Inge Meysel

Inge Meysel bei Dreharbeiten von Die Unverbesserlichen (1964)
Unterschrift Inge Meysel (Autogramm) deutsche Schauspielerin
Unterschrift Inge Meysel (Autogramm) deutsche Schauspielerin

Ingeborg Charlotte „Inge“ Meysel[1] (* 30. Mai 1910 in Rixdorf; † 10. Juli 2004 in Seevetal) war eine deutsche Schauspielerin und Hörspielsprecherin.

Leben

Familie

Die Tochter des deutschen jüdischen Kaufmanns Julius Meysel und seiner Frau Margarete Hansen, deren Vater aus Dänemark stammte, wurde unehelich geboren, durch Heirat ihrer Eltern und Adoption durch ihren leiblichen Vater jedoch legitimiert. Sie wuchs in Berlin zusammen mit ihrem fünf Jahre jüngeren Bruder Harry auf.[2] Sie beendete mit siebzehn Jahren vorzeitig die Schule[3] und begann 1930 ihre Theaterkarriere in Zwickau, Berlin und Leipzig.

1942 starb ihr neugeborenes Baby kurze Zeit später im Brutkasten.[4] Sie war zweimal verheiratet. Ihr erster Ehemann war der Schauspieler Helmuth Rudolph, in zweiter Ehe war sie mit dem Regisseur John Olden verheiratet.

Inge Meysels Vater wurde während des Dritten Reiches enteignet und überlebte die Zeit bis 1945 in einem Kellerversteck, nachdem er durch Glück einem Deportationsversuch entgangen war: Reinhard Heydrich persönlich hatte seine Freilassung als Kriegsversehrter des Ersten Weltkrieges angeordnet.

Schauspielerin in Theater und Fernsehen

Berlin-Schöneberg, Heylstraße 29, Inge Meysel hatte dort bis 1999 im Erdgeschoss eine Wohnung
Berliner Gedenktafel am Haus, Heylstraße 29, in Berlin-Schöneberg

Zum ersten Mal stand Inge Meysel im Alter von drei Jahren in der Oper Hänsel und Gretel als Engel auf der Bühne. Ab 1927 nahm sie Unterricht an der Schauspielschule von Lucie Höflich und Ilka Grüning. Ihr Debüt gab sie 1930 in Zwickau in der Erstaufführung von Penzoldts Etienne und Luise.

In der Zeit von 1933 bis 1945 hatte Inge Meysel als „Halbjüdin“ Auftrittsverbot. Ein religiöses Bekenntnis der Schauspielerin ist nicht dokumentiert.[5] Meysel ging in die noch Freie Stadt Danzig und arbeitete dort als Telefonistin und technische Zeichnerin.

In der ersten Hamburger Theaterinszenierung nach dem Zweiten Weltkrieg spielte sie 1945 in der St. Johanniskirche in Hugo von Hofmannsthals Jedermann neben Ida Ehre und Werner Hinz. Im selben Jahr kam die 35-Jährige zu Willy Maertens ans Thalia Theater in Hamburg. Hier wurde sie bald eine anerkannte Charakterdarstellerin. Ein großer Erfolg wurde 1952 die deutsche Erstaufführung Die tätowierte Rose von Tennessee Williams mit Ingrid Andree, Klaus Kammer und Wolfgang Wahl als Partner unter der Regie von Leo Mittler. Ihre Rollen in Meine beste Freundin von John van Druten spielte sie 1955 dann zudem am Theater am Kurfürstendamm in Berlin unter der Regie von Erik Ode mit Alice Treff und Harald Juhnke als Partner und 1955 spielte sie in Die Heiratsvermittlerin von Thornton Wilder zunächst an den Städtischen Bühnen Essen und danach mit Hanns Lothar als Partner auch in Hamburg.

1957 wurden drei Theaterinszenierungen mit ihr und Kollegen wie Ernst Schröder, Brigitte Grothum, Ingeborg Körner, Horst Keitel und Jan Hendriks im Rahmen deutschen Kulturaustausches auf Tournee nach Südamerika geschickt. Da ihr Lebensgefährte, der Regisseur John Olden, sie begleiten wollte, waren sie genötigt, kurz vor Reisebeginn zu heiraten.

