Lamaismus

Als Lamaismus bezeichnen zahlreiche westliche Autoren und Tibetologen sowie einige tibetische Autoren die vorwiegend im tibetischen, mongolischen und mandschu-tungusischen Kulturkreis sowie in Bhutan, Sikkim und Ladakh verbreitete Form des Buddhismus. Auch in der Mongolistik ist der Begriff üblich. Der Begriff ist nach Heinz Bechert[1] bestimmt durch die Konjunktion der kritischen Attribute:

Die beiden Hauptvertreter der unter diesem Oberbegriff zusammengefassten Richtungen sind

Die gelegentlich anzutreffende Gleichsetzung mit dem Vajrayana-Buddhismus ist unzutreffend, da dieser (neben Sutrayana und Mahayana) lediglich eines der drei Lehrsysteme („Fahrzeuge“) des Lamaismus ist und das Vajrayana (neben historischen Schulen) auch in China und Japan eigene Formen ausgebildet hat (Mizong und Mikkyo).

Autoren

Zu den genannten westlichen Autoren und Tibetologen gehören u. a.:

Tibetische Autoren sind:

Kritik

In jüngerer Zeit wird die Verwendung des Begriffs vor allem von tibetischen Buddhisten (u. a. dem Dalai Lama[25]) bzw. Anhängern des tibetischen Buddhismus kritisiert. Plädiert wird in der Regel für den Begriff „Tibetischer Buddhismus“ als Alternative. Problematisch ist jedoch die Anwendung von „Tibetischer Buddhismus“ als Oberbegriff z. B. auf den Mongolischen Buddhismus, für den der Tibetische Buddhismus lediglich der Prototyp ist. Von akademischer Seite argumentiert Donald Sewell Lopez, dass der Begriff vermutlich eine westliche Adaption des chinesischen lǎmajiào喇嘛教 darstellt, was sich als „Lehre der Lamas“ übersetzen lässt. Das Wort lǎmajiào sei während der Qing-Dynastie ins Chinesische eingeführt worden, um die von ihr (vor allem durch Kaiser Qianlong) protegierte Form des Buddhismus von der chinesischen Form, fójiào佛教, zu unterscheiden.[26] Lopez kritisiert die Verwendung des Begriffs in der chinesischen Propaganda sowie die Loslösung des Begriffes von der kulturellen und politischen Realität Tibets im westlichen Diskurs.[27] Lopez’ Buch 'Prisoners of Shangri-La' wurde sehr kontrovers beurteilt, u. a. von Robert A. F. Thurman scharf kritisiert: „Das Buch ist grundsätzlich verdorben durch die üblichen Markenzeichen einer Polemik: bloße Behauptungen vorgeführt als Beweise, verworrene Verzerrungen in der Argumentation und ein Posieren des Autors in schulmeisterlicher Selbstgerechtigkeit“ (The book is fundamentally marred by the usual trademarks of a polemic: mere assertions paraded as evidence, confused distortions in reasoning, and an authorial pose of scholarly self-righteousness[28]). Per Kværne verteidigt den Gebrauch des Begriffs 'Lamaismus', wenn er ohne pejorative Nebenbeutung gebraucht wird: „Dieser Begriff unterstreicht die Schlüsselrolle, welche der geistige Lehrer ('Lama') in der religiösen Gesellschaft Tibets einnimmt. Bisweilen hat 'Lamaismus' einen abschätzigen Unterton im Sinne eines 'entarteten' Buddhismus erhalten; wenn man diese Bedeutung jedoch bewusst ausschließt, lässt er sich durchaus verwenden, da er auf eine Tatsache von grundlegender Bedeutung hinweist: der Lama muss in Tibet nicht unbedingt ein vollordinierter Mönch (dge-slong) sein, und dementsprechend bleibt die Weitergabe des dharma nicht wie in anderen buddhistischen Ländern allein dem Mönch vorbehalten.“[29]

Literatur

  • Jan-Ulrich Sobisch: Lamakratie – Das Scheitern einer Regierungsform. 2008 (uni-hamburg.de [PDF; 3,0 MB]).

