Geschichte des niederländischen Raumes. W. Kohlhammer, Stuttgart Berlin Köln 1993, ISBN 978-3-17-010976-6, S. 207 ff.
- ↑ Christoph Driessen: Geschichte Belgiens: die gespaltene Nation. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2018, ISBN 978-3-7917-2975-6 (worldcat.org [abgerufen am 18. April 2025]).
- ↑ Thomas Kolnberger: Der Deutsche Bund und das Großherzogtum Luxemburg (1814–1866). Eine komplexe Beziehungsgeschichte in luxemburgisch-niederländischer Perspektive. In: Hemecht: Zeitschrift für Luxemburger Geschichte. 2024.
- ↑ Wolf D. Gruner: Der Deutsche Bund: 1815-1866. 1st ed Auflage. v.2495. C.H. Beck, München 2012, ISBN 978-3-406-58795-5, S. 29 ff.
- ↑ Jürgen Angelow: Die »belgisch-luxemburgische Krise« von 1830—1832 und der Deutsche Bund: Zur geplanten Bundesintervention in Luxemburg. In: Militaergeschichtliche Zeitschrift. Band 50, Nr. 2, 1. Dezember 1991, ISSN 2196-6850, S. 61–80, doi:10.1524/mgzs.1991.50.2.61 (degruyter.com [abgerufen am 18. April 2025]).
- ↑ Michel Pauly: Geschichte Luxemburgs (= C.H.Beck Wissen). 1. Auflage. C.H.Beck, München 2015, ISBN 978-3-406-62225-0, S. 66 ff.
- ↑ Michael Heffernan: The meaning of Europe: geography and geopolitics. Arnold, London 1998, ISBN 978-0-340-58018-9.
- ↑ a b C. Smit: De Conferentie van Londen (= European History and Culture - Book Archive pre-2000). Brill, Leiden Boston 1949, ISBN 978-90-04-70491-6.
- ↑ a b The Cambridge History of British Foreign Policy, 1783–1919: Volume 2: 1815–1866 (= Cambridge library collection. British and Irish History, 19th Century). Cambridge University Press, Cambridge 1923, ISBN 978-1-139-12885-8.
- ↑ Michael Erbe: Belgien, Niederlande, Luxemburg: Geschichte des niederländischen Raumes. W. Kohlhammer, Stuttgart 1993, ISBN 978-3-17-010976-6, S. 193 ff.
- ↑ Belgien als unabhängiger Staat (von 1830 bis heute) | Belgium.be. Abgerufen am 18. April 2025.
- ↑ Handbuch der europäischen Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert: Institutionen und Rechtspraxis im gesellschaftlichen Wandel. Dietz, Bonn 2006, ISBN 978-3-8012-4140-7.
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