Hanns Zischler

(c) Maximilian Bühn, CC-BY-SA 4.0
Hanns Zischler (2017)

Christoph Johann „Hanns“ Zischler (* 18. Juni 1947 in Nürnberg) ist ein deutscher Filmschauspieler, Dramaturg, Regisseur, Hörspielsprecher, Hörbuchsprecher, Fotograf, Übersetzer und Essayist.

Leben

Hanns Zischler ist als Sohn eines Steinbruchbesitzers und Steinhändlers Johann Zischler im fränkischen Dorf Langenaltheim aufgewachsen. Nach dem Tod seiner Mutter ging er auf ein protestantisches Internat in Ingolstadt zur Schule,[1] wo sein Interesse an Musik und Philosophie gefördert wurde.[2] Danach besuchte er das Internat Marquartstein[3] und erlangte 1966 sein Abitur.[4] In München und Berlin belegte er Vorlesungen in Philosophie, Ethnologie, Musikwissenschaft und Literaturwissenschaft[5]. Zischler arbeitete als Lektor und Übersetzer französischer Philosophen und ging 1968 an die Berliner Schaubühne, wo er von 1973 bis 1975 als Dramaturgie- und Regieassistent für Peter Stein und Klaus Michael Grüber[6] tätig war. In Karlsruhe und Basel inszenierte er 1976 gemeinsam mit Regisseur Harun Farocki die Theaterstücke Die Schlacht und Traktor von Heiner Müller.[2] Er ließ die Welt des Theaters hinter sich, da er nach eigenen Angaben nicht dauerhaft in geschlossenen, fensterlosen Räumen arbeiten mochte.[3]

Als Schauspieler war er seit den 1970er-Jahren in deutschen Filmproduktionen unter anderem von Wim Wenders, Peter Handke, Peter Lilienthal, Rudolf Thome zu sehen. In Thomes Spielfilmen trat er bisher acht Mal auf.[2] Bekannt wurde Zischler vor allem 1976 durch das Roadmovie Im Lauf der Zeit von Wim Wenders. Auch in internationalen Produktionen von Autorenfilmern wie Claude Chabrol, Andrew Birkin und István Szabó wirkte er mit. 2005 spielte er in Steven Spielbergs Filmdrama München die Rolle des Mossad-Agenten Hans.

In der schwedischen Krimiserie Kommissar Beck – Die neuen Fälle spielte er die Rolle des Josef Hillman in den Folgen Das Kartell, Der Mann ohne Gesicht, Preis der Rache (TV, 2001), Der Junge in der Glaskugel, Tod per Inserat, Der Einsiedler und Absender unbekannt (Fernsehen, 2002). In dem auf der Berlinale 2009 uraufgeführten Film Hilde über das Leben Hildegard Knefs spielte Zischler die Rolle des UFA-Filmproduzenten Erich Pommer.

Zischler spielt seine Rollen mit sehr großer Geistesgegenwart[7] und Präsenz.[8] Nach Meinung von Reclams Lexikon des deutschen Films verkörpere er eine „vertrauenerweckende Männlichkeit, die jeder modischen Attitüde trotzt und sympathisch altmodisch auftritt.“[9] Von dem Regisseur Jean-Luc Godard wurde er als Gentleman Actor bezeichnet.[10] Die FAZ urteilte über seine Schauspielkunst: Zischler agiere im Film auf „eine emphatische, dabei absichtsvoll zurückhaltende Weise“, sein „Markenzeichen“ sei „die expressive Lakonie“.[8] Er ist einer der meistbeschäftigten Schauspieler Deutschlands,[11] bis 2015 wurden mehr als 220 Film- und Fernsehrollen gezählt,[12] in denen er sehr unterschiedliche Charaktere dargestellt hatte.[9] Dennoch wird er bis heute vor allem von Filmkennern geschätzt und geachtet, deren Anerkennung ihm jedoch nach eigener Aussage genüge.[11]

Zischler weist eine große Bandbreite bei seinen Tätigkeitsfeldern auf; angefangen bei seinen Einlesungen von Helmut-Schmidt-Hörbüchern über das Singen von Chansons und seine Übersetzung von Jacques Derrida bis hin zu einer Monographie im Auftrag von Polaroid.

2006 gründete Zischler nach 1968 zum zweiten Mal den Alpheus Verlag in Berlin, worin von 2007 bis 2010 die Schriftenreihe TUMULT. Schriften zur Verkehrswissenschaft (herausgegeben von Walter Seitter und Frank Böckelmann) vorübergehend erschien.

