Konfliktkommission

(c) Bundesarchiv, Bild 183-R1001-0019 / Rehfeld, Katja / CC-BY-SA 3.0
Ilse Wedel (r.), Mitglied der Betriebsgewerkschaftsleitung und der Konfliktkommission im VEB Kombinat Narva Berlin Glühlampenwerk sowie Schöffin des Senats für Arbeitsrecht am Obersten Gericht der DDR, 1976

Konfliktkommissionen (abgekürzt KKs[1]) zählten im System der DDR-Justiz neben den Schiedskommissionen und in Abgrenzung zur staatlichen Gerichtsbarkeit zu den sogenannten gesellschaftlichen Gerichten der sozialistischen Rechtspflege.

Die Konfliktkommissionen dienten im Sinne des Vorsitzenden des Ministerrats der UdSSR Nikita Chruschtschow der Übertragung staatlicher Funktionen „auf das Volk“, um „wirkungsvoller als die bisherigen Organe mit ihren Methoden die gesellschaftlichen Widersprüche“ zu lösen.[2] Rechtsgrundlage war zunächst die Konfliktkommissionen-Verordnung von 1953,[3] dann das Gesetz über die gesellschaftlichen Gerichte vom 11. Juni 1968 bzw. vom 25. März 1982.

Die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik von 1968 regelte dann in Artikel 92:

„Die Rechtsprechung wird in der Deutschen Demokratischen Republik durch das Oberste Gericht, die Bezirksgerichte, die Kreisgerichte und die gesellschaftlichen Gerichte im Rahmen der ihnen durch Gesetz übertragenen Aufgaben ausgeübt.“

Artikel 92, VerfDDR68 (Hervorhebung nicht original)[4]

Die ostdeutschen Konfliktkommissionen ähnelten in ihrer Funktion der westdeutschen Betriebsjustiz.

Zuständigkeit und Besetzung

Nach § 4 Abs. 1 Gesetz über die gesellschaftlichen Gerichte[5] wurden mit Wirkung zum 1. Juli 1968 „[d]ie Konfliktkommissionen [...] in volkseigenen Betrieben und ihnen gleichgestellten Betrieben, in Betrieben mit staatlicher Beteiligung und in privaten Betrieben, in Einrichtungen des Gesundheitswesens, der Kultur und Volksbildung, in staatlichen Organen und Einrichtungen sowie in gesellschaftlichen Organisationen gebildet.“ In größeren Unternehmen wurden mehrere Konfliktkommissionen gebildet. Je 500 Mitarbeiter sollte eine Konfliktkommission bestehen. 1990 bestanden 26 744 Konfliktkommissionen mit knapp 300 000 Mitgliedern.[6]

Die Mitglieder der Konfliktkommissionen waren keine ausgebildeten Juristen, sondern stets Laienrichter, die aber regelmäßig Schulungen und Anleitungen zur „richtigen“ Auslegung und Anwendung des „sozialistischen Rechts“ besuchen mussten. Die Mitglieder der Konfliktkommissionen wurden aus den Reihen der Werktätigen des jeweiligen Betriebes bestimmt. Jeweils die Hälfte der Mitglieder wurde von der Betriebsleitung benannt, die andere von der Betriebsorganisation des FDGB. Eine Konfliktkommission bestand aus 8 bis 15 Mitgliedern, es kamen aber auch Konfliktkommissionen mit nur 6 oder auch bis zu 20 Mitgliedern vor.[7] Die Mitglieder hatten bis 1968 eine Amtszeit von zwei und danach von vier Jahren.

Die Kompetenzen der Konfliktkommission lagen auf Antrag einer Partei in Arbeitsrechtssachen und untergeordneten zivilrechtlichen Rechtsstreitigkeiten (mit einem Streitwert bis etwa 1000 DDR-Mark), nach Übergabe durch die Polizei oder den Staatsanwalt[8] auch bei Bagatellkriminalität (im Sprachgebrauch der DDR: „Vergehen“ und „Verfehlungen“) anstelle der staatlichen Justiz und in aufgeklärten Ordnungswidrigkeiten. Für die Behandlung „arbeitsscheuen Verhaltens“ waren hingegen die Schiedskommissionen zuständig (§ 8 Abs. 2 Gesetz über die gesellschaftlichen Gerichte 1968).

Entscheidungen

Das Verfahren vor der Konfliktkommission war in Arbeitssachen der staatlichen Gerichtsbarkeit obligatorisch vorgeschaltet. Die Kommissionsentscheidung erlangte ähnlich einem gerichtlichen Urteil Rechtskraft. Es bestand jedoch die Möglichkeit, gegen diese Entscheidungen innerhalb einer gesetzlich festgelegten Frist ein Rechtsmittel beim örtlich zuständigen Kreisgericht einzulegen.[9] Hier wurde die Sache dann von einem Berufsrichter (gegebenenfalls mit 2 Schöffen) überprüft und neu verhandelt und entweder aufgehoben oder bestätigt. Die Konfliktkommissionen hatten insoweit die Funktion eines Arbeitsgerichts erster Instanz.

Abschaffung

Nach der Wende wurden auch die Konfliktkommission in den Prozess der Wiedereinführung eines Rechtsstaates einbezogen.[10] Der beherrschende Einfluss der in PDS umbenannten SED auf die Konfliktkommissionen endete. Die erste frei gewählte Volkskammer wandelte sie mit dem Gesetz über die Schiedsstellen für Arbeitsrecht[11] in Schiedsstellen um. Sie verloren damit die Möglichkeit, Strafen zu verhängen. Zum 31. Dezember 1992 wurden auch diese Schiedsstellen für Arbeitsrecht abgeschafft.[12]

Schriftliche Unterlagen von Konfliktkommissionen wurden beispielsweise in Kreisarchiven archiviert.[13]

Verfahrensstatistik

[14]198619871988Beispiele
Arbeitsrecht; davon:53.30075,8 %57.10776,7 %57.24078,7 %
- materielle Verantwortlichkeit35.17450,0 %37.41050,2 %37.38651,4 %AuA 1988 S. 140, 181
- Einsprüche gegen Disziplinarmaßnahmen4.2846,1 %4.6406,2 %4.8676,7 %
- Lohn-/Gehalts-/Ausgleichszahlungen3.7335,3 %3.9455,3 %3.9265,4 %AuA 1988 S. 254
- erzieherische Verfahren2.0412,9 %2.0852,8 %1.8332,5 %AuA 1988 S. 88
- übrige Streitfälle8.06811,5 %9.02712,1 %9.22812,7 %AuA 1988 S. 162, 185
Vergehen12.51117,8 %12.72917,1 %11.24015,5 %AuA 1988 S. 40
Verfehlungen3.3864,8 %3.4664,7 %3.2794,5 %
Ordnungswidrigkeiten6450,9 %7461,0 %5890,8 %
Schulpflichtverletzungen1190,2 %1080,1 %770,1 %
Zivilrecht3420,5 %3340,4 %3110,4 %
Summe70.30374.49072.736

Bewertung

Laut Ingeborg Rapoport handelte es sich bei den Konfliktkommissionen um „eine großartige demokratische Einrichtung“, in denen es mehr nach gesunden Menschenverstand und dem Gerechtigkeitsempfinden ging als nach Paragraphen.[15]

Literatur

  • Werner Reiland: Die gesellschaftlichen Gerichte der DDR. Dissertation. Erdmann, Tübingen/ Basel 1971, ISBN 3-7711-0949-3.
  • Hans-Andreas Schönfeldt: Vom Schiedsmann zur Schiedskommission : Normdurchsetzung durch territoriale gesellschaftliche Gerichte in der DDR. (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte. Band 145). Klostermann, Frankfurt am Main 2002, ISBN 3-465-03176-8.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Abkürzungen aus Beständen der Parteien und Massenorganisationen der DDR SED- und FDGB-Archivgut im Bundesarchiv, abgerufen am 18. Februar 2016
  2. Konfliktkommissionen: Justiz im Betrieb. Der Spiegel, 22/1960 vom 25. Mai 1960
  3. GBl. Nr. 63 S. 695
  4. Text der DDR-Verfassung 1968
  5. Gesetz über die gesellschaftlichen Gerichte der Deutschen Demokratischen Republik vom 11. Juni 1968
  6. Wolfgang Behlert: Organisation und sozialer Status der Richter und Rechtsanwälte in der DDR. Kritische Justiz 1991, S. 184–197
  7. Marlies Menge: DDR-Konfliktkommissionen: Wenn einer Zahnpasta stiehlt - Genossen richten über Genossen. Die Zeit, 16. Februar 1973
  8. Anweisung 1/85 des Generalstaatsanwalts der Deutschen Demokratischen Republik: Die Leitung des Ermittlungsverfahrens durch den Staatsanwalt vom 1. Juni 1985, Pkt. 4.5., S. 19
  9. Wolfgang Behlert: Organisation und sozialer Status der Richter und Rechtsanwälte in der DDR. Kritische Justiz 1991, S. 184–197
  10. Klaus Pokatzky: Die Urteils-Maschine. Die DDR-Justiz, gestern noch Dienerin der SED, eilt dem Rechtsstaat entgegen.. Die Zeit, 13. Juli 1990
  11. Gesetz über die Errichtung und das Verfahren der Schiedsstellen für Arbeitsrecht vom 29. Juni 1990, GBl. I Nr. 38 S. 505
  12. Gesetz zur Aufhebung des Gesetzes über die Errichtung und das Verfahren der Schiedsstellen für Arbeitsrecht und zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes (ARSchiedsGAufhG) vom 20. Dezember 1991 (BGBl. I S. 2321)
  13. Archivportal Thüringen Bestand beim Rat des Kreises Jena
  14. AuA 1989 S. 112
  15. Ingeborg Rapoport: Meine ersten drei Leben. Berlin 2021, S. 424 und 433.

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ADN-ZB-Rehfeld-1.10.1976-Hü-Berlin: Wahlen-Seit 1962 ist die Technologin Ilse Wedel (r., parteilos) aus dem VEB Kombinat Narva Berlin Schöffin des Sents für Arbeitsrecht am Obersten Gericht der DDR. Sie ist Mitglied der Betriebsgewerkschaftsleitung und der Konfliktkommission. Die 45jährige Ilse Wedel ist seit 26 Jahren im Betrieb tätig und wird von ihren Kollegen sehr geschätzt. Als Verantwortliche für die Fertigungsüberwachung in der Abteilung Hochdrucklampe hat sie wesentlichen Anteil an den guten Wettbewerbsergebnissen. (beachten Sie auch Foto R1001-20N)