Hebbel am Ufer

Das Hebbel am Ufer (HAU) ist ein freies Theater in Berlin. Es besteht seit der Spielzeit 2003/2004 mit drei Spielstätten, seit 2020 existiert eine Onlineplattform. Das HAU ist ein internationales Produktionshaus und Spielort für Festivals, Gastspiele und Koproduktionen, dazu gehören Veranstaltungen aus den Bereichen Theater, Tanz, Performance, Diskurs, Musik und Bildende Kunst. Es verfügt über kein eigenes Ensemble und zählt zu den Ankerinstitutionen für die freie darstellende Szene.[1] Leiterin ist Annemie Vanackere. Die Hebbel-Theater Berlin Gesellschaft mbH hat ein Jahresbudget von 15,9 Millionen Euro, wovon rund 9 Millionen vom Land Berlin kommen (Stand: 2019).[2]

Spielstätten

Das HAU umfasst die folgenden drei Bühnen:

  • Das traditionsreiche Hebbel-Theater, jetzt: HAU1, Stresemannstraße 29.
  • Das Theater am Halleschen Ufer, jetzt: HAU2, Hallesches Ufer 32 (die frühere Schaubühne am Halleschen Ufer).
  • Das Theater am Ufer, jetzt: HAU3, Tempelhofer Ufer 10 (eine Hinterhofbühne, die der polnische Regisseur Andrej Woron nach dem Mauerfall bespielt hatte).[3] Dieses unter Denkmalschutz stehende Hinterhofgebäude wurde 1892 als Werkstatt für den renommierten Kunstschmiedebetrieb von Eduard Puls erbaut.[4]
  • Das Online-Programm, HAU4 ist seit März 2020 fester Bestandteil des HAU Hebbel am Ufer und zeigt virtuell Produktionen und virtuelle Produktionen.

Vor dem Zusammenschluss waren diese drei Häuser selbstständig, aber kaum noch besucht. Aber auch außerhalb dieser Häuser wird gespielt: Im Berliner Stadtraum werden Installationen und Performances veranstaltet, die auch Publikum und Anwohner einbeziehen, etwa das Open-Air-Projekt La Marea im Wrangelkiez,[5] YEW: outside von Angela Schubot & Jared Gradinger im Botanischen Volkspark Blankenfelde-Pankow[6] oder das Festival Berlin bleibt!, bei dem teilweise das ehemalige Postbank-Gebäude am Halleschen Ufer bespielt wurde.[7]

Leitung

Erster Intendant war Matthias Lilienthal, der zuvor Dramaturg am Theater Basel, Chefdramaturg der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz und 2002 Leiter des Festivals Theater der Welt im Ruhrgebiet war. Seine Demission folgt dem Wunsch, alle zehn Jahre beruflich etwas wirklich Neues machen zu wollen.[8]

Nachfolgerin Lilienthals seit der Spielzeit 2012/13 ist die Belgierin Annemie Vanackere, die bis dahin seit 1995 künstlerische Leiterin der Schouwburg in Rotterdam war.[9] Ihr zunächst bis August 2017 befristeter Vertrag wurde vom Aufsichtsrat im Dezember 2015 und im März 2021 jeweils verlängert; aktuell läuft er bis August 2025.[10][11]

Ausrichtung

Das HAU hat den Auftrag, das Erbe des Hebbel-Theaters als Gastspielort Berlins für international renommierte Gastspiele im Bereich Tanz und Theater weiterzuführen. Koproduktionen und Gastspiele von Künstlern und Gruppen aus aller Welt sowie Projekte der deutschen und lokalen freien Theater- und Tanzszene werden hier produziert und gezeigt.

Leitung von Matthias Lilienthal

Das HAU zeichnete sich von Anfang an durch einen ausgeprägten politischen und avantgardistischen Anspruch aus.[8] Lilienthal sagte, man habe „das Theater systematisch in ein Dokumentarfilmfestival verändert.“[12] Als zentrales Thema sah Lilienthal Migration und machte deutlich, das HAU habe „den Globalisierungsbegriff, den es politisch oft kritisiert, in etwas Kulturell-Positives gewendet“.[12] Sein unkonventionelles Programm brachte junge Zuschauer ins Theater.[13]

