Heterosis-Effekt

Als Heterosis-Effekt wird in der Genetik, der Pflanzenzucht und der Tierzucht die besonders ausgeprägte Leistungsfähigkeit von Hybriden (Mischlingen) bezeichnet, beispielsweise von Nachkommen zweier verschiedener Pflanzensorten oder Tierrassen. Von einem Heterosis-Effekt wird dann gesprochen, wenn die beobachtete Leistung der ersten Tochtergeneration (Filialgeneration F1) höher ist als die durchschnittliche Leistung bei den Ausgangssorten oder -zuchtrassen der Elterngeneration (Parentalgeneration).

Genetik

Die Eltern der Hybriden sind für die untersuchten Zuchtmerkmale reinerbig (homozygot) und erbfest; sie entstammen verschiedenen Zuchtpopulationen. Ihre Nachkommen in der F1-Generation sind mischerbig (heterozygot) und gleichen einander entsprechend der ersten Mendelschen Regel (Uniformitätsregel). Dies beruht darauf, dass im doppelten Chromosomensatz der Nachkommen jeweils ein Allel von der Mutter und eines vom Vater stammt. Wenn die beiden Eltern in vielen Merkmalen reinerbig sind und sich stark voneinander unterscheiden, ergibt sich eine nachzüchtbare hybride F1-Generation, deren Eigenschaften sich von denen der beiden Eltern unterscheiden.

Nutzen

Durch genetisch möglichst unterschiedliche reinrassige Zuchtlinien der Parentalgeneration (Elterngeneration) wird bei der Kreuzung erreicht, dass eine Reihe Allele der Kreuzungseltern unterschiedlich ist. Deren mehrfach heterozygote Nachkommen verfügen über mehr verschiedene Erbanlagen als reinrassige. Sie sind oft widerstandsfähiger gegen Krankheiten und können sich oft besser auf wechselnde Umweltbedingungen einrichten. Zudem werden rezessiv bedingte nachteilige Eigenschaften im Phänotyp der hybriden 1. Tochtergeneration seltener oder gar nicht realisiert.

Hybridzucht wird vor allem zur Steigerung von Fertilitätsmerkmalen angewendet, die normalerweise eine niedrige Heritabilität haben, wie nicht leicht vererbliche Faktoren erhöhter Fruchtbarkeit bei Schweinen oder gesteigerten Samenertrags bei Kulturpflanzen.

Genutzt wird die Hybridzucht z. B. bei Bienen, Schweinen, Hybridhühnern und im Pflanzenbau (Getreide, Mais).

Nach der zweiten Mendelschen Regel nimmt die Mischerbigkeit jedoch schon mit der zweiten Filialgeneration (F2) ab: jede Selbstbefruchtung von Hybriden senkt den Grad der Heterozygotie und damit üblicherweise die Ausprägung der Heterosis der Merkmale erheblich. Mildere Inzucht, etwa fortgesetzte Geschwister-Paarung bei Tieren, senkt den Grad der Heterozygotie weniger stark, aber nach vielen Generationen ebenfalls bis auf Null. Wenn sich die Nachkommen von Hybriden, wie bei Tieren üblich, durch Fremdbefruchtung fortpflanzen, dann erreichen sie einen eher normalen Zustand auf dieser Inzucht-Hybrid-Skala und sind dann weder inzüchtig noch hybrid. Wenn aber die Nachkommen von Hybriden, wie bei vielen Pflanzen (z. B. Gerste) üblich, sich durch Selbstbefruchtung fortpflanzen, dann verlieren sie mit den Generationen die Mischerbigkeit, sie werden reinerbig. Sie verlieren wieder alles, was in der Ausgangshybride an Hybridwüchsigkeit vorhanden war. Der Heterosis-Effekt ist allerdings bei solchen Pflanzen von vornherein eher klein, sie verlieren somit über diese Generationenfolge nicht so viel.

Wenn beide Eltern also selbst Hybriden sind, die schon einen Heterosis-Effekt realisieren, dann müssen ihre Kreuzungs-Nachkommen nicht produktiver sein.

In der Maiszüchtung finden auch Dreiwegehybriden (Inzuchtlinie 1 x Inzuchtlinie 2) x Inzuchtlinie 3 Anwendung.

