Johann Friedrich Oberlin

Oberlin

Johann Friedrich Oberlin (oft auch französisch Jean-Frédéric Oberlin) (* 31. August 1740 in Straßburg; † 1. Juni 1826 in Waldersbach) war ein evangelischer Pfarrer, Pädagoge und Sozialreformer aus dem Elsass; in der Frühpädagogik gilt er als Vordenker von Friedrich Fröbel[1] und als einer der Väter des Kindergartens.

Herkunft und Studium

Oberlin ist der jüngere Sohn von Johann Georg Oberlin (1701–1770), Lehrer am evangelischen Gymnasium von Straßburg, und Maria Magdalena (1718–1787), Tochter des Juristen Johann Heinrich Feltz. Der Philologe Jeremias Jakob Oberlin ist sein älterer Bruder.

Oberlin studierte zwischen 1755 und 1761 in seiner Heimatstadt Theologie und wirkte anschließend im Haushalt des Straßburger Arztes Daniel Gottlieb Ziegenhagen als Hofmeister und Hauslehrer. 1763 wurde Oberlin mit seiner Dissertation „De virium vivarum atque mortuarum mensuris“ zum Magister promoviert. Vier Jahre später bestand er mit dem Werk „De commodis et incommodis studii theologici“ („Die Vor- und Nachteile des Theologiestudiums“) sein theologisches Abschlussexamen.

In dieser Zeit machte Oberlin die Bekanntschaft mit dem Pfarrer und Sozialreformer Johann Georg Stuber. Durch dessen Vermittlung berief man ihn 1767 als Stubers Nachfolger zum Pastor in die evangelische Gemeinde Waldersbach, wo er dann 59 Jahre gelebt und gewirkt hat.

Wirken in Waldersbach

Oberlin erkannte schnell die wirtschaftlichen, sozialen und persönlichen Nöte und Bedürfnisse seiner ländlichen Kirchgemeinde. Er verbesserte im Steintal den Obstbau, die Wiesen, die Bewässerungsanlagen, die Bodenqualität der Äcker und führte auch neues Saatgut und Anbautechniken ein. Er legte Brücken und Straßen an, die er mit den einheimischen Bauern selbst baute, um die eher abgelegene, hügelige Gegend zu erschließen. Er gründete – unterstützt von seinem Basler Freund Johann Lukas Legrand, dem Vater des Industriellen und Philanthropen Daniel Legrand – mehrere Industriebetriebe. Die Tuchweberei wurde als Heimarbeit verbreitet, Wohnunterkünfte und hygienische Verhältnisse verbessert. Auf seine Initiative hin entstanden auch Kleinkinderschulen, deren erste, die salle d'asile in Waldersbach, seine Haushälterin Louise Scheppler leitete. 1785 gründete Oberlin eine Leih- und Kreditanstalt. Mit deren Hilfe konnte 1813 eine Seidenband-Fabrik im Steintal angesiedelt werden.

Oberlins Erziehungsgrundsatz war: „Erzieht eure Kinder ohne zuviel Strenge … mit andauernder zarter Güte, jedoch ohne Spott.“ Er führte manuelle Tätigkeiten wie Stricken, Malen, Blätterpressen und -einkleben in der Schule ein, um die Konzentrationsfähigkeit und Fertigkeiten der Kinder zu erhöhen. Die dialektsprechenden Kinder erlernten die noch unbekannte französische Sprache und Schrift mittels Bilder, Gesang und Wiederholungen. Heimat-, Gesteins- und Pflanzenkunde wurden vermittelt. Er verfasste pädagogische Schriften und legte Sammlungen zu naturkundlichen Themen an. Spiele, Karten und Holzbuchstaben wurden als didaktische Elemente erkannt und eingeführt, Ausflüge zur körperlichen Betätigung eingesetzt. Um auch die Erwachsenen zu fördern, gründete er eine Leihbibliothek und landwirtschaftliche Vereine. Durch seine Ausbildungsstipendien und sein sozialpädagogisches Wirken eröffnete Oberlin auch Frauen einen Weg in die anerkannte Berufswelt.