Zischler wohnt seit 1968 in Berlin, lebte seit 1978 mit der Landschaftsarchitektin und Künstlerin Regina Poly (1942–2014) zusammen[9] und war seit 2008/2009 mit ihr verheiratet.[11] Sein Sohn Julian Middendorf (1978–2013) war als Schauspieler, Tänzer und Yoga-Lehrer tätig.[1] Er ist Mitgründer des PEN Berlin.[13]

Er beteiligte sich im April 2021 an der kontrovers diskutierten Aktion #allesdichtmachen, bei der über 50 prominente Schauspieler die Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie in ironisch-satirischen Videos kommentierten.

Auszeichnungen

Filmografie (Auswahl)

Dokumentarfilme

  • Gero von Boehm begegnet Hanns Zischler. Gespräch, Deutschland, 2010, 44:25 Min., Produktion: interscience, 3sat, Erstausstrahlung: 8. November 2010, Film-Informationen von interscience, 3sat-Video depubliziert.
  • „Ich gehe in ein anderes Blau.“ Fernsehdokumentation zu Rolf Dieter Brinkmann, BR Deutschland, 1981, 45 Min., Buch und Regie: Hanns Zischler, Produktion: Südwestfunk[16]
  • »Amerika« vor Augen oder Kafka in 43 min. 30 sec. Dokumentarfilm, BR Deutschland, 1978, 43:30 Min., Buch und Regie: Hanns Zischler, Produktion: WDR, Erstsendung: 1. September 1978 bei WDR 3[17]

Schriften (Auswahl)

– umgekehrt chronologisch -

  • Der zerrissene Brief. Roman. Galiani, Berlin 2020, ISBN 978-3-86971-207-9.
  • Errata. Fehler aus zweiter Hand. Ein Gespräch in x Stichworten mit Hanns Zischler. Marbacher Magazin 153 (Ausstellungskatalog), Marbach 2016. ISBN 978-3-944469-19-5.
  • Das Mädchen mit den Orangenpapieren. Galiani, Berlin 2014, ISBN 978-3-86971-096-9.
  • Berlin ist zu groß für Berlin. Galiani, Berlin 2013, ISBN 978-3-86971-071-6.
  • mit Hanno Rink (Illustrationen): Lady Earl Grey. Arche Verlag, Zürich und Hamburg 2012, ISBN 978-3-7160-2676-2.
  • mit Hanna Zeckau: Der Schmetterlingskoffer. Die tropischen Expeditionen von Arnold Schultze. Galiani, Berlin 2010, ISBN 978-3-86971-024-2.[18]
  • mit Sara Danius: Nase für Neuigkeiten: Vermischte Nachrichten von James Joyce. Zsolnay, Berlin 2008, ISBN 978-3-552-05425-7.
  • mit Jörg Probst (Hgg.): Großes Kino, kleines Kino. 1968 Bilder. Merve Verlag, Berlin 2008, ISBN 978-3-88396-248-1.
  • mit Frank Böckelmann (Hgg.): Der hinreiszende Klang des Amerikanischen. Alpheus, Berlin 2007. (Tumult, Band 32).
  • als Hg.: Literaturmagazin 43. Borges im Kino. Rowohlt, Reinbek 1999, Abb., ISBN 3-498-03906-7.
  • Kafka geht ins Kino. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1996, ISBN 3-499-22376-7.
    • Überarbeitete Neuauflage: Galiani Berlin, Berlin 2017, ISBN 978-3-86971-105-8.
  • Tagesreisen. Merve, Berlin 1993, ISBN 3-88396-106-X.

Artikel

Übersetzungen

  • Ken Krimstein: Die drei Leben der Hannah Arendt. Graphic Novel, dtv, München 2019, ISBN 978-3-423-28208-6
  • Jacques Derrida: Grammatologie. Suhrkamp, Frankfurt [1974] 2003, ISBN 3-518-06739-7, mit Hans-Jörg Rheinberger.
  • Jean-Luc Godard: Histoire(s) du cinéma. Tonspur der achtteiligen Histoire(s) du cinéma (1988–1998) auf fünf CDs mit vier Text- und Bildbänden. ECM Records, München 1999, ISBN 3-00-005329-8.
  • Hugh Kenner: Von Pope zu Pop. Kunst im Zeitalter von Xerox. Philo, Berlin 1995, ISBN 3-86572-388-8, mit Wulf Teichmann.