Einzelnachweise

  1. Heinz Bechert: Der Buddhismus in Süd- und Südostasien: Geschichte und Gegenwart. W. Kohlhammer, 2013.
  2. Oliver Freiberger, Christoph Kleine: Buddhismus: Handbuch und kritische Einführung. Vandenhoeck & Ruprecht, 2010.
  3. Per Kvaerne: Aufstieg und Untergang einer klösterlichen Tradition. In: Heinz Bechert und Richard Gombrich (Hrsg.): Der Buddhismus. Geschichte und Gegenwart. 2. Auflage. C.H. Beck, 2002.
  4. Heinz Bechert: Der Buddhismus in Süd- und Südostasien: Geschichte und Gegenwart. Kohlhammer 2013.
  5. Edward Conze: A Short History of Buddhism. 2. Auflage. Oneworld 1993.
  6. Giuseppe Tucci, Walther Heissig: Die Religionen Tibets und der Mongolei. Kohlhammer, 1970. (darin: Die Religionen Tibets (Tucci), S. 5–295.)
  7. Walther Heissig: Die Religionen der Mongolei. In: G. Tucci und W. Heissig, Die Religionen Tibets und der Mongolei. Kohlhammer, 1970.
  8. Luciano Petech: China and Tibet in the Early 18th Century. History of the Establishment of Chinese Protectorate in Tibet. E. J. Brill, 1950.
  9. R.P. Anuruddha (= Rudolf Petri): An Introduction into Lamaism: The Mystical Buddhism of Tibet. Erstausgabe: Vishveshvaranand Vedic Research Institute 1959. Neudruck: Literary Licensing 2011, ISBN 978-1-258-00092-9
  10. Rolf A. Stein: Die Kultur Tibets. Weber, 1993.
  11. Albert Grünwedel: Mythologie des Buddhismus in Tibet und der Mongolei. Führer durch die lamaistische Sammlung des Fürsten E. Uchtomskij. F. A. Brockhaus, 1900.
  12. Emil Schlagintweit: Buddhism in Tibet. F. A. Brockhaus, 1863.
  13. Collected works of Alexander Csoma de Kőrös. Akadémiai Kiadó, 1984.
  14. Karl Friedrich Koeppen: Tibet und der Lamaismus bis zur Zeit der Mongolenherrschaft. Lange, 1859.
  15. Ernst Schäfer: Geheimnis Tibet. Erster Bericht der Deutschen Tibet-Expedition 1938/39. F. Bruckmann, 1943.
  16. Karl-Heinz Everding: Tibet. Lamaistische Klosterkultur, nomadische Lebensformen und bäuerlicher Alltag auf dem „Dach der Welt“. DuMont, 2007.
  17. Sven Hedin: Transhimalaja. Entdeckungen und Abenteuer in Tibet. F. A. Brockhaus, 1923.
  18. Andreas Gruschke: Mythen und Legenden der Tibeter. Von Kriegern, Mönchen, Dämonen und dem Ursprung der Welt. E. Diederichs, 1996.
  19. Helmut Hoffmann: Die Religionen Tibets. K. Alber, 1956.
  20. L. A. Waddell: The Buddhism of Tibet or Lamaism. With its mystic cults, symbolism and mythology, and in its relation to Indian Buddhism. Asian Educational Services, 1996.
  21. Han Suyin: Lhasa, the Open City. A Journey to Tibet. Putnam, 1977.
  22. Dawa Norbu: Red star over Tibet. Collins, 1974; Dawa Norbu: China's Tibet Policy. Routledge, 2001.
  23. Tenzin Chhodak: The 1901 Proclamation of H. H. Dalai Lama XIII. In: Alex McKay (Hrsg.): The History of Tibet. The modern period, 1895–1959. RoutledgeCurzon 2003.
  24. Tsultim Gyatso: A Letter from Ladakh to Our Foreign Visitors. In: Recent research on Ladakh 6. Motilal Banarsidass, 1997.
  25. Der tibetische Buddhismus ist kein Lamaismus. (PDF) Abgerufen am 9. Mai 2017.
  26. Donald S. Lopez Jr.: Prisoners of Shangri-La: Tibetan Buddhism and the West. Chicago: University of Chicago Press 1999, S. 6.
  27. Donald S. Lopez Jr.: Prisoners of Shangri-La: Tibetan Buddhism and the West. Chicago: University of Chicago Press 1999, S. 44.
  28. Robert A. F. Thurman: Critical Reflections on Donald S. Lopez Jr.'s "Prisoners of Shangri-La: Tibetan Buddhism and the West". In: Journal of the American Academy of Religion. Vol. 69, Nr. 1. Oxford University Press, S. 191–201.
  29. Per Kvaerne: Aufstieg und Untergang einer klösterlichen Tradition. In: Heinz Bechert, Richard Gombrich (Hrsg.): Der Buddhismus. Geschichte und Gegenwart. 2. Auflage. C.H. Beck, München 2002, S. 297.