So kann der Heterosis-Effekt bei Getreide-Arten wie dem Mais oder Roggen zur Verdopplung (und mehr) der Erträge im Vergleich zu solchen Eltern (Inzuchtlinien) führen. Hierbei sind allerdings die vorhergehenden Inzuchtdepressionen bei höheren Inzuchtgenerationen (…, I6) der Eltern zu berücksichtigen. Aus der Perspektive von wüchsigen Hybriden erkennt man im Minderwuchs von Inzuchtlinien deren Inzucht-Depression; aus der Sicht dieser Inzuchtlinien entsprechend die Heterosis (Hybridwüchsigkeit, Bastardwüchsigkeit) der Hybriden (Bastarde). Der Anteil der Hybridsorten ist in den letzten Jahrzehnten stark angestiegen. Außer der hohen Leistung kommt vor allem der Planbarkeit des Züchtungsergebnisses mit Hilfe der Genomik große Bedeutung zu. 1995 waren bei Brokkoli, Tomaten und Rosenkohl jeweils über 80 Prozent der Sorten Hybridsorten.

Ein Vorteil für Agrar-Konzerne besteht darin, die Landwirtschaft durch Anbauverträge über Hybridsorten in Abhängigkeit zu bringen. Denn es ist aufwändig, die reinerbigen Elterngenerationen fortzuführen, und der Heterosis-Effekt geht nach der F1-Generation wieder verloren. Kritisiert wird, dass Konzerne den Verkauf von F1-Hybrid-Saatgut gezielt einsetzen, um die Kontrolle über Landwirtschaft und Saatgut zu erlangen. Von einigen Konzerne ist bekannt, dass sie Saatgut von der lokalen Bevölkerung aufkaufen und es mit Marktmacht als ihr „intellektuelles Eigentum“ ausgeben und eintragen lassen. Mit solcher Deklaration untersagen sie in Folge der Lokalbevölkerung, ihre eigenen, dort teils seit Jahrhunderten angebauten Samen weiter auszusäen. Die vom Konzern verkauften Hybridsorten sind jedoch nicht an jeden Standort angepasst, weshalb es immer wieder zu tragischen Ernteausfällen kommt.[1] Es gibt globale Bestrebungen, die Souveranität der lokalen Bevölkerung und die Resilienz der lokalen Saat zu bewahren, indem robuste und evolutionär an die lokalen Gegebenheiten angepasste Samen unter freien Lizenzen geteilt werden.[2]

Heterosis beim Menschen

Intelligenzforscher wie Michael Mingroni ziehen Heterosis als Ursache für die stetige Zunahme der menschlichen Intelligenz, den sog. Flynn-Effekt, in Betracht.[3]

Der Heterosis-Effekt könnte beim Menschen auch zu höherer Attraktivität führen. So waren in mehreren Studien Menschen mit gemischter Abstammung unter den bestaussehenden Gesichtern deutlich überrepräsentiert.[4]

Historie

Der deutsche Botaniker Joseph Gottlieb Kölreuter lieferte bereits 1766 eine erste Beschreibung dieses Phänomens. Bei seinen Untersuchungen von Tabak und Stechapfel beobachtete er, dass die Kreuzungsnachkommen eine gesteigerte Wüchsigkeit gegenüber den Elternpflanzen aufwiesen und dass es einen Zusammenhang zwischen Stärke dieses Phänomens und Verschiedenheit der Eltern gab.[5]

Gregor Mendel beobachtete dies 1865 bei Erbsen und auch Charles Darwin berichtete 1876, dass Inzucht bei Pflanzen zu einer Verschlechterung, deren Kreuzung aber zu gesteigerter Vitalität führt.

Den Begriff Heterosis schlug 1914 der Pflanzengenetiker George Harrison Shull bei Vorlesungen in Göttingen vor, er leitete ihn dabei von heteros und osis ab.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG richtete 2002 das Schwerpunktprogramm Heterosis ein, um mit pflanzlicher Genomforschung zur Kausalanalyse dieses biologischen Schlüsselphänomens beizutragen und Grundlagen für dessen optimale Nutzung in der Pflanzenzüchtung zu erarbeiten.[6]

Im Rahmen des Themas Grüne Gentechnik[7] kündigte am 13. Mai 2009 der DFG-Präsident auf einer Pressekonferenz von DFG und DLG an, dass nun u. a. mithilfe gentechnischer Methoden die molekularen Ursachen der Heterosis aufgeklärt werden sollen.[8]

Die Universität Hohenheim richtete im September 2009 eine dreitägige internationale Konferenz Heterosis in Plants: Genetic and molecular causes and optimal exploitation in breeding aus.[9]

Am 1. September 2014 startete das fünfjährige Projekt ZUCHTWERT: Zuchtmethodische Grundlagen zur Nutzbarmachung von Heterosis in Weizensorten.[10] Es wurde vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft mit insgesamt ca. 5 Millionen Euro gefördert, die sich auf mehrere Projektpartner verteilten. 655.370 Euro erhält das Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben. Die Landessaatzuchtanstalt der Universität Hohenheim erhält hierfür 370.775 Euro und macht ZUCHTWERT damit zu einem Schwergewicht der Forschung an der Universität Hohenheim.[11] Die restlichen ca. 3,9 Millionen Euro verteilten sich[12] auf sechzehn Konzerne, Firmen und Organisationen[13], die sich in Deutschland mit der Weizenzucht beschäftigen.

Weblinks

Literatur

  • Hermann Kuckuck, Gerd Kobabe, Gerhard Wenzel: Grundzüge der Pflanzenzüchtung, Seite 51, De Gruyter, 1985, ISBN 3-11-008682-4
  • Mireille Starke: Untersuchungen zur Heterosis der Belastbarkeit mittels DNA-Markeranalysen, Tenea Verlag, 2003, ISBN 3-86504-002-0
  • Rafael Frankel: Heterosis: Reappraisal of Theory and Practice, Springer, 1983, ISBN 978-3-642-81979-7
  • Werner Odenbach: Biologische Grundlagen der Pflanzenzüchtung. Parey, Stuttgart, 1997, ISBN 3-8263-3096-X
  • Amarjit S. Basra: Heterosis and Hybrid Seed Production in Agronomic Crops, The Haworth Press, 1999, ISBN 1-56022-876-8
  • Arnel R. Hallauer, Marcelo J. Carena, J. B. Miranda Filho: Quantitative Genetics in Maize Breeding, Springer, 1988, Kapitel 10, ISBN 978-1-4419-0765-3
  • CIMMYT, 1997, Book of Abstracts, The Genetics and Exploitation of Heterosis in Crops, An International Symposium, Mexico, ISBN 968-6923-90-X
  • Sant S. Virmani: Heterosis and Hybrid Rice Breeding, Springer Verlag, 1994, ISBN 3-540-58206-1

Einzelnachweise

  1. Jagannath Adhikari: Seed Sovereignty: Analysing the Debate on Hybrid Seeds and GMOs and Bringing About Sustainability in Agricultural Development. Journal of Forest and Livelihood 12(1), Oktober 2014.
  2. Jack Kloppenburg: Re-purposing the master's tools: the open source seed initiative and the struggle for seed sovereignty. In: The Journal of Peasant Studies. Band 41, Nr. 6, 2. November 2014, ISSN 0306-6150, S. 1225–1246, doi:10.1080/03066150.2013.875897 (tandfonline.com [abgerufen am 18. Juli 2023]).
  3. Michael A. Mingroni (2007): Resolving the IQ Paradox: Heterosis as a Cause of the Flynn Effect and Other Trends. (PDF; 339 kB) Psychological Review 114 (3), S. 806–829.
  4. Ryan Anderson: Mixed Ethnicity Relationships: The Way of the Future? Psychology Today, 5. Januar 2015, abgerufen am 2. Dezember 2017 (englisch).
  5. Joseph Gottlieb Kölreuter: Vorläufige Nachricht von einigen das Geschlecht der Pflanzen betreffenden Versuchen und Beobachtungen, Band 3, 1766, Herausgeber W. Pfeffer
  6. DFG-Pressemitteilung Nr. 19: DFG richtet 16 neue Schwerpunktprogramme ein 17. Mai 2002, abgerufen am 11. September 2017.
  7. DFG-Broschüre: Grüne Gentechnik WILEY-VCH Verlag, ISBN 978-3-527-32857-4, abgerufen am 11. September 2017
  8. Prof. Dr.-Ing. Matthias Kleiner: Vorstellung des Memorandums „Forschung in Freiheit und Verantwortung“ zur Grünen Gentechnik. (PDF; 42 kB), S. 5., abgerufen am 11. September 2017
  9. Webseite der Universität Hohenheim: Konferenz Heterosis in Plants vom 7.–9. September 2009 (Memento desOriginals vom 13. September 2018 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.uni-hohenheim.de, abgerufen am 11. September 2017
  10. Projekt-Steckbrief der Gemeinschaft zur Förderung von Pflanzeninnovation e.V., GFPi: Steckbrief ZUCHTWERT (Memento desOriginals vom 12. September 2017 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.bdp-online.de, (PDF; 72 kB), abgerufen am 11. September 2017
  11. Pressemitteilungen Bioökonomie-Projekte der Universität Hohenheim: Super-Weizen gesucht, Forscher starten Deutschlands größtes Weizenzucht-Projekt 29. April 2015, (PDF; 62 kB), abgerufen am 11. September 2017
  12. Fördermittel der ZUCHTWERT-Teilprojekte: Forschungsinformationssystem Agrar und Ernährung FISA, abgerufen am 11. September 2017
  13. Projektseite ZUCHTWERT (Memento desOriginals vom 12. September 2017 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.proweizen.de