Hörbücher

Hörspiele

Literatur

  • Hermann J. Huber: Langen Müller’s Schauspielerlexikon der Gegenwart. Deutschland. Österreich. Schweiz. Albert Langen • Georg Müller Verlag GmbH, München • Wien 1986, ISBN 3-7844-2058-3, S. 1150.
  • Kay Weniger: Das große Personenlexikon des Films. Die Schauspieler, Regisseure, Kameraleute, Produzenten, Komponisten, Drehbuchautoren, Filmarchitekten, Ausstatter, Kostümbildner, Cutter, Tontechniker, Maskenbildner und Special Effects Designer des 20. Jahrhunderts. Band 8: T – Z. David Tomlinson – Theo Zwierski. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2001, ISBN 3-89602-340-3, S. 547 f.

Weblinks

Commons: Hanns Zischler – Sammlung von Bildern

Interviews

Über Zischler

  • Gerda-Marie Schönfeld: Verschwiegenes Gesicht. In: stern, Nr. 5, 4. Februar 2006.
  • Jochen Hieber: Hanns Zischler zum Sechzigsten: Auch wenn er auf dem Sofa liegt, bleibt er präsent. In: FAZ, 18. Juni 2007.
  • Peter von Becker: So viele Leben. In: Tagesspiegel. 15. Januar 2006, archiviert vom Original;.: In Steven Spielbergs neuem Thriller Munich spielt er eine Hauptrolle: Hanns Zischler. Der Berliner ist aber noch viel mehr: Literat, Fotograf und Historiker. Ein Besuch.
  • Anna Loll: Hanns… wer? Ach der! In: FAZ, 31. Januar/1. Februar 2009.

Einzelnachweise

  1. a b Björn Rosen, Andreas Austilat: „Geschmacklosigkeit muss erlaubt sein.“ In: Tagesspiegel. 16. September 2011, archiviert vom Original;., Sonntagsinterview.
  2. a b c Katharina Losso: Bio- und Filmografie (Memento vom 4. März 2016 im Internet Archive) auf film-zeit.de, März 2009.
  3. a b In: Gero von Boehm begegnet Hanns Zischler. In: 3sat, 8. November 2010 und Hanns Zischler. Multiartist. (Memento vom 12. November 2010 im Internet Archive) In: 3sat.
  4. Hanns Zischler. In: guenter-peter.de, aufgerufen am 19. Mai 2015.
  5. Claudia Christophersen: Hanns Zischler über die Kunst des Redens. In: NDR, 6. April 2016, Interview.
  6. Willi Winkler: Umwege zum Teufelsberg. Abgerufen am 19. Dezember 2020.
  7. Michael Althen und Andreas Kilb: „Geistesgegenwart ist das einzige Gebot.“ In: FAZ, 19. Januar 2006, Interview.
  8. a b Jochen Hieber: Hanns Zischler zum Sechzigsten: Auch wenn er auf dem Sofa liegt, bleibt er präsent. In: FAZ, 18. Juni 2007.
  9. a b c Gerda-Marie Schönfeld: Hanns Zischler. Verschwiegenes Gesicht. (Memento vom 17. April 2015 im Internet Archive) In: stern, 4. Februar 2006, Nr. 5.
  10. Hanns Zischler. In: Kölner Stadt-Anzeiger, 2010.
  11. a b c Anna Loll: Hanns… wer? Ach der! In: FAZ, 31. Januar/1. Februar 2009.
  12. Hanns Zischler. Internet Movie Database, abgerufen am 19. Mai 2015 (englisch).
  13. Mitgründer:innen. Archiviert vom Original am 18. Juli 2022; abgerufen am 18. Juli 2022.
  14. Knut Cordsen: Cicero Rednerpreis. Auszeichnung für Hanns Zischler. (Memento vom 2. Oktober 2016 im Internet Archive) In: BR, 7. April 2016, Audio-Datei, 5:44 Min.
  15. Hanns Zischler wird Ehrendoktor. Wissen kompakt. In: Welt Online. 18. April 2018, abgerufen am 2. Juni 2021.
  16. Ich gehe in ein anderes Blau. In: filmportal.de. Deutsches Filminstitut, abgerufen am 5. Juli 2021.
  17. »Amerika« vor Augen oder Kafka in 43 min. 30 sec. In: filmportal.de. Deutsches Filminstitut, abgerufen am 5. Juli 2021.
  18. Elke Schmitter: Romantisches Trockenmaterial. In: Der Spiegel, Nr. 49, 6. Dezember 2010, Seite 162, Besprechung von Der Schmetterlingskoffer.
  19. Wiglaf Droste: Hanns Zischler liest „Die Vollidioten“ von Eckhard Henscheid. In: Taz, 13. Januar 2006, Besprechung.

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Hanns Zischler beim Photo Call zu Masaryk / A Prominent Patient bei der Berlinale 2017