Lawinenwinter 1951

Lawinenwinter 1951, Januarereignis
Räumung der Strasse von Zernez nach Brail
Räumung der Strasse von Zernez nach Brail
WetterlageNordstau (Starkschneeereignis)
Daten
Höhepunkt9.–22. Januar
Schneefall> 15 cm/h
Neuschneemenge2,5 m; ≈ 400 % ljM (Schweizer Zentralalpen, insb. Prättigau, ‎16.–22.1.)
Folgen
Betroffene GebieteZentral- und Ostalpen (Schweiz, Liechtenstein, Österreich, Italien)
Opfer210 Tote[1]
Lawinenwinter 1951, Februarereignis
WetterlageVb-Lage (Starkschneeereignis)
Daten
Höhepunkt8.–15. Februar
Niederschlag≈ 600 % ljM Feb. (Valle Onsernone, ‎bis 11.2.)
Neuschneemenge4 m (Maggia, Val Bedretto, ‎bis 11.2.)
Jährlichkeit (gesamt)≈ 100 (Valle Onsernone/1864)[1]
Folgen
Betroffene GebieteAlpensüdseite (Schweiz, Italien)
Opfer30 Tote[1]
Markstein der Lawinenverbauung und -forschung im Ostalpenraum

Der Lawinenwinter 1951 umfasst zwei Wetterereignisse, während derer im Alpenraum große Mengen Schnee fielen. Dadurch gingen zahlreiche Lawinen innerhalb kurzer Zeit spontan nieder; viele davon an unüblicher Stelle oder in einer Mächtigkeit, dass es zu hohen Sachschäden und vielen Toten kam.

Im Januar und Februar starben im Alpenraum 265 Menschen an den direkten Folgen der durch die Wetterereignisse ausgelösten Lawinen. Das Januarereignis war eine ausgeprägte Nordstaulage, welche die gesamten Zentral- und Ostalpen (Schweiz, Österreich, Italien) betraf, das Februarereignis eine Vb-Wetterlage, die sich in der Alpensüdseite (Schweiz, Italien) auswirkte.

Meteorologischer Verlauf

Schon im November fiel im Alpenraum überdurchschnittlich viel Schnee, der bis Ende des Jahres liegen blieb. Anfang Januar kam viel Neuschnee dazu. Mitte des Monats waren südöstlich der Linie Zermatt-Simplon-Furka-Erstfeld-Glarus-Sargans schon mehr als 200 Prozent der üblichen Neuschneemenge gefallen. In Mittelbünden, im Engadin, den Bündner Südtälern und im Tessin sogar 300 bis 400 Prozent.

Januar

In der Nacht vom 15. zum 16. Januar 1951 setzte eine aktive Nordwest-Strömung ein. Diese brachte der Alpennordseite fünf Tage lang fast ununterbrochene Schneefälle. Zeitweise fielen bis zu 15 Zentimeter Neuschnee pro Stunde. Insgesamt betrug die Neuschneemenge zwischen dem 16. und 22. Januar zwischen einem und mehr als zweieinhalb Meter Neuschnee. Vor allem in den Glarner Alpen fielen über zwei Meter, und im oberen Prättigau sogar über zweieinhalb Meter. In der Folge gab es sehr viele Lawinen. Nach dem 22. Januar verfestigte sich der Schnee recht schnell und die Gefahr war fürs Erste gebannt.

Februar

Auf der Alpensüdseite bahnte sich aber ein weiteres Ereignis an. Am 4. Februar 1951 stellte sich eine Südwindlage ein, die der Alpennordseite Föhn und im Tessin in den höhergelegenen Lagen innerhalb von zwei Tagen gut einen Meter Neuschnee brachte. Darauf kam es zu einer kurzen Wetterberuhigung. Doch am 8. Februar bildet sich eine erneute Staulage mit bis zum 11. Februar anhaltenden Niederschlägen auf der Alpensüdseite. Mit diesen beiden Ereignissen waren über 400 Prozent der üblichen Februar-Niederschläge gemessen worden, im Valle Onsernone sogar 600 Prozent. Dies waren die höchsten gemessenen Niederschlagsmengen seit 1864. In den Maggiatälern und im Val Bedretto fielen über vier Meter Neuschnee, selbst die nördlich des Alpen-Hauptkammes gelegenen Gebiete erhielten noch über zwei Meter Neuschnee. In der Folge kam es erneut zu vielen Lawinenabgängen, diesmal blieben aber die großen Schadlawinen auf ein kleineres Gebiet beschränkt als im Januar, als fast der gesamte Alpenraum betroffen war.