Die Uraufführung des Berliner Volksstückes Das Fenster zum Flur (Regie: Erik Ode) von Horst Pillau und Curth Flatow am 20. Januar 1960 am Hebbeltheater in Berlin machte sie zum Theaterstar. Diese Rolle, welche die Starkomikerin Grethe Weiser abgelehnt hatte, brachte ihr den Beinamen „Mutter der Nation“ ein. Sie spielte die Rolle der Portierfrau Anni Wiesner[6] auch 1961 in der Verfilmung Ihr schönster Tag (Regie Paul Verhoeven) jeweils mit Rudolf Platte.

Bundesweit bekannt wurde sie vor allem in der Rolle der Käthe Scholz in der Fernsehreihe Die Unverbesserlichen, die von 1965 bis 1971 einmal jährlich am Muttertag ausgestrahlt wurde. In zwei Vorabendserien der sechziger Jahre, Gertrud Stranitzki (1966–1968) und Ida Rogalski (1969–1970), spielte sie weiterhin das Rollenfach einer Mutter mit Alltagsproblemen.

In den 1970er Jahren spielte sie unentwegt Theater und hatte 1974 mit der Titelrolle in Rolf Hochhuths Bühnenstück Die Hebamme unter der Regie von Wolfgang Spier am Theater am Kurfürstendamm Berlin erneut einen Erfolg. Ein Theatererfolg wurde 1980 am Ernst-Deutsch-Theater in Hamburg ihre Darstellung einer bösen, intriganten und harten Frau in Maxim Gorkis Drama Wassa Schelesnowa unter der Regie von Karl Paryla. Mit dem Stück ging sie auch auf Theatertournee und es wurde fürs Fernsehen aufgezeichnet. Ihre letzte Theaterrolle in Teures Glück spielte sie zwischen 1985 und 1996 über 800 mal auf Tournee und Gastspielen.

Zu Beginn der 1980er-Jahre spielte sie in Der rote Strumpf (1981) unter der Regie von Wolfgang Tumler nochmals eine Hauptrolle in einem Film. Von 1982 bis 1991 spielte sie in der komödiantischen Krimireihe Mrs. Harris die Putzfrau Ada Harris. Sie spielte ab den 1990er-Jahren zunehmend auch unsympathische oder widerborstige alte Frauen. Das damals erstmals in einer breiteren Öffentlichkeit diskutierte Thema der Demenz prägte einige ihrer letzten Rollen, so auch in einigen Folgen der ARD-Krimireihe Polizeiruf 110.

Seit 1945 war sie auch als Hörspielsprecherin tätig, vorwiegend für den NWDR Hamburg bzw. ab 1956 für dessen Rechtsnachfolger, den NDR.

Gesellschaftspolitisches Engagement

Ihren ersten öffentlichen Auftritt hatte Inge Meysel 1925 mit einer Rede gegen die Todesstrafe auf einer Kundgebung der Berliner Jungdemokraten. Auch an Protesten gegen den Paragraphen 218 beteiligte sie sich bereits in dieser Zeit. Ende der zwanziger Jahre wechselte sie zu den Jungsozialisten. „Die Jungdemokraten, Burmeister, Lilo Linke und andere, das war mein Freundeskreis! Aber politisch gehörte ich zu den Jungsozialisten.“ (Inge Meysel)[7]. Meysel war außerdem eine bekennende Naturistin.

1972 unterstützte sie den Wahlkampf von Willy Brandt und 1978 gehörte sie neben Alice Schwarzer und acht weiteren Frauen zu den Klägerinnen im sogenannten „Sexismus-Prozess“ gegen den Stern. 1981 lehnte sie das Bundesverdienstkreuz ab, weil es keinen Orden wert sei, dass jemand „sein Leben anständig gelebt hat“. Den Kampf gegen AIDS unterstützte sie durch mehrere Auftritte bei Benefizveranstaltungen. Bereits 1985 trat Meysel beim ersten großen, von Rosa von Praunheim organisierten AIDS-Benefiz in Deutschland im Berliner Tempodrom auf.[8] Das, wie auch ihre offene und direkte Art, machte sie bei Schwulen und Lesben beliebt.

