Kernkraftwerk Kaiseraugst

Kernkraftwerk Kaiseraugst
Lage
Kernkraftwerk Kaiseraugst (Kanton Aargau)
Kernkraftwerk Kaiseraugst (Kanton Aargau)
Koordinaten623360 / 265521
LandSchweiz Schweiz
Daten
EigentümerKernkraftwerk Kaiseraugst AG
BetreiberKernkraftwerk Kaiseraugst AG
Planungen beendet1. Jan. 1989

Planung eingestellt (Brutto)

1  (1000 MW)
Stand 7. Juni 2008
Die Datenquelle der jeweiligen Einträge findet sich in der Dokumentation.
f1

Das nicht realisierte Kernkraftwerk Kaiseraugst war ein geplantes Schweizer Kernkraftwerk in Kaiseraugst im Kanton Aargau in unmittelbarer Nähe zur Grenze zwischen der Schweiz und Deutschland. Das Projekt unter dem Dach der Firma Motor-Columbus scheiterte am Widerstand der regionalen Bevölkerung und von Umweltschutzkreisen.

Geschichte

Erster Plan

Motor-Columbus entwarf das Kernkraftwerk Kaiseraugst angesichts des steigenden Stromverbrauchs in der Schweiz. Um diesen Bedarf möglichst schnell zu decken, wurde versucht, die Bewilligungsverfahren des Projektes schnell voranzutreiben. Eine Verwirklichung des Projektes war aber mit der Zeit aus politischen Gründen nicht mehr möglich. Das Kraftwerk hatte eine Planungszeit von über 20 Jahren hinter sich. Die Kosten des Projekts betrugen letztlich 1,3 Milliarden Schweizer Franken.[1]

Auseinandersetzungen 1970

Protest auf dem Gelände des geplanten Kernkraftwerkes 1975

Auseinandersetzungen über das Kernkraftwerk Kaiseraugst gab es seit den frühen 1970er Jahren. Im Mai 1970 trat mit dem Nordwestschweizer Aktionskomitee gegen das Atomkraftwerk Kaiseraugst (NAK), später bekannt als Nordwestschweizer Aktionskomitee gegen Atomkraftwerke (NWA), schweizweit erstmals auch eine organisierte Opposition gegen den eingeleiteten Bau von Atomkraftwerken auf den Plan.[2] Im Juli 1973 entschied das Bundesgericht, die Gemeinde Kaiseraugst und der Kanton Basel-Stadt seien nicht zur Beschwerdeführung bei ihm gegen das Projekt legitimiert, da Verfassung und Atomgesetzgebung den Bund als alleinige Bewilligungsinstanz vorsähen.

Bei den Bundesbehörden befasste man sich mit verschiedenen Szenarien, um eine sichere Energieversorgung zu gewährleisten. Dabei setzte man letztlich auf das Kernkraftwerk bei Kaiseraugst. Später wurde das Projekt von vielen Teilen der Bevölkerung abgelehnt. Zuerst sah das noch anders aus; die Mehrheit im Lande wollte Kernkraftwerke als Energiequelle nutzen.

Standortbewilligung 1972

Die Standortbewilligung in Kaiseraugst wurde am 28. August 1972 für eine Anlage mit einer auf 850 MW festgelegten elektrischen Leistung ausgeschrieben. Dabei waren auch Kühltürme geplant, wenn man das Kraftwerk an einem um 600 m verschobenen Ort nahe dem Kraftwerksgelände bauen würde. Die konkrete Projektierung begann im Jahre 1974.[1]

Erste Besetzung 1973

Zwischen Weihnachten und Neujahr 1973 fand eine erste Besetzung statt. Auf dem vorgesehenen Baugelände versammelten sich rund zwölf Aktivistinnen und Aktivisten.[3][4]

Ab der zweiten Besetzung 1975

Demonstration bei Kaiseraugst, ca. April 1975

Am ersten April 1975 wurde das Gelände des Kraftwerkes zum zweiten Mal von Aktivisten besetzt, nachdem sie vom Baubeginn erfahren hatten.[5] Die Regierung des Kantons Aargau fasste zunächst keine Beschlüsse zum Eingreifen.[6] Nach einer Woche wollten die Anwesenden Besetzer, die immer noch eine Räumung durch die Polizei erwarteten, das weitere Vorgehen beschliessen und riefen zu einer Solidaritätskundgebung auf, die auch hätte der Abschluss der Besetzung sein können. Stattdessen versammelten sich im Regen am 6. April 15'000 Menschen auf dem Areal und ermutigten die Besetzer in ihrer Vollversammlung in ihrem Entschluss zum Bleiben.[7] Es entstand ein Besetzerdörfli mit täglichen Vollversammlungen.[8]