Lawinenopfer in Italien

Auf der italienischen Seite des Brennerpasses starben im Januar 18 Menschen und im Livignotal 7 Menschen in Lawinen. Im Februar starben in Italien, im Val Formazza, im oberen Val San Giacomo und in Südtirol, 14 Menschen in Lawinen.

Lawinenopfer in Österreich

In Österreich, schwerpunktmäßig in den Bundesländern Tirol, Kärnten und Salzburg, starben 135 Menschen in diesem Zeitraum. In Österreich wurden über 200 Gebäude zerstört oder beschädigt und 350.000 m³ Wald in Mitleidenschaft gezogen.

Lawinenopfer in der Schweiz

Vom 19. bis 22. Januar 1951 gingen im schweizerischen Alpenraum über 1.000 Schadlawinen ab, in diesen starben 75 Menschen. Zwischen dem 11. und 15. Februar 1951 gingen in der Schweiz knapp 300 Schadlawinen ab, in denen 16 Menschen starben. Es war über 2.000 ha Waldfläche von Lawinenniedergängen betroffen, wobei ein Schadholzvolumen von rund 175.000 m³ endstand.[2]

Chronologie und Analyse der Einzellawinen

Folgende Liste enthält nur bedeutende Schadlawinen (Wegen Quellenlage aktuell nur Schweiz).

Januar

GemeindeOrt/LokalnameDatum/UhrzeitVerschütteteToteSchädenBemerkungen
AndermattGeisstal[3]20. Januar 13:451092 Häuser, 1 Hotel, 1 Kaufhaus, 4 Ställe, Strasse
AndermattKirchberg[3]20. Januar 18:5052Militärkaserne (15 Gebäude + Material), Strasse, Bahnlinie
AndermattOberalpsee[3]20. Januar o.Z.221 Hotel, 3 Nebengebäude, Strasse, Bahnlinie
Blatten (Lötschen)Eisten[3]20. Januar 14 ca.762 Häuser, 27 Ställe, 8 Ziegen, 38,2 ha Wald, 1.650 m³ Holz, Telefon- und Stromleitungen, StrasseLawine mitten ins Dorf
DavosStation Monstein[3]20. Januar o.Z.62Stationsgebäude, Bahnlinie, Strasse
DavosKaisern, Dischma[3]21. Januar 17:00632 Häuser, 1 Nebengebäude, 1,5 ha Wald, 45 m³ Holz, Strasse
DiesbachOrenberg[3]20. Januar 05:35223 Häuser, 7 Ställe, 11 Kühe, 2 Ziegen, 1,5 ha Wald, 200 m³ Holz, Telefon- und Stromleitung
KlostersTallawine[3]20. Januar 20:00621 Haus, 16 Ställe, 3,1 ha Wald, 1040 m³ Holz, Strasse
Muntet[3]21. Januar 00:30337 Häuser, 8 Ställe, Schulhaus, Kirche, 1 Pferd, 1 Kuh, 1 Schwein, 4 Ziegen, 0,95 ha Wald, 68 m³ Holz, Telefon- und Stromleitungen, Strasse
SafienNeukirch[3]20. Januar 23:30651 Haus, 3 Ställe, Geflügel, 1,7 ha Wald, 662 m³ Holz, Strasse
St. AntönienWeiler Meierhof[4][5]20. Januar 22 ca.10142 Gebäude, davon 9 Wohnhäuser, 50 Stück GrossviehGrösster Gebäude-Schaden durch eine Lawine in der Schweiz
ValsAlpbüel[3]20. Januar 21:59301911 Häuser, 12 Ställe, 12 Rinder, 13 Ziegen, Strasse
ZernezVal da Barcil[3]19. Januar 10:3011Strassenwärter des Ofenpass
ZernezVal da Barcil[3]19. Januar 15:3055Rettungsleute von Nachlawine erfasst
ZernezVal da Barcil[3]19. Januar 22:3021Rettungsleute von 2. Nachlawine erfasst
ZuozAlbanas[3]20. Januar 16:1011518 Häuser, 14 andere Gebäude, 13 Stück Vieh und Geflügel, 1,26 ha Wald, 35 m³ Holz, Telefon- und Stromleitungen, BahnlinieLawine wurde mit Minenwerfer künstlich ausgelöst

Februar

Durch rund 100 Lawinen wurden 350 Gebäude beschädigt oder zerstört. Die restlichen 200 Schadlawinen richteten Schäden im Wald an. In der Schweiz waren rund 560 ha Wald betroffen, welche dabei vernichtet wurde, die Schäden liegen bei 35.000 m³ Holz.