Im Januar 1987 sprach sie in einem Interview in der Emma über ihre gleichgeschlechtliche Erfahrung: „Männer waren gestrichen, bis 21. Aber da hatte ich schon längst eine Liebesbeziehung zu einer Frau. Mit einer Kollegin. […] Ich glaube, dass viele Frauen […] merken, dass ihr Zärtlichkeitsbedürfnis durch eine Frau besser ausgefüllt wird.“[9] Dies war jedoch nicht die erste Wortmeldung zu dem Thema, denn schon 1975 sprach sie in einer Theater-Talk-Show nach dem Format des „Heißen Stuhls“ im Hamburger Malersaal über ihr gleichgeschlechtliches Erlebnis.[10] In die Schlagzeilen und somit in eine breitere Öffentlichkeit kam es aber erst ab den 1990ern.[11] 1995 outete sie den damaligen Tagesschau-Sprecher Wilhelm Wieben, indem sie in einem Interview mit dem Stern erklärte: „Eigentlich habe ich nur schwule Freunde. Ich verreise zum Beispiel gerne mit Wilhelm Wieben.“ Er verübelte Meysel dies allerdings nicht und stimmte gegenüber dem Stern einer Veröffentlichung der Interviewpassage ausdrücklich zu.[12]

Vier Jahre zuvor trat sie als prominentes Mitglied für die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben in Erscheinung. Politisch setzte sie sich jahrzehntelang für die SPD ein, später auch für die ehemalige Bundestagsabgeordnete Angela Marquardt (damaliges Mitglied der PDS, inzwischen SPD), die sie finanziell beim Studium unterstützte.

Grab von Inge Meysel auf dem Ohlsdorfer Friedhof (2011)

Letzte Jahre

Der „erbitterte Kampf“[13] gegen die Erhöhung eines Deiches zum Hochwasserschutz vor ihrem Haus machte ab 1999 Schlagzeilen, da ihr damit der Blick auf die Elbe verbaut würde. Der „quirligen Seniorin soll ein Deich vor ihren Luxusbungalow mit Panoramablick zur Elbe gesetzt werden“, womit sie nicht einverstanden war.[14] Nach ihrem Tod entschied das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht 2011, dass die Deicherhöhung rechtmäßig ist.[15]

Inge Meysel litt offenbar seit 2003 an Altersdemenz, spielte aber noch im Frühjahr 2003 in einer Folge von Polizeiruf 110 mit, wo sie mit 92 Jahren die hochbetagte resolute „Oma Kampnagel“ darstellte. Ende April 2004 zog sie sich einen komplizierten Trümmerbruch des rechten Oberschenkels zu, der in einer Notoperation mit einem Hüftgelenksmarknagel stabilisiert wurde.

Inge Meysel starb am 10. Juli 2004 im Alter von 94 Jahren in ihrem Haus im Ortsteil Bullenhausen der niedersächsischen Gemeinde Seevetal. Ihre Urne wurde am 23. Juli 2004 in Hamburg auf dem Friedhof Ohlsdorf neben ihrem 1965 verstorbenen Ehemann John Olden beigesetzt.[16]

Ehrungen

Im Jahr 1975 erhielt Inge Meysel vom Berliner Regierenden Bürgermeister Klaus Schütz als Anerkennung ihrer Leistungen eine wertvolle Porzellanschale aus der Königlichen Porzellan-Manufaktur Berlin. Einige Jahre später, 1991 überreichte man ihr die Ernst-Reuter-Plakette.[17]

Am langjährigen Wohnhaus der Schauspielerin in Berlin-Schöneberg, Heylstraße 29, ließ der Senat von Berlin am 10. Juli 2014 eine Berliner Gedenktafel anbringen.[18]

Filmografie

Kino (Auswahl)

Fernsehen (Auswahl)

Theater (Auswahl)

Hörspiele (Auswahl)

Auszeichnungen

Schriften

  • Frei heraus – Mein Leben. Beltz Quadriga, Berlin 1991. ISBN 3-88679-195-5, (Autobiographie).