Am 18. April fand eine Kundgebung auf dem Bundesplatz in Bern statt. Nach Gerüchten zu einem Armeeeinsatz zur Räumung in Kaiseraugst sagte Bundesrat Willi Ritschard als Energieminister, dass er bei einem solchen Vorgehen umgehend zurücktreten würde.[9]

Der Baubeginn wurde nach elfwöchigem Widerstand der Demonstranten und Verhandlungen mit dem Bundesrat von den Behörden verschoben. Die Besetzung wurde am 11. Juni nach einer Schlussdemo und nach der Zusicherung eines "mindestens vierwöchigen Baustopps" beendet. Unter den Besetzern hatten extreme Linke die Bewegung für revolutionäre Ziele zu instrumentalisieren versucht.[10] Im Herbst verhandelte der Bundesrat mit den Vertretern der Gewaltfreien Aktion Kaiseraugst. Es sollten in einem Nachbericht nicht nur Umweltaspekte geprüft, sondern auch überprüft werden, ob der Strom des Kraftwerks überhaupt benötigt wurde.[11] Bei der Demonstration beim fast fertig gebauten Kraftwerk Gösgen 1977 erlebten die Kraftwerksgegner gegenüber einem gesamtschweizerischen Polizeiaufgebot die Grenzen der Gewaltlosigkeit.[12] Die Gewaltfreie Aktion Kaiseraugst engagierte sich politisch in der knapp abgelehnten Volksinitiative «zur Wahrung der Volksrechte und der Sicherheit beim Bau und Betrieb von Atomanlagen»[13] mit Volksabstimmung am 18. Februar 1979 und 9 zustimmenden Ständen.[14]

Im Februar 1979 wurde der Informationspavillon des geplanten Kernkraftwerks von militanten Linken gesprengt.[15][16] Acht Autos von Vertretern der Kernenergie in der ganzen Schweiz gingen in Flammen auf.[17] 2021 bekannte sich der Aktivist Giorgio Bellini zu der inzwischen verjährten Tat in Kaiseraugst.[18]

Neuer Plan 1981

Kundgebung 1983

Am 28. Oktober 1981 erteilte der Bundesrat die Rahmenbewilligung für eine Anlage vom Typ Siedewasserreaktor mit auf 900 bis 1000 MW erhöhter elektrischer Leistung.[19][1] Von der 17. bis 25. Sitzung 1985/1986 waren Pläne für Reaktoren vom Typ BWR-6 (Containment vom Typ Mark 2 oder 3) von General Electric, SWR-72 von der Kraftwerk Union (später realisiert im Kernkraftwerk Gundremmingen, abgeschaltet Ende 2021), SWR-75 von Asea-Atom und ABWR vorhanden.[20]

Aufgabe des Projektes 1988

1987 wurde ein Bau mit Durchlaufkühlung bewilligt. Die Option von Kühltürmen musste aber weiterhin offenbleiben. Letztlich waren alle Voraussetzungen geschaffen, bis auf die Seismik im Raum Basel und das Konzept eines Notfallplanes, falls es zu einem Unfall kommen sollte. Als Nächstes hätte ein Lieferant für das Kraftwerk gewählt werden müssen. Da man diesen Schritt aber niemals durchführte, wurde nie ein Vertrag abgeschlossen. Kurz darauf wurde das Projekt aus "politischen, staatsbürgerlichen und gesellschaftlichen Gründen" durch die Politik fallengelassen.[1]

Kosten

Für das Projekt waren bis Ende 1987 nach Angaben des Schweizer Bundesrates rund 1,335 Milliarden Schweizer Franken an Kosten aufgelaufen, davon 1,098 Milliarden für Baukosten (darunter 482 Millionen für Werksanlagen und Projektierung und 538 Millionen für Zinsen und Finanzierung, 32 Millionen für das Grundstück, 34 Millionen für Verwaltungs- und allgemeine Kosten) sowie 136 Millionen für Kernbrennstoff und 100 Millionen für nichteinbezahltes Aktienkapital. Der Gesamtverlust des Betreibers, der Kernkraftwerk Kaiseraugst AG, wurde vom Bundesrat auf 1,1 bis 1,3 Milliarden Franken geschätzt.[1]

Schliesslich erhielten die Unternehmen von der Eidgenossenschaft 350 Millionen Franken Entschädigung.[21]

Daten des geplanten Reaktorblocks

Das Kraftwerk sollte einen Block bekommen:

ReaktorblockReaktortypNettoleistungBruttoleistungBaubeginnProjekteinstellung
Kaiseraugst[22]Siedewasserreaktor1000 MW1. Januar 1989

Siehe auch

Quellen

Literatur

  • Michael Schroeren: Zum Beispiel Kaiseraugst – Der gewaltfreie Widerstand gegen das Atomkraftwerk. Vom legalen Protest zum zivilen Ungehorsam. Schweizer Friedensrat, Zürich 1977. (Fallstudie über die Bürgerbewegung gegen den Bau eines Atomkraftwerks in Kaiseraugst)
  • David Häni: Kaiseraugst besetzt! Die Bewegung gegen das Atomkraftwerk. Basel: Schwabe Verlag 2018. ISBN 978-3-79653-756-1.
  • Aernschd Born: Ein anderer Wind. Vor 25 Jahren wurde ‹Kaiseraugst› besetzt. In: Basler Stadtbuch 2000, S. 89-94.
  • Patrick Kupper: Atomenergie und gespaltene Gesellschaft – Die Geschichte des gescheiterten Projektes Kernkraftwerk Kaiseraugst (= Interferenzen – Studien zur Kulturgeschichte der Technik. Band 3). Chronos-Verlag, Zürich 2003, ISBN 3-0340-0595-4.
Commons: Kernkraftwerk Kaiseraugst – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b c d e Kernkraftwerk Kaiseraugst. Nichtrealisierung (Memento vom 3. Juni 2016 im Internet Archive) Schweizer Nationalrat, Motion 88.334, eingereicht von Nationalrat Georg Stucky am 3. März 1988 mit Antwort des Bundesrates vom 28. September 1988. Dort Punkt 2.2.6 Die aufgelaufenen Kosten (abgerufen am 22. Juli 2008).
  2. Peter Hug: Antiatombewegung. In: Historisches Lexikon der Schweiz, abgerufen am 7. November 2011.
  3. Sara Sigrist: Opposition in Kaiseraugst. In: nationalmuseum.ch. 5. März 2024, abgerufen am 9. März 2024 (deutsch).
  4. Protest gegen das AKW Kaiseraugst – Revolution in der Energiepolitik, SRF DOK, 3. April 2025, Minute 6
  5. Protest gegen das AKW Kaiseraugst – Revolution in der Energiepolitik, SRF DOK, 3. April 2025, Minute 9
  6. Protest gegen das AKW Kaiseraugst – Revolution in der Energiepolitik, SRF DOK, 3. April 2025, Minute 11
  7. Protest gegen das AKW Kaiseraugst – Revolution in der Energiepolitik, SRF DOK, 3. April 2025, ab Minute 12
  8. Protest gegen das AKW Kaiseraugst – Revolution in der Energiepolitik, SRF DOK, 3. April 2025, ab Minute 15 und Minute 20
  9. Protest gegen das AKW Kaiseraugst – Revolution in der Energiepolitik, SRF DOK, 3. April 2025, Minute 17
  10. Protest gegen das AKW Kaiseraugst – Revolution in der Energiepolitik, SRF DOK, 3. April 2025, ab Minute 18
  11. Protest gegen das AKW Kaiseraugst – Revolution in der Energiepolitik, SRF DOK, 3. April 2025, ab Minute 23
  12. Protest gegen das AKW Kaiseraugst – Revolution in der Energiepolitik, SRF DOK, 3. April 2025, ab Minute 25
  13. Atominitiative - Atomschutz-Initiative, swissvotes.ch, abgerufen am 15. April 2025
  14. Protest gegen das AKW Kaiseraugst – Revolution in der Energiepolitik, SRF DOK, 3. April 2025, Minute 30
  15. Der Mythos Kaiseraugst. In: Beobachter.
  16. Schweizer Fernsehen: Sprengstoffanschlag in Kaiseraugst. (Memento vom 8. Oktober 2014 im Internet Archive)
  17. Protest gegen das AKW Kaiseraugst – Revolution in der Energiepolitik, SRF DOK, 3. April 2025, Minute 33
  18. Marcel Gyr: Nach über 40 Jahren bekennt sich ein Held der Zürcher Jugendbewegung zu einer Serie von nie geklärten Sprengstoffanschlägen. In: NZZ. 14. Mai 2021, abgerufen am 14. Mai 2021.
  19. Protest gegen das AKW Kaiseraugst – Revolution in der Energiepolitik, SRF DOK, 3. April 2025, Minute 36:15
  20. Archiv zur Geschichte der Kernenergie in der Schweiz (S. 142)
  21. Davide Scruzzi: Folgenreiches Woodstock der AKW-Gegner | NZZ. In: Neue Zürcher Zeitung. 29. Juni 2016, ISSN 0376-6829 (nzz.ch [abgerufen am 28. Januar 2018]).
  22. Kernkraftwerk Kaiseraugst auf der PRIS der IAEA (Memento vom 4. Juni 2011 im Internet Archive) (englisch)

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