Eva Behrendt von Theater heute bezeichnete 2012 „Gegenwärtigkeit“ als gemeinsames künstlerisches Kriterium der Veranstaltungen im HAU und stellte fest, das HAU habe ihr von allen Berliner Theatern ihre „Stadt am nächsten gebracht“.[14] Rund ein Drittel der gezeigten Inszenierungen stammte aus dem intensiv betriebenen internationalen Austausch, ein weiteres Drittel kam über freie Off-Theater-Gruppen herein und zu einem Drittel widmete das HAU sich dem Tanztheater.[8]

Leitung von Annemie Vanackere

Im Jahr 2014, zwei Jahre nach dem Amtsantritt von Annemie Vanackere, äußerte Daniel Schrader vom Ballhaus Ost, in der Zeitschrift Theater heute die Ansicht, das HAU habe sich unter der neuen Leitung „noch internationaler ausgerichtet“ und sei „ein bisschen weniger ein Ort für junge, frische Berliner Künstler“.[15]

Das HAU ist Spielort und seit 2013 Veranstalter des Berliner Festivals „Tanz im August“, das jährlich für drei Wochen lang Choreografen, Tänzer und Kompanien aus aller Welt zusammenbringt und in Kooperation mit anderen Berliner Spielstätten, in der ganzen Stadt präsentiert. 2018 feierte das von Nele Hertling 1988 gegründete Festival Tanz im August sein 30. Jubiläum. Seit 2015 ist das HAU Mitglied im Bündnis internationaler Produktionshäuser.[16]

Verbindungen mit dem Publikum schafft das Begleitprogramm des HAU mit Artist Talks, Einführungen für Gruppen und Kooperationsprojekten.[17] Im Houseclub arbeiten Künstler, Jugendliche und Schüler regelmäßig zusammen.[18]

Künstler (Auswahl)

Regisseure, Choreografen und Gruppen, die seit 2004 regelmäßig mit dem Hebbel am Ufer zusammenarbeiten:
Andcompany & Co., Ariel Efraim Ashbel, Simone Aughterlony, Sebastian Baumgarten, Jérôme Bel, James Bridle, Neco Çelik, Ivo Dimchev, Forced Entertainment, Nicoleta Esinencu, Big Art Group, Gob Squad, Alvis Hermanis, Mette Ingvartsen, Hans-Werner Kroesinger, Shermin Langhoff, Ligia Lewis, Constanza Macras, Richard Maxwell, Thomas Meinecke, Rabih Mroué, Paul B. Preciado, Rimini Protokoll, Milo Rau, Angela Richter, Jochen Roller, Xavier Le Roy, Christiane Rösinger, Isabelle Schad, Christoph Schlingensief, She She Pop, Meg Stuart, Joana Tischkau, The Wooster Group, Peaches, Kat Válastur und Miet Warlop.

Auszeichnungen

Finanzierung

Das HAU Hebbel am Ufer ist ein freies Theater. Es verfügte 2014 über ein Budget von rund 4,6 Millionen Euro aus Subventionen des Landes Berlin,[19] 2021 sind es 8,6 Millionen Euro[20]. Es bezieht zahlreiche weitere Projektförderungen aus Quellen wie der Beauftragten für Kultur und Medien des Bundes, dem Hauptstadtkulturfonds, dem Berliner Senat, der Kulturstiftung des Bundes und anderer. Matthias Lilienthal nannte 2012 folgende Zahlen: Es stünden rund fünf Millionen Euro Theateretat zur Verfügung, dazu zwei Millionen aus Förderanträgen. Von diesen zwei Millionen Euro gingen 1,2 Millionen Euro auf Förderanträge der freien Gruppen zurück und etwa 800.000 Euro auf Zuschussbewilligungen an das HAU direkt.[12]