Literatur

  • Ulrich Döge: Inge Meysel – Schauspielerin. In: CineGraph – Lexikon zum deutschsprachigen Film, Lieferung 32, 1999.
  • Hermann J. Huber: Langen Müller’s Schauspielerlexikon der Gegenwart. Deutschland. Österreich. Schweiz. Albert Langen, Georg Müller Verlag, München/ Wien 1986, ISBN 3-7844-2058-3, S. 667 f.
  • Maurus Pacher, Inge Meysel: Die verborgenen Jahre. Die nichtautorisierte Biographie. Ullstein, Frankfurt am Main, Berlin 1991, ISBN 3-548-22829-1.
  • Sabine Stamer: Inge Meysel. Europa, Hamburg 2003, ISBN 3-203-83015-9.
  • Alice Schwarzer: Inge Meysel, Schauspielerin in: Alice Schwarzer porträtiert Vorbilder und Idole. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2003, ISBN 978-3-462-03341-0, S. 182–198. (Erstveröffentlichung in EMMA 1/1987)
  • C. Bernd Sucher (Hrsg.): Theaterlexikon. Autoren, Regisseure, Schauspieler, Dramaturgen, Bühnenbildner, Kritiker. Von Christine Dössel und Marietta Piekenbrock unter Mitwirkung von Jean-Claude Kuner und C. Bernd Sucher. 2. Auflage. Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 1999, ISBN 3-423-03322-3, S. 476 f.
  • Kay Weniger: Das große Personenlexikon des Films. Die Schauspieler, Regisseure, Kameraleute, Produzenten, Komponisten, Drehbuchautoren, Filmarchitekten, Ausstatter, Kostümbildner, Cutter, Tontechniker, Maskenbildner und Special Effects Designer des 20. Jahrhunderts. Band 5: L – N. Rudolf Lettinger – Lloyd Nolan. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2001, ISBN 3-89602-340-3, S. 427 f.
Commons: Inge Meysel – Sammlung von Bildern und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Vollständiger Name nach: Johann Caspar Glenzdorf: Glenzdorfs internationales Film-Lexikon. Biographisches Handbuch für das gesamte Filmwesen. Band 2: Hed–Peis. Prominent-Filmverlag, Bad Münder 1961, Seite 1130
  2. Inge Meysel im Munzinger-Archiv, abgerufen am 22. Januar 2024 (Artikelanfang frei abrufbar)
  3. a b Hinweis in: Westdeutsche Allgemeine Zeitung vom 7. Februar 2015, S. Wochenende 2
  4. "Man hat nur ein Leben". In: Welt. 15. November 2011, abgerufen am 22. Januar 2024.
  5. Inge Meysel. Ein Interview von Alice Schwarzer. (Memento vom 11. Oktober 2008 im Internet Archive) In: Emma, Januar 1987: „Das Absurde ist ja auch: Ich bin ja noch nicht einmal eine Jüdin.“
  6. Trauer um die Mutter der Nation. In: stern.de, 10. Juli 2004.
  7. Interview mit der Mainzer Jungdemokratenzeitung Zündstoff 1989
  8. Stars in der Manege. In: magazin.hiv der Deutschen Aidshilfe. Abgerufen am 17. April 2023.
  9. Alice Schwarzer: Inge Meysel: Die Halbjüdin. In: Emma. 1. Januar 1987, abgerufen am 1. Juli 2024.
  10. Heißer Stuhl. In: Der Spiegel. Nr. 23, 1975, S. 138 (online).
  11. Bild, 24. Februar 1992: Mutiges Bekenntnis. Inge Meysel: „Ich habe Frauen geliebt“; dpa, 1992: „Ich war bisexuell, ich, die ‚Mutter der Nation‘“; Bunte, 2001: „Wer nicht bisexuell ist, verpasst doch das Beste.“
  12. Evelyn Holst: 20 Uhr. In: Zeit. Abgerufen am 13. Juni 2019.
  13. Kampf um den Deich: Inge Meysels Chancen steigen
  14. Die alte Dame und der Deich
  15. Deichmauer vor Inge-Meysel-Villa darf gebaut werden
  16. knerger.de: Grab von Inge Meysel und John Olden
  17. „Ich bin Berlinerin, durch und durch“. In: Der Tagesspiegel. 11. Juli 2004, abgerufen am 1. Juli 2024.
  18. Gedenktafel für Inge Meysel. In: Berliner Zeitung vom 8. Juli 2014, Seite 15.
  19. Inge Meysel - die "Mutter der Nation". NDR, abgerufen am 19. November 2016.

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Wohnhaus Heylstraße 29, Berlin. Im Erdgeschoss wohnte Inge Meysel bis 1999.
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Grab von Inge Meysel und John Olden auf dem Friedhof Ohlsdorf
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Claus Peter Witt mit Inge Meysel und Joseph Offenbach bei den Dreharbeiten von "Die Unverbesserlichen"