Lehrerinnenseminar

Das Lehrerinnenseminar war eine Sonderform der Lehrerausbildung im 19. und 20. Jahrhundert, als Schulen noch nach Geschlechtern getrennt waren und die Lehrerausbildung (für Volksschullehrer) nicht an Universitäten, sondern an Seminaren stattfand.

Man unterschied zwischen Seminaren für künftige Volksschullehrerinnen und Seminaren, die auf die Höhere Lehrerinnenprüfung (d. h. auf den Unterricht an Höheren Mädchenschulen) vorbereiteten. Letztere waren in der Regel keine staatlichen, sondern private Institutionen. Beide Formen des Lehrerinnenseminars waren wie das Lehrerseminar für Männer meist in einem Internat mit angegliederter Übungsschule untergebracht. Die Dauer betrug in der Regel je nach angestrebter Qualifikation drei bis sechs Jahre, zuzüglich eines zweijährigen vorbereitenden Präparandenkurses.

Kulturgeschichtlich wichtig wurde das Lehrerinnenseminar vor allem als Möglichkeit einer weiterführenden und berufsqualifizierenden Bildungsmöglichkeit für bürgerliche Frauen im ausgehenden 19. Jahrhundert. Im Kanton Aargau entstanden Lehrerinnenseminare ab 1873, im Kanton Zürich später.[1] Manche der heute als Frauenrechtlerinnen, Schriftstellerinnen oder anderweitig kulturell bedeutsame Persönlichkeiten bekannten Frauen dieser Zeit (z. B. Anita Augspurg, Gertrud Bäumer, Minna Cauer, Elisabeth Dauthendey, Hedwig Dohm, Helene Lange, Fanny zu Reventlow, Auguste Schmidt, Lisbeth Wirtson, Clara Zetkin) sind ihrem Schicksal als höhere Töchter vor allem durch den Besuch eines Lehrerinnenseminars entflohen, das ihnen neben einer höheren Bildung auch die finanzielle Eigenständigkeit durch Erwerbstätigkeit ermöglichte.

Die Berufstätigkeit war allerdings generell an die Ehelosigkeit gebunden (→ Lehrerinnenzölibat). Die Anrede der Grundschullehrerin als „Fräulein“ – der traditionellen Anrede für unverheiratete Frauen – bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein ist ein Überbleibsel davon. Heiratete eine Lehrerin, musste sie von Amts wegen aus dem Berufsleben ausscheiden. Diese sogenannte Zölibatsklausel galt bis ins Jahr 1957, dann wurde sie vom Bundesarbeitsgericht für ungültig erklärt.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Madeleine Marti, Doris Stump: Marie Walden, die Tochter von Jeremias Gotthelf (1834–1890). „Jetti, ein Buch und ein Stück Brod.“ In: Luise F. Pusch (Hrsg.): Töchter berühmter Männer: Neun biographische Portraits (= Insel TB. Band 979). Frankfurt am Main 1988, ISBN 3-458-32679-0, S. 239–273, hier: S. 250.