Bei Oberlins Ankunft im Steintal lebten in den fünf Dörfern seiner Gemeinde knapp 100 Familien in ärmlichsten Zuständen; zu Beginn des 19. Jahrhunderts war die Bevölkerung bereits auf etwa 3000 Personen angewachsen. Die härteste Belastungsprobe bestand sein Sozialwerk in den Hungerjahren 1816 und 1817.

Mit über 85 Jahren starb Pfarrer Oberlin am 1. Juni 1826 in Waldersbach. Er fand seine letzte Ruhestätte auf dem Friedhof von Fouday (dt. Urbach) im Département Bas-Rhin. Oberlin wird bis heute in Frankreich verehrt.[2][3]

Museum

In Waldersbach (25, montée Oberlin) entwickelte sich aus dem Haus des Pfarrers Johann Friedrich Oberlin das heutige Museum Jean-Frédéric Oberlin.[4] Es zeigt Bücher, Aufzeichnungen, Gemälde und Karten aus und über seine Zeit, zudem zahlreiche Spielzeuge. Von dort führt ein Wanderweg (45 Minuten) zum Friedhof von Fouday mit Oberlins Grabstätte. Oberlins Werk ist für das Museum Anlass für Kolloquien, Sonderausstellungen und Publikationen.

Ehrungen und Benennungen

Einrichtungen

Büste von Oberlin im Hof des Oberlin-Museums in Waldersbach

Nach Oberlin sind das im Jahr 1833 gegründete Oberlin College und die gleichnamige Stadt in Ohio benannt. In Potsdam-Babelsberg wurde 1871 der Verein Oberlinhaus gegründet, der mehrere Einrichtungen für Menschen mit Behinderung und Erkrankungen, eine orthopädische Klinik und eine Förderschule betreibt.[5] Die zugehörige Oberlinkirche besteht seit 1905.

Auch die J. F. Oberlin University in Tokio trägt seinen Namen. In München-Pasing existiert die Evangelische Friedrich-Oberlin-Fachoberschule mit der 1970 gegründeten Friedrich-Oberlin-Stiftung. In Worms, in Olpe, in Bamberg, in Leonberg, in Fellbach, in Breisach am Rhein, in Lörrach und in Rödinghausen sind evangelische Kindergärten nach ihm benannt. In Neustadt an der Aisch und Berghausen werden jeweils mehrere Kindertagesstätten unter evangelischer Trägerschaft geführt, eine trägt den Namen Oberlins, die andere ist nach Louise Scheppler benannt[6].

In Berlin gibt es das Oberlin-Seminar mit einer Berufsfachschule für Sozialwesen, einer Fachschule für Sozialpädagogik und einer Fachoberschule für Gesundheit und Soziales, Schwerpunkt Sozialpädagogik. Es wird von der Stephanus Bildung gGmbH betrieben.

In Ulm existiert eine Jugendhilfe-Einrichtung mit Oberlin als Namensgeber. In Homburg (Saar) existiert eine Oberlin-Schule als Förderschule für geistige Entwicklung (FgE Hom).[7]

Gedenktag

Die Evangelische Kirche in Deutschland hat mit dem 2. Juni einen Gedenktag für Oberlin im Evangelischen Namenkalender eingerichtet. Seit dem 1. November 2017 gehört das Oberlin-Seminar zur diakonischen Stephanus-Stiftung.[8]

Literarische Verarbeitung

Georg Büchner setzte ihm ein literarisches Denkmal in seiner Erzählung Lenz.

Schriften (Auswahl)

  • De virium vivarum atque mortuarum mensuris. Straßburg 1763.
  • De commodis et incommodis studii theologici. Straßburg 1767.
  • Johann Friedrich Oberlins, Pfarrer im Steintal, vollständige Lebensgeschichte und gesammelte Schriften. Hrsg. von Dr. Hilpert, Stöber und Anderen. Mit Berücksichtigung aller Hülfsmüttel zusammengestellt und übertragen von W. Burckhardt, Pfarrer. 4 Teile, Stuttgart 1843

Literatur

Bibliographie

  • Werner Raupp: Oberlin, Johann Friedrich, in: Heiner Schmidt: Quellenlexikon zur deutschen Literaturgeschichte. Bibliography of Studies on German Literary History. Personal- und Einzelwerkbibliographien der internationalen Sekundärliteratur 1945–1990 zur deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart, 3., überarb., erweit. Aufl. Bd. 24. Verlag für Pädagogische Dokumentation, Duisburg 2000, ISBN 3-930551-24-1, S. 84–85.