Literatur

  • Christine Wahl: Die ersten 600 Tage. Spätestens nach der zweiten Saison ist Annemie Vanackere am Berliner HAU den Fußstapfen ihres souverän verschlampten Vorgängers Matthias Lilienthal nonchalant entstöckelt. In: Theater heute, 55. Jg., Nr. 8/9, August/September 2014, ISSN 0040-5507, S. 46–49.
  • Kirstin Hehmeyer, Matthias Pees (Hrsg.): Import Export. Arbeitsbuch zum HAU Berlin. Theater der Zeit, Berlin 2012, ISBN 978-3-942449-40-3.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Annemie Vannackere: Holistisch denken. Für Annemie Vanackere kommt das HAU dem idealen Theater schon recht nahe. Gäbe es nur die Trennung Stadttheater/Freie Szene nicht! In: Theater heute, Sondernummer 2014, Jahrbuch 2014 Reale Utopien, S. 20–21.
  2. Christiane Peitz: Annemie Vanackere und der Corona-Neustart: So wollen sich Berlins Theater neu erfinden. In: tagesspiegel.de. 29. August 2020, abgerufen am 31. Januar 2024.
  3. Susanne Strätz: Das chaotischste Theater der Hauptstadt. Das Hebbel am Ufer, kurz: HAU, ist die wildeste Bühne der Hauptstadt. Als Theaterkonzertkinoclubkombinat ein Experimentierfeld, das den Nerv Berlins trifft. (Memento desOriginals vom 22. Januar 2021 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.merian.de September 2009, abgerufen am 25. Dezember 2014.
  4. Mietshaus & Fabrik Tempelhofer Ufer 10. in der Denkmaldatenbank des LDA Berlin
  5. Susanne Strätz: Das chaotischste Theater der Hauptstadt. Das Hebbel am Ufer, kurz HAU, ist die wildeste Bühne der Hauptstadt. Als Theaterkonzertkinoclubkombinat ein Experimentierfeld, das den Nerv Berlins trifft. September 2009 (Memento desOriginals vom 22. Januar 2021 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.merian.de, abgerufen am 25. Dezember 2014.
  6. YEW: outside: HAU zu Gast im Botanischen Volkspark | Grün Berlin. Abgerufen am 21. Juli 2020.
  7. Festival „Berlin bleibt!“ im HAU – Singende Mieterversammlung im Theater. Abgerufen am 21. Juli 2020 (deutsch).
  8. a b c Ein Gespräch mit Matthias Lilienthal: Theater als soziale Attacke. In: Neue Zürcher Zeitung, 26. Mai 2012, abgerufen am 9. Juni 2012
  9. Matthias Lilienthals Intendanz am HAU endet 2012. In: tip Berlin, Januar 2012
  10. DPA-Nachricht, in: Süddeutsche Zeitung, Nr. 289, 15. Dezember 2015, S. 13.
  11. Senatsverwaltung Kultur Europa: PM Vertragsverlängerung Vanackere. In: Website. Berlin, 16. März 2021, abgerufen am 29. März 2021.
  12. a b c Matthias Lilienthal: Das Globalisierungsbarometer. Neun Jahre lang hat das HAU in Berlin-Kreuzberg Theater als überaus erfolgreiches Dokumentarfestival betrieben. Intendant Matthias Lilienthal und seine Stellvertreterin Kirsten Hehmeyer erzählen, wie es dazu kam. In: Theater heute, April 2012, Seite 24–30.
  13. Gabriela Herpel: Der Mann aus Reihe drei. Im Herbst tritt Matthias Lilienthal als neuer Intendant der Münchner Kammerspiele an. Viele glauben, er werde das ehrwürdige Theater gehörig aufwirbeln. Dabei tut er das längst. In: Süddeutsche Zeitung Magazin, Nr. 9, 27. Februar 2015, S. 14.
  14. Eva Behrendt: Hundert Prozent Gegenwart – Pro HAU Das HAU ist kein Theater zum Kuscheln, aber ein Modell für die Zukunft. In: Theater heute, April 2012, S. 32–33.
  15. Christine Wahl: Die ersten 600 Tage. Spätestens nach der zweiten Saison ist Annemie Vanackere am Berliner HAU den Fußstapfen ihres souverän verschlampten Vorgängers Matthias Lilienthal nonchalant entstöckelt. In: Theater heute, 55. Jg., Nr. 8/9, August/September 2014, ISSN 0040-5507, S. 49.
  16. Esther Slevogt: Bündnis Internationaler Produktionshäuser und Internationales Tanzzentrum geplant. Abgerufen am 18. Oktober 2018 (deutsch).
  17. HAU Hebbel am Ufer Berlin - Begleitprogramm. Abgerufen am 21. Juli 2020.
  18. HAU Hebbel am Ufer Berlin - Houseclub. Abgerufen am 21. Juli 2020.
  19. Hebbel am Ufer Keine Lust auf „Kunstkacke“: Das Kreuzberger Theaterkombinat der anderen Art sucht die Reibung an der Realität. Abgerufen am 25. Dezember 2014.
  20. Land Berlin: Haushaltsplan des Landes Berlin 2020/21. Hrsg.: Land Berlin. Einzelplan, Nr. 08, S. 67.

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