GemeindeOrt/LokalnameDatum/UhrzeitVerschütteteToteSchädenBemerkungen
AiroloVallascia[3]12. Februar 00:45151018 Häuser, 11 Ställe, 1 Sägerei, 10 Kühe, 164 Hühner, 7 Bienenvölker, 10 ha Wald, 400 m³ Holz, Strasse mit Holzbrücke
FrascoM. Pampinedo[3]11. Februar 21:3014510 Häuser, 14 Ställe, 8 Scheunen, 20 Schafe, 1 Schwein, 33 Hühner, 5 ha Wald, 50 m³ Holz, Telefon und Stromleitung, Strasse
LavertezzoVal Pinchiascia[3]11. Februar o.Z.--10 Häuser, 11 Ställe, 20 ha Wald, 720 m³ Holz, StrasseDie Siedlung wurde rechtzeitig evakuiert
AnzonicoPizzo Erra[3]13. Februar 05:23--4 Ställe, 15 ha Wald, 2500 m³ Holz, Strasse, GotthardbahnstreckeEs dauerte achteinhalb Tage, bis die Bahnstrecke wieder befahrbar war

Auswirkungen und Aufarbeitung

In der Schweiz hatten von den rund 1.500 Schadlawinen ganze 20 ihren Ursprung in Gebieten mit Lawinenverbauungen. Damit waren Wirksamkeit und Nutzen dieser Verbauungen eindrücklich unter Beweis gestellt. Dies hatte einen massiven Ausbau dieser Verbauungen zur Folge. So wurden danach jährlich rund 10 Kilometer Verbauungen erstellt (zwischen 1951 und 1984 ein Auftragsvolumen von rund 1,6 Milliarden Schweizer Franken). Auch wurde in der Folge die Gefahrenkartengeografierung vor allem in diesem Gebiet vorangetrieben, damit die Verbauungen auch an den richtigen Orten gesetzt werden konnten.

Auf dem Stillberg im Dischmatal (bei Davos) wurde vom Eidgenössischen Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) zusammen mit der Forstlichen Versuchsanstalt (EAFV) ein umfangreiches Forschungsgebiet für die Wiederbewaldung angelegt.

Damals gab es in der Schweiz noch keine Helikopter. Die Schweizer Luftwaffe hatte drei Stück Ju 52; diese flogen Hilfseinsätze.[6]

Siehe auch

Literatur

  • Martin Laternser und Walter J. Ammann (2001): Der Lawinenwinter 1951 (PDF; 3,5 MB)
  • Christian Pfister: Am Tag danach. Zur Bewältigung von Naturkatastrophen in der Schweiz 1500–2000. Haupt, Bern u. a. 2002, ISBN 3-258-06436-9, Kapitel 11, S. 155–167.

Weblinks

Commons: Lawinenwinter 1951 – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b c Hans Haid: Mythos Lawine. Eine Kulturgeschichte. Studien Verlag, Innsbruck 2007. ISBN 978-3-7065-4493-1.
  2. SLF Buch Lawinenwinter 1999 Tabelle Seite 123
  3. a b c d e f g h i j k l m n o p q r s Lit. Pfister: Am Tag danach. Tabelle S. 156
  4. Pfister: Am Tag danach, S. 158
  5. Das Unheil in der Sebastiansnacht. Die Walsersiedlungen in der Surselva litten besonders unter den Lawinen von 1951. In: Die Südostschweiz. 20. Januar 2002, Lawinenwinter 1951, S. 3 (jfp.ch [PDF]).
  6. wrd.ch: (Seite 4 f.), www.avia-zh.ch, www.recherche.bar.admin.ch

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Schneeräumung vor dem Hotel von Il Fuorn im Lawinenwinter 1951.
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Im Lawinenwinter 1951 zerstörtes Haus in Tschierv.
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Im Lawinenwinter 1951 zerstörter Weiler Lü Daint, durchs Militär geräumt.
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