Monographien und Aufsätze

  • Erich Psczolla: Aus dem Leben des Steintalpfarrers Oberlin. Von der Wirkung der biblischen Botschaft in der Wirklichkeit unserer Welt. St. Johannis, Lahr 1987, ISBN 978-3-501-00170-7.
  • Horand Gutfeld: Johann Friedrich Oberlin. Eine wissenschaftliche Untersuchung seiner Gedankenwelt, seiner Pädagogik und seines Einflusses auf die Welt, mit einer kurzen Biographie. Wien 1968.
  • Eberhard Fritz: Johann Friedrich Oberlin und die pietistische Bewegung in Straßburg. Zum Einfluss des radikalen Pietismus auf den elsässischen Pfarrer und Sozialreformer. In: Pietismus und Neuzeit, 34, 2008. S. 167–188.
  • Carl Heinz Kurz: Johann Friedrich Oberlin. Der Patriarch des Steintales. Brunnen-Verlag, Giessen 1952.
  • Gotthilf Heinrich von Schubert: Züge aus dem Leben des Johann Friedrich Oberlin, gewesenen Pfarrers im Steinthal bei Straßburg. Raw, Nürnberg 1828 Digitalisathttp://vorlage_digitalisat.test/1%3Dhttp%3A%2F%2Fwww.mdz-nbn-resolving.de%2Furn%2Fresolver.pl%3Furn%3Durn%3Anbn%3Ade%3Abvb%3A12-bsb10069514-4~GB%3D~IA%3D~MDZ%3D%0A~SZ%3D~doppelseitig%3D~LT%3D~PUR%3D.
    • dsb.: Berichte eines Visionärs über den Zustand der Seelen nach dem Tode. Aus dem Nachlasse Johann Friedrich Oberlins mitgetheilt. Leipzig 1837.
  • John W. Kurtz: Johann Friedrich Oberlin. Sein Leben und Wirken. Franz, Metzingen/Württ. 2002, ISBN 3-7722-0188-1.
  • Thomas Weiß: Oberlin, Waldersbach. Eine Begegnung. Klöpfer & Meyer, Tübingen 2016.
  • Loïc Chalmel: Oberlin. Ein Pfarrer der Aufklärung. Verein Oberlinhaus, Potsdam 2012.
  • François Goursolas: J.-F. Oberlin, pasteur «catholique évangélique». Albatros, Paris 1985.
  • Wilhelm Heinsius: Johann Friedrich Oberlin und das Steintal. Schauenburg, Lahr 1956.

Lexikonartikel

Weblinks

Commons: Jean-Frédéric Oberlin – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Encyclopaedia Britannica Ultimate Reference Suite 2013, Artikel über Friedrich Oberlin.
  2. Süddeutsche Zeitung: Der Bücherpastor. Abgerufen am 20. Dezember 2020.
  3. Jean-Frédéric Oberlin (1740-1826), Website museeprotestant.org
  4. Musée Oberlin, auf musee-oberlin.com
  5. Oberlinhaus (Memento vom 19. Oktober 2006 im Internet Archive), auf oberlinhaus.de
  6. Kindergärten Oberlinhaus und Louise-Scheppler. In: evki-berghausen-woe.de. Evangelische Kirchengemeinde Berghausen-Wöschbach, abgerufen am 19. April 2023.
  7. Auszeichnung für die Oberlin-Schule, auf saarbruecker-zeitung.de, abgerufen am 28. Oktober 2020
  8. Startseite. Abgerufen am 20. Februar 2019.

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Klemens Zentgraf

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Büste von Oberlin im Hof des Oberlin-Museums in Waldersbach