Hermann Oppenheim

Hermann Oppenheim, ca. 1870

Hermann Oppenheim, gelegentlich auch Oppenheimer geschrieben (* 31. Dezember 1857[1] in Warburg, Westfalen; † 22. Mai 1919 in Berlin), war ein deutscher Neurologe und Psychiater.

Leben und Wirken

Hermann Oppenheim ist der Sohn des langjährigen Rabbiners der Synagogengemeinde Warburg, Juda Oppenheim (1824–1891) und dessen Frau Cäcilie, geborene Steeg (1822–1898). Sein Großvater Manus Mannes Oppenheim (1784–1844), Sohn von Hirsch Oppenheim, stammte aus Schenklingsfeld in Hessen und war Waren- und Viehhändler. Die Familie seiner Mutter Cäcilie war schon länger in Warburg ansässig, ihr Großvater Samuel Gerson Steg (1735–1807) war dort ebenfalls ein bekannter Rabbiner sowie Oberlandesrichter von Westfalen gewesen.[2] Der Dirigent Hans Oppenheim war sein Sohn.

Hermann bestand 1877 am Gymnasium Marianum Warburg das Abitur als einer der Jahrgangsbesten. Anschließend studierte er Medizin in Göttingen, Berlin und Bonn, wo er Stipendiat und Schüler von Nathan Zuntz war und 1881 mit einer preisgekrönten Schrift über die Physiologie und Pathologie der Harnstoffausscheidung promoviert wurde. Nach seinem Staatsexamen 1882 und kurzer Assistenzzeit an der Maison de Santé in Berlin-Schöneberg trat er in die Nervenklinik der Charité unter Carl Friedrich Otto Westphal ein, wo er von 1883 bis 1891 als dessen Assistent tätig war.

1886 habilitierte sich Oppenheim mit einer Sammlung von 18 kleineren Arbeiten auf dem Gebiet der Nervenpathologie für Neurologie. Er bot vor allem Vorlesungen Elektrodiagnose und -therapie an. Nachdem er nach Westphals Tod im Sommer 1891 aus der Charité ausschied, und ein Gesuch um ein Extraordinariat, das er 1891 an die Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin gerichtet hatte, abgelehnt wurde, gründete Oppenheim eine Privatklinik am Schiffbauerdamm 25 in Berlin-Mitte, die internationalen Rang erlangte. Als auch ein erneutes Gesuch Oppenheims um ein Extraordinariat 1901 abgelehnt wurde, trat er 1902 aus der medizinischen Fakultät aus. Privatim beklagte er die Zumutung, dass ihm sein Festhalten am Judentum und das Verweigern einer Konversion den Weg zu einer akademischen Karriere versperrt hätten. Sein Freund, der Maler Ernst Oppler, fertigte ein Porträt von ihm, das in einer Auflage von 10 Exemplaren erschien.

In seinen Forschungen, durch die er die Anerkennung der Neurologie als eigener Disziplin maßgeblich förderte und großen Anteil an deren wissenschaftlicher Verbreitung hatte, widmete sich Oppenheim insbesondere den Erkrankungen nach Traumen und den Neubildungen des Zentralnervensystems. Bekannt wurde er durch seine Studien zur Klinik der pathologischen Anatomie der Tabes, zur multiplen Sklerose, zur progressiven Paralyse und zu den bulbärparalytischen Erscheinungen. Seine Theorie der psychotraumatischen Neurose, die er in Abgrenzung zu Jean-Martin Charcots Theorie der Hysterie entwickelte, war besonders umstritten.[3] Oppenheim beschrieb traumatische Neurosen als eigenes Krankheitsbild, das er unmittelbar auf traumatische Erlebnisse zurückführte.[4][5] Als er während des Ersten Weltkriegs die Leitung eines Lazaretts im Kunstgewerbemuseum Berlin übernahm, wandte er diese Theorie auch auf das weit verbreitete Problems der Kriegszitterer an. Die seelischen Erschütterungen der Frontsoldaten, so seine These, hätten zu einer Erschütterung der feinsten Teile des Gehirns geführt. Das Zittern sei somit die Folge der anatomischen Auswirkung dieser „Gehirnerschütterung“. Hiermit vertrat er zumindest als Neurologe in der öffentlichen Auseinandersetzung um die anzuerkennenden Kriegsschäden eine Außenseiterposition innerhalb der deutschen Psychiatrie[6], insofern er die psychischen Probleme der Betroffenen als unmittelbare Kriegsfolge klassifizierte, vgl. a. Funktionelle Syndrome.[7]

Oppenheim war 1907 Vorsitzender der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenheilkunde. Von 1912 bis 1916 war er Präsident der von ihm gegründeten Gesellschaft Deutscher Nervenärzte. 1916 übernimmt er unentgeltlich die Leitung des Berliner Militärkrankenhauses für Nervenerkrankungen.

Medizinische Nomenklatur

Nach Hermann Oppenheim ist u. a. das Oppenheimsche Zeichen bzw. der Oppenheimsche Reflex benannt. Er ist die Beugung der großen Zehe oder des Fußes in Richtung Fußrücken bei Bestreichen der inneren muskelfreien Schienbeinkante. Dieser Reflex weist auf eine Rückenmarkserkrankung (Pyramidenbahnläsion) hin. In die medizinischen Nomenklatur ging er durch folgende weitere Krankheitsbilder und medizinische Begriffe ein, das Ziehen-Oppenheim-Syndrom (Dystonia musculorum deformans), die Oppenheimsche zerebrale Kinderlähmung, der Oppenheimsche Fressreflex und der Oppenheimsche Gang bei multipler Sklerose.

Schriften (Auswahl)

Literatur

  • Hans-Dieter Mennel, Bernd Holdorff, Katrin Bewermeyer u. Heiko Bewermeyer: Hermann Oppenheim und die deutsche Nervenheilkunde zwischen 1870 und 1919. Stuttgart; New York: Schattauer, 2007. ISBN 3-7945-2544-2.
  • Paul Lerner: From Traumatic Neurosis to Male Hysteria. The Decline and Fall of Hermann Oppenheim, 1889–1919. in: Mark S. Micale u. Paul Lerner (Hrsg.): Traumatic Pasts. History, Psychiatry, and Trauma in the Modern Age, 1870–1930. Cambridge 2001, S. 140–171.
  • Heiko Bewermeyer: Hermann Oppenheim – ein Begründer der Neurologie, Schattauer Verlag, Stuttgart 2016, ISBN 978-3-7945-3177-6.
  • Katrin Bewermeyer: Hermann Oppenheim: Begründer der deutschen Neurologie: Biographie anhand einer neuen Quelle. Marburg 2004 (Dissertation, Universität Marburg, 2003).
  • Oppenheim, Hermann, in: Salomon Wininger: Große jüdische National-Biographie. Band 4. Czernowitz, 1930, S. 659.
  • Oppenheim, Hermann, in: Joseph Walk (Hrsg.): Kurzbiographien zur Geschichte der Juden 1918–1945. München : Saur, 1988, ISBN 3-598-10477-4, S. 288.
  • Barbara I. Tshisuaka: Oppenheim, Hermann. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 1076.
  • Anja Pech: Hermann Oppenheim (1858–1919) – Leben und Werk eines jüdischen Arztes. Herzogenrath: Murken-Altrogge, 2007 (Dissertation, Universität Hamburg, 2006; PDF; 1,5 MB). ISBN 3-935791-24-0.
  • Katrin Bewermeyer, Heiko Bewermeyer, Hans Dieter Mennel: Hermann Oppenheim: Beitrag zur Lebens- und Wirkgeschichte anhand eines aufgefundenen Lebenslaufs. In: Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Nervenheilkunde 10, 2004, S. 337–351.
  • Susanne Zimmermann: Oppenheim, Hermann. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 19, Duncker & Humblot, Berlin 1999, ISBN 3-428-00200-8, S. 565 f. (Digitalisat).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Oppenheim selbst gab als sein Geburtsdatum stets den 1. Januar 1858 an. Laut den Unterlagen des Personenstandsregisters Detmold sowie des Stadtarchivs Warburg wurde er jedoch am 31. Dezember 1857 geboren. Pech: Hermann Oppenheim, S. 9.
  2. MyHeritage zu Juda Oppenheim
  3. Matthias M. Weber: Erschütterte Nerven. Hermann Oppenheims Konzept der traumatischen Neurose. In: Psychotherapie. Band 15, 2010, S. 205–213.
  4. Oppenheim H.: Über traumatische Neurosen. Nach den in der Nervenklinik der Charité in den letzten 5 Jahren gesammelten Beobachtungen. A. Hirschwald, Berlin 1889.
  5. Oppenheim H.: Der Fall N. Ein weiterer Beitrag zur Lehre von den traumatischen Neurosen nebst einer Vorlesung und einigen Betrachtungen über dasselbe Kapitel. S. Karger, Berlin 1896.
  6. Philipp Rauh: Die militärpsychiatrischen Therapiemethoden im ersten Weltkrieg - Diskurs und Praxis in: Hans-Walter Schmuhl, Volker Roelcke (Hg.): Heroische Therapien - Die deutsche Psychiatrie im internationalen Vergleich 1919-1945, Wallstein, Göttingen 2013, S. 29–47
  7. Thure von Uexküll: Grundfragen der psychosomatischen Medizin. Rowohlt Taschenbuch, Reinbek bei Hamburg 1963, S. 17.
  8. Sabine Schuchart: Hermann Oppenheim, ein tragischer Visionär, Deutsches Ärzteblatt Jg. 117, Heft 16, 17. April 2020

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