Landau-Symbole

Landau-Symbole (auch O-Notation, englisch big O notation) werden in der Mathematik und in der Informatik verwendet, um das asymptotische Verhalten von Funktionen und Folgen zu beschreiben.

In der Informatik werden sie bei der Analyse von Algorithmen verwendet und geben ein Maß für die Anzahl der Elementarschritte oder der Speichereinheiten in Abhängigkeit von der Größe des gegebenen Problems an.

Die Komplexitätstheorie verwendet sie, um Probleme danach zu klassifizieren, wie „schwierig“ oder aufwändig sie zu lösen sind. Zu „leichten“ Problemen existiert ein Algorithmus, dessen Laufzeit sich durch ein Polynom beschränken lässt; als „schwer“ gelten Probleme, für die man keinen Algorithmus gefunden hat, der weniger schnell als exponentiell wächst. Man nennt sie (nicht) polynomiell lösbar.

NotationAnschauliche Bedeutung

(immer ohne Berücksichtigung von Konstanten)

oder

wächst langsamer als

oder

wächst höchstens genauso schnell wie
wächst genauso schnell wie
wächst nicht immer langsamer als (Zahlentheorie)
wächst mindestens genauso schnell wie (Komplexitätstheorie)
wächst schneller als

Geschichte des O-Symbols

Erstmals drückte der deutsche Zahlentheoretiker Paul Bachmann 1894 „durch das Zeichen eine Größe aus […], deren Ordnung in Bezug auf die Ordnung von nicht überschreitet […]“.[1] Der ebenfalls deutsche Zahlentheoretiker Edmund Landau, durch den die - und -Symbolik bekannt wurde und mit dessen Namen sie insbesondere im deutschen Sprachraum heute verbunden ist, übernahm Bachmanns Bezeichnung und führte zudem die -Bezeichnung für „von kleiner Ordnung“ ein.[2][3]

Sonderfall: Omega-Symbol

Zwei unvereinbare Definitionen

Es gibt in der Mathematik zwei sehr häufige und inkonsistente Definitionen für

wobei eine reelle Zahl, oder ist, wo die reellen Funktionen und auf einer Umgebung von definiert sind und in dieser Umgebung positiv ist.

Die erste wird in der analytischen Zahlentheorie benutzt und die andere in der Komplexitätstheorie. Diese Situation kann zu Verwechslungen führen.

Die Hardy-Littlewoodsche Definition

Im Jahr 1914 führten Godfrey Harold Hardy und John Edensor Littlewood das Symbol mit der Bedeutung

ein.[4] Also ist die Negation von .

Im Jahr 1916 führten dieselben Verfasser zwei neue Symbole und mit den Bedeutungen

;

ein.[5] Also ist die Negation von und die Negation von .

Im Gegensatz zu einer späteren Aussage von Donald E. Knuth[6] verwendete Landau diese drei Symbole im Jahre 1924 mit den gleichen Bedeutungen.[7]

Diese Hardy-Littlewood-Symbole sind Prototypen, sie werden nie genau so verwendet. ist zu und zu geworden.

Diese drei Symbole sowie (dies bedeutet, dass die beiden Eigenschaften und erfüllt sind) werden heute noch systematisch in der analytischen Zahlentheorie verwendet.

Einfache Beispiele

Wir haben

und speziell

Wir haben

und speziell

aber

Zahlentheoretische Notation

Die strenge Notation wird in der Zahlentheorie nie benutzt und man schreibt weniger streng immer . Dies bedeutet hier „ ist ein Omega von “.

Die Knuthsche Definition

Im Jahr 1976 veröffentlichte Donald E. Knuth einen Artikel,[6] dessen Hauptziel es ist, eine andere Verwendung des -Symbols zu rechtfertigen. Er bemüht sich, seine Leser zu überzeugen, dass, abgesehen von einigen älteren Werken (wie dem 1951 erschienenen Buch von Edward C. Titchmarsh[8]), die Hardy-Littlewoodsche Definition fast nie benutzt wird. Er schreibt, dass er bei Landau keine Anwendung finden konnte und dass George Pólya, der bei Landau studierte, die Einschätzung bestätigte, dass Landau das -Symbol wohl nicht verwendet hat (tatsächlich findet sich eine Nutzung in einer Abhandlung von 1924[7]). Knuth schreibt: „For all the applications I have seen so far in computer science, a stronger requirement […] is much more appropriate.“ Er verwendet das Symbol , um diese stärkere Anforderung zu beschreiben: „Unfortunately, Hardy and Littlewood didn’t define as I wanted to.“

Unter der Gefahr von Missverständnissen und Verwirrung definiert er auch

.[9]

Definition

In der folgenden Tabelle bezeichnen und entweder

  • Folgen reeller Zahlen, dann ist und der Grenzwert , oder
  • reellwertige Funktionen der reellen Zahlen, dann ist und der Grenzwert aus den erweiterten reellen Zahlen: , oder
  • reellwertige Funktionen beliebiger topologischer Räume , dann ist und auch der Grenzwert . Wichtigster Spezialfall ist dabei .

Formal lassen sich die Landau-Symbole dann mittels Limes superior und Limes inferior folgendermaßen definieren:

NotationDefinitionMathematische Definition
asymptotisch gegenüber vernachlässigbar
asymptotische obere Schranke
(Zahlentheorie) asymptotische untere Schranke, ist nicht in
(Komplexitätstheorie) asymptotische untere Schranke,
asymptotisch scharfe Schranke, sowohl als auch
asymptotisch dominant,

In der Praxis existieren meist die Grenzwerte , sodass die Abschätzung des limes superior oft durch die (einfachere) Berechnung eines Grenzwerts ersetzt werden kann.

Äquivalent zur Definition mit Limessymbolen können für einen metrischen Raum , insbesondere also für die Fälle und , folgende Definitionen mit Quantoren verwendet werden:

Notation
(Zahlentheorie)
(Komplexitätstheorie)
Notation
(Zahlentheorie) (die Test-Funktion g ist immer positiv)
(Komplexitätstheorie)

Analoge Definitionen lassen sich auch für den Fall sowie für einseitige Grenzwerte geben.

Folgerung

Für jede Funktion werden durch

jeweils Mengen von Funktionen beschrieben. Es gelten folgende Beziehungen zwischen diesen:

Beispiele und Notation

Bei der Verwendung der Landau-Symbole wird die darin verwendete Funktion häufig verkürzt angegeben. Statt zum Beispiel schreibt man häufig verkürzend Dies wird auch in den folgenden Beispielen so gehandhabt.

Die Beispiele in der Tabelle enthalten allesamt monoton wachsende Vergleichsfunktionen , bei denen es auf ihr Verhalten bei ankommt. (Als Name des Arguments wird gerne genommen – oft ohne eine Erläuterung, weil es sich sehr häufig um eine Anzahl handelt.) Sie sind in dieser Hinsicht aufsteigend geordnet, d. h. die Komplexitätsklassen sind enthalten in denen, die in Zeilen darunter stehen.

NotationBedeutungAnschauliche ErklärungBeispiele für Laufzeiten
ist beschränkt. überschreitet einen konstanten Wert nicht (ist unabhängig vom Wert des Arguments ).Feststellen, ob eine Binärzahl gerade ist
Nachschlagen des -ten Elementes in einem Feld in einer Registermaschine
wächst doppel-logarithmisch.Bei Basis 2 erhöht sich um 1, wenn quadriert wird.Interpolationssuche im sortierten Feld mit gleichförmig verteilten Einträgen
wächst logarithmisch. wächst ungefähr um einen konstanten Betrag, wenn sich verdoppelt.
Die Basis des Logarithmus ist dabei egal.
Binäre Suche im sortierten Feld mit Einträgen
wächst wie die Wurzelfunktion. wächst ungefähr auf das Doppelte, wenn sich vervierfacht.Anzahl der Divisionen des naiven Primzahltests (Teilen durch jede ganze Zahl )
wächst linear. wächst ungefähr auf das Doppelte, wenn sich verdoppelt.Suche im unsortierten Feld mit Einträgen (Bsp. Lineare Suche)
hat super-lineares Wachstum.Vergleichbasierte Algorithmen zum Sortieren von Zahlen

Mergesort, Heapsort

wächst quadratisch. wächst ungefähr auf das Vierfache, wenn sich verdoppelt.Einfache Algorithmen zum Sortieren von Zahlen

Selectionsort

wächst polynomiell. wächst ungefähr auf das -Fache, wenn sich verdoppelt.„Einfache“ Algorithmen
wächst exponentiell. wächst ungefähr auf das Doppelte, wenn sich um 1 erhöht.Erfüllbarkeitsproblem der Aussagenlogik (SAT) mittels erschöpfender Suche
wächst faktoriell. wächst ungefähr auf das -Fache, wenn sich um 1 erhöht.Problem des Handlungsreisenden (mit erschöpfender Suche)
wächst wie die modifizierte Ackermannfunktion.Problem ist berechenbar, aber nicht notwendig primitiv-rekursiv

Die Landau-Notation wird verwendet, um das asymptotische Verhalten bei Annäherung an einen endlichen oder unendlichen Grenzwert zu beschreiben. Das große wird verwendet, um eine maximale Größenordnung anzugeben. So gilt beispielsweise nach der Stirlingformel für das asymptotische Verhalten der Fakultät

für

und

für .

Der Faktor ist dabei nur eine Konstante und kann für die Abschätzung der Größenordnung vernachlässigt werden.

Die Landau-Notation kann auch benutzt werden, um den Fehlerterm einer Approximation zu beschreiben. Beispielsweise besagt

für ,

dass der Absolutbetrag des Approximationsfehlers kleiner als eine Konstante mal für hinreichend nahe bei Null ist.

Das kleine wird verwendet, um zu sagen, dass ein Ausdruck vernachlässigbar klein gegenüber dem angegebenen Ausdruck ist. Für differenzierbare Funktionen gilt beispielsweise

für ,

der Fehler bei Approximation durch die Tangente geht also schneller als linear gegen .

Notationsfallen

Symbolisches Gleichheitszeichen

Oft wird in der Mathematik bei der Landau-Notation das Gleichheitszeichen verwendet. Es handelt sich dabei aber um eine rein symbolische Schreibweise und nicht um eine Gleichheitsaussage, auf die beispielsweise die Gesetze der Transitivität oder der Symmetrie anwendbar sind: Eine Aussage wie ist keine Gleichung und keine Seite ist durch die andere bestimmt. Aus und folgt nicht, dass und gleich sind. Genauso wenig kann man aus und schließen, dass und dieselbe Klasse sind oder die eine in der anderen enthalten ist.

Tatsächlich handelt es sich bei um eine Menge, welche alle diejenigen Funktionen enthält, welche höchstens so schnell wachsen wie . Die Schreibweise ist also formal korrekt.

Die Notation mit dem Gleichheitszeichen wie in wird trotzdem in der Praxis ausgiebig genutzt. Beispielsweise soll der Ausdruck besagen, dass es Konstanten und gibt, sodass

für hinreichend große gilt.

Vergessener Grenzwert

Eine weitere Falle besteht darin, dass oft nicht angegeben wird, auf welchen Grenzwert sich das Landausymbol bezieht. Der Grenzwert ist aber wesentlich; so ist beispielsweise

für , nicht aber für den einseitigen Grenzwert mit

Jedoch wird normalerweise der zu betrachtende Grenzwert aus dem Zusammenhang klar und Mehrdeutigkeiten treten nur selten auf.

Anwendung in der Komplexitätstheorie

In der Komplexitätstheorie werden die Landau-Symbole vor allem verwendet, um den (minimalen, mittleren oder maximalen) Zeit- oder Speicherplatzbedarf eines Algorithmus zu beschreiben. Man spricht dann von Zeitkomplexität bzw. Platzkomplexität. Die Komplexität kann vom verwendeten Maschinenmodell abhängen. In der Regel nimmt man jedoch ein „normales“ Modell an, zum Beispiel ein der Turingmaschine äquivalentes.

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Seite 401 f. des 1894 erschienenen zweiten Teils Die analytische Zahlentheorie (archive.org) seines Werkes Zahlentheorie.
  2. Seite 31 sowie Seite 61 des 1909 erschienenen ersten Bands seines Werkes Handbuch der Lehre von der Verteilung der Primzahlen (archive.org).
  3. Earliest Uses of Symbols of Number Theory, 22. September 2006: (Memento vom 19. Oktober 2007 im Internet Archive) According to Władysław Narkiewicz in The Development of Prime Number Theory: “The symbols O(·) and o(·) are usually called the Landau symbols. This name is only partially correct, since it seems that the first of them appeared first in the second volume of P. Bachmann’s treatise on number theory (Bachmann, 1894). In any case Landau (1909a, p. 883) states that he had seen it for the first time in Bachmann’s book. The symbol o(·) appears first in Landau (1909a).”
  4. G. H. Hardy, J. E. Littlewood: Some problems of Diophantine approximation. Part II. The trigonometrical series associated with the elliptic ϑ-functions. In: Acta Math. Band 37, 1914, S. 193–239, hier S. 225, doi:10.1007/BF02401834.
  5. G. H. Hardy, J. E. Littlewood: Contribution to the theory of the Riemann zeta-function and the theory of the distribution of primes. In: Acta Math. Band 41, 1916, S. 119–196, hier S. 138, doi:10.1007/BF02422942.
  6. a b Donald E. Knuth: Big Omicron and big Omega and big Theta. In: SIGACT News, Apr.–June 1976, S. 18–24 (Online (Memento vom 30. November 2021 im Internet Archive) [PDF; 348 kB]).
  7. a b Edmund Landau: Über die Anzahl der Gitterpunkte in gewissen Bereichen. (Vierte Abhandlung). In: Nachrichten von der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Mathematisch-Physikalische Klasse. 1924, S. 137–150; oder "Collected Works" (P.T. Bateman et al.), Thales Verlag, Bd. 8, 1987, S. 145–158; hier S. 140 (Göttinger Digitalisierungszentrum).
  8. Edward C. Titchmarsh: The Theory of the Riemann Zeta-Function. Clarendon Press, Oxford 1951.
  9. Mit dem Kommentar: “Although I have changed Hardy and Littlewood’s definition of , I feel justified in doing so because their definition is by no mean in wide use, and because there are other ways to say what they want to say in the comparatively rare cases when their